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Venezuela | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Venezuela

Claudia Zilla

/ 10 Minuten zu lesen

Aus dem linkspopulistischen Reformvorhaben des ehemaligen Präsidenten Chávez ist unter Nicolás Maduro ein autoritäres Projekt geworden. Eine Demokratisierung Venezuelas ist nicht in Sicht.

Am 17.08.2024 protestieren Menschen, unter ihnen vermutlich viele Venezolaner, in Bogota, Kolumbien, gegen die offiziellen Wahlergebnisse der Präsidentschaftswahl in Venezuela. (© picture-alliance/AP)

Aktuelle Konfliktsituation

Am 28. Juli 2024 fanden in Venezuela Präsidentschaftswahlen unter extrem unfairen Bedingungen statt. Nach dem offiziellen Endergebnis vom 2. August gewann der amtierende Präsident Nicolás Maduro mit 51,2 % der Stimmen gegen den Kandidaten der vereinigten Opposition Edmundo González (44,2 %). Die Oppositionsparteien haben sich unter dem Namen „Demokratische Einheitsplattform“ (Plataforma Unitaria Democrática, PUD) zusammengeschlossen. Die Wahlbeteiligung lag bei rund 60 %. Der Wahlrat (CNE) hat die von den Wahlmaschinen erstellten Wahlprotokolle nicht veröffentlicht, ohne die das Ergebnis nicht überprüft werden kann. Die PUD reklamiert den Wahlsieg für sich und gibt an, rund 83,5 % der Wahlakten gesichert und eingescannt zu haben, die online einsehbar sind. Daraus ergebe sich ein klarer Wahlsieg der Opposition mit einem Stimmenanteil von 67 % für González und 30 % für Maduro.

Maduro beantragte beim Obersten Gerichtshof (TSJ) die Überprüfung des vom CNE verkündeten Wahlergebnisses, wofür nach offiziellen Angaben die Wahlakten der Justiz (nicht aber der Öffentlichkeit) zur Verfügung gestellt wurden. Erwartungsgemäß bestätigte der gleichgeschaltete TSJ am 22. August den angeblichen Wahlsieg des amtierenden Präsidenten. In der Folge ging Juan Carlos Delpino, einer der beiden Rektoren des fünfköpfigen CNE, die nicht der Regierung angehören, an die Öffentlichkeit und erklärte, er habe Unregelmäßigkeiten im Wahlprozess beobachtet. In einer Mitteilung vom 28. August, die er auf X veröffentlichte, zählt er eine Reihe konkreter Verstöße auf. Delpino ist seither untergetaucht, um einer Verhaftung zu entgehen.

Das Carter Center, das die Wahlen beobachtet hat, kommt zu dem Schluss, dass diese nicht den internationalen Standards für Integrität entsprachen und die offiziellen Wahlergebnisse nicht überprüft und bestätigt werden konnten. Diese Einschätzung teilt das UN-Expertenpanel, das auf Einladung des venezolanischen Wahlrates den Wahlprozess vor Ort verfolgt hat. In seinem vorläufigen Bericht wird auch darauf hingewiesen, dass drei wichtige, vom CNE für die Zeit nach den Wahlen vorgesehene Audits verschoben und später abgesagt wurden, darunter eine Überprüfung des Kommunikationssystems. Angesichts des umstrittenen Wahlausgangs kam es vor allem in ärmeren, ehemals chavistischen Vierteln zu spontanen regimekritischen Protesten. Die Regierung reagiert mit dem Einsatz von (tödlicher) Repression gegen Demonstranten, Massenverhaftungen sowie brutaler Einschüchterung durch paramilitärische Gruppen („Colectivos“ ), Nationalgarde, Polizei und Geheimdienst.

Venezuela hat sich bei Fortbestehen kleinerer Freiräume für politische und zivilgesellschaftliche Aktivitäten zu einer Autokratie entwickelt, in der semikompetitive und manipulierte Wahlen nur noch als demokratisches Feigenblatt dienen. Rechtsstaatliche Prinzipien wurden weitgehend außer Kraft gesetzt, Zivilisten werden teilweise von Militärgerichten verurteilt. Die Einschränkung des Pluralismus und der Abbau institutioneller Kontrollen gehen mit zunehmender politischer Verfolgung und Repression einher. Regimetragende Kräfte sind die chavistische Regierungspartei PSUV (Partido Socialista Unido de Venezuela) und die Streitkräfte. Das Militär spielt nicht nur im Sicherheitsbereich, sondern auch in Politik und Wirtschaft eine zentrale Rolle. Die Regierung stützt sich auch auf Milizen (Milicia Bolivariana), die 2005 von Chávez gegründet und im Februar 2020 in die regulären Streitkräfte integriert wurden.

