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Meinung: Eine wirksame Transformation von Krisen und Konflikten duldet keinen Aufschub – auf die richtigen Instrumente kommt es an | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Meinung: Eine wirksame Transformation von Krisen und Konflikten duldet keinen Aufschub – auf die richtigen Instrumente kommt es an

Hans J. Gießmann

/ 9 Minuten zu lesen

Sich im Umgang mit Krisen auf das scheinbar Machbare zu fokussieren, birgt das Risiko der weiteren Eskalation von Gewalt, sagt Hans Gießmann. Das Eingeständnis, Krisen nicht wirksam bearbeiten und lösen zu können, offenbart die Unangemessenheit und Ineffektivität der eigenen Instrumente zur Krisenbewältigung.

Hans J. Gießmann

Gegenwärtig wird in den Reihen politisch verantwortlich handelnder Personen wie auch in Expertenkreisen viel darüber spekuliert, ob sich das Zeitalter des Multilateralismus und der kollektiven Sicherheitspolitik dem Ende zuneigt. Eine abgeschwächte, scheinbar konstruktivere Variante dieser Diskussion ist bemüht, den Multilateralismus als Prinzip zwar nicht preiszugeben, sich jedoch auf das "Machbare" zu konzentrieren, auf differenzierte Teilhabe, letztlich eine Kartellierung von Zusammenarbeit in Staatengruppen der "Willigen" mit hinreichend gemeinsamen Interessen. Die kritischen Folgen der Beschränkung auf das Machbare sind in fast allen Bereichen der internationalen Politik zu beobachten, in der Klima- und Handelspolitik ebenso wie in der Finanz- und Entwicklungspolitik. Und eben auch im Umgang mit Gewaltkonflikten.

Erhöhtes Risiko staatlicher Alleingänge und geopolitischer Rivalität

Gewiss, insbesondere der Wiederaufstieg "starker Männer" – von Putin bis Erdogan, von Xi Jinping bis Donald Trump – verstärkt seit längerem schon die Sorge vor einem neuen Zeitalter geopolitischer Rivalität und zwischenstaatlicher Konkurrenz. Dies aber ist nur das am meisten augenfällige Symptom einer sehr viel grundlegenderen Erschütterung der internationalen Ordnung und Zusammenarbeit. Erkennbar ist der zunehmende Druck nationaler Egoismen auf die meisten Institutionen internationaler Zusammenarbeit, deren regulierende Kraft von einem starken Konsens aller Beteiligten abhängig ist. Das Ausscheren einzelner Staaten aus den Bemühungen um kollektiven Interessenausgleich belastet nicht nur die Lösung von Problemen, es schwächt vor allem auch die internationalen Institutionen, hierzu konstruktiv beizutragen. Ihnen wird zuerst die Autorität und schließlich der Boden entzogen, wenn sich vor allem die stärksten Mitglieder aus kollektiv bindenden Regeln verabschieden oder diese Regeln nach eigenem Gutdünken verändern wollen, und – falls dies nicht gelingt – im Alleingang handeln.

Die Folgen dieser Entwicklung werfen in mehrfacher Hinsicht Fragen auf: Wenn sich die stärksten Partner einer Institution, nicht mehr an deren vereinbarte Regeln halten, warum sollten dies andere? Wenn die Institutionen ihr Leistungsversprechen nicht (mehr) einhalten können, welchen Sinn machte es dann für ihre Mitglieder, in deren fortgesetzte Funktionsfähigkeit weiterhin (oder mehr als andere) zu investieren? Steht aber die Funktionsfähigkeit der Institutionen als Ganzes in Frage, wäre dann die Suche nach alternativen Wegen zur Interessenswahrung außerhalb dieser Institutionen legitim? Auf jede dieser Fragen kennen wir bereits die höchst unerfreulichen Antworten.

Die Zeiten der Hoffnung auf dauerhaften Frieden nach dem Ende des Ost-West-Konflikts sind jedenfalls einer Zeit der Ernüchterung und zunehmenden Ratlosigkeit gewichen. War diese Hoffnung nur eine Illusion, fehlte es bislang lediglich am politischen Willen oder waren bereits die Ansätze und Instrumente der multilateralen Konfliktprävention ungeeignet, aus der Hoffnung Wirklichkeit werden zu lassen? Die Liste der ungelösten Herausforderungen für Frieden und Sicherheit ist mittlerweile lang geworden, und buchstäblich täglich kommen neue Probleme hinzu: transnationaler Terrorismus, Ausbreitung von religiösem Fanatismus und extremem Nationalismus, Krise der Rüstungskontrolle und Abrüstung, eine zunehmende politische Polarisierung und schließlich die seit 2010 gegenüber dem Jahrzehnt zuvor gestiegene Anzahl von Gewaltkonflikten.

Anwachsende Zahl von Gewaltkonflikten

Allein seit 2010 habe sich die Anzahl von Gewaltkonflikten weltweit verdreifacht, stellte der im Herbst 2017 unter dem Titel "Pathways to Peace" veröffentlichte gemeinsame Bericht von Weltbank und Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) fest. Mehr Länder als je zuvor in den zurückliegenden 30 Jahren haben in dieser Zeit Gewalterfahrungen machen müssen. Viele dieser Konflikte haben sich erwartungsgemäß in weniger entwickelten Ländern mit schwachen Institutionen ausgebreitet, jedoch einige der gerade tödlichsten Konflikte der Gegenwart, wurden und werden in Ländern mit mittlerem Einkommen und vergleichsweise starken Institutionen ausgetragen. Gleichzeitig haben sich mehr und mehr Konflikte regionalisiert und internationalisiert, weil dritte Staaten zur Unterstützung der einen oder anderen Partei in nationale und lokale Konflikte eingreifen (World Bank/ UNDP 2018: 1).

Was tun, wenn sich die beteiligten Parteien an den Gewaltkonflikten, wie zum Beispiel in Syrien, in Libyen, in Jemen oder auch in der Ukraine, einer friedlichen Beilegung verweigern? Sind bewaffnete Konflikte, wenn sie besonders langanhaltend ("protracted") oder hartnäckig ("intractable") sind, im günstigsten Fall nur noch zu managen bzw. zu verwalten? Sollten sich externe Akteure oder die internationale Gemeinschaft als Ganzes in solchen Fällen eher zurückhalten oder auf kurzfristige Maßnahmen zur Deeskalation der akuten Gewalt beschränken? Ist es rechtlich und nicht zuletzt moralisch für internationale Akteure vertretbar, solche Konflikte praktisch zu "zernieren", d.h. sie gewissermaßen einzuzäunen, oder "einzufrieren" und auf bessere Zeiten für eine umfassendere Lösung zu hoffen?

Auf das Machbare setzen?

Auf den ersten Blick erscheint es vernünftig, auf das Machbare zu setzen, um das vielleicht Erreichbare nicht durch das Erstreben des Unmöglichen zu gefährden. Viele Konflikte sind komplex, die tiefer liegenden Ursachen vielschichtig, die Frontlinien diffus und oft genug werden Interessen dritter Parteien tangiert, zuerst der Nachbarn, oft aber darüber hinaus auch strategische Interessen regionaler Vormächte. Von "Krisenlandschaften" ist die Rede, genauer wäre es, von einer systemischen Interdependenz von Ursachen, Wirkungen und Interessen in diesen Konflikten zu sprechen.

Die Reduktion der Komplexität durch Konzentration auf das "Machbare" scheint sehr verlockend: Die Orientierung auf Teilschritte zur Deeskalation, auf bescheidene Ziele, die scheinbar leichter zu erreichen sind, auf denen sich im Weiteren vielleicht aufbauen ließe. Es klingt nach dem Spatzen in der Hand, der der Taube auf dem Dach vorzuziehen ist. Niemand will bestreiten, so auch der Autor dieser Zeilen, dass Friedensprozesse – vor allem, wenn sie langanhaltende und hartnäckige Gewaltkonflikte zu überwinden suchen – langwierig sind und zumeist nur in kleinen Schritten voranschreiten können. Die Bearbeitung komplexer Konflikte ist mitnichten linear, und große Lösungen nach Beendigung eines Krieges waren in der Vergangenheit entweder nur das Ergebnis von Sieg und Niederlage oder, im Falle einer Vereinbarung auf dem Verhandlungsweg, oft nicht sehr nachhaltig.

Nach Forschungen des Human Security Center erwiesen sich Friedensvereinbarungen bei mehr als einem Drittel der in den 1990er Jahren beendeten Gewaltkonflikte in den 1990er Jahren bereits innerhalb von fünf Jahren als hinfällig und gescheitert.

Hier liegt die Wurzel des Problems und letztlich auch eine erste Begründung für das Versagen der Gewaltprävention unter Beteiligung externer Akteure. Systemische und zudem verhärtete Konflikte lassen sich nicht einfach durch ein Abkommen beenden. Es ist geradezu eine Überforderung, eine alle Seiten zufrieden stellende Regelung der wahrgenommenen Missstände und ihrer Ursachen in einem einzelnen oder auch mehreren Abkommen zu verankern. Denn ein solches Abkommen kann keine nachhaltige Wirkung entfalten, wenn es lediglich Kompromisse fixiert. Wichtig ist, vor allem die Interessen, Verhaltensweisen und Einstellungen der Parteien sowie die tieferliegenden Ursachen der Konflikte zu adressieren und somit Chancen zu eröffnen, die Beziehung zueinander in ein kooperationsbereites Verhältnis münden lassen und die strukturellen Konfliktursachen nachhaltig zu überwinden (World Bank 2011). Dies aber, und das ist entscheidend, setzte Vertrauensbildung voraus, und die Einsicht in die Vorteile dauerhaft friedlicher Zusammenarbeit. Doch das Wichtigste ist: Vertrauen zueinander und in den Friedensprozess entstehen nicht im Selbstlauf.

Vertrauensbildung als Schlüssel für eine nachhaltige Konfliktlösung

Zwar kann der von William Zartman beschriebene "wechselseitig schmerzhafte Stillstand" ("mutually hurting stalemate") in einem Konflikt die Bereitschaft der Parteien fördern, sich auf Alternativen zum bewaffneten Kampf einzulassen, wechselseitiges Vertrauen entsteht allerdings dadurch noch nicht. Vertrauensbildung ist ein gemeinsamer Lernprozess, in dem Vertrauen auch durch einseitige Signale, durch Kommunikation und schließlich kooperatives Handeln bei der Überwindung der strukturellen Konfliktursachen entsteht. Dies von außen zu beeinflussen, bedarf nicht des Abwartens mutmaßlicher "Lösungsreife". Diese entsteht ja auch nicht nur durch äußeren Druck zum Handeln, sie entsteht vor allem durch die Einsicht in plausible Alternativen. Wer annimmt, dass Gewalt sich deeskalieren ließe, ohne Vertrauensbildung zueinander, missversteht die Dynamik von Konflikten und unterschätzt die Wirkung der Eskalationspotenziale, welche die Formen physischer und psychischer Gewalt allenfalls auf andere Ebenen oder in andere Gebiete verlagern.

Konflikttransformation zielt im Kern auf einen vertrauensbildenden Lernprozess, in dem konfliktbeteiligte und -betroffene Akteure an ihren Beziehungen zueinander arbeiten, um Gewalt bei der Wahrung ihrer Einzel- und gemeinsamen Interessen zu vermeiden. Natürlich kann nicht erwartet werden, dass alle Akteure bereit sind, gewissermaßen "den Schalter umzulegen". Wie bereits betont: Systemische Friedensprozesse verlaufen nicht linear, empfindliche Rückschläge und Stillstände eingeschlossen. Wer einen Konflikt deeskalieren und schrittweise lösen will, muss die Interessen und die Beweggründe der Akteure in den Blick nehmen, um zu verstehen, warum sie sich im Extremfall selbst auf einen, auch für ihre eigene Klientel risiko- und verlustreichen Krieg einlassen. Insofern liegt es auf der Hand, nicht nur auf jene Akteure zuzugehen, die bereits Bereitschaft zeigen, sich auf friedlichere Alternativen einzulassen. Diese gilt es allerdings in Schutz vor jenen zu nehmen, die aus unterschiedlichen Gründen, sei es als Scharfmacher oder als Opfer der Gewalt, zur Kooperation bereite Akteure als Verräter betrachten. Es geht auch darum, die Beweggründe dieser sogenannten "Hardliner" zu erkennen und zugleich die legitimen Interessen der Opfer nicht zu vernachlässigen.

So schwierig es erscheinen mag: Ein (aufgezwungener) Waffenstillstand ist oft gerade nicht der beste erste Schritt zu Frieden. Ist er nicht das Ergebnis erster Vertrauensbildung und der glaubwürdigen Bereitschaft, die strukturellen Konfliktursachen ernsthaft anzugehen, wird jeder Bruch der Vereinbarung die Parteien auf den Gewaltkonflikt zurückwerfen, und jeder Bruch wird das Vertrauen in die nächste Vereinbarung schwinden lassen. In Syrien und der Ukraine ist dies regelmäßig zu beobachten. In den Verhandlungen zwischen FARC und kolumbianischer Regierung war der Waffenstillstand nicht Voraussetzung für den Verhandlungsprozess, sondern Ergebnis der Vertrauensbildung in den ersten Verhandlungsrunden. Es war das Verdienst von Präsident Santos, und ein guter Grund für die Verleihung des Friedensnobelpreises, dass er erkannte, dass Gewalt erst gezähmt werden konnte, als die Parteien Vertrauen in den Verhandlungsprozess und zueinander finden konnten. Ob die neue Regierung daran festhält, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen.

In Syrien und der Ukraine lässt sich beobachten, dass die Hoffnung auf einen Friedensprozess durch Waffenstillstand trügerisch ist, weil die beteiligten Parteien befürchten, durch Zugeständnisse mehr zu verlieren, als langfristig zu gewinnen. Das Vertrauen zueinander und in den Prozess fehlt. Intelligentes Krisenmanagement durch externe Akteure heißt also nicht, auf die "Lösungsreifung" eines Gewaltkonflikts zu setzen, sondern vielmehr, Ansätze zu unterstützen, die vertrauensbildend wirken können. Hierzu gehören u.a. diplomatische Vermittlung, Mediation, wirtschaftliche Hilfen und Anreize, die Übernahme von Garantien, Kapazitätsentwicklung und Verhandlungstraining, eine enge Partnerschaft mit nichtstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zur Förderung der Inklusion bei der Bearbeitung häufig asymmetrischer Konflikte zwischen staatlichen Akteuren und der politischen Opposition.

Dass internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die EU und OSZE, aber auch andere Regionalorganisationen wie die Afrikanische Union gerade derzeit ihre Instrumente zur Mediation und Mediationsunterstützung schärfen und die engere Kooperation mit Nichtregierungsorganisationen suchen, die in diesem Feld über weitreichende Erfahrungen verfügen, ist ein gutes Zeichen. Dies findet allerdings noch nicht überall ausreichenden Rückhalt.

Das führt uns zu einer weiteren Begründung für das Scheitern von Bemühungen externer Akteure, besonders verhärtete und komplexe Konflikte zu befrieden. Es ist eine Sache, Konflikte als hartnäckig, als "intractable" zu bezeichnen und einen "smarteren" Umgang mit ihnen vorzuschlagen. Die meisten dieser Konflikte wären aber keineswegs "intractable", oder hätten sich zu solchen gar nicht erst verfestigt, steckten die eingangs dieses Texts beschriebenen Mechanismen des Multilateralismus nicht in der tiefsten Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Konfliktparteien, gleichviel ob in Syrien, der Ukraine, im Jemen oder anderswo, erfreuen sich der parteilichen Unterstützung externer Akteure und sehen in deren Rivalität Chancen, sich durch fortgesetzte Gewalt besser behaupten zu können. Die Parteinahme externer Akteure lähmt zudem die Bemühungen, die Kraft und Autorität internationaler Institutionen für die Beendigung der Gewalt zur Geltung zu bringen.

Wer zu wenig leistet, um die internationale Gemeinschaft zu einen, muss sich nicht wundern, wenn sich zunehmend mehr Konfliktparteien einer Friedensregelung entziehen. Intelligentes Konfliktmanagement bedarf also vor allem einer geeinten Haltung der internationalen Gemeinschaft sowie starker gemeinsamer Institutionen zur Unterstützung der erforderlichen Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien. Die gestärkten, reformierten und neu zu schaffenden Institutionen sollten – ganz im Sinne der aktuellen Studie von Weltbank und UNDP – ihren Handlungsschwerpunkt nicht auf das Management, sondern endlich konsequenter auch auf die deutlich kostengünstigere Prävention von Krisen und den nachhaltig deeskalierenden Umgang mit Konflikten legen.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Dr. Hans J. Gießmann, Konflikt- und Friedensforscher, Studium der Philosophie, Anglistik und Amerikanistik in Berlin und Leipzig, seit 2008 Direktor von Berghof Conflict Research und seit 2011 Geschäftsführer der Berghof Foundation Berlin. Zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland zu Themen der Sicherheitspolitik und der Konflikttransformation.