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Politik der EU und Deutschlands zur Stabilisierung der Sahel-Zone | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Politik der EU und Deutschlands zur Stabilisierung der Sahel-Zone Eine kritische Bestandsaufnahme

Daniel Bendix

/ 9 Minuten zu lesen

Die EU und vor allem Frankreich und Deutschland intervenieren immer stärker im Sahel, um islamistische Terrorgruppen zu bekämpfen, die Migration nach Europa zu stoppen und den Zugriff auf Rohstoffe zu sichern. Die Lage des Großteils der Menschen verbessert sich dadurch nicht.

(© picture-alliance, photothek)

Der Sturz des Gaddafi-Regimes in Libyen 2011 bedeutete den Wegfall einer regionalen Ordnungsmacht. Mehr noch: Freigesetzte Kämpfer und Waffen stärkten nichtstaatliche Gewaltakteure in den angrenzenden Sahel-Staaten. Migrantinnen und Migranten aus Subsahara-Afrika, die in großer Zahl in Libyen gearbeitet hatten, verloren ihre Jobs und wurden zur Flucht gezwungen. Wenn sie nicht in ihre Heimatländer zurückkehrten, versuchten sie, über das Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Und die europäischen Regierungen konnten sich nach dem "arabischen Frühling" in mehreren nordafrikanischen Ländern nicht mehr darauf verlassen, dass autokratische Regime die Migration aus Sub-Sahara-Afrika nach Europa verhindern.

Die EU-Strategie im Sahel

Die Sahelzone wurde in der EU plötzlich als Exporteur von Unsicherheit in Form von islamistischem Terrorismus, organisierter Kriminalität, illegaler Migration und der Unterbrechung der Versorgung mit wichtigen Rohstoffen (z.B. Uran, Erdöl, Gold) wahrgenommen. Als Reaktion proklamierte die EU 2011 die "Strategie für Sicherheit und Entwicklung im Sahel". Der "regionale, integrierte und ganzheitliche" Ansatz geht von der Prämisse aus, dass Sicherheit, wirtschaftliche Entwicklung und staatliche Handlungsfähigkeit nicht getrennt voneinander erreicht werden können. Die Strategie zielt darauf, die regionale Kooperation zwischen den Sahel-Staaten zu verbessern, die "strukturellen Ursachen der extremen Armut anzugehen" und "die grundlegenden Bedingungen für das Gedeihen wirtschaftlicher Chancen und menschlicher Entwicklung zu schaffen".

Bezogen auf den Sahel geht es der EU darum, die Länder der Region möglichst eng an sich zu binden. Als Grundlage werden gemeinsame politische Werte wie gute Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte sowie die Förderung einer gemeinsamen Vision und Strategie zur Bekämpfung grenzüberschreitender Sicherheitsbedrohungen angeführt. Die EU verspricht sich davon günstige Rahmenbedingungen für die Durchsetzung ihrer Interessen und Ziele:

  • Stärkung der Sicherheit der EU durch eine nachhaltige Stabilisierung und sozioökonomische Entwicklung der Region,

  • Verhinderung von terroristischen Angriffen in der Sahelzone und auf EU-Gebiet,

  • Unterbindung des Schmuggels mit Drogen und anderen Waren nach Europa,

  • Sicherung von Handels- und Kommunikationsverbindungen (z.B. Straßen, Pipelines) durch den Sahel,

  • Schutz der wirtschaftlichen Interessen und Schaffung der Grundlagen für den Handel mit der EU und für EU-Investitionen.

Mit den hohen Zahlen von Geflüchteten nach Europa ist 2014/15 ein weiteres zentrales Interesse und Ziel hinzugekommen: die Unterbindung der illegalen Migration aus Nord- und Subsahara-Afrika nach Europa durch ein verstärktes "Grenzmanagement" (Regionaler Aktionsplan 2015-2020 vom 20.04.2015).

Der Sahel wurde von der europäischen Politik lange vernachlässigt und weitgehend Frankreich als ehemaliger Kolonialmacht überlassen. Insgesamt ist die Region wirtschafts- und handelspolitisch für Europa nicht sehr bedeutend – auch wenn einige Rohstoffe, wie Uran, von geostrategischer Bedeutung sind. Das Hauptmanko besteht darin, dass der Region in der internationalen ökonomischen Arbeitsteilung nach wie vor die Rolle eines Rohstofflieferanten zugewiesen wird: Neben Uran (Niger) sind das vor allem Gold (Mali, Niger, Burkina Faso, Tschad), Baumwolle (Mali, Burkina Faso, Tschad) sowie Erdöl (Tschad). Verarbeitung und Vertrieb der Rohstoffe finden allerdings nicht im Sahel statt, sodass der Löwenanteil der Profite nicht dort verbleibt.

