Zentralasien wurde über viele Jahrhunderte von unterschiedlichen nomadischen Stämmen (z.B. Hunnen, Mongolen, Turkvölker) beherrscht, die immer wieder Eroberungszüge in die benachbarten Reiche und Regionen unternahmen – z.B. nach Persien, Europa, Indien und China. Verschiedene Versuche, u.a. von Persern, Griechen, Chinesen und Arabern, die zentralasiatischen Stämme zu unterwerfen, scheiterten früher oder später oder verliefen im Sande. Erst mit den wirtschaftlichen und militärtechnischen Entwicklungen der Neuzeit (z.B. Feuerwaffen und Eisenbahn) gewannen externe Mächte nach und nach die Oberhand.
Die entscheidende Zäsur stellt die Expansion Russlands von Nordwesten und Großbritanniens vom Süden (Britisch-Indien) dar. Fast über das gesamte 19. Jahrhundert hinweg bis in die 1920er Jahre hinein lieferten sich Moskau und London ein "Großes Spiel" ("Great Game") im Kampf um die Vorherrschaft in der Region.
Das "Große Spiel"
Nach der Niederlage im Krimkrieg 1855/56 verlagerte Russland seine Expansionspolitik in den Osten, auch um das weitere Vordringen Großbritanniens in Zentralasien zu verhindern. Russland eroberte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Territorien des heutigen Kasachstan, Kirgisistan und Turkmenistan. Mit der Eroberung des Emirats von Buchara 1865/68, das sich über das Territorium des heutigen Usbekistan und Tadschikistan erstreckte, wurde das Zarenreich zur imperialen Ordnungsmacht in der Region. Zwischen 1881 und 1885 eroberten russische Truppen Aschgabat und Merw im heutigen Turkmenistan.
Die Ausweitung des Zarenreichs wurde in Großbritannien wiederum als Bedrohung für Britisch-Indien und das britische Handelsimperium in Asien insgesamt wahrgenommen. Daher versuchte Großbritannien nun seinerseits, seinen regionalen Einfluss auszuweiten. Eine Schlüsselrolle kam dabei Afghanistan zu, das im Nordwesten unmittelbar an Britisch-Indien grenzte. Zwischen 1839 und 1842 und erneut von 1878 bis 1879 versuchten Truppen der britischen Ostindien-Kompanie Afghanistan zu erobern. Der zweite Krieg schwächte die afghanischen Truppen so weit, dass der Emir Abdur Rahman Khan sich gezwungen sah, das afghanische Königreich als halbautonomes Protektorat Britisch-Indiens anzuerkennen.
Nachdem es 1885 beinahe zu einer offenen Konfrontation mit britischen Einheiten gekommen war, als russische Truppen die afghanische Festung Kuschka besetzten und mehrere nach Persien führende Handelsstraßen unter ihre Kontrolle brachten, forcierte Großbritannien die Idee, eine Pufferzone zwischen Russland und Britisch-Indien zu schaffen. 1893 unterzeichnete das Königreich Afghanistan auf britischen Druck einen bilateralen Vertrag, in dem die Grenze zwischen Afghanistan und Britisch-Indien festgeschrieben wurde. Durch die rd. 2.400 km lange "Durand-Linie" – benannt nach dem damaligen Außenminister Britisch-Indiens Henry Mortimer Durand – verlor Afghanistan nicht nur fast ein Drittel seines Territoriums, die willkürlich gezogene Grenze teilte auch die Stammesgebiete der Paschtunen, die seitdem auf beiden Seiten der Grenze leben. Die Paschtunen, die bis mit ca. 15 Mio. die größte ethnische Gruppe Afghanistans (ca. 50%) und mit ca. 23 Mio. die zweitgrößte Volksgruppe (ca. 17%) in Pakistan bilden, haben die "Durand-Linie" und damit die afghanisch-pakistanische Grenze bis heute nicht anerkannt.
Im Vertrag von Sankt Petersburg (1907) erkannte Russland den Status Afghanistans als britisches (de facto) Protektorat an. Großbritannien stimmte im Gegenzug der Einrichtung einer russischen Zone in Persien zu. Hintergrund war das Interesse beider Seiten, eine Allianz gegen die Machtansprüche des kaiserlichen Deutschland in Europa zu schmieden. Nach seiner Niederlage erkannte Großbritannien im Frieden von Rawalpindi (1919) Afghanistan als souveränen und unabhängigen Staat an. Durch den Erfolg gestärkt leitete der junge afghanische Emir und spätere König Amanullah Khan eine Phase sozialer und politischer Modernisierung ein. Er wurde jedoch 1929 durch einen Aufstand konservativer und strenggläubiger Reformgegner gestürzt.
