Konzepte zur statistischen Erfassung von Kriegen und politischer Gewalt
Nicolas Schwank
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Wer sich Statistiken deutscher und internationaler Forschungsinstitute über das globale Konflikt- und Kriegsgeschehen anschaut, wird feststellen, dass die Daten erheblich voneinander abweichen. Die Ursache dafür ist sowohl in unterschiedlichen Konzepten von Krieg und Konflikt als auch in divergierenden Messansätzen zu suchen.
Wer Kriege und bewaffnete Konflikte als "Geißel der Menschheit" (UNO-Charta) überwinden will, muss das Phänomen systematischer militärischer Gewalt wissenschaftlich untersuchen. Eine Voraussetzung dafür ist, Daten über vergangene und laufende Kriege und Konflikte zusammenzutragen und zu systematisieren. Aus dem Vergleich der Daten lassen sich wichtige Rückschlüsse in Bezug auf Ursache und Streitgegenstand, Auslöser, Intensität und Dauer von Konflikten ziehen.
Weltweit erhobene Daten zu Kriegen und bewaffneten Konflikten erlauben zudem einen Gesamtüberblick über die historische Entwicklung von Krieg und Frieden im globalen Maßstab. Sie zeigen positive oder negative Trends auf und spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, die Wirksamkeit von Maßnahmen der Konfliktprävention, der Beilegung von Streitigkeiten und der Friedensförderung zu überprüfen. Daten zur regionalen oder globalen Konfliktentwicklung sind ebenfalls unverzichtbar für die Früherkennung eskalierender Konflikte (Schwank 2012).
Die Anfänge der systematischen Erhebung von Kriegen und Konflikten
Die ersten Versuche, systematisch und über einen längeren Zeitraum Daten zu Kriegen zu erheben, hängen mit den Erfahrungen aus den beiden Weltkriegen zusammen. Auf der ganzen Welt wollten Forscher mit ihrer Arbeit dazu beitragen, dass nicht wieder solche zerstörerischen Kriege entstehen. Pioniere der statistischen Kriegsforschung waren der US-amerikanische Politikwissenschaftler Quincy Wright (1942) und der englische Mathematiker Lewis F. Richardson (1960). Richardson machte sich z.B. als Erster daran, durch die Sammlung komplexer Daten eine Art "Wettervorhersage für Kriege" zu erstellen. U.a. geht die Anzahl der Todesopfer als wichtiger Schwellenwert für die Unterscheidung zwischen Krieg und gewaltsamen Konflikten auf seine Forschungen zurück.
Die moderne quantitative Konfliktforschung wurde dann ab den 1960er Jahren u.a. von den beiden amerikanischen Politikwissenschaftler David Singer und Melvin Small begründet (Singer und Small 1972; Small und Singer 1982; Sarkees und Wayman 2010, S. 6). Mit ihrem Correlates of War Project (COW) suchten sie auf der Grundlage empirischen Datenmaterials systematisch nach Bedingungen, die das Entstehen von zwischenstaatlichen Kriegen wahrscheinlicher machen.
Mit dem Auftreten neuartiger internationaler Krisen nach dem Ende des Kalten Krieges, wie dem Völkermord in Ruanda, dem Staatszerfall in Somalia und Jugoslawien, die nicht in das Untersuchungsraster des COW-Ansatzes passten, entstand an mehreren Universitäten und Forschungseinrichtungen eine Vielzahl neuer Untersuchungskonzepte und Datensammlungen. Hintergrund war das politische Interesse an neuen Ansätzen der Frühwarnung vor entstehenden Konflikten. Gemeinsam ist den neuen Datensammlungen, dass sie ausschließlich an Forschungseinrichtungen in westlichen Ländern angesiedelt sind (Dieckhoff et al. 2018). Ein eigener Blick aus den östlichen oder südlichen Ländern und Regionen fehlt bis heute komplett.