Die Misswirtschaft der Regierung in Verbindung mit einer Phase niedriger Ölpreise bei gleichzeitig hoher Rohstoffabhängigkeit hat ab 2013 zu einer Wirtschafts- und Versorgungskrise im Land mit den weltweit größten Ölreserven geführt. Nach Angaben der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (ECLAC) lag die jährliche ökonomische Wachstumsrate 2023 bei 3,0 %, für 2024 werden 5,0 % erwartet. Die jährliche Inflation (Verbraucherpreisindex) sank von Juni 2023 bis Juni 2024 von 404,4 % auf 51,4 %. Von diesen Verbesserungen der Makrodaten, die zum Teil auf höhere Ölpreise und die Lockerung der Sanktionen zurückzuführen sind (mehr dazu weiter unten), erhoffte sich Maduro Rückenwind für die Präsidentschaftswahlen. Doch auch wenn der Anteil der in Armut lebenden Bevölkerung nach einem pandemiebedingten Höchststand von 65,2 % im Jahr 2021 nach zuletzt etwas zurückgegangen ist, waren nach den Daten der Nationalen Erhebung über die Lebensbedingungen (ENCOVI) im Jahr 2023 immer noch 52 % der Bevölkerung in mehrdimensionaler Hinsicht (Arbeit, Wohnung, Dienstleistungen und Einkommen) arm.

Politische Repression und Armut fördern die Emigration, die sich inzwischen zu einer regionalen Flüchtlingskrise ausgeweitet hat. Nach Angaben des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen (UNHCR) haben bis November 2023 7,7 Mio. Menschen Venezuela verlassen. Rund 6,5 Mio. von ihnen haben in Lateinamerika und der Karibik Zuflucht gefunden, davon 2,9 Mio. in Kolumbien. Ein Großteil dieser Menschen ist seit Jahren auf der Flucht.

Ursachen und Hintergründe

Die Erosion der Demokratie und der wirtschaftliche Niedergang setzten bereits unter der Regierung von Hugo Chávez (1999-2013) ein. Sie verschärften sich unter Nicolás Maduro, der im Dezember 2012 vom totkranken Chávez persönlich zu seinem Nachfolger ernannt wurde. Der Beginn von Maduros Amtszeit fiel mit dem schwindenden Ansehen des Chavismus zusammen. Um den Machtverlust zu verhindern, hat die Regierung seit 2015 das Wahlrecht, das Wahlsystem und mehrfach auch die Ergebnisse von Wahlen manipuliert. Der Übergang zu einem autoritären System wurde durch die Entmachtung der im Jahr 2015 gewählten Nationalversammlung (Parlament) besiegelt. In dieser dominierten die Oppositionsparteien, von denen sich die meisten 2008 zum Runden Tisch der Demokratischen Einheit (Mesa de Unidad Democrática – MUD) zusammengeschlossen hatten.

Im Jahr 2017 rief die Regierung zur Wahl einer Verfassungsgebenden Versammlung auf, die sich aus regimetreuen Mitgliedern zusammensetzte und die legislativen Funktionen der Nationalversammlung übernahm. Anfang 2019 trat der Konflikt in eine neue Phase. Am 10. Januar erklärte die Nationalversammlung die Wiederwahl Maduros vom Mai 2018 für ungültig und erkannte ihm sein Amt ab. Am 15. Januar 2019 erklärte sie dann per Gesetz das Präsidentenamt für vakant und Maduro zum Usurpator. Nachdem die Nationalversammlung den Abgeordneten der Partei Volkswille (Voluntad Popular – VP), Juan Guaidó, zu ihrem Präsidenten gewählt hatte, ernannte sie ihn am 23. Januar 2019 auf einer Großkundgebung in Caracas unter Rückgriff auf verschiedene Artikel der Verfassung zum Interimspräsidenten Venezuelas.

