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Zentralasien: geostrategische, politische und sozio-ökonomische Interessen und Strategien regionaler Akteure | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Zentralasien: geostrategische, politische und sozio-ökonomische Interessen und Strategien regionaler Akteure

Jan Koehler

/ 8 Minuten zu lesen

Die Konfliktdynamiken in und um Afghanistan werden stark von den geostrategischen und wirtschaftlichen Interessen der Nachbarländer beeinflusst. Diese gehen teilweise auf weit in die Geschichte zurückreichende Beziehungen und Erfahrungen zurück. Eine nachhaltige Konfliktlösung wird deshalb nur unter Beteiligung dieser Länder gelingen.

Februar 2012: Ein pakistanischer Soldat patroulliert im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet in der Dir Provinz. (© picture-alliance/AP)

Strategische Interessen regionaler Akteure in und um Afghanistan

In Interner Link: Afghanistan treffen seit Jahrhunderten die Interessen einflussreicher Nachbarstaaten und in der Region engagierter Imperien aufeinander. Das Land selbst konnte zwar nie dauerhaft von einer externen Macht besetzt und unterworfen werden, doch haben in den vergangenen zweihundert Jahren der Einfluss rivalisierender Mächte maßgeblich dazu beigetragen, dass sich in Afghanistan kein eigenständiger und dauerhaft stabiler Staat herausbilden konnte (Giustozzi 2009: 31-41). In den vergangenen vier Jahrzehnten haben sich die internen Konflikte um die politische und wirtschaftliche Entwicklung des Landes einerseits und die Auseinandersetzungen zwischen externen staatlichen sowie nicht-staatlichen Akteuren andererseits wieder zu einem komplexen Schlüsselkonflikt in der zentralasiatischen Region aufgeschaukelt (Rashid 2010: Part 3; Harpviken 2018).

Interner Link: Pakistan

Die pakistanische Afghanistanpolitik wird in hohem Maße dadurch bestimmt, dass in Pakistan eine große paschtunische Minderheit kompakt vor allem im Grenzgebiet zu Afghanistan lebt. In diesen föderal verwalteten Stammesgebieten haben dieselben Stämme ihre traditionellen Siedlungsgebiete wie auf afghanischer Seite, wo die Paschtunen die größte Bevölkerungsgruppe stellen. Vor diesem Hintergrund wird Pakistans Afghanistanpolitik bis heute von zwei zentralen geostrategischen Interessen geprägt: zum einen von dem Bemühen, die gemeinsame Grenze (die sogenannte Durand-Linie), die von der afghanischen Regierung nicht als Staatsgrenze anerkannt wird, aufrechtzuerhalten und zum anderen Afghanistan als Verbündeten und Rückraum in der politischen und militärischen Rivalität mit Indien zu nutzen (Wagner 2011). In Presseberichten und Analysen wird dies oft als Streben nach "strategischer Tiefe" bezeichnet. Indien und Pakistan haben seit ihrer Unabhängigkeit und der gewaltsamen Teilung des Subkontinentes 1947 vier offene Kriege gegeneinander geführt (1947-48, 1965, 1971 und 1999). In drei dieser Kriege ging es um die umstrittene Zugehörigkeit Kaschmirs.

In dem Maße, wie Pakistan in den 1980er-Jahren zum Frontstaat in dem von den USA gegen die sowjetischen Truppen und die kommunistische Regierung in Afghanistan geführten Stellvertreter-Krieg wurde, vergrößerten sich die Einflussmöglichkeiten der pakistanischen Regierung und der Geheimdienste in dem Nachbarland noch einmal deutlich. Islamabad versucht, seine Ziele entweder durch die Förderung einer Pakistan wohlgesonnenen Regierung oder eine kontrollierte Instabilität durch beeinflussbare dschihadistische Gruppen zu erreichen. Seit Mitte der 1990er-Jahre waren das vor allem die Taliban. Zugleich war und ist Pakistan bemüht, die in Afghanistan eskalierende Gewalt und Unsicherheit nicht auf das eigene Territorium übergreifen zu lassen. Für Pakistan ist es eine Herausforderung, die Vorteile des bewaffneten Dschihad im Nachbarland gegen die Risiken für die eigene innere Sicherheit auszubalancieren, da sich islamistischer Terror vermehrt auch gegen den pakistanischen Staat sowie religiöse Minderheiten wie Schiiten richtet (Rashid 2012).

