Der malische Staat ist heute nicht in der Lage, Präsenz außerhalb der Hauptstadt zu zeigen (
Die Risiken für Deutschland und Europa liegen auf der Hand. Der dschihadistische Terror wird getrieben durch Armut und Hoffnungslosigkeit junger Menschen, die keine Perspektive in Ländern sehen, wo der Staat nicht präsent ist und - wenn überhaupt - mit Korruption und Übergriffen von Sicherheitskräften gegen Zivilisten assoziiert wird. Für viele gibt es deswegen nur zwei Perspektiven – sich entweder einer dschihadistischen oder kriminellen Gruppe anzuschließen (die Übergänge sind häufig fließend) oder die Migration nach Europa über die berüchtigte Mittelmeerroute zu wagen.
Von Migration sind aktuell vor allem die westafrikanischen Nachbarstaaten Malis und Burkina Fasos betroffen, die damit häufig überfordert sind. Diplomaten sehen aber auch mit Sorge, dass mit dem neuen Vormarsch von Dschihadisten in Nord-Mali eine neue Mittelmeerroute via Algerien entstehen könnte. Stand November 2022 ist die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aus Westafrika gering.
Nach der Flüchtlingskrise von 2015 war es ein Fokus der EU, die Migration auf der Mittelmeerroute einzudämmen, indem neben der Entwicklungszusammenarbeit auch in die Sicherheitskräfte der Sahelländer investiert wird. Diese sollen die Grenzsicherung verbessern. Dadurch wurden zwar Migrationsbewegungen eingedämmt, aber auch neue Probleme geschaffen. Viele der Schmuggler sind jetzt arbeitslos, während Migranten verstärkt versuchen, Europa über andere Routen, z.B. via Marokko und Algerien, zu erreichen. Die EU-Staaten versuchen, mit Projekten zur Armutsbekämpfung, z.B. in Agadez (Niger) Alternativen zum Schmuggel zu schaffen – bislang mit wenig Erfolg.
Das deutsche Engagement im Sahelraum ist aber nicht nur angesichts dieser Herausforderungen wichtig, sondern auch weil Russland zunehmend in Afrika expandiert. Moskau setzt auf massive Desinformation und den Einsatz von Söldnern, die mit Menschenrechtsverletzungen die Sicherheitslage in Mali oder anderen Ländern, wie der Zentralafrikanischen Republik, noch verschlimmert haben. Es war vor allem die Präsenz der Wagner-Söldner, die dazu geführt hat, dass die Franzosen ihre Truppen aus Nord-Mali abgezogen haben, die Europäische Union ihre Trainingsmission suspendiert hat und Deutschland über den Sinn des Bundeswehr-Einsatzes debattiert. Das rücksichtlose Vorgehen der Russen gegenüber Zivilisten hat zudem den Dschihadisten nach Einschätzung von Experten neuen Zulauf von Freiwilligen gebracht hat.
Die daraus wachsende Instabilität könnte wiederrum zu mehr Migration nach Europa führen. Man kann davon ausgehen, dass Moskau durchaus darauf spekuliert, Armutsmigration in Richtung Europäische Union als politisches Druckmittel einzusetzen. Dennoch wäre ein abrupter Rückzug der Bundeswehr und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – aus "Protest" gegen die russische Präsenz in Mali – nicht ratsam. Denn ein solcher Schritt würde Moskau in die Hände spielen und das Land und die Region noch mehr destabilisieren. Das deutsche Engagement im Sahelraum – der "Südflanke Europas" – ist also auch ein Stück Geopolitik.
Ist der Westen im Sahel gescheitert?
In Deutschland wird angesichts Russlands Vorstoß derzeit viel über ein angebliches Scheitern des Westens im Sahelraum diskutiert. Deutschland und andere europäische Staaten sind nun fast ein Jahrzehnt in Mali tätig, ohne dass sich die Lage verbessert hat. Mehr noch: Mali steht noch schlechter da als vor 10 Jahren. Die Zentralregierung hat praktisch die Kontrolle über weite Teile des eigenen Territoriums verloren, und in der Hauptstadt Bamako regieren seit 2020 Militärs, die ihre Zusammenarbeit mit Russland verstärkt haben
Welche Lehren können aus dem bisherigen Sahel-Engagement Deutschlands gezogen werden? Das nahende Ende des Bundeswehr-Einsatzes in Mali ist ein guter Zeitpunkt, um Lehren für die Zukunft zu ziehen.
1. Es braucht eine eigene Sahel-Strategie
Deutschland fehlt eine klare Strategie für den Sahelraum, dessen geopolitische Bedeutung für Europa im öffentlichen Diskurs bislang kaum eine Rolle spielt. Die Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 2013, die Bundeswehr in Mali einzusetzen, wurde vor allem als Geste europäischer Solidarität gegenüber den französischen Partnern gesehen, nachdem die französische Armee die Dschihadisten aus Nord-Mali vertrieben hatte.
Deutschland wünschte sich eine "Null-Risiko-Strategie" und ist zudem Frankreichs Führung gefolgt und zwar, ohne dessen Motive zu hinterfragen. Dass sich die frühere Kolonialmacht so stark in Nord-Mali engagiert hat, hängt damit zusammen, dass es auf der anderen Seite der Grenze im Nordwesten von Niger riesige Uran-Vorkommen gibt – von dort bezieht Frankreich fast seinen ganzen Bedarf. Mitarbeiter des französischen Energiekonzerns Areva wurden wiederholt von Dschihadisten entführt. Sicherheit in dieser abgelegenen Region ist für Paris daher sehr wichtig.
Ein anderes Beispiel ist der Tschad, wo die französische Armee mehrere Stützpunkte unterhält. Paris unterstützt seit dem Tod des Autokraten Idriss Déby 2021 dessen Sohn Mahamat, der entgegen der Verfassung die Macht übernommen hat. Präsident Emmanuel Macron saß bei der Beerdigung des Vaters neben Mahamat, der einen nationalen Dialog erst verschleppte, dann die Übergangszeit im Oktober 2022 um zwei Jahre verlängerte und sich nun auch das Recht einräumte, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 zu kandidieren. Dagegen regt sich Widerstand in der Opposition, bei Demonstrationen wurden Ende Oktober mehr als 50 Menschen getötet. Auch hier scheint sich Russland schon darauf vorzubereiten, eine weitere Destabilisierung für sich zu nutzen.
Während Frankreich sich jeder Kritik an der Militärjunta im Tschad enthält und Druck auf die Europäische Union ausgeübt, seiner Linie zu folgen, stellt es die Legitimität der regierenden Militärs in Mali offen in Frage. Hier wurde die Militärregierung erst umgarnt, dann aber vehement kritisiert, als diese sich mit der Bitte um Unterstützung an Russland wandte. Auch hier hat Paris die EU eingespannt, um mithilfe des EU-Botschafters in Bamako die Junta zu kritisieren. Von malischer Seite wird die Unterstützung Débys im Tschad als Doppelzüngigkeit gewertet. Dies schadet der Glaubwürdigkeit europäischer Akteure in der Region. Dies soll nicht die Machtübernahme der Junta in Mali mit ihrer Verschleppung von Wahlen gutheißen, nur sollten gleiche Maßstäbe angewandt werden.
Ohne seine enge Partnerschaft mit Frankreich in Frage zu stellen, sollte Deutschland klare Worte finden und eigene Interessen zu formulieren. So werden EU-Delegationen und Ausbildungsmissionen zumeist von Franzosen geleitet, die zunächst französische Interessen vertreten. Jetzt, nach dem Rückzug Frankreichs, biete sich für Deutschland die Chance, im Sahel mehr Verantwortung zu übernehmen. In vielen Städten im Sahel gibt es regelmäßig anti-französische Demonstrationen. Vor diesem Hintergrund wünscht sich die aktuelle malische Führung eine größere Rolle Deutschlands, das als weitgehend neutral gilt.
2. Ohne Militärhilfen wird es nicht gehen
Ohne die MINUSMA wäre die Situation in Mali und den Nachbarstaaten vermutlich noch deutlich schwieriger. Dank MINUSMA sind die größten Städte im Norden und Zentrum des Landes, wie Timbuktu oder Gao, noch unter Kontrolle des malischen Staates. Der Markt von Gao ist wichtig für die Versorgung der Bevölkerung
Doch mit der Präsenz von Militär- und Ausbildungsmissionen alleine ist der Konflikt nicht zu lösen, schon gar nicht ohne Mitwirkung des malischen Staates, der sich fast vollständig aus dem Norden und dem Zentrum des Landes zurückgezogen hat. Aber ganz ohne militärische Hilfe wird es auch nicht gehen. Die GIZ nutzt z.B. das Camp Castor und die Logistik der Bundeswehr in Gao – der häufig kritisierte "vernetzte Ansatz" zwischen ziviler und militärischer Hilfe funktioniert also zumindest in dieser Hinsicht. Ob die Mission über die vom Bundestag beschlossene Mandatsverlängerung Mai 2023 fortgesetzt wird, ist jedoch unklar angesichts der Taktik Malis, den Bundeswehr-Einsatz immer mehr zu behindern, etwa bei Genehmigungen für Aufklärungsflüge – die Russen wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.