Hinter den bis dahin weitgehend unbekannten charismatischen jungen Politiker stellten sich große Teile der Bevölkerung und der internationalen Gemeinschaft (darunter Deutschland). Guaidó beanspruchte die legitime Präsidentschaft für sich, ohne jedoch die tatsächliche Macht im Land, also die effektive Kontrolle über Streitkräfte, Verwaltung und Territorium, ausüben zu können. Somit blieben die Rechtsakte der Nationalversammlung wirkungslos.

Als im Januar 2020 die Amtszeit Guaidós als Vorsitzenden der Nationalversammlung auslief, verhinderten Regimekräfte eine ordentliche Abstimmung im Plenum. Eine Minderheit regimetreuer und übergelaufener Parlamentarier wählte das ehemalige Mitglied der Oppositionspartei „Gerechtigkeit zuerst“ (Primero Justicia – PJ), Luis Parra, zum neuen Parlamentspräsidenten, der in dieser Funktion auch von Maduro anerkannt wurde. Aber auch Guaidó wurde von einer Mehrheit der Nationalversammlung in genau derselben Position bestätigt. Im Dezember desselben Jahres fanden Wahlen zur Nationalversammlung statt, an denen die MUD wegen undemokratischer Bedingungen nicht teilnahm, sodass eine chavistische Nationalversammlung entstand. Im selben Jahr löste sich die überflüssig gewordene Verfassungsgebende Versammlung auf, ohne einen neuen Verfassungstext ausgearbeitet zu haben.

Durch positive Prognosen der Meinungsumfragen ermutigt, beschlossen die in der PUD zusammengeschlossenen politischen und zivilgesellschaftlichen Kräfte, ihre Strategie zu ändern und an den für 2024 anberaumten Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. Die PUD führte im Oktober 2023 Wahlen zur Bestimmung ihrer Präsidentschaftskandidatur (primarias) in Venezuela und weiteren 29 Ländern durch, bei denen sich Corina Machado (Vente Venezuela) mit rund 93 % der Stimmen klar durchsetzte. Der CNE verweigerte der PUD jedoch die Registrierung der populären Machado als Präsidentschaftskandidatin. Dasselbe Schicksal ereilte Corina Yoris, die von der PUD als Ersatz für Machado nominiert wurde. Nur die Kandidatur des eher unbekannten Diplomaten Edmundo González wurde von der venezolanischen Wahlbehörde zugelassen. Damit waren nicht nur die beiden aussichtsreichsten, sondern alle (zehn) Präsidentschaftskandidaten männlich.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Auf der einen Seite kann das Maduro-Regime zur Stärkung des Sicherheitssektors auf kubanische Beratungskräfte sowie russische Waffen zurückgreifen. Außerdem erhält Venezuela großzügige Kredite aus China und Unterstützung für den Erdölsektor aus dem Iran. Bezeichnenderweise waren diese Staaten bisher nicht an Verhandlungsinitiativen beteiligt. Auf der anderen Seite stehen jene Staaten, die abgestufte Sanktionen gegen Venezuela erlassen haben. Während sich die Sanktionen der USA seit 2015 gegen den Erdölsektor, Einzelpersonen und Körperschaften richten, haben die EU sowie die Schweiz und Norwegen seit 2017 Sanktionen gegen Einzelpersonen und ein Waffenembargo verhängt.

Nach dem letzten erfolglosen Versuch eines Dialogs zwischen Regierung und Opposition im Jahr 2019 unter norwegischer Vermittlung in Oslo (und auf Barbados) unterzeichneten die Delegierten der Regierung und der PUD am 17. Oktober 2023 in Bridgetown ein Teilabkommen, in dem sich beide Seiten in sechs Punkten zur Gewährleistung fairer Wahlen und der Achtung politischer Rechte und Freiheiten verpflichteten. Der Durchführung möglichst kompetitiver Wahlen sollten auch die Vereinbarungen dienen, die die US-Administration unter Joe Biden mit der venezolanischen Regierung im Rahmen der (zunächst geheim gehaltenen) Doha-Gespräche im selben Jahr getroffen hatte. Als Anreiz wurden die Sanktionen teilweise gelockert.