Seit dem Ende der Militärherrschaft unter Pervez Musharraf (2001-08) bemüht sich die pakistanische Regierung verstärkt, staatliche Herrschaft durch militärische Operationen und administrative Reformen auf die Stammesgebiete auszudehnen, die seit der Gründung Pakistans faktisch autonom gewesen sind (begonnen wurde diese Politik auf Druck der USA schon nach dem 11. September 2001). Die Militäroperationen führten auch dazu, dass pakistanische Rebellen über die Grenze in Teile Afghanistans gedrängt wurden, die bisher weniger vom Aufstand der Taliban betroffen waren. Ein Friedensprozess in Afghanistan erscheint ohne Berücksichtigung pakistanischer Interessen aufgrund des erheblichen Störpotenzials dieses Nachbarlandes unmöglich. Eine dauerhafte regionale Befriedung setzt insbesondere eine nachhaltige Lösung der Grenzfrage zwischen Pakistan und Afghanistan sowie eine Einigung zwischen Indien und Pakistan im Kaschmir-Konflikt voraus.

Iran

Persien bzw. der Iran sah in Afghanistan über Jahrhunderte einen Raum für die eigene machtpolitische Expansion. Weite Teile des heutigen Afghanistan wurden immer wieder von persischen Schahs beherrscht. Vor allem die dari-sprachigen, nicht-paschtunischen Bevölkerungsgruppen standen historisch in regem politischen und kulturellen Austausch mit dem persischen Reich. Irans heutiges Verhältnis zu Afghanistan ist von drei Faktoren geprägt: innere Sicherheit, nationale Sicherheit und Vormachtstreben im Nahen und Mittleren Osten (Potzel 2010). Dabei konkurriert der Iran vor allem mit den sunnitisch geprägten Regionalmächten Saudi-Arabien im Süden und Pakistan im Osten sowie in deutlich geringerem Maße mit der Türkei im Westen.

In den 1990er Jahren war der iranische Einfluss in Afghanistan überschaubar und beschränkte sich auf die Abwehr destabilisierender Spillover-Effekte (Drogenschmuggel, Kriminalität, Flüchtlingsproblematik). Der Taliban-Herrschaft stand der Iran nicht zuletzt aufgrund der Unterdrückung von schiitischen Bevölkerungsgruppen von Anfang an ablehnend gegenüber; seit dem Angriff der Taliban auf das iranische Konsulat in Mazar-e-Sharif 1998, bei dem zehn Diplomaten und ein Journalist getötet wurden, war die Haltung über lange Jahre feindselig.

Die iranische Haltung veränderte sich schrittweise seit der US-amerikanischen Intervention in Afghanistan (2001), der Besatzung des Irak (2003-2011) und der ansteigenden amerikanischen Truppenpräsenz in Afghanistan. Teheran befürchtete insbesondere eine Einkreisung seitens der USA (Piven 2012). Mit dem schwindenden Einfluss der Amerikaner im Irak nach 2008, der Konsolidierung der Position des Irans als schiitische Schutzmacht in der Region und der Ankündigung des weitgehenden Abzugs der internationalen Truppen aus Afghanistan begann der Iran, eine aktivere Politik sowohl gegenüber der Regierung in Kabul als auch mit Blick auf schiitische und nicht-paschtunische Gruppen in Nord- und Westafghanistan zu betreiben (Gall 2017). In den Jahren seit dem ISAF-Abzug Ende 2014 häufen sich die Berichte über eine Unterstützung von Taliban-Gruppen im Westen und Norden Afghanistans durch den Iran (Ahmadzai 2018; Levkowitz 2017).

