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Philippinen - Bangsamoro | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Philippinen - Bangsamoro

Patrick Ziegenhain

/ 9 Minuten zu lesen

Die Autonomieregelung für den muslimischen Teil der philippinischen Insel Mindanao bietet große Chancen auf ein Ende des bewaffneten Konflikts. Doch seit Jahren verzögern sich die Umsetzung der Vereinbarungen und demokratische Wahlen.

Kämpfer der "Moro Islamic Liberation Front" im Jahr 2012. (© picture-alliance/dpa)

Aktuelle Situation

Der Konflikt zwischen muslimischen Unabhängigkeitsanhängern in der Bangsamoro-Region auf der Insel Mindanao und der philippinischen Regierung scheint nach Jahrzehnten militärischer Auseinandersetzungen weitgehend gelöst zu sein. Im Jahr 2018 wurde durch die Regierung in Manila eine neue Verfassung für die überwiegend von Menschen muslimischen Glaubens bewohnten Teile Mindanaos verabschiedet. Das ist der weitreichendste Erfolg der Autonomiebewegung seit Beginn des Konflikts. Das Abkommen wurde zwischen der größten regionalen Gruppe, der Moro Islamic Liberation Front (MILF), und der philippinischen Regierung von 2012 bis 2018 ausgehandelt. Das entsprechende Gesetz („Bangsamoro Organic Law“ – BOL) wurde 2019 per Volksabstimmung in der Region angenommen. Gleichzeitig konnten die betroffenen Provinzen über ihren Beitritt zur „Autonomen Region Bangsamoro im muslimischen Teil Mindanaos“ (Bangsamoro Autonomous Region Muslim Mindanao – BARMM) entscheiden. In der neugeschaffenen Region leben 4,2 Mio. Menschen, etwa ein Sechstel der Bevölkerung Mindanaos. Über 90 % sind Anhänger des islamischen Glaubens.

Zu den wesentlichen Elementen des Bangsamoro Organic Law gehört die Übertragung von autonomen Entscheidungsbefugnissen auf eine Lokalregierung der autonomen Region. Die Lokalregierung soll von einem Chief Minister geleitet werden, der von einer Mehrheit des demokratisch gewählten Regionalparlaments gewählt werden soll. Ursprünglich sollten die Wahlen im Jahr 2022 stattfinden. Wegen der Auswirkungen der COVID-19 Pandemie und massiven rechtlich-administrativen Verzