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Meinung: Zeit für einen Strategiewechsel in Mali und im Sahel? | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Meinung: Zeit für einen Strategiewechsel in Mali und im Sahel?

Ulf Laessing

/ 10 Minuten zu lesen

Es ist an der Zeit die Lehren aus fast zehn Jahren Militäreinsatz in Mali zu ziehen. Deutschland braucht dringend eine Strategie für die krisengeschüttelte Sahelregion, wo Russland expandiert. Ohne Militärhilfen wird es trotz vieler Rückschläge auch künftig nicht gehen, meint Ulf Laessing.

Bundeswehrsoldaten der Ausbildungsmission "Gazelle" in Tillia/Niger (© picture-alliance/dpa, Carsten Hoffmann)

Der malische Staat ist heute nicht in der Lage, Präsenz außerhalb der Hauptstadt zu zeigen (Interner Link: Konfliktporträt Mali). Die Dschihadisten nutzen dieses Vakuum aus und haben sich bis ins Zentrum des Landes sowie in die Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso ausgebreitet. Von dort aus verüben sie Anschläge in den politisch bislang noch stabilen Küstenländern wie Togo und Benin. Nach dem Abzug der französischen Armee im August 2022 haben dschihadistische Gruppen in Nord-Mali mehr Territorium erobert und erstmal seit 2012 wieder eine Stadt besetzt, was im Nachbarstaat Niger – wo die Bundeswehr ebenfalls stationiert ist – zunehmend Sorge auslöst. Es geht aus deutscher und europäischer Sicht also schon lange nicht mehr "nur" um Mali, sondern um die Stabilität des gesamten Sahels und Westafrikas.

Die Risiken für Deutschland und Europa liegen auf der Hand. Der dschihadistische Terror wird getrieben durch Armut und Hoffnungslosigkeit junger Menschen, die keine Perspektive in Ländern sehen, wo der Staat nicht präsent ist und - wenn überhaupt - mit Korruption und Übergriffen von Sicherheitskräften gegen Zivilisten assoziiert wird. Für viele gibt es deswegen nur zwei Perspektiven – sich entweder einer dschihadistischen oder kriminellen Gruppe anzuschließen (die Übergänge sind häufig fließend) oder die Migration nach Europa über die berüchtigte Mittelmeerroute zu wagen.

Von Migration sind aktuell vor allem die westafrikanischen Nachbarstaaten Malis und Burkina Fasos betroffen, die damit häufig überfordert sind. Diplomaten sehen aber auch mit Sorge, dass mit dem neuen Vormarsch von Dschihadisten in Nord-Mali eine neue Mittelmeerroute via Algerien entstehen könnte. Stand November 2022 ist die Zahl der in Deutschland ankommenden Flüchtlinge aus Westafrika gering. Dies könnte sich aber ändern, sollten Küstenländer, wie Senegal und die Elfenbeinküste, durch die Krisen im Sahelraum destabilisiert werden.

Nach der Flüchtlingskrise von 2015 war es ein Fokus der EU, die Migration auf der Mittelmeerroute einzudämmen, indem neben der Entwicklungszusammenarbeit auch in die Sicherheitskräfte der Sahelländer investiert wird. Diese sollen die Grenzsicherung verbessern. Dadurch wurden zwar Migrationsbewegungen eingedämmt, aber auch neue Probleme geschaffen. Viele der Schmuggler sind jetzt arbeitslos, während Migranten verstärkt versuchen, Europa über andere Routen, z.B. via Marokko und Algerien, zu erreichen. Die EU-Staaten versuchen, mit Projekten zur Armutsbekämpfung, z.B. in Agadez (Niger) Alternativen zum Schmuggel zu schaffen – bislang mit wenig Erfolg.

Das deutsche Engagement im Sahelraum ist aber nicht nur angesichts dieser Herausforderungen wichtig, sondern auch weil Russland zunehmend in Afrika expandiert. Moskau setzt auf massive Desinformation und den Einsatz von Söldnern, die mit Menschenrechtsverletzungen die Sicherheitslage in Mali oder anderen Ländern, wie der Zentralafrikanischen Republik, noch verschlimmert haben. Es war vor allem die Präsenz der Wagner-Söldner, die dazu geführt hat, dass die Franzosen ihre Truppen aus Nord-Mali abgezogen haben, die Europäische Union ihre Trainingsmission suspendiert hat und Deutschland über den Sinn des Bundeswehr-Einsatzes debattiert. Das rücksichtlose Vorgehen der Russen gegenüber Zivilisten hat zudem den Dschihadisten nach Einschätzung von Experten neuen Zulauf von Freiwilligen gebracht hat.

Die daraus wachsende Instabilität könnte wiederrum zu mehr Migration nach Europa führen. Man kann davon ausgehen, dass Moskau durchaus darauf spekuliert, Armutsmigration in Richtung Europäische Union als politisches Druckmittel einzusetzen. Dennoch wäre ein abrupter Rückzug der Bundeswehr und der deutschen Entwicklungszusammenarbeit – aus "Protest" gegen die russische Präsenz in Mali – nicht ratsam. Denn ein solcher Schritt würde Moskau in die Hände spielen und das Land und die Region noch mehr destabilisieren. Das deutsche Engagement im Sahelraum – der "Südflanke Europas" – ist also auch ein Stück Geopolitik.

Ist der Westen im Sahel gescheitert?

In Deutschland wird angesichts Russlands Vorstoß derzeit viel über ein angebliches Scheitern des Westens im Sahelraum diskutiert. Deutschland und andere europäische Staaten sind nun fast ein Jahrzehnt in Mali tätig, ohne dass sich die Lage verbessert hat. Mehr noch: Mali steht noch schlechter da als vor 10 Jahren. Die Zentralregierung hat praktisch die Kontrolle über weite Teile des eigenen Territoriums verloren, und in der Hauptstadt Bamako regieren seit 2020 Militärs, die ihre Zusammenarbeit mit Russland verstärkt haben. Die Natur des Konflikts hat sich seit 2012 zudem grundlegend verändert - von einer rein militärischen Auseinandersetzung hin zu einer Situation, in der Dschihadisten einen Parallelstaat aufgebaut haben. Da helfen militärische Mittel nur bedingt.

Welche Lehren können aus dem bisherigen Sahel-Engagement Deutschlands gezogen werden? Das nahende Ende des Bundeswehr-Einsatzes in Mali ist ein guter Zeitpunkt, um Lehren für die Zukunft zu ziehen.

1. Es braucht eine eigene Sahel-Strategie

Deutschland fehlt eine klare Strategie für den Sahelraum, dessen geopolitische Bedeutung für Europa im öffentlichen Diskurs bislang kaum eine Rolle spielt. Die Entscheidung der Bundesregierung im Jahr 2013, die Bundeswehr in Mali einzusetzen, wurde vor allem als Geste europäischer Solidarität gegenüber den französischen Partnern gesehen, nachdem die französische Armee die Dschihadisten aus Nord-Mali vertrieben hatte. Deutschland wollte aber nicht, wie die Franzosen, mit ihrer Anti-Terror-Mission "Barkhane" Terroristen aktiv bekämpfen, sondern lediglich die MINUSMA-Mission der Vereinten Nationen unterstützen, und das vor allem logistisch. Der Bundestag hat das Mandat bis Mai 2023 verlängert. Die Bundesregierung beschloss im November, wegen anhaltender Probleme mit Mali den Einsatz bis Mai 2024 zu beenden. Niger soll künftig ein neuer Schwerpunkt der militärischen Zusammenarbeit werden.

Deutschland wünschte sich eine "Null-Risiko-Strategie" und ist zudem Frankreichs Führung gefolgt und zwar, ohne dessen Motive zu hinterfragen. Dass sich die frühere Kolonialmacht so stark in Nord-Mali engagiert hat, hängt damit zusammen, dass es auf der anderen Seite der Grenze im Nordwesten von Niger riesige Uran-Vorkommen gibt – von dort bezieht Frankreich fast seinen ganzen Bedarf. Mitarbeiter des französischen Energiekonzerns Areva wurden wiederholt von Dschihadisten entführt. Sicherheit in dieser abgelegenen Region ist für Paris daher sehr wichtig.

Ein anderes Beispiel ist der Tschad, wo die französische Armee mehrere Stützpunkte unterhält. Paris unterstützt seit dem Tod des Autokraten Idriss Déby 2021 dessen Sohn Mahamat, der entgegen der Verfassung die Macht übernommen hat. Präsident Emmanuel Macron saß bei der Beerdigung des Vaters neben Mahamat, der einen nationalen Dialog erst verschleppte, dann die Übergangszeit im Oktober 2022 um zwei Jahre verlängerte und sich nun auch das Recht einräumte, bei den Präsidentschaftswahlen 2024 zu kandidieren. Dagegen regt sich Widerstand in der Opposition, bei Demonstrationen wurden Ende Oktober mehr als 50 Menschen getötet. Auch hier scheint sich Russland schon darauf vorzubereiten, eine weitere Destabilisierung für sich zu nutzen.

Während Frankreich sich jeder Kritik an der Militärjunta im Tschad enthält und Druck auf die Europäische Union ausgeübt, seiner Linie zu folgen, stellt es die Legitimität der regierenden Militärs in Mali offen in Frage. Hier wurde die Militärregierung erst umgarnt, dann aber vehement kritisiert, als diese sich mit der Bitte um Unterstützung an Russland wandte. Auch hier hat Paris die EU eingespannt, um mithilfe des EU-Botschafters in Bamako die Junta zu kritisieren. Von malischer Seite wird die Unterstützung Débys im Tschad als Doppelzüngigkeit gewertet. Dies schadet der Glaubwürdigkeit europäischer Akteure in der Region. Dies soll nicht die Machtübernahme der Junta in Mali mit ihrer Verschleppung von Wahlen gutheißen, nur sollten gleiche Maßstäbe angewandt werden.

Ohne seine enge Partnerschaft mit Frankreich in Frage zu stellen, sollte Deutschland klare Worte finden und eigene Interessen zu formulieren. So werden EU-Delegationen und Ausbildungsmissionen zumeist von Franzosen geleitet, die zunächst französische Interessen vertreten. Jetzt, nach dem Rückzug Frankreichs, biete sich für Deutschland die Chance, im Sahel mehr Verantwortung zu übernehmen. In vielen Städten im Sahel gibt es regelmäßig anti-französische Demonstrationen. Vor diesem Hintergrund wünscht sich die aktuelle malische Führung eine größere Rolle Deutschlands, das als weitgehend neutral gilt. Dass gleichzeitig die Handlungsfähigkeit der Bundeswehr, etwa bei der Genehmigungen von Drohnenflügen, eingeschränkt wird, hat mutmaßlich mit Russland zu tun, das nicht die Positionen seines Militärs im Land ausgespäht sehen will. Die Vorbehalte gegenüber der UN-Mission MINUSMA, zu der auch die Bundeswehr gehört, sind indes darin begründet, dass sie von der malischen Regierung als Instrument der französischen Politik wahrgenommen wird.

2. Ohne Militärhilfen wird es nicht gehen

Ohne die MINUSMA wäre die Situation in Mali und den Nachbarstaaten vermutlich noch deutlich schwieriger. Dank MINUSMA sind die größten Städte im Norden und Zentrum des Landes, wie Timbuktu oder Gao, noch unter Kontrolle des malischen Staates. Der Markt von Gao ist wichtig für die Versorgung der Bevölkerung. Ohne die Bundeswehr und die UN-Mission müssten zudem vermutlich Projekte der Entwicklungszusammenarbeit eingestellt oder heruntergefahren werden.

Doch mit der Präsenz von Militär- und Ausbildungsmissionen alleine ist der Konflikt nicht zu lösen, schon gar nicht ohne Mitwirkung des malischen Staates, der sich fast vollständig aus dem Norden und dem Zentrum des Landes zurückgezogen hat. Aber ganz ohne militärische Hilfe wird es auch nicht gehen. Die GIZ nutzt z.B. das Camp Castor und die Logistik der Bundeswehr in Gao – der häufig kritisierte "vernetzte Ansatz" zwischen ziviler und militärischer Hilfe funktioniert also zumindest in dieser Hinsicht. Ob die Mission über die vom Bundestag beschlossene Mandatsverlängerung Mai 2023 fortgesetzt wird, ist jedoch unklar angesichts der Taktik Malis, den Bundeswehr-Einsatz immer mehr zu behindern, etwa bei Genehmigungen für Aufklärungsflüge – die Russen wollen sich nicht in die Karten schauen lassen.

Das wahrscheinlich absehbare Ende des Mali-Einsatzes hilft den Blick nach vorne zu richten: Die Strategie der Bundeswehr und der Europäischen Union müsste bei künftigen Militärkooperationen überdacht werden, was die inzwischen suspendierte Trainingsmission EUTM in Mali zeigt. Hier gab es seit 2013 kaum Fortschritte. Das liegt zum großen Teil an den malischen Streitkräften, die keine professionellen Strukturen haben. Deutschland muss aber auch selbstkritisch einräumen, dass sein konzeptioneller Ansatz nicht effektiv war. Die EU-Ausbildungsmission ließ malische Soldaten mit Holzgewehren trainieren, weil von der EU scharfe Waffen als Sicherheitsrisiko gesehen wurden. Es gab auch kaum Nachbetreuung der malischen Soldaten nach der Ausbildung. Das hat die Tür für Russland geöffnet, das Mali realistischere Trainings anbietet, die auch an der Front stattfinden. Deutschland soll natürlich nicht die Methoden der Wagner-Gruppe nachahmen, aber der Null-Risiko-Ansatz hat sich offenkundig nicht bewährt.

Es gilt die gleichen Fehler jetzt in Niger zu vermeiden, wo nach dem Abzug der Franzosen aus Mali und der Verschlechterungen der Beziehungen zu Bamako die westlichen Partner ihre Aktivitäten ausweiten. Die EU könnte künftig im Rahmen der Europäischen Friedensfazilität Waffen liefern – dies ist ein wichtiger Schritt: Die Streitkräfte in Niger müssen gestärkt werden, im Gegensatz zu Mali gibt es nach Aussage von Diplomaten Fortschritte bei der Ausbildung.

Zugleich sollten Deutschland und die EU im Niger auf eine strikte Einhaltung der Menschenrechte in den Streitkräften dringen. Doch ohne bessere Sicherheit und militärische Kooperation können dringend benötigte Entwicklungsprojekte nicht fortgeführt bzw. gestartet werden.

3. Russische Propaganda bekämpfen und eigene Narrative stärken

Deutschland und andere westliche Staaten müssen zudem viel stärker an die Öffentlichkeit gehen, um ihre Erfolge und den Sinn und Nutzen ihrer Einsätze in den Sahelstaaten besser zu kommunizieren. Russland macht seit Jahren Stimmung gegen Frankreich und den Westen, v.a. mit Kampagnen in den sozialen Medien mithilfe sog. "Influencer" und Trollfabriken. Diese verbreiten Tag für Tag abstruse Vorwürfe, die aber häufig von den Menschen geglaubt werden, auch weil sie geschickt gängige Narrative bedienen.

Frankreich und die anderen Europäer haben diese laufenden Kampagnen bisher ignoriert. Zu verrückt klangen Vorwürfe, wie zum Beispiel der, dass die französische Armee Terroristen mit Waffen versorge. Dies bereuen westliche Diplomaten jetzt, da die russische Strategie Wirkung entfaltet. Viele Menschen im Sahel können sich nicht erklären, wieso sich Dschihadisten, trotz der französischen Militärpräsenz und der UN-Mission, so stark in der Region ausgebreitet haben. Staatliche Medien in Mali verschweigen gern, dass Regierung und Armee es versäumt haben, in die von Frankreich zurückeroberten Gebiete zurückzukehren und den Bürgerinnen und Bürgern Dienstleistungen, wie Schulen oder eine korruptionsfreie Justiz, anzubieten. Das dabei hinterlassene Vakuum wird von Dschihadisten gefüllt, und viele Menschen glauben der russischen Propaganda.

Die letzte Große Koalition hatte ein sog. Deutschland-Informationszentrum für die frankophone Welt beschlossen, das jetzt im Senegal gestartet wird, um über Deutschland zu informieren. Das Zentrum, das ursprünglich in Mali angesiedelt werden sollte, wurde aus politischen Gründen nach Dakar verlegt, wodurch sich der Start um einige Monate verzögerte. Um den russischen Einfluss wirksam zurückzudrängen, braucht es z.B. eine deutlich aktivere Öffentlichkeitsarbeit. Die Bundeswehr hat z.B. im August 2022 malische Soldaten per Hubschrauber gerettet, die einen Angriff des IS auf ihr Camp in Nord-Mali überlebt hatten. Deutschland machte den Fall aus falsch verstandener Rücksichtnahme auf die Militärregierung nicht öffentlich. Es passt nicht in das offizielle Bild, dass eine ausländische Einheit die eigenen Soldaten retten muss.

Fazit

Der Bundeswehr-Einsatz in Mali und Niger ist weiterhin sinnvoll und Deutschland sollte trotz vieler Rückschläge seine Aktivitäten in der Sahelregion ausbauen. Die Region birgt viele Risiken für Europa, wie Migration, Drogenschmuggel sowie Sicherheitsfragen, die durch Russlands Engagement noch verstärkt werden. Deutschland sollte seine Mittel überprüfen, aber nicht sein Engagement insgesamt in Frage stellen.

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Ulf Laessing leitet seit Januar das Regionalprogramm Sahel der Konrad-Adenauer-Stiftung in Mali. Zuvor hat er 13 Jahre als Auslandskorrespondent und Büroleiter bei der Nachrichtenagentur Reuters im Nahen Osten, Nordafrika und Afrika südlich der Sahara gearbeitet mit den Themenschwerpunkten "Arabischer Frühling", Konflikte und Militärmissionen, politische Transformationen, Terrorismus und Dschihadisten, Migration, Wirtschaft und Klimawandel. Laessing ist Autor eines Buches über den Libyen-Konflikt und hat Geschichte, Islamwissenschaft und Volkswirtschaft in Hamburg, Leipzig und Kuwait studiert.