Die Sowjetunion tritt das zaristische Erbe an
Nach der Oktoberrevolution (1917) und der Gründung der Sowjetunion (1922) wurden die Führer der islamischen Staatswesen in Zentralasien, wie der Emir von Buchara, abgesetzt. Eine bunte Allianz aus ehemaligen politischen und geistlichen Anführer und Beamten sowie Rebellen, britischen Söldnern und türkischen Offizieren schloss sich zu einer islamischen Widerstandsbewegung zusammen, den Basmatschen. Sie konnten jedoch den sowjetischen Truppen nicht standhalten. Viele Basmatschen flohen mit ihren Familien in den Norden Afghanistans und den Nordwesten Chinas.
Bis Mitte der 1930er Jahre wurde die politische Neuordnung Zentralasiens weitgehend abgeschlossen. Tadschikistan wurde 1924 zu einer autonomen Republik innerhalb der Usbekischen SSR und 1929 zu einer eigenen Sowjetrepublik. Außerdem entstanden vier weitere zentralasiatische Sowjetrepubliken: Kasachstan, Kirgisien, Turkmenistan und Usbekistan. Die Mongolei blieb unabhängig, war de facto aber ein Satellitenstaat der Sowjetunion. Ostturkestan (auch Uiguristan oder Xinjiang) wurde – abgesehen von zwei kurzen Episoden der Unabhängigkeit (1933/34 und 1945-49) – von China beansprucht. Dennoch wahrte die Sowjetunion bis zum Anschluss von Xinjiang an die VR China (1949) dort ihren wirtschaftlichen und militärischen Einfluss.
Die Sowjetunion blieb auch gegenüber Afghanistan aktiv. Bereits in den 1920er Jahren wurden der afghanische Staat und seine Streitkräfte zunehmend durch die Sowjetunion finanziert und ausgebaut. Gleichzeitig nahm Moskau Einfluss auf die politische Entwicklung des Nachbarlandes. Anlass dazu gab u.a. ein innerafghanischer Aufstand (1924), der mit sowjetischer militärischer Hilfe niedergeschlagen wurde. Moskau nutzte die Einflussnahme, um fortan Akteure der afghanischen Innenpolitik zu indoktrinieren. Insbesondere ging es um die Förderung reformerischer und kommunistischer Kräfte, wie den Paschtunen-Emir (ab 1926 König) Amanullah Khan. Dessen Reformansätze und Modernisierungsversuche stießen jedoch im Land auf starken Widerstand in Gestalt zahlreicher Aufstände (1928-29), die auch mithilfe sowjetischer Truppen nicht niedergeschlagen werden konnten. Schließlich sah sich Amanullah gezwungen, aus dem Land zu flüchten und ins Exil zu gehen.
Indien und Pakistan – das Trauma erbitterter Feindschaft
Der übereilte Rückzug Großbritanniens führte zur Teilung Britisch-Indiens entlang der religiösen Konfliktlinie zwischen Hindu und Moslems, die sich im Kampf gegen die koloniale Besetzung und Unterdrückung verfestigt und politisch aufgeladen hatte. Am 14. August 1947 wurden Pakistan und Indien unabhängig. Die Bildung beider Staaten, die von hochkochendem religiös gefärbtem Nationalismus auf beiden Seiten begleitet wurde, stürzte die ganze Region in eine Phase erbitterter innen- und zwischenstaatlicher Konflikte, die bis heute nachwirken. Den über 500 Fürstenstaaten und Sultanaten wurde freigestellt, entweder unabhängig zu bleiben oder sich einem der beiden neuen Staaten anzuschließen. Für die an der Grenze gelegenen bevölkerungsreichen Provinzen Punjab und Bengalen wurde entschieden, sie entlang der Siedlungsgebiete der religiösen Mehrheiten und der bestehenden Verwaltungsgrenzen zu teilen.
Durch die Grenzziehung wurden Dorfgemeinschaften und Familien auseinandergerissen. Ca. 10 Mio. Hindus und Sikhs flüchteten aus Pakistan nach Indien oder wurden gewaltsam vertrieben. In umgekehrter Richtung waren etwa 7 Mio. Muslime von Umsiedlung sowie von Vertreibung und Gewalt seitens fanatisierter Hindus und Sikhs betroffen. Man schätzt, dass bei den interreligiösen Auseinandersetzungen und Pogromen mehr als eine Million Menschen ums Leben kamen (Mann 2014).