Doch die Präsidentschaftswahlen im Juli 2024 sind nicht korrekt und fair verlaufen. Die internationale Gemeinschaft reagierte darauf nicht einheitlich: Die Regierungen von mehr als 40 Staaten, darunter China und Russland, aber auch Bolivien, Honduras, Kuba und Nicaragua, haben Maduro zum Wahlsieg gratuliert. Ihnen gegenüber stehen die Staaten, die González als legitimen Wahlsieger anerkannt haben, darunter die USA sowie Argentinien, Costa Rica, Ecuador, Panama, Peru und Uruguay. Dazwischen stehen diejenigen, die – ohne sich für einen Sieger auszusprechen – die Regierung Maduro auffordern, die Wahlunterlagen zu veröffentlichen. Das sind insbesondere Chile, Brasilien, Kolumbien und Mexiko, aber auch die EU und mehrere europäische Staaten, darunter Deutschland.

Am 16. August 2024 gelang es dem Ständigen Rat der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) auf Initiative der USA und mit Unterstützung anderer Mitgliedstaaten, eine Resolution zur Lage in Venezuela zu verabschieden. Darin wird unter anderem gefordert, die Protokolle der Wahlmaschinen zu veröffentlichen, den Willen des Volkes zu respektieren und alles zu unterlassen, was eine friedliche Lösung der Krise behindern könnte. Angesichts der Tatsache, dass einige ausländische Delegationen des Landes verwiesen wurden, wird auch der Respekt vor diplomatischen Vertretungen verlangt. Der Konsens in der OAS konnte erreicht werden, nachdem auf Antrag Brasiliens und Kolumbiens der Absatz aus der Resolution gestrichen wurde, der sich auf den Bericht der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) bezog, in dem die staatsterroristischen Praktiken im Zusammenhang mit dem Wahlprozess in Venezuela verurteilt wurden.

Konfliktgeschichte

Der Chavismo à la Maduro kann als dritte Phase der jüngsten politischen Entwicklung Venezuelas angesehen werden. Eine erste Zäsur bildete der unter Chávez zwischen 2002 und 2006 vollzogene Übergang von der „Bolivarischen Revolution“ zum „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“, der als Radikalisierung seines politischen Projekts zu verstehen ist. Sechs Jahre nach einem gescheiterten Putschversuch im Jahr 1992 gewann der Offizier Chávez die Präsidentschaftswahlen mit dem Versprechen, die Demokratie partizipativer zu gestalten, den Ölreichtum gerechter zu verteilen und die Korruption zu bekämpfen. Dazu dienen sollten die „Neugründung“ des Landes durch eine neue Verfassung, eine aktive Sozialpolitik mit vielfältigen Sozialprogrammen, eine stärkere politische Lenkung des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA und die Beteiligung der Streitkräfte an entwicklungspolitischen Aufgaben.

Im Zuge von Generalstreiks und Demonstrationen durch Unternehmer und Gewerkschaften wurde Chávez am 12. April 2002 verhaftet und seines Amtes enthoben. Der Chef des Unternehmensverbandes Fedecámaras, Pedro Carmona, übernahm die Amtsgeschäfte und kündigte Wahlen an. Doch der von einer Gruppe von Generälen unterstützte Staatsstreich scheiterte. Anhänger von Chávez in der Gesellschaft und im Militär machten mobil und verhalfen ihm nach nur zwei Tagen zurück an die Macht. Diese Putscherfahrung auf beiden Seiten führte zu einem Vertrauensverlust zwischen Regierung und Opposition und prägt bis heute das gegenseitige Feindbild. Ab 2002 radikalisierte Chávez seine Politik. Er distanzierte sich zunehmend von den Prinzipien und Regeln der Demokratie, der Marktwirtschaft und der liberalen, regelbasierten Weltordnung. Chavez starb am 5. März 2013 in Caracas. Unter seinem Nachfolger Maduro versank Venezuela immer tiefer in einer politischen, soziökonomischen und humanitären Krise, die mit massiven Verletzungen der Menschenrechte einhergehen.

Weitere Inhalte

Claudia Zilla, geb. 1973, ist Senior Fellow in der Forschungsgruppe Amerika an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), Berlin. Sie studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie an der Universität Heidelberg, wo sie auch promoviert wurde. Fragen der Demokratie und Entwicklung sowie der regionalen und internationalen Politik lateinamerikanischer Staaten stehen im Mittelpunkt ihrer Forschung.