Russland und Zentralasien

Seit der Ausdehnung des russischen Reiches nach Zentralasien im 19. Jahrhundert hatten die russischen und britischen, später sowjetischen und US-amerikanischen imperialen Interessen in Afghanistan einen geostrategischen Berührungspunkt. Afghanistan war zur Pufferzone von Weltmächten geworden (Hopkirk 1992). Im letzten Jahrzehnt sowjetischer Herrschaft wurde Afghanistan dann Schauplatz eines brutalen Stellvertreterkrieges, in dem die Sowjetunion militärisch auf Seiten der kommunistischen Machthaber in Kabul intervenierte und die USA mit ihren Verbündeten vor allem über Pakistan den islamischen Widerstand unterstützte. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen aus Afghanistan 1989 und der Auflösung der Sowjetunion 1991 ging das russische Engagement dort gegen Null. Moskau beschränkte sich vor allem auf unterstützende Maßnahmen in einigen zentralasiatischen Nachbarstaaten, insbesondere zur Grenzsicherung sowie zur Bekämpfung von Drogenschmuggel und Terrorismus (vor allem in Tadschikistan).

Im Zuge des Rückzuges westlicher Truppen aus Afghanistan bis 2014 ist die russische Politik in der Region wieder aktiver und offensiver geworden. Für Russland besteht heute ein Zielkonflikt in der Afghanistanpolitik (Halbach 2011). Zum einen hat Moskau ein andauerndes Interesse, ein Vordringen von radikalen islamistischen Elementen und ihrer Ideologie sowie von Drogen und Waffen über Zentralasien nach Russland zu verhindern. Gleichzeitig liegt Russland aber seit der Eskalation des Zerwürfnisses mit den NATO-Staaten daran, die militärische Präsenz des Westens und seinen dominanten politischen Einfluss in der Region zurückzudrängen (Shams 2017). Moskaus Handlungsmöglichkeiten in Afghanistan sind jedoch infolge der brutalen Besatzung und des daraus resultierenden Ansehensverlusts in den 1980er Jahren gering. Russland kann die USA als Ordnungsmacht nicht ersetzen und konzentriert sich deshalb auf die Kooperation mit anderen regionalen Akteuren sowie auf informelle Kontakte zu einigen aufständischen Gruppen, darunter den Taliban (Hille 2018).

Ebenso wie für das zunehmend autoritär regierte Russland ist auch für die postsowjetischen Diktaturen in Zentralasien Regimestabilität oberste Staatsräson der herrschenden Eliten. Die Erinnerung an die Infiltration islamistischer Kämpfer in den 1990er Jahren nach Tadschikistan und Usbekistan ist noch lebendig. Gleichzeitig wurde es für die autoritären Regime in Folge der sogenannten "Farbigen Revolutionen" (2003-2005 in Georgien, der Ukraine und in Kirgistan) sowie der Entwicklungen während des "Arabischen Frühlings" 2011 wichtiger, den westlichen Einfluss in der Region zu beschränken.

China

Historisch sind Chinas Beziehungen zu Afghanistan von der Seidenstraße als Fernhandelsroute geprägt worden. Obwohl China geographisch durch den Pamir von Afghanistan getrennt ist und nur eine kurze Grenze in der entlegenen Hochgebirgsregion des Wachan-Korridors hat, führten mehrere wichtige Handelswege über Pakistan, Afghanistan und Persien weiter nach Europa. China hielt sich in der Zeit des "Kalten Krieges" mehr als die Sowjetunion oder die USA politisch in Afghanistan zurück. Die sowjetische Besatzung wurde von China abgelehnt.

Bis zum Ende der ISAF-Mission in Afghanistan 2014 waren Chinas Interessen in Afghanistan beschränkt auf zwei Prioritäten (Berger 2010). Erstens, die Bekämpfung von islamistischen Extremisten, die die Spannungen mit der uigurischen Minderheit vor allen in der chinesischen Xinjiang-Provinz weiter anheizen könnten, und zweitens, die Sicherung von wirtschaftlichen Investitionen in die Rohstoffausbeutung (z.B. Mes Anyak Kupfermine, Amu Darya Ölfelder Balkh und die damit verbundene Infrastruktur).

Mit dem Rückgang des westlichen Einflusses, aber vor allem mit der grundsätzlichen regional und international gestaltungswilligeren politischen Neuausrichtung Chinas unter Präsident Xi Jinping ändert sich die chinesische Position zu Afghanistan (Rashid 2014). Wichtig bleibt weiter die Eindämmung des islamistischen Extremismus. Diese Priorität ist nun aber zunehmend eingebettet in eine regionale und überregionale Strategie des Aufbaus politischer und wirtschaftlicher Gestaltungsmacht.

