Im Januar 2013 sah sich die französische Regierung gezwungen, Truppen nach Mali zu entsenden, um den Vormarsch von militanten Islamisten auf die Hauptstadt Bamako zu stoppen. Bis dahin hatten Kämpfer von Ansar Dine, Al-Qaida des islamischen Maghreb (AQIM) und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) weite Teile Nord-Malis unter ihre Kontrolle gebracht. Mali ist zwar ein Extrem-, aber kein Einzelfall in der Region. Islamistische Milizen und Terrororganisationen haben ihren Einfluss im nördlichen Afrika, trotz zahlreicher militärischer Rückschläge, seit den 2000er Jahren sukzessive ausgebaut.
Allein für 2016 wurden in Algerien, Tschad, Libyen, Mali, Niger und Tunesien 235 islamistisch motivierte, terroristische Vorfälle gezählt.
Konfliktursachen
Die Ursachen innerstaatliche Auseinandersetzungen im Maghreb und der Sahelregion reichen von der politischen und sozioökonomischen Marginalisierung von Randgruppen über schwache nationale und kommunale Regierungsstrukturen bis hin zu Nepotismus und Korruption.
Gebiete, in denen al-Qaida- und IS-Ableger sowie lokale Gruppen, wie Ansar Dine und Boko Haram, Fuß fassen konnten, gehören zu den sozioökonomisch am meisten gefährdeten der Welt. Wichtige Entwicklungsindikatoren, wie Kindersterblichkeit, Bildungsniveau und Frauenrechte, liegen noch deutlich unter den ohnehin schon vergleichsweise niedrigen Durchschnittswerten im Maghreb und der Sahelregion. Fortschreitende Globalisierungsprozesse und wirtschaftliche Liberalisierungspolitik haben besonders ländliche Gemeinden hart getroffen und diese nicht selten in Armut, Massenarbeitslosigkeit und die Kooperation mit kriminellen Netzwerken gedrängt.
Islamisierung politischer Auseinandersetzung
Breite soziale Unzufriedenheit im nördlichen Afrika der 1970er und 1980er Jahre war besonders eine Folge der Abwärtsspirale der sozialistisch geprägten Volkswirtschaften. Die Versprechungen des "Arabischen Sozialismus", der vor allem auf rapide Industrialisierungsprozesse, Verstaatlichungen von Privateigentum und einen massiven Ausbau des öffentlichen Dienstes gesetzt hatte, wurden von der Realität eingeholt. "Infitha" (Öffnung) war das Schlagwort, mit dem der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat ab Mitte der 1970er Jahre ein Kurswende einleitete und die Öffnung der Wirtschaft für Privatunternehmen und ausländisches Kapital ermöglichte. Die Reformen wurden allerdings durch herbe Einschnitte im Sozialsektor erkauft; sie ließen die Arbeitslosenzahlen in die Höhe schnellen und führten zu einer Polarisierung der Massen.
Islamistische Bewegungen, allen voran die 1928 gegründeten Muslimbrüder, federten die soziale Not in der Bevölkerung durch ihre sozialen Einrichtungen teilweise ab. Sie nutzen ihren neu gewonnenen Einfluss, um die islamistische Ideologie in die politische Auseinandersetzung in Ägypten und der Region hineinzutragen. Ableger der Bewegung sind u.a. in Tunesien (Ennahda), Libyen (Partei für Gerechtigkeit und Aufbau), Sudan und dem Gazastreifen (Hamas) aktiv.
Etablierung terroristischer Netzwerke
Die Muslimbrüder schrieben die anhaltende Identitätskrise
Bin Laden war in den 1980er Jahren dem Ruf Abdallah Azzams in den "heiligen Krieg" nach Afghanistan gefolgt und baute mit ihm Einheiten aus arabischen Freiwilligen für den Kampf gegen die sowjetischen Truppen auf. Die Gründung von al-Qaida fiel in die Endphase des Krieges und diente der Vernetzung der in Afghanistan und Pakistan präsenten dschihadistischen Verbände. Nachdem Bin Laden sich Anfang der 1990er Jahren mit der saudischen Regierung über die Rolle der USA im 1. Golfkrieg überworfen hatte, siedelte er 1992 auf Einladung Hassan al-Turabis in den Sudan über.
Konfessionalisierung lokaler Konfliktherde
Nach dem Scheitern des "Arabischen Frühlings" 2011/12 haben sich die Spannungen zwischen säkularen und radikalen konfessionellen Kräften im nördlichen Afrika zur zentralen Achse der politischen Auseinandersetzung entwickelt. Dadurch werden die innerstaatlichen Konflikte der Region auf ganz unterschiedlicher Weise geprägt. Während das ägyptische Militär-Regime nach dem Sturz des den Muslimbrüdern angehörenden Präsidenten, Mohammed Mursi, die Bruderschaft mit harter Hand verfolgt und kurzerhand zur Terrororganisation erklärt hat, stehen sich im bürgerkriegsgeplagten Libyen ein islamistischer und ein vordergründig säkularer Machtblock gegenüber. In Mali haben sich die seit Jahrzehnten immer wieder aufflammenden Unabhängigkeitsbestrebungen lokaler Tuareg-Stämme stark islamisiert.