Die wichtigsten öffentlich zugänglichen Datenquellen
Das Uppsala Conflict Data Program (UCDP), das an der Universität Uppsala angesiedelt ist und vom norwegischen Institut für Friedensforschung PRIO mitgetragen wird, ist der einzige wissenschaftlich stringente und abgesicherte globale Kriegs- und Konfliktdatensatz, der einen längeren Zeitraum (seit 1946) umfasst und jährlich aktualisiert wird. Meist im August oder September werden die Zahlen des Vorjahres im Journal of Peace Research und auf der Projekt-Homepage veröffentlicht. Das US-amerikanische Correlates of War Project (COW) umfasst zwar insgesamt einen größeren Betrachtungszeitraum (Untersuchungsbeginn ist 1816), doch die Zahlen werden in deutlich größeren Abständen aktualisiert. Stand Mai 2019 sind die Daten bis einschließlich 2010 verfügbar (Sarkees und Wayman 2010).
Die beiden deutschen Institute AKUF (Arbeitsgemeinschaft Kriegsursachenforschung der Universität Hamburg) und HIIK (Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung) publizieren ihre jährlichen Statistiken noch im Dezember (AKUF) des jeweiligen Jahres bzw. Ende Februar des Folgejahres. Während die AKUF ihre aktuellen Konfliktlisten inzwischen nur noch in einer Pressemitteilung veröffentlicht, gibt das HIIK alljährlich ein ca. 200 Seiten umfassendes "Konfliktbarometer" heraus, das zum kostenlosen Download bereitgestellt wird (Externer Link: www.hiik.de).
Unterschiedliche Prämissen führen zu unterschiedlichen Ergebnissen
Ein Vergleich der Statistiken der verschiedenen Institute zeigt, dass die Angaben zu Konflikten und Kriegen erheblich voneinander abweichen. So zählt die AKUF für 2017 31 Kriege, was im Vergleich zum Vorjahr ein Rückgang um zwei Kriege bedeutet (AKUF 2017). Dagegen kommt das HIIK für 2017 auf 20 Kriege und konstatiert eine Zunahme von zwei Kriegen im Vergleich zu 2016 (HIIK 2018). Der UCDP/PRIO-Datensatz weist für 2017 lediglich zehn Kriege aus. Im Vergleich zum Vorjahr wird ein Rückgang um 2 Kriege registriert (Pettersson und Eck 2018; Gleditsch et al. 2002).
Tabelle 1: Vergleich der Angaben der verschiedenen Forschungseinrichtungen für das Jahr 2017
Anzahl der Kriege
Veränderung im Vergleich zum Vorjahr
AKUF
31
-2
HIIK
20
+2
UCDP/PRIO
10
-2
Die Ursachen für diese starken Abweichungen sind in erster Linie in den unterschiedlichen Konzepten von Krieg und Konflikt und den daraus resultierenden divergierenden Messansätzen zu suchen.
Wie wird Krieg definiert und gemessen?
In der empirischen Kriegsforschung lassen sich prinzipiell drei Herangehensweisen unterscheiden (Schwank 2012: 29-30). Beim ersten Ansatz wird ein Krieg nur dann registriert, wenn er auch von einer der beteiligten Parteien formell erklärt wurde. Der zweite Ansatz fokussiert auf die tatsächlichen Wirkungen und Folgen systematischer Gewalt. Indikatoren sind u.a. die Anzahl der Todesopfer und zerstörten Gebäude oder das Ausmaß der Flüchtlingsbewegungen. Ein Krieg ist dann gegeben, wenn definierte Schwellenwerte überschritten wurden (z.B. 1.000 Kriegstote pro Jahr). Die dritte Forschungsrichtung betrachtet Krieg wiederum als Stufe in einer längerfristigen sozio-politischen Eskalationsdynamik. Am Beginn steht die Anwendung von Zwang, darauf folgt die Androhung und schließlich die Anwendung von Gewalt. Zentrales Kriterium der Datenerhebung sind Art und Dauer der Gewaltanwendung.