Besonders folgenreich war die Auseinandersetzung um die Zugehörigkeit des Fürstenstaats Jammu und Kaschmir. Aufgrund der überwiegend aus Muslimen bestehenden Bevölkerung sollte Kaschmir aus Sicht der pakistanischen Staatsführung in das Territorium Pakistans angefügt werden, während die indische Regierung den Fürstenstaat mit dem hinduistischen Herrscher Maharadscha Hari Singh als Teil Indiens sahen. Die Folge waren drei indisch-pakistanische Kriege (1947-1949, 1965-1966, 1999). Der Konflikt bestimmt bis heute maßgeblich die Außen- und Sicherheitspolitik beider Staaten – angefangen mit der massiven militärischen Aufrüstung über die Entwicklung nuklearer Waffen bis hin zur Unterstützung militanter und terroristischer Gruppen, die den Konflikt nicht selten anstelle der Armeen austragen.
Ungelöste Grenzkonflikte
Die aus der kolonialen Zeit ererbten Außengrenzen Pakistans und Indiens waren nicht weniger umstritten. An der Nordgrenze Pakistans war und ist die "Durand-Linie" Stein des Anstoßes. Die neue pakistanische Regierung vertrat von Anfang an die Ansicht, dass auch die halbautonomen Gebiete Britisch-Indiens und damit die von Afghanistan beanspruchten paschtunischen Siedlungsgebiete zu Pakistan gehören. Dagegen erklärten die Paschtunenstämme die Durand-Linie für ungültig und völkerrechtswidrig und forderten ein souveränes "Paschtunistan". Aufstände der Paschtunen auf beiden Seiten der Grenze und Proteste gegen die Eingliederung in den Staat Pakistan eskalierten z.B. im Herbst des Jahres 1950.
Zwischen Pakistan und Afghanistan kam es mehrmals zu bewaffneten Konflikten sowie fast sogar zu einem Krieg. Hintergrund war die konsequente Ablehnung der Grenzziehung durch die Regierung in Kabul. Ein mächtiger Befürworter eines Anschlusses der pakistanischen Paschtunen an Afghanistan war Mohammad Daoud Khan, der 1953 zum Ministerpräsidenten Afghanistans ernannt wurde und fortan vor allem die militärische Unterstützung für die Paschtunen verstärkte. 1960 eskalierten die Konflikte an der Grenze erneut. Kabul sandte Soldaten, um die Paschtunenstämme zu unterstützen. Pakistan stellte daraufhin die diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan ein. Auf der Suche nach Beistand wandte sich die afghanische Regierung unter Daoud nun noch stärker Moskau und zunehmend auch Neu-Delhi zu und verstärkte den bilateralen politischen, wirtschaftlichen und militärischen Austausch.
Im Osten entwickelte sich dagegen ein Grenzkonflikt zwischen Indien und China. Die VR China war 1949 als neuer Staat auf die Weltbühne getreten und versuchte, die in der Vergangenheit unklar definierte Grenzen zu seinen Gunsten festzusetzen. Bereits 1950 begann Beijing, die Kontrolle über Tibet zu übernehmen. 1954 unterzeichneten die Ministerpräsidenten beider Länder, Jawaharlal Nehru und Tschou En-lai, ein Abkommen, in dem Indien das chinesische Tibet anerkannte. In der Folge hatte es die VR China vor allem auf das Gebiet Aksai Chin abgesehen, das eine geopolitisch wichtige Verbindung zwischen Xinjiang und Tibet darstellt, aber zum indischen Jammu-Kaschmir gehört.
Die Volksrepublik ließ ab Mitte der 1950er Jahre, zunächst unbemerkt, eine Straße durch Aksai Chin bauen. Indien protestierte gegen den Bau und rief in der Grenzregion zum Widerstand gegen das chinesische Vordringen auf. Zur selben Zeit eskalierten in Tibet die Aufstände, die sich gegen die Besetzung Tibets durch das chinesische kommunistische Regime richteten. Als die Volksbefreiungsarmee 1959 in Tibet einmarschierte, floh das religiöse Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, ins benachbarte Indien. Die Aufnahme des Dalai Lama in Indien führte zu weiteren Spannungen zwischen der chinesischen und indischen Regierung. Bewaffnete Kämpfe in den chinesisch-indischen Grenzregionen eskalierten im Oktober 1962 in einen Krieg. Der Krieg veränderte langfristig die gesamte Außen- und Sicherheitsstrategie beider Staaten: Die indische Regierung unterstützte fortan die tibetische Widerstands- und Unabhängigkeitsbewegung. Umgekehrt erhielt Pakistan, der Erzfeind Indiens, fortan Unterstützung aus China.