Das wahrscheinlich absehbare Ende des Mali-Einsatzes hilft den Blick nach vorne zu richten: Die Strategie der Bundeswehr und der Europäischen Union müsste bei künftigen Militärkooperationen überdacht werden, was die inzwischen suspendierte Trainingsmission EUTM in Mali zeigt. Hier gab es seit 2013 kaum Fortschritte. Das liegt zum großen Teil an den malischen Streitkräften, die keine professionellen Strukturen haben. Deutschland muss aber auch selbstkritisch einräumen, dass sein konzeptioneller Ansatz nicht effektiv war. Die EU-Ausbildungsmission ließ malische Soldaten mit Holzgewehren trainieren, weil von der EU scharfe Waffen als Sicherheitsrisiko gesehen wurden. Es gab auch kaum Nachbetreuung der malischen Soldaten nach der Ausbildung. Das hat die Tür für Russland geöffnet, das Mali realistischere Trainings anbietet, die auch an der Front stattfinden. Deutschland soll natürlich nicht die Methoden der Wagner-Gruppe nachahmen, aber der Null-Risiko-Ansatz hat sich offenkundig nicht bewährt.
Es gilt die gleichen Fehler jetzt in Niger zu vermeiden, wo nach dem Abzug der Franzosen aus Mali und der Verschlechterungen der Beziehungen zu Bamako die westlichen Partner ihre Aktivitäten ausweiten. Die EU könnte künftig im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität Waffen liefern – dies ist ein wichtiger Schritt: Die Streitkräfte in Niger müssen gestärkt werden, im Gegensatz zu Mali gibt es nach Aussage von Diplomaten Fortschritte bei der Ausbildung.
Zugleich sollten Deutschland und die EU im Niger auf eine strikte Einhaltung der Menschenrechte in den Streitkräften dringen. Doch ohne bessere Sicherheit und militärische Kooperation können dringend benötigte Entwicklungsprojekte nicht fortgeführt bzw. gestartet werden.
3. Russische Propaganda bekämpfen und eigene Narrative stärken
Deutschland und andere westliche Staaten müssen zudem viel stärker an die Öffentlichkeit gehen, um ihre Erfolge und den Sinn und Nutzen ihrer Einsätze in den Sahelstaaten besser zu kommunizieren. Russland macht seit Jahren Stimmung gegen Frankreich und den Westen, v.a. mit Kampagnen in den sozialen Medien mithilfe sog. "Influencer" und Trollfabriken.
Frankreich und die anderen Europäer haben diese laufenden Kampagnen bisher ignoriert. Zu verrückt klangen Vorwürfe, wie zum Beispiel der, dass die französische Armee Terroristen mit Waffen versorge. Dies bereuen westliche Diplomaten jetzt, da die russische Strategie Wirkung entfaltet. Viele Menschen im Sahel können sich nicht erklären, wieso sich Dschihadisten, trotz der französischen Militärpräsenz und der UN-Mission, so stark in der Region ausgebreitet haben. Staatliche Medien in Mali verschweigen gern, dass Regierung und Armee es versäumt haben, in die von Frankreich zurückeroberten Gebiete zurückzukehren und den Bürgerinnen und Bürgern Dienstleistungen, wie Schulen oder eine korruptionsfreie Justiz, anzubieten. Das dabei hinterlassene Vakuum wird von Dschihadisten gefüllt, und viele Menschen glauben der russischen Propaganda.
Die letzte Große Koalition hatte ein sog. Deutschland-Informationszentrum für die frankophone Welt beschlossen, das jetzt im Senegal gestartet wird, um über Deutschland zu informieren. Das Zentrum, das ursprünglich in Mali angesiedelt werden sollte, wurde aus politischen Gründen nach Dakar verlegt, wodurch sich der Start um einige Monate verzögerte. Um den russischen Einfluss wirksam zurückzudrängen, braucht es z.B. eine deutlich aktivere Öffentlichkeitsarbeit. Die Bundeswehr hat z.B. im August 2022 malische Soldaten per Hubschrauber gerettet, die einen Angriff des IS auf ihr Camp in Nord-Mali überlebt hatten. Deutschland machte den Fall aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die Militärregierung nicht öffentlich. Es passt nicht in das offizielle Bild, dass eine ausländische Einheit die eigenen Soldaten retten muss.
Fazit
Der Bundeswehr-Einsatz in Mali und Niger ist weiterhin sinnvoll und Deutschland sollte trotz vieler Rückschläge seine Aktivitäten in der Sahelregion ausbauen. Die Region birgt viele Risiken für Europa, wie Migration, Drogenschmuggel sowie Sicherheitsfragen, die durch Russlands Engagement noch verstärkt werden. Deutschland sollte seine Mittel überprüfen, aber nicht sein Engagement insgesamt in Frage stellen.