Mali ist traditionell vom Sufismus geprägt – einer mystischen und toleranten Strömung innerhalb des Islam. Seit dem Einflussgewinn salafistischer Kräfte in Norden, u.a. auch der pakistanischen Tablighi Jama'at, sehen sich die malische Regierung und andere Institutionen mit dem Vorwurf konfrontiert, einen falschen Glauben anzuhängen und zu vertreten.
In den meisten Konflikten der Region fungieren islamistische Lehren als ideologische Basis und Legitimationsressource für die Rekrutierung und Mobilisierung lokaler Rebellengruppen. Dabei ist der Schulterschluss lokaler Akteure mit transnationalen Terrornetzwerken oft strategisch motiviert und folgt nicht selten militärischen Niederlagen, drohendem Bedeutungsverlust und politischer Verfolgung. Auf wenige trifft das so sehr zu wie auf Iyad Ag Ghaly.
Unter dem Druck der französischen Intervention (Operation Serval) und der Entsendung von UN Truppen (MINUSMA) haben sich die Verbindungen zwischen Ghaly und al-Qaida noch verstärkt. Der Zusammenschluss von Ansar Dine, den in der Sahara aktiven Teilen von AQIM und Al-Mourabitoun zu "Nusrat al-Islam" und Treueschwur zu Al-Qaida-Führer, Ayman Al-Zawahiri, im März 2017, ist dabei nur der letzte in einer ganzen Reihe von Bündnissen und wechselnden Beziehungen zwischen lokalen Rebellenorganisationen und global operierenden salafistisch-dschihadistischen Terrororganisationen. Die Entstehung, Wandlung und Neuformierung militanter islamistischer Gruppierungen lassen sich dabei weniger durch Übereinstimmung klar definierter gemeinsamer strategischer Ziele als durch ideologische Konformität und Rationalität der verschiedenen Akteure erklären. Lokale Bewegungen profitieren dabei von überregionalen Netzwerken transnationaler terroristischer Organisationen.
Auswirkungen transnationaler Beziehungen in der Sahelzone
Internationale Gegenmaßnahmen haben Ansar Dine & Co. schnell an die Grenzen ihrer klassischen operativen Fähigkeit gebracht. Militärisch in weiten Teilen des nördlichen Afrika geschlagen und aus urbanen Regionen zurückgedrängt, haben sich in der Sahelzone aktive militante Islamisten auf eine asymmetrische Kriegsführung verlegt. Während sich die Vorgängerorganisationen von Nusrat al-Islam nach der französischen Intervention in Mali auf "Hit and Run"-Strategien auf militärische Ziele konzentriert haben, gingen Teile der Gruppen in Mali und in Anrainerstaaten 2016 dazu über, gezielt Zivilisten zu töten. Auch Boko Haram hat seit militärischen Niederlagen gegen Ende 2015 vermehrt auf Selbstmordattentate und Angriffe gegen "weiche" Ziele gesetzt.
Die einseitig militärische Bekämpfung von islamistischen Milizen und Terrororganisationen in der Region hat sich als wenig zielführend und kontraproduktiv erwiesen.
Schwache staatliche Institutionen haben in der Vergangenheit die Ausbreitung krimineller Netzwerke in der Region begünstigt, die sich oft entlang historischer Handelsrouten in der Sahara festgesetzt haben. Terroristische Kräfte agieren mit, in und neben diesen Netzwerken. Ethnische Rebellen, Schmuggler und Hehler sowie auf eigene Rechnung handelnde staatliche Akteure sind so oftmals nur schwer von islamistischen Terrororganisationen zu unterscheiden. Allein die Gewinne aus dem Rauschgifthandel, der über die Sahelregion abgewickelt wird, beziffert die UNO auf 800 Mio. US Dollar pro Jahr. Ein nicht unerheblicher Teil davon fließt in die Finanzierung des islamistischen Terrorismus in der Region.
Bislang ist bei der Bekämpfung terroristischer und krimineller Netzwerke keine Trendwende absehbar. Im Gegenteil, die Verbindungen – formell wie informell – zwischen islamistischen Milizen, Terrororganisation, lokalen Sezessions- und Unabhängigkeitsbewegungen sowie kriminellen Netzwerken wachsen weiter und erklären die feste Verankerung dieser Akteure in der Region. Schon jetzt ist zu befürchten, dass sich nach der Niederlage des IS und anderer islamistischer Terrororganisationen in Syrien und im Irak die Aktivitäten islamistisch motivierter Gruppen und Netzwerke noch stärker in Richtung nördliches Afrika verlagern werden.