Wichtiger ist die Behauptung der geopolitischen Dominanz der EU im Sahel und in ganz Nord- und Westafrika. Das gilt umso mehr, als konkurrierende Mächte, wie China, Russland sowie die Türkei und verschiedene arabische Staaten, ihre Bemühungen verstärken, in der Region Fuß zu fassen. China ist vor allem auf der Suche nach Ressourcen, Absatzmärkten und Investitionsmöglichkeiten, intensiviert aber auch sein militärisches Engagement. Die Türkei und Russland agieren sowohl auf wirtschaftspolitischer als auch auf militärischer Ebene. Die Türkei und arabische Staaten unterstützen darüber hinaus gezielt religions- und kulturpolitisch konservative muslimische Kräfte.

Deutschland überlässt Frankreich die Führungsrolle, das als ehemalige Kolonialmacht die Vormacht in der Region beansprucht. Paris hat deutliche neokoloniale Wirtschafts-, Status- und Sicherheitsinteressen und setzt traditionell stark auf militärische Einflusssicherung. Berlin hebt dagegen die Migrationsabwehr hervor und präferiert bei der "Fluchtursachenbekämpfung" die entwicklungspolitische Komponente. Die deutsche Regierung setzt nur begrenzt eigene Schwerpunkte. So lehnte sie Bitten um eine Beteiligung an dem Einsatz europäischer Spezialeinheiten für den Kampf gegen Islamisten in Mali bereits zwei Mal ab. Berlin sieht das Sahel-Engagement auch als einen Beitrag zur deutsch-französischen Zusammenarbeit und Bündnissolidarität.

Besonders Frankreich, dessen Ansehen und Stellung sich in der Region in den letzten Jahren rapide verschlechtert hat, drängt auf eine breite Unterstützung für seine und die europäische Politik im Sahel. Auf dem Gipfel im Januar 2020 im südfranzösischen Pau beschlossen der französische Präsident und die Staatschefs der G5-Sahel-Staaten die "Koalition für den Sahel". Ziel ist, sämtliche Länder, internationalen Organisationen und Institutionen zusammenzubringen, die einen Beitrag zu Sicherheit und Entwicklung in der Region leisten.

Die EU-Strategie und -Politik gegenüber dem Sahel ruht im Wesentlichen auf drei Säulen:

  • Anti-Terrorkampf sowie militärische Ausbildung und Ausstattung

  • Unterbindung der Migration sowie

  • Entwickungszusammenarbeit.

Hauptaktionsgebiete islamistischer Terrorgruppen und ihrer Verbündeten (mr-kartographie) Lizenz: cc by-nc-nd/4.0/deed.de

Antiterrorpolitik

Die EU bzw. verschiedene Mitgliedsstaaten sind seit 2013 an diversen militärischen Kampf-, Ausbildungs- und Friedenseinsätzen im Sahel beteiligt. Das sind:

  • die französischen bzw. von Frankreich geleiteten Operationen "Serval", "Barkhane" und "Takuba" mit Fokus auf direkten Einsätzen gegen islamistische bewaffnete Gruppierungen,

  • die deutsche Operation "Gazelle" zur Ausbildung und Ausstattung von nigrischen Spezialkräften,

  • die EUTM für militärische Beratung und Ausbildung der Armeen der G5-Sahel-Staaten,

  • die EUCAP Sahel Niger und EUCAP Sahel Mali zur Ausbildung und Beratung von Polizei, Nationalgarde und Gendarmerie sowie

  • die Friedensmission MINUSMA der UNO.

Zudem wurde auf Druck Frankreichs und mit EU-Finanzierung die primär militärisch gegen islamistische bewaffnete Gruppen vorgehende G5 Sahel Joint Force (Burkina Faso, Mali, Mauretanien, Niger und Tschad) ins Leben gerufen.

