Der damalige Außenminister und heutige Bundespräsident Frank Walter Steinmeier beschrieb einmal die internationale Situation mit den Worten, die Welt sei aus den Fugen geraten (Steinmeier 2015). Und er fuhr fort: "So lange ich denken kann, kann ich mich an keine Zeit erinnern, in der internationale Krisen in so großer Zahl an so vielen Orten gleichzeitig auf uns eingestürmt wären wie heute." Man muss hinzufügen: Nicht nur die Zahl der Gewaltkonflikte ist seit 2010 gestiegen. Viele Konflikte haben auch das Potenzial zur Entgrenzung, sei es geografisch, im Hinblick auf Gewaltdynamik oder die Missachtung bestehender völkerrechtlicher Normen. Die bis vor kurzem postulierte politische-normative Prägekraft und Wirksamkeit westlicher Politik ist einer gestiegenen geopolitischen und normativen Konkurrenz mit alten (z.B. Russland) und neuen Großmächten (z.B. China) gewichen, die verstärkt regionale und globale Interessen verfolgen. Spiegelbildlich dazu hat die ordnungspolitische Autorität der Vereinten Nationen dramatisch ab- und die Krise des Multilateralismus zugenommen.
Die Globalisierung verändert Form und Dynamik innerstaatlicher Konflikte
Die beschleunigte Globalisierung ist eine zentrale Rahmenbedingung für Gewaltkonflikte. Sie begünstigt, dass interne Konflikte eben nicht intern bleiben, sondern internationalisiert und transnationalisiert werden. Staaten sind schon lange keine geschlossenen Container mehr, sondern mehr oder weniger integraler Bestandteil einer vernetzten Welt. Nichtstaatliche Akteure und transnational agierende Gruppen, beispielsweise Terroristen, Aufständische oder private Sicherheitsunternehmen, spielen eine größere Rolle. Interne Gewaltkonflikte sind heute komplexer, multidimensionaler, ihr Verlauf volatiler, die Zahl der Akteure vielfältiger und die Konfliktformen schwerer unterscheidbar. Sie sind aufgrund neuer Technologien informationsintensiver sowie interaktiver, transnationaler und "glokaler", das heißt, die globale und lokale Ebene sind enger miteinander verwoben. Wir leben mittlerweile in einer "Weltrisikogesellschaft", mit all ihren konstruktiven und destruktiven Potenzialen (Beck 2007). Mit diesem Begriff erfasst Ulrich Beck die Dialektik moderner, selbst verursachter globaler Herausforderungen, deren Bewältigung wiederum neue, intendierte und nicht-intendierte Gefahren und Risiken heraufbeschwören kann.
Warum sind Konflikte schwerer lösbar?
Die Typologie der Konfliktforschung unterscheidet grob zwischen innerstaatlichen und zwischenstaatlichen Konflikten (Chojnacki 2007: 478-502). Erstgenannte stellen seit dem Zweiten Weltkrieg den größten Anteil am gesamten Konfliktgeschehen. Waren vor 1988 ca. zwei Drittel aller Kriege innerstaatliche Gewaltkonflikte, so waren es danach mehr als 80 Prozent (Džuverović 2012). Nach gängiger Definition werden innerstaatliche Konflikte zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren innerhalb bestehender Grenzen ausgetragen. Heutzutage überwiegt der Typus des internationalisierten internen Konflikts, bei dem die Regierung, die oppositionellen Kräfte oder beide von externen Akteuren Unterstützung erhalten. Innerstaatliche bewaffnete Konflikte und Kriege machten in den letzten zehn Jahren 98 Prozent aller Konflikte aus. Von den 49 gewaltsamen Konflikten im Jahr 2017 wurde nur noch ein einziger zwischen Staaten (Pakistan und Indien) ausgetragen (Pettersson/Eck 2018: 536).
Immer mehr dieser innerstaatlichen Gewaltkonflikte scheinen nicht enden zu wollen. Der Nahost-Konflikt dauert seit den 1940er Jahren, der Somaliakonflikt seit dem Zerfall des Zentralstaates 1991, der Afghanistankonflikt seit 2001. Im Irak wird seit 2003 gekämpft, in Libyen und Syrien seit 2011, in Mali seit 2012, in der Ukraine seit 2014. Man spricht auch von "protracted" oder "intractable conflicts", also von langanhaltenden und schwer zu bewältigenden Konflikten (Ramsbotham 2005). Doch warum sind sie so schwer zu befrieden und zu lösen?
Edward Azar hat als einer der Ersten ein umfassendes Konzept der "protracted social conflicts" entwickelt (Azar 1990). Demnach kommen vier Faktoren zusammen: die Fragmentierung einer Gesellschaft, die Nicht-Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse, die Funktionsweise des Staates und die Abhängigkeit von wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer internationaler Unterstützung. Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen entstehen dann, wenn die Kluft zwischen ihnen in Bezug auf die Befriedigung der Grundbedürfnisse, wie Sicherheit, Anerkennung und faire politische und ökonomische Partizipationschancen, zu tief wird. Vereinnahmt eine Gruppe den Staat und benutzt ihn zum eigenen Vorteil auf Kosten und unter Ausschluss anderer, so ist der Gewaltkonflikt vorprogrammiert. Letztlich geht es in politischen Konflikten um die (un-)gerechte Verteilung materieller und immaterieller Werte. Staaten, die mit solchen schwer zu bewältigenden Konflikten konfrontiert sind, werden meist, so Azar, von inkompetenten, engstirnigen, fragilen und autoritären Regierungen geführt. Diese wiederum sind nicht zuletzt aufgrund dieser Eigenschaften und der inneren Schwäche oftmals wirtschaftlich und militärisch von einflussreichen äußeren Akteuren abhängig.