Aufgrund der Festlegung eindeutiger Indikatoren und Schwellenwerte ermöglichen der erste und zweite Ansatz eine recht eindeutige Unterscheidung zwischen Krieg auf der einen Seite und Frieden bzw. "Nicht-Krieg" auf der anderen Seite. Beide operieren mit zahlenmäßig mehr oder weniger genau bestimmbaren Daten: Kriegsanfang (Datum), Anzahl der Kriegstoten, Zahl der Flüchtlinge, Dauer der Kampfhandlungen usw. Das ist ein Vorteil der quantitativen Ansätze. Doch sie haben auch Nachteile: Zum einen können aufgrund fehlender Informationen Daten oft nur geschätzt werden, was zu erheblichen Fehlschlüssen führen kann. Zum anderen sind die reinen Zahlen, z.B. die Höhe der Todesopfer, nicht unbedingt ein Hinweis auf die Tragweite eines Konfliktes. So lag im Nordirland-Konflikt die Zahl der Todesopfer selbst in eskalierten Phasen weit unter 1.000 pro Jahr (Gleditsch et al. 2002). Trotzdem war der Konflikt sowohl für die internationale Politik als auch für die Sicherheit Großbritanniens und Irlands von größter Bedeutung.
Der dritte Ansatz betrachtet gewaltsame Konflikte und Kriege primär als soziale und politische Prozesse, die ein großes Spektrum an Erscheinungsformen aufweisen. Diese qualitative Herangehensweise nimmt bewusst Unschärfen in Kauf. Hier wird versucht, aus der Analyse und dem Verständnis der Akteure und der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel zu bestimmen, welche Eskalationsstufe ein Konflikt zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht hat. Berücksichtigt wird also, dass traditionelle Völker und Gesellschaften anders Krieg führen als Industrieländer, dass Rebellengruppierungen andere Strategien und Kampfweisen verfolgen als staatliche Akteure. Es gibt aber auch Nachteile: Durch die Erfassung der Gewaltereignisse durch Analysten geht auch deren subjektive Perspektive mit in die Bewertung ein. Während also ein Analyst bereits die Kriterien für einen Krieg erfüllt sieht, ist diese Intensität für andere noch nicht erreicht.
Tabelle 2: Übersicht der Institute und ihrer Konfliktdefinitionen
Forschungsinstitut
Begriff
Definition
UCDP/PRIO
Krieg
mindestens ein staatlicher Akteur als Beteiligter; mindestens 1.000 konfliktbedingte Tote in einem Jahr
minor armed conflict (gering bewaffneter Konflikt)
mindestens ein staatlicher Akteur als Beteiligter; zwischen 25 und 999 konfliktbedingte Tote in einem Jahr
COW
war
anhaltender Kampf zwischen mindestens zwei militärisch organisierten Einheiten mit mindestens 1.000 getöteten Kombattanten1
AKUF
Krieg
Kampf zwischen zwei oder mehr bewaffneten Streitkräften – davon mindestens auf einer Seite reguläre Streitkräfte einer Regierung; außerdem auf beiden Seiten ein Mindestmaß an zentralgelenkter Organisation der Kriegsführung; gewisse Kontinuität der bewaffneten Operationen und nicht nur gelegentliche, spontane Zusammenstöße
bewaffneter Konflikt (seit 1993 erfasst)
gewaltsame Auseinandersetzung unterhalb der Kriterien der Kriegsdefinition; keine hinreichende Kontinität der Kampfhandlungen
HIIK (bis 2002)1
Krieg
Formen gewaltsamen Konfliktaustrags: a) organisierte Kampfhandlungen von etwa gleich starken Gegnern, b) von einiger Dauer und c) intensiv geführt – mit Opfern und Zerstörungen.