Wenn es das Ziel ist, die EU geopolitisch als einen regionalen und globalen Sicherheitsakteur zu positionieren und die Migration in Richtung Nordafrika und Europa zu verhindern, war das militärische Engagement zumindest kurzfristig erfolgreich (Cold-Ravnkilde/Nissen 2020). Wird der Erfolg jedoch daran gemessen, inwieweit es gelungen ist, islamistische Angriffe zu verhindern und die menschliche Sicherheit für die Bevölkerung des Sahels zu verbessern, muss eindeutig von einem Scheitern gesprochen werden. Trotz internationaler Militärpräsenz hat sich laut der Denkfabrik Africa Center for Strategic Studies die Zahl der Angriffe durch islamistische Gruppen seit 2015 jedes Jahr verdoppelt, 2019 waren es rund 700.

Weite Teile von Mali, Burkina Faso und Niger werden von dschihadistischen bewaffneten Gruppen kontrolliert. Der Schwerpunkt auf militärischer Aufstandsbekämpfung hat zur weiteren Militarisierung des Sahel beigetragen. Im Zuge der Intensivierung von Antiterrormaßnahmen ist auch die Gewalt staatlicher Sicherheitsorgane gegen die Zivilbevölkerung deutlich angestiegen (Charbonneau 2019). Regierungen, Armeeführungen und nichtstaatliche bewaffnete Gruppen in den Sahel-Staaten haben ein Eigeninteresse daran, dass die militärischen Konflikte andauern, weil diese "erhebliche materielle und finanzielle Hilfen ins Land" spülen (Tull 2020: 4; Asche 2020).

Die Westafrika-Direktorin von Human Rights Watch Corinne Dufka warnt, dass sich viele junge Männer nur deshalb islamistischen Gruppen anschließen, weil sie sich am Militär und regierungsnahen Milizen rächen wollten: "Die vom Militär begangenen Gräueltaten fördern die Rekrutierung". Auf der anderen Seite betreiben Milizen verschiedener Bevölkerungsgruppen die Ethnisierung der Auseinandersetzungen, z.B. zwischen Fulbe und Bambara oder zwischen Fulbe und Dogon in Mali, um dadurch wirtschaftliche Interessen durchzusetzen, wie die Kontrolle von landwirtschaftlichen Flächen.

Antimigrationspolitik

Die EU knüpft ihre finanziellen Zuwendungen daran, dass die Regierungen des Sahel ihre Grenzen stärker kontrollieren, Ein- und Ausreise restriktiver gestalten sowie bei Abschiebungen kooperieren. Das Ziel der Migrationssteuerung reicht oft bis in die Begründung einzelner Projekte und die Liste der Ziele und Indikatoren hinein. Der Erfolg einiger Projekte wird an ihrem Beitrag zu einem "verbesserten Migrationsmanagement" und einer "Verringerung irregulärer Migrationsströme nach Europa" gemessen (Oxfam 2020: 3/4). So wird die Erfüllung innenpolitischer Interessen der EU-Länder zum Maßstab des Erfolgs von Entwicklungsprojekten in Afrika.

Europa hat seine Aktivitäten im entwicklungspolitischen Bereich im Sinne von Fluchtursachenbekämpfung in den letzten Jahren deutlich verstärkt. Entwicklungspolitische Maßnahmen der EU und ihrer Mitgliedsstaaten (8 Mrd. Euro von 2014-2020) erfolgen vor allem über den EU-Treuhandfonds für Afrika und den Europäischen Entwicklungsfonds. Den konzeptionellen Rahmen bilden der Rabat-Prozess und der Aktionsplan von Valletta. Die Festlegungen der Rahmenvereinbarungen werden in bilateralen Abkommen für die afrikanischen Partnerstaaten verpflichtend gemacht.

Die Verschiebung der europäischen Außengrenzen in Richtung Sahara und Sahel und die stärkten Grenzkontrollen der Staaten des Sahel laufen auf eine drastische Einschränkung der Freizügigkeit innerhalb des Sahel und Westafrikas und der Migration zwischen den Sahel-Staaten und Nordafrika hinaus. Die Effekte der Versicherheitlichung der Migration für die Gesellschaften des Sahel, die seit jeher sozial, kulturell und ökonomisch auf Migration und Mobilität aufbauen, sind verheerend (Clingendael 2018). Die relative Stabilität der Länder beruht "auf einem feinkörnigen Kompromiss" zwischen den Eliten des politischen Zentrums in den Hauptstädten und Eliten in den Grenzregionen, die lange Hotspots für die Transitmigration waren (Bøås 2019).

Entwicklungszusammenarbeit

Die Gesellschaften des Sahel sind in besonderem Maße von dysfunktionalen Regierungsapparaten, Dschihadismus, inter- und intrakommunitären Konflikten sowie der Nahrungsmittelunsicherheit sowie der Klima- und Umweltkrise betroffen. Klimawandelbedingter Starkregen hat im Herbst 2020 Ernteerträge großflächig zerstört. Der Wasserstand des Nigers erreichte seinen höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1929. Es wird davon ausgegangen, dass in den kommenden Monaten über ein Viertel der Bevölkerung der drei genannten Länder von Hunger betroffen sein wird.

Die politische und sicherheitspolitische Krise lässt sich vor allem als Folge der "miserablen Regierungsführung" der überwiegend autoritären Regierungen und ihrer Unfähigkeit verstehen, soziale und ökologische Konflikte durch soziale und wirtschaftliche Reformen zu lösen (Benjaminsen/Ba: 2018; Gaye: 2018). Das Verdienst der in einem Militärputsch gipfelnden malischen Proteste gegen Staatspräsident Keïta besteht vor allem darin, eine "Debatte über die Konzeption und Umsetzung eines postkolonialen Staates angestoßen zu haben, der wirklich im Dienste der Bevölkerung steht". Es ging den Protestierenden darum, dass staatliche Institutionen nicht den Privatinteressen der Eliten dienen, sondern frei von Korruption alle Teile der Gesellschaft einbeziehen.

Die europäische Politik im Sahel greift vor allem deshalb zu kurz, weil sie das koloniale Erbe der afrikanischen Staaten und Gesellschaften und deren peripheren Platz in der globalen Arbeitsteilung vernachlässigt. Der Fortbestand der finanz- und wirtschaftspolitischen Abhängigkeit des Sahel von der ehemaligen Kolonialmacht, u.a. über die Währung Franc CFA, ist lediglich im Interesse einzelner französischer Firmengruppen und mit diesen eng verbundener nationaler Eliten (Koddenbrock, 2020). Problematisch ist auch, dass die Ankündigung der EU, die afrikanischen Partner auf Augenhöhe einzubeziehen, nicht eingelöst wird. Afrikanische Institutionen, wie die Afrikanische Union und die ECOWAS, werden immer wieder vor vollendete Tatsachen gestellt.

Die Menschen im Sahel, die zum Großteil von Ackerbau, Viehzucht und Fischfang leben, sind weltweit mit am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen. Um der Bevölkerung soziale und wirtschaftliche Perspektiven zu bieten, wären gewaltige Investitionen in Produktion und Infrastruktur, Diversifizierung der Wirtschaften und in die Förderung von Wertschöpfungsketten und regionalem Handel notwendig. Die Vereinigung der Afrikawissenschaft in Deutschland (VAD) hat mit Blick auf Burkina Faso vorgeschlagen, deutlich über die "gewöhnliche Projekt- und Nothilfe" hinauszugehen und finanziell, personell und politisch so umfassende Unterstützung zu leisten, dass das "Schlüsselland" in der Sahelzone "den erdrückenden Herausforderungen tatsächlich standhalten kann" (VAD 2020).

Fazit

Die bisherige Politik der EU im Sahel ist gescheitert. Die Sicherheitssituation wird immer prekärer. Die Unterbindung von Migration destabilisiert die fragilen Gesellschaften. Die entwicklungspolitischen Anstrengungen entsprechen in keiner Weise den Erfordernissen. Um einen Ausweg aus dem Teufelskreis zu finden, braucht es eine Neuausrichtung der Strategie. Das niederländische Clingendael-Institut empfiehlt, die Regierungsführung der Sahel-Länder, systemische Reformen und die Einbeziehung der parlamentarischen und zivilgesellschaftlichen Opposition in den Fokus zu rücken, um eine Neuordnung des Vertrags zwischen Staat und Gesellschaft zu ermöglichen (Schmauder 2020).

Weitere Inhalte

Prof. Dr., Studium der Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin und an der Universität Lausanne, Schweiz sowie Ph.D. an der University of Manchester, UK. Er arbeitet seit 2019 als Dozent für Development Studies an der Theologischen Hochschule Friedensau; seine Forschungsschwerpunkte sind Entwicklungszusammenarbeit, Land-Grabbing und transnationale Bewegungen in Mali.