Externe Mächte intervenieren immer häufiger
Die äußeren Akteure haben in den letzten Jahren ihrerseits zunehmend militärisch in innerstaatliche Konflikte interveniert. Diese Interventionen können lange dauern und vor Ort großes Leid und viel Gewalt hervorrufen. Beck spricht von "Risikoumverteilungskriegen" (Beck 2007: 271). Das sind machtpolitisch motivierte Kriege, die in den Gesellschaften der Interventen möglichst unsichtbar sind und deren Risiken und Folgen andere anderswo zu tragen haben.
Die Tatsache, dass die Zahl der Interventionen in interne Konflikte sich seit 9/11 mehr als verdoppelt hat, belegt zunächst, dass die Staaten interventionsfreudiger geworden sind. Dadurch ist das Risiko einer direkten Konfrontation zwischen intervenierenden Staaten deutlich gestiegen. So operieren etwa im Syrienkrieg russische und amerikanische Streitkräfte auf verschiedenen Seiten. Das NATO-Mitglied Türkei kämpft gegen die von den USA unterstützte kurdische YPG. Iran und Saudi-Arabien tragen auf syrischem Boden einen indirekten Krieg aus, der jederzeit eskalieren kann. Die erlittenen eigenen Verluste waren zwar bislang wegen der Art der Kriegführung gering (Ehrhart 2017). Doch das Eskalationsrisiko hat zugenommen. Das Stockholm International Peace Research Institute (SIPRI) hat festgestellt, dass Gewaltkonflikte durch Interventionen häufig tödlicher werden, länger dauern und schwieriger durch eine Verhandlungslösung beizulegen sind. Auch werden die strategisch-politischen Ziele der intervenierenden Mächte oftmals nicht oder nur partiell erreicht.
Ein Grund dafür sind die veränderten globalen Mächtekonstellationen. Während des Kalten Krieges galt zwischen den Blöcken die Nullsummenlogik: Des einen Verlust war des anderen Gewinn. Dementsprechend wurden Bürgerkriege meist durch den Sieg einer Seite beendet. In der Phase nach dem Ende des Kalten Krieges und bis in die 2000er Jahre hinein, also auf dem Höhepunkt der unipolaren Weltordnung mit der unbestrittenen Führungsmacht USA, wurden Bürgerkriege verstärkt durch Mediation und Verhandlungen – nicht selten unter dem Druck externer Mächte oder internationaler Organisationen – beendet. Demokratisierung und wirtschaftliche Liberalisierung sollten, ganz im Sinne der Theorie des demokratischen Friedens (Geis/Brock/Müller 2006), zu einer Ausdehnung der Zone des Friedens und der liberalen Demokratie führen. Heute blockieren sich die intervenierenden Mächte gegenseitig und verhindern so eine tragfähige politische Lösung.
Demokratisierungsstrategie wird durch die Stabilisierung abgelöst
Das weitgehende Scheitern der Demokratisierungsversuche und das Erstarken von Staaten, wie China, Russland und anderer aufstrebender Mächte, sowie von illiberalen Ideen und Praktiken, wie islamischer Fundamentalismus, Terrorismus und Autoritarismus, führten zu mehr machtpolitischer Rivalität. Das Ziel der Nationenbildung durch Demokratisierung wich dem bescheideneren Ziel der Stabilisierung, wie mittlerweile etwa in Afghanistan, Mali oder in Syrien. Bürgerkriege, in denen terroristische Gruppen aktiv sind oder sein sollen, enden – wenn überhaupt – mit dem Sieg einer Seite, Bürgerkriege ohne terroristische Beteiligung eher durch Verhandlungen, oder sie verharren in einem Zustand niedriger Intensität (Howard/Stark 2017/18).
Vor diesem Hintergrund ist es fraglich, ob die Unterteilung in interne und internationale Konflikte noch sinnvoll ist. Sie verdeckt nämlich die Verwobenheit von beiden. Man könnte eher von "postmodernen" Konflikten sprechen, in dem Maße, wie sich moderne, traditionelle und asymmetrische Formen der Kriegführung vermischen und sich die Grenzen zwischen Krieg und Frieden, Front und Hinterland, staatlich und nichtstaatlich, zivil und militärisch, Freund und Feind, innerer und äußerer Sicherheit, regulären und irregulären Kräften verwischen oder auflösen (Ehrhart 2017: 31-55). Ein Beispiel dafür ist der Konflikt in der Ukraine, wo viele dieser Phänomene zutreffen.
Die Unterteilung der Welt in eine Zone des Friedens zwischen den demokratischen Staaten und einer (bedrohlichen) Zone des Konflikts blendet den historischen Prozess aus, der zur Entstehung der heutigen Weltrisikogesellschaft geführt hat. Globalisierung und westliche Herrschaft gingen seit Entstehung des modernen Staates im 17. Jahrhundert Hand in Hand. Sie haben zum Entstehen einer funktional differenzierten, interdependenten, heterogenen, manchmal kooperativen, manchmal konfliktiven Weltrisikogesellschaft geführt. Ausprägungen und Rahmenbedingungen der aktuellen Konflikte deuten darauf hin, dass wir in eine Entwicklungsphase eingetreten sind, in der der ko-konstitutive Charakter interner Konflikte immer deutlicher wird. Diese werden eben nicht nur von innen "gemacht", sondern auch von außen. Wie vielfältig die involvierten Akteure und Interessen sind, zeigt beispielhaft der Syrienkonflikt. Diese Konflikte verlangen nicht nach vermeintlich einfachen Lösungen, wie Militärinterventionen, sondern nach kooperativen Strategien für einen friedlichen Wandel, die an den Konfliktursachen ansetzten. Es ist Zeit für die Renaissance eines wirklichen Multilateralismus.