ernste Krise
Spannungszustand zwischen Konfliktparteien mit der öffentlichen Drohung, Gewalt einzusetzen oder einem kurzzeitigen Gewalteinsatz
HIIK (2003 bis 2010)
Krieg
Form gewaltsamen Konfliktaustrags: a) mit einer gewissen Kontinuität organisiert b) Einsatz systematischer Gewalt c) gemessen an der Situation großer Einsatz von Mitteln d) nachhaltiges Ausmaß an Zerstörungen
ernste Krise
Konflikt mit wiederholtem und organisiertem Einsatz von Gewalt
Krise
Spannungszustand mit vereinzeltem Einsatz von Gewalt durch mindestens eine der Parteien
HIIK (seit 2011)
Krieg
hohe Ausprägung in den Analysedimensionen Konfliktaustrag und Konfliktfolgen
begrenzter Krieg (limited war)
mittlere bis hohe Ausprägung in den Analysedimensionen Konfliktaustrag und Konfliktfolgen
gewaltsame Krise (violent crisis)
niedrige bis mittlere Ausprägung in den Analysedimensionen Konfliktaustrag und Konfliktfolgen
Fußnote: 1 Ein wichtiger Unterschied in der Kriegsdefinition zwischen AKUF und COW ist der Umgang mit Zivilisten. Während AKUF diese in der Aufsummierung für das Erreichen des Schwellenwertes von 1.000 Toten berücksichtigt, schließt der COW-Ansatz diese aus. So wurde der Anschlag vom 11. September 2001 mit mehr als 3.000 Toten in die AKUF-Liste aufgenommen. In der COW-Kriegsliste tauchen sie hingegen nicht auf (vgl. Sarkees und Wayman 2010: 40).
Die Zunahme innerstaatlicher Konflikte und Kriege
Mit der zahlenmäßigen Zunahme innerstaatlicher Konflikte seit den 1980er Jahren ging auch eine Auffächerung der Konflikttypologien einher. Innerstaatliche Konflikte werden z.B. um die Kontrolle des Staates, die Abtrennung von Gebieten oder den Zugang zu Rohstoffen oder anderen Ressourcen geführt. Bei der Unterscheidung und Abgrenzung der verschiedenen Konflikttypen gehen die Institute unterschiedliche Wege. Dies gilt sowohl für die Definition der verschiedenen Konflikttypen als auch für die Erfassungs- und Messkriterien (siehe Tabelle 3):
Tabelle 3: Typologien gewaltsamer Konflikte
Typ
Definition und Kriterien
AKUF1
Antiregime-Kriege
Kriege, in denen um den Sturz der Regierung oder um die Veränderung des politischen Systems oder der Gesellschaftsordnung gekämpft wird.
Autonomie- und Sezessionskriege
Kriege, in denen um größere regionale Autonomie innerhalb eines Staatsverbandes oder um Sezesssonstige Kriegeion von einem Staatsverband gekämpft wird.
zwischenstaatliche Kriege
Kriege, in denen sich Streitkräfte der etablierten Regierungen mindestens zweier staatlich verfasster Territorien gegenüberstehen, und zwar ohne Rücksicht auf ihren völkerrechtlichen Status.
Dekolonisationskriege
Kriege, in denen um die Befreiung von Kolonialherrschaft gekämpft wird.
sonstige Kriege
Mischtypen, bei denen sich verschiedene Typen überlagern oder sich der Charakter des Krieges im Verlauf der Kampfhandlungen verändert.
HIIK2
zwischenstaatlicher Konflikt
Konflikt zwischen international anerkannten Staaten
innerstaatlicher Konflikt
Konflikt zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren
substaatlicher Konflikt
Konflikt, der nur zwischen nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen wird.
transstaatlicher Konflikt
Konflikt, der zwischen Staaten und nicht-staatlichen Akteuren oder nur zwischen nicht-staatlichen Akteuren ausgetragen wird und der mindestens zwei Staaten betrifft bzw. dort ausgetragen wird.
UCDP/PRIO3
extrasystemischer Konflikt
Konflikt, in dem eine Regierung außerhalb des eigenen Territoriums um die Kontrolle über ein bestimmtes Gebiet kämpft
zwischenstaatlicher Konflikt
Konflikt, der zwischen zwei oder mehr Staaten aufgetragen wird.
innerstaatlicher Konflikt
Konflikt, der zwischen der Regierung eines Staates und einer oder mehrerer Oppositionsgruppen stattfindet, ohne dass dabei ein Staat von außen interveniert.
internationalisierter innerstaatlicher Konflikt
Bewaffneter Konflikt, der zwischen der Regierung eines Staates und einer oder mehrerer Oppositionsgruppen ausgetragen wird, mit Intervention eines oder mehrerer anderer Staaten auf einer oder auf beiden Seiten.
COW bis 20104
I. internationaler Krieg: A. zwischenstaatlicher Krieg
Krieg zwischen organisierten Kampfeinheiten von Staaten mit mindestens 1.000 konfliktbedingten Todesopfern innerhalb einer 12-monatigen Beobachtungsphase
B. extra-systemischer Krieg
Krieg zwischen organisierten Kampfeinheiten von Staaten mit mindestens 1.000 konfliktbedingten Todesopfern innerhalb einer 12-monatigen Beobachtungsphase
II. Bürgerkrieg
Krieg zwischen einem Staat und einer nichtstaatlichen Gruppe innerhalb des Staatsgebiets
COW seit 20105
I. zwischenstaatlicher Krieg (Typ 1)
Krieg zwischen Staaten, die Mitglied des Staatensystems sind. Neben der Mitgliedschaft im Staatensystem ist eine weitere Voraussetzung, dass die Teilnehmer mindestens 1.000 Kämpfer in den Krieg entsenden oder einen Verlust von mindestens 100 Soldaten erleiden.
II. extrastaatlicher Krieg A. Kolonialkrieg (Typ 2) B. imperialer Krieg (Typ 3)
Krieg zwischen einem Mitglied des Staatensystems und einem nichtstaatlichen Akteur (Nichtstaatliche Organisationen werden dann als Konflikteilnehmer gewertet, wenn sie mindestens 100 Kämpfer entsenden oder im Konflikt einen Verlust von mindestens 25 Toten erleiden.)
III. innerstaatlicher Krieg A. Bürgerkrieg a. um die Kontrolle des Zentralstaates (Typ 4) b. um lokale Ziele (Typ 5) B. innerregionaler Krieg (Typ 6) C. interkommunaler Krieg (Typ 7)
Typ 4: Krieg zwischen einer Zentralregierung und einer nicht staatlichen Gruppe um die Ausübung der innerstaatlichen Macht Typ 5: Krieg zwischen einer Zentralregierung und einer nichtstaatlichen Gruppe beispielsweise um Autonomierechte Typ 6: Krieg zwischen einer subnationalen Regierung (also nicht der Landesregierung) und einer nichtstaatlichen Gruppierung ausgetragen Typ 7: Krieg innerhalb eines Landes ohne jede Regierungsbeteiligung
IV. nichtstaatlicher Krieg A. auf einem nicht-staatlichen Territorium (Typ 8) B. grenzüberschreitend (Typ 9)
Nichtstaatliche ("non state") Kriege werden zwischen nicht-staatlichen Konfliktparteien ohne Beteiligung von Staaten ausgetragen. Typ 8: Krieg, der in einem Gebiet ausgetragen wird, das von keinem Staat beansprucht wird. Typ 9: Krieg auf dem Staatsgebiet von mindestens zwei Staaten, aber ohne Beteiligung der Staaten
Die Unterschiede in der Typologisierung sind ein weiterer Grund für die schlechte Vergleichbarkeit der Datensätze. Dies gilt umso mehr, als die Typologien in den vergangenen Jahren immer wieder geändert und angepasst wurden. Teilweise rückten Konfliktformen in den Fokus, die vorher noch nicht existierten oder sich außerhalb des Definitionsrahmens befanden. Für neue Konfliktformen wurden oft auch neue Datensätze geschaffen, anstatt diese in die bestehenden Datensätze zu integrieren. Diese zunehmende Fragmentierung erschwert den Überblick über die gesamte weltweite Konfliktentwicklung.
Identifizierung einzelner Konflikte innerhalb eines Landes
Am Beispiel Indien lässt sich verdeutlichen, wie unterschiedlich die Institute Konflikte kategorisieren und erfassen. Das Jahr 2007, das letzte Jahr, für das Daten aus dem COW-Projekt vorliegen, zeigt, wie die Statistiken jeweils ein sehr unterschiedliches Bild zeichnen. Das COW-Projekt registriert für 2007 in Indien keinen einzigen Krieg. Die AKUF zählt dagegen fünf Kriege und das UCDP/PRIO-Programm vier bewaffnete Konflikte. Die höchste Anzahl weist das HIIK-Konfliktbarometer mit zwei Kriegen und dreizehn bewaffneten Konflikten aus.
Tabelle 4: Anzahl der erfassten Konflikte und deren Intensität am Beispiel Indien im Jahr 2007
AKUF
HIIK
COW
UCDP/PRIO
Krieg
5
2
0
0
bewaffnete Konflikte
0
13
0
4
Summe
5
15
0
4
Eine wichtige Erklärung für die stark variierende Anzahl registrierter Konflikte und Kriege ist das unterschiedliche Konfliktverständnis der Institute. So erfasst das HIIK als einziges Institut auch nicht-gewaltsame Konflikte. Dadurch sollen neue Krisenherde möglichst frühzeitig erkannt werden. Außerdem unterscheidet das HIIK sehr genau, in welcher Weise und mit welchen Maßnahmen die beteiligten Akteure agieren. Schließlich werden komplexe Konfliktlagen in mehrere Teilkonflikte aufgesplittet. Auf diese Weise sollen die Konfliktdynamiken besser erkennbar werden (Schwank 2012; Schwank et al. 2013).
Ein Beispiel ist der Nordosten Indiens. In der Region operieren mehrere separatistische Bewegungen. UCDP/PRIO berücksichtigt lediglich die zwei wichtigsten Bewegungen (ULFA, UNLF) und zählt entsprechend nur zwei Konflikte. Die AKUF ordnet die Konflikte vier Volksgruppen bzw. Bundesstaaten (Naxaliten, Assam, Manipur, Tripura) zu, bei bzw. in denen es die Separationsbewegungen gibt und registriert folgerichtig vier Konflikte. Das HIIK hingegen zählt in der Region acht Konflikte mit mehr als zwanzig Akteursgruppen mit unterschiedlichen Gewaltintensitäten. Die Ursache: Im Konfliktbarometer werden nicht nur die Separationsbestrebungen unterschieden, die sich auf Bundesstaaten beziehen (z.B. Nagaland), sondern auch solche, die die Abspaltung von Teilregionen innerhalb von Bundesstaaten (z.B. Volksgruppe der Naxaliten) sowie Machtkämpfe innerhalb der separatistischen Bewegungen betreffen (z.B. Nagas vs. Assamese Adivasis, siehe Interner Link: Konfliktporträt Indien).
Veränderungen an der Methodik – das Beispiel des Heidelberger Instituts für Internationale Konfliktforschung (HIIK)
Wie aus der Tabelle 2 ersichtlich, hat das HIIK seit 2003 seine Codierungsmethodik überarbeitet und die Anzahl der Intensitätsstufen von Konflikten von vier auf fünf erweitert. Mit der neu geschaffenen Intensitätsstufe "gewaltsame Krise" werden auch jene Konflikte erfasst, die von einer Seite ausschließlich mit terroristischen Mitteln ausgetragen werden. Beispiele dafür sind die Attentate der ETA in Spanien oder der FNLC auf Korsika. Mit der neuen Methodik wurden durchgehend alle Kriege und Konflikte für den Zeitraum 1945–2010 kodiert (siehe Interner Link: Konfliktporträt Baskenland).
2011 wurden drei weitere Änderungen der Intensitätsmessung vorgenommen. Erstens wurden die Konflikte auf Provinzebene getrennt von der nationalen Ebene erfasst. Zweitens wurde die rein qualitative Bestimmung der Intensitätsstufen zugunsten eines ausdifferenzierten quantitativen und qualitativen Ansatzes aufgegeben. Die Gewalt-Intensität eines Konfliktes wird seitdem anhand von fünf Indikatoren gemessen:
Art und Stärke der eingesetzten Waffen,
Stärke des eingesetzten Personals,
Anzahl der erfassten Todesopfer,
Anzahl der beobachteten Flüchtlinge sowie
Ausmaß der Zerstörung, die der Konflikt verursacht hat.