Neuauflage des "Großen Spiels"
Um sich Vorteile in ihrem Konflikt zu verschaffen, waren Indien und Pakistan bemüht, strategische Beziehungen zu den mächtigen Bündnispartnern anzubahnen. Damit öffnete sie die Tür für die Ausweitung des Ost-West-Konflikts auf Zentral- und Südasien. Während sich die indische Regierung zunächst der Volksrepublik China und später zunehmend der Sowjetunion zuwandte, etablierte die pakistanische Führung in erster Linie Beziehungen zu den USA. Anfang der 1950er Jahre trat Pakistan dem antikommunistischen Militärbündnis SEATO (South East Asien Treaty Organisation) bei, in der Hoffnung, amerikanische Unterstützung im Konflikt gegen Indien zu erhalten. Da Neu-Delhi und Moskau ihre Zusammenarbeit ausbauten, sah auch China die Notwendigkeit, ein geostrategisches Gegengewicht in der Region zu schaffen und machte Pakistan Avancen. Seit dem indisch-chinesischen Krieg (1962) besteht de facto eine Allianz zwischen Beijing und Islamabad. Pakistan wurde vor allem auf militärischem Gebiet von China unterstützt.
Zum wichtigsten Schauplatz der Neuauflage des "großen Spiels" wurde erneut Afghanistan. Die Konstellation ist heute jedoch eine völlig andere. Die einzige Kontinuität besteht hinsichtlich der zentralen Rolle der Sowjetunion bzw. – nach 1991 – Russlands. Moskau sieht Zentralasien nach wie vor als strategisches Vorfeld und Afghanistan als potenzielle Landbrücke zum Indischen Ozean. An die Stelle Großbritanniens rückten die USA als globale Führungsmacht des Westens, die insbesondere nach der Islamischen Revolution im Iran (1979) und der Ausbreitung des politischen und dschihadistischen Islamismus eine weitere Zurückdrängung des westlichen Einflusses im Mittleren Osten und in Zentralasien verhindern wollen.
Doch die größte Veränderung im Vergleich zum 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ergibt sich aus dem neuen Selbstbewusstsein und der gestiegenen Macht und Handlungsfähigkeit der regionalen Mächte Pakistan, China und Indien. Während es Pakistan darum geht, Afghanistan klein, schwach und abhängig zu halten, unterstützt Indien die säkularen und auf Eigenständigkeit bedachten Kräfte in Afghanistan. Zum stärksten regionalen Player ist die VR China aufgestiegen. Dahinter stehen sowohl geopolitische und wirtschaftliche Interessen (z.B. das Projekt "neue Seidenstraße") als auch das Bemühen, das weitere Vordringen extrem-islamistischer Gruppen und Stimmungen in den muslimischen Nordwesten Chinas zu verhindern.
Afghanistan – ohne Aussicht auf Frieden?
Seit dem Putsch der kommunistischen Demokratischen Volkspartei Afghanistans DVPA ("Saur-Revolution") und der nachfolgenden militärischen Intervention der Sowjetunion im Dezember 1979 hat Afghanistan keine flächendeckende Staatsmacht und keinen Frieden mehr. Der Einmarsch löste einen "Heiligen Krieg" gegen die Besatzer aus, der durch externe Akteure, wie den USA, Pakistan und Saudi-Arabien, massiv unterstützt wurde. Nach dem Abzug der sowjetischen Truppen (1989) begann ein Bürgerkrieg zwischen der Zentralregierung und von Warlords geführten regionalen Milizen. Im Frühjahr 1992 setzte sich vorübergehend eine lose Koalition aus Mudschaheddin-Parteien und ehemaligen Regierungsmilizen durch. Infolge der erbitterten Kämpfe zwischen den zerstrittenen Bewegungen und Milizen wurde Kabul fast völlig zerstört. 1994 formierten sich von der Provinz Kandahar ausgehend die Taliban, die – unterstützt von Pakistan – 1996 in Kabul die Macht übernahmen.
Angestoßen durch die Terroranschläge vom 11. September 2001 intervenierte im Oktober 2001 eine von den USA geführte Militärkoalition, die zur Zerschlagung der Taliban und einem politischen Neuanfang führte. Im Rahmen des "Petersberger Prozesses" wurde dafür mit einer neuen Verfassung und demokratischen Wahlen der Weg zu einer demokratisch legitimierten Regierung geebnet.