Das wichtigste multilaterale, von China initiierte und geführte Großprojekt ist die Initiative One Belt, One Road (OBOR) (auch "Neue Seidenstraße"), am 07.09.2013 von Präsident Xi Jinping in Astana, Kasachstan verkündet (Kumar 2017). Diese gigantische, auf Infrastruktur, wirtschaftliche Entwicklung und Handel fokussierende Entwicklungsinitiative, umfasst 60 Länder und reicht von China bis nach Mitteleuropa, mit einem geschätzten Gesamtvolumen von mehr als einer Billion USD. Der pakistanische Abzweig (Wirtschaftskorridor) mit einem Volumen von 62 Mrd. USD, der China mit dem Tiefwasserhafen in Gwadar verbindet, ist in Bau. Afghanistan ist Teil der Gesamtstrategie von OBOR (Hatef and Luqiu 2017). Diese Entwicklungschance könnte ein sogenannter Game Changer für staatliche wie gesellschaftliche Akteure in der Region werden und ist geeignet, die Fixierung auf die USA (und Russland) als traditionell wichtigste geostrategische Akteure in Zentral- und Südasien zu abzulösen.

Die chinesische Politik könnte eine grundsätzliche Veränderung der Rahmenbedingungen für die innerstaatlichen Konflikte in Afghanistan herbeiführen, weil sie für die Partnerstaaten realistische und transformative wirtschaftliche Entwicklungsoptionen anbietet. Ohne Friedensprozess behalten die Taliban und andere lokale Gewaltakteure jedoch durch ihr Gewaltpotenzial und die durch sie kontrollierten Gebiete faktisch eine Veto-Macht über die geplante "Neue Seidenstraße" und damit über die Zugänge zu den von China anvisierten Rohstoffen (Hatef and Luqiu 2017). Auch das ist für Beijing ein Antrieb, sich diplomatisch stärker für eine Regulierung und Beilegung des Afghanistan-Konflikts zu engagieren.

Fazit

Pakistans Interessen gegenüber Afghanistan sind darauf gerichtet, dort eine pakistanfeindliche Regierung zu verhindern und gleichzeitig destabilisierende grenzüberschreitende Auswirkungen der Gewalt auf das eigene Territorium einzudämmen. Der Iran weitet seinen Einfluss vor allem in Nordafghanistan aus und steht dabei als politische Schutzmacht für die Schiiten in potenzieller Konkurrenz zu den sunnitischen Regimen in der Region. Russland reagiert auf den Abbau der westlichen Präsenz in Afghanistan mit einer aktiveren Interessenspolitik im Hinblick auf eine Friedensordnung, die weniger unter dem Einfluss der USA stehen soll. Von Chinas Großprojekt OBOR könnte eine wirtschaftliche und politische Stabilisierung in Afghanistan und in der Region ausgehen. Es ist allerdings nicht auszuschließen, dass ein andauernder Wirtschaftskonflikt zwischen den USA und China, wie er sich unter der Trump-Regierung andeutet, diese regionale, chinesisch-geführte und äußerst ambitionierte Entwicklungsperspektive beschädigen wird.

Weitere Inhalte

Jan Koehler, Dr., ist seit 2006 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Sonderforschungsbereich "Governance in Räumen begrenzter Staatlichkeit" der Freien Universität Berlin. Jan Koehler hat langfristige Feldforschung im Kaukasus, in Zentralasien und seit 2003 alljährlich in Afghanistan betrieben. Aktuell fokussiert Koehlers Arbeit in Afghanistan auf zwei Langzeit-Wirkungsbeobachtungen in insgesamt 27 Distrikten und 470 Dörfern in Nordost-Afghanistan. Hier untersucht das Forschungsteam unter anderem Fragen zur Wirkung der Entwicklungsintervention insgesamt und zur Wirkungen spezieller Stabilisierungsmaßnahmen auf die afghanische Gesellschaft in der Untersuchungsregion.