Für jedes Kriterium gelten drei definierte Grenzwerte. Für die Einschätzung der eingesetzten Waffen und das Ausmaß der Zerstörung werden qualitative Kriterien herangezogen, für die anderen Indikatoren werden zahlenmäßige, also quantitative Schwellenwerte, bestimmt. Am Ende der Bewertung, die für jede Provinz vorgenommen wird, wird die Intensitätsstufe der erfassten Konflikte bestimmt. Die dritte Änderung betrifft die Berechnung der Jahresintensität eines Konfliktes, also des Wertes, der letztendlich im HIIK-Konfliktbarometer ausgewiesen wird. Die Konfliktintensität eines Jahres ergibt sich aus der Anzahl der Regionen, die von dem jeweiligen Konflikt betroffen sind, und aus dem gewogenen Mittel der monatlich beobachteten Intensität (Schwank et al. 2013).
Ungesicherte Perspektiven und neue Akteure
Die zuverlässige Erfassung und Kategorisierung von Kriegen und Konflikten ist mit einem immensen Aufwand und hohen Kosten verbunden. Während UCDP/PRIO zumindest mittelfristig durch staatliche Gelder und EU-Fördermittel abgesichert sind, bleibt die Lage von AKUF und HIIK prekär. Beides sind keine Forschungseinrichtungen im eigentlichen Sinn, sondern leben allein vom Engagement von Freiwilligen. Das sind in der Regel Studentinnen und Studenten sowie Doktorandinnen und Doktoranden. Unter diesen Bedingungen können aufwendige Arbeiten, wie die ständige Aktualisierung und Bearbeitung von Datensätzen sowie die Dokumentation von Veränderungen der bereits veröffentlichten Daten, nicht geleistet werden. Das COW-Projekt als lange Zeit international führendes Projekt ist zwar über seinen Direktor ebenfalls an einer renommierten Universität angesiedelt, doch auch hier scheint es an entsprechenden finanziellen Mitteln zu fehlen, um die Daten regelmäßig aktualisieren und den Ansatz weiterentwickeln zu können.
Seit einiger Zeit etablieren sich immer mehr Agenturen im Bereich der Datenerhebung sicherheitsrelevanter Ereignisse und Frühwarnung. Derzeit am erfolgreichsten ist das ACLED-Projekt (Raleigh et al. 2010). Es veröffentlicht zum Teil im wöchentlichen (!) Rhythmus Daten zu politisch motivierten Einzelereignissen (z.B. Kämpfe, Gewalt gegen die Zivilbevölkerung, Attentate, Aufstände, Proteste) in ausgewählten Krisenregionen und verknüpft diese jeweils mit Georeferenzdaten, sodass die Ereignisse auch in elektronische Karten eingebunden werden können.
Diese Art der Datensammlung erreicht aufgrund der fehlenden Verknüpfung zwischen Einzelereignis und Ereigniskontext (z.B. eine politische Krise oder ein Konflikt) als langfristigem Interpretationsrahmen nicht den wissenschaftlichen Standard und die Aussagekraft der Daten der oben vorgestellten Forschungseinrichtungen. So veröffentlicht ACLED keine Jahresanalysen und Langzeittrends. Trotzdem übernehmen Agenturen, wie ACLED, aufgrund ihrer Aktualität und technischen Verfügbarkeit für Praktiker, wie Analysten und Einsatzplaner von staatlichen und nichtstaatlichen Hilfsorganisationen oder Journalisten, mehr und mehr die Funktion, die bislang von den etablierten Forschungsinstituten wahrgenommen wurde.
Geb. 1972, ist Leiter der CONIAS Forschungsgruppe und seit 2013 Geschäftsführer einer Firma, die sich auf die Analyse und Prognose politischer Risiken spezialisiert hat. Zwischen 1999 und 2004 war er Vorsitzender des Heidelberger Instituts für Heidelberger Konfliktforschung (HIIK) und zwischen 2002 und 2012 stellvertretender Projektleiter mehrerer Drittmittel finanzierter Forschungsprojekte an der Universität Heidelberg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Erfassung und Analyse von Konfliktdynamiken und deren Einflussfaktoren.
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