Mittelamerika ist aufgrund seiner Lage zwischen Süd- und Nordamerika ein wichtiger Korridor für Drogen und andere illegale Güter. Lange Küstenlinien, dichte Regenwälder und unübersichtliche Grenzregionen bieten ideale Voraussetzungen für organisierte Kriminalität. Das in den Andenländern produzierte Kokain erreicht Mittelamerika über den Luft- und Seeweg und wird von dort weiter durch Mexiko in die USA und andere Abnehmerländer transportiert. Schätzungen zufolge sind das jährlich mehrere hundert Tonnen. Allein 2018 haben die USA 254 Tonnen Kokain mit einem Straßenverkaufswert von rund 24,4 Mrd. US$ beschlagnahmt (UNOC 2020).
In Honduras, Guatemala und El Salvador – dem "nördlichen Dreieck" – kontrollieren lokale Gruppen und Organisationen die Umschlagplätze für Drogen und organisieren den Weitertransport nach Mexiko. Die Transportistas, die überwiegend in schwer zugänglichen Landesteilen agieren, verfügen häufig über Verbindungen in die Politik, Justiz und Sicherheitsapparate. Auch mexikanische Drogenkartelle sind mit ihrem internationalen Vertriebsnetz in Mittelamerika zu einflussreichen Akteuren geworden. Neben dem Drogenhandel sind die kriminellen Netzwerke auch an anderen illegalen Aktivitäten beteiligt: Waffenschmuggel und Geldwäsche, Menschen- und Kinderhandel, Schleusen von Migranten, Handel mit exotischen Tieren, illegaler Holzeinschlag sowie Raub, Mord und Entführungen (Insight Crime 2019 a u. b).
Zusätzlich agieren vor allem in den urbanen Zentren der mittelamerikanischen Staaten kriminelle Straßenbanden. Die verfeindeten Barrio 18 und Mara Salvatrucha (MS13) zählen mit mehreren Zehntausend Mitgliedern zu den größten Gruppen. Obwohl sie in allen Ländern des nördlichen Dreiecks vertreten sind, agieren die einzelnen Verbände weitestgehend unabhängig. Seit den 2000er Jahren verfolgen die Regierungen von Honduras, Guatemala und El Salvador eine "Politik der harten Hand" (mano dura) gegen die Straßenbanden und brachten in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche Mitglieder hinter Gitter. Ihren kriminellen Aktivitäten hat dies jedoch keinen Abbruch getan. Die überfüllten Gefängnisse haben sich zu regelrechten Hauptquartieren entwickelt, von wo aus u.a. die Erpressung von Bus- und Taxiunternehmern, Straßenhändlern, Ladenbesitzern und Privatpersonen beauftragt und gesteuert wird.
Die Sicherheitslage im nördlichen Dreieck ist katastrophal. Zwar ist in den vergangenen Jahren die Mordrate etwas gesunken, was auf eine leichte Entspannung der Lage hindeuten könnte. Dennoch weist die Region im internationalen Vergleich nach wie vor eine der höchsten Mordraten auf. In El Salvador, Honduras und Guatemala sterben jährlich durchschnittlich mehr als 40 Menschen pro 100.000 Einwohner. Die meisten dieser Morde gehen auf professionelle Auftragsmörder, sogenannte Sicarios, der Banden MS13 und Barrio 18 zurück. In Kostarika, Nicaragua und Panama sind es knapp 10 Tötungen pro 100.000 Einwohner (UNOC 2019).
Auswirkung auf Staat und Gesellschaft
Das organisierte Verbrechen hat einen großen Einfluss auf Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Kriminelle Netzwerke unterwandern die lokalen Institutionen des Staates und übernehmen de facto die Kontrolle in ihren Einflussgebieten. Beispielsweise werden in El Salvador rund 70 % der Privathändler und Unternehmen gezwungen, Schutzgeldzahlungen an die Straßenbanden zu entrichten (Briscoe/Keseberg 2019; International Crisis Group 2017). Die Erpressungen haben ein solches Ausmaß angenommen, dass die honduranische Handelskammer ihr Mitgliederverzeichnis nicht mehr veröffentlicht. Um ihren Einfluss zu sichern, achten die Straßenbanden auf die Einhaltung von Regeln, ahnden Verstöße und treten als Streitschlichter auf. In den von Banden kontrollierten Stadtgebieten liegt deshalb die Kleinkriminalität nicht selten auf einem sehr niedrigen Niveau. Die Behörden können dem kaum etwas entgegensetzen.
Kriminelle Netzwerke bestechen auch Politiker, erzwingen Stillschweigeabkommen oder leisten Wahlkampfunterstützung, um der Strafverfolgung zu entgehen oder sich günstige Geschäftsbedingungen zu sichern. Kurz vor den Präsidentschaftswahlen in Guatemala 2019 wurde beispielsweise der Kandidat Mario Estrada von Beamten der amerikanischen Drogenbehörde DEA verhaftet, die sich als mexikanische Kartell-Mitglieder ausgegeben hatten. Estrada hatte ihnen versprochen, als Präsident gegen eine Zahlung von 12 Mio. Euro den Drogenschmuggel von guatemaltekischen Häfen in die USA aus zu erleichtern (Prensa Libre 2020).
Die organisierte Kriminalität untergräbt die politische Stabilität und die wirtschaftliche Entwicklung Mittelamerikas. Zum einen mindert der Aderlass der lokalen Wirtschaft infolge der Unsicherheit und der Schutzgeldzahlungen den Umsatz der Unternehmen und das Steueraufkommen des Staates. Zum anderen sind die durch Geldwäsche oder Drogenschmuggel erwirtschafteten enormen Gewinne der Besteuerung entzogen. Die Einnahmen werden wiederum in Immobilien- und anderen Projekten gewaschen und treiben so die Lebenshaltungskosten in die Höhe. Oder die Gewinne werden ins Ausland verbracht und so ganz der nationalen Wirtschaft entzogen. Auch die Arbeitskraft schwindet. Denn es sind vor allem junge und erwerbsfähige Menschen, die sich den Banden anschließen, hinter Gittern sitzen, das Land verlassen oder der Bandengewalt zum Opfer fallen. Darüber hinaus entstehen den Ländern enorme Kosten für den Bau und Unterhalt von Gefängnissen.
Besonders die Menschen in den schwer erreichbaren Regionen profitieren aber auch von den Gewinnen, die vor allem mit dem Drogenhandel erzielt werden. Durch die Verbindung zum Drogenhandel hat sich eine neue kaufkräftige Schicht entwickelt, die u.a. den Bau von öffentlichen Einrichtungen vorantreibt. So entstehen Schulen, Krankenhäuser, Sportplätze oder Restaurants in Gebieten, in denen der Staat bisher nur eine mangelhafte Infrastruktur zur Verfügung gestellt hat. Deshalb ist gerade in den strukturschwachen, ländlichen Gebieten die Akzeptanz der organisierten Kriminalität besonders hoch (Briscoe/Keseberg 2019).
Organisierte Kriminalität bedroht und gefährdet massiv die Sicherheit der Bevölkerung. In El Salvador und Honduras sind die Opferzahlen ähnlich hoch wie sonst nur in Bürgerkriegsländern. Zwischen den Banden kommt es immer wieder zu bewaffneten Auseinandersetzungen, bei denen auch Unbeteiligte in die Schusslinie geraten. Schutzgeldzahlungen werden zudem unter Androhung von Gewalt oder Mord eingetrieben. Insbesondere Frauen sind von sexueller Gewalt betroffen. Auch das z.T. massive Vorgehen der staatlichen Sicherheitsbehörden gegen die Banden treibt die Todeszahlen in die Höhe.
Die Angst vor der Gewalt ist neben Armut und Perspektivlosigkeit zu einer zentralen Fluchtursache für viele Menschen geworden. Rund 7,5 Mio. illegal Eingewanderte aus Mexiko und Zentralamerika leben in den USA. Die Internationale Organisation für Migration schätzt zudem, dass jährlich rund 100.000 Migranten aus El Salvador, Honduras und Guatemala in den Vereinigten Staaten Asyl beantragen. Um nicht festgenommen zu werden, müssen die Flüchtlinge Schlepper und korrupte Grenzbeamte bezahlen und riskante Fluchtrouten nehmen. Während ihrer Flucht werden Migranten immer wieder verschleppt, misshandelt und sexuell missbraucht. Viele gelten als vermisst. Ende 2018 bildete sich daher in Honduras ein großer Migrationstreck, dem sich tausende Menschen aus El Salvador und Guatemala anschlossen, um im Schutz der Masse und zu Fuß durch Mexiko in die USA zu gelangen. Der Grenzübertritt wurde ihnen jedoch mit der Begründung verweigert, dass sie nicht aus einem Kriegsland kommen und deshalb keinen Anspruch auf Asyl haben.
Dass die schwachen staatlichen Institutionen in Mittelamerika nur wenig gegen den Drogenschmuggel und die organisierte Kriminalität ausrichten können, belastete auch die politischen Beziehungen zu den USA unter der Präsidentschaft von Donald Trump. Er hatte mit massiven Kürzungen der finanziellen Hilfen an die mittelamerikanischen Länder gedroht, falls sie die Migrationstrecks nicht stoppen. Joe Biden hat derweil angekündigt, die Beziehungen zu Lateinamerika wieder zu stärken. Seinen Schwerpunkt setzt er dabei auf die Fluchtursachenbekämpfung in Mexiko und dem Nördlichen Dreieck. Trotz der milliardenschweren Zusagen zur Bekämpfung von Kriminalität und Armut zeichnet sich jedoch auch unter der Regierung Biden ab, dass die Region auf der außenpolitischen Agenda weiterhin keine Priorität genießt (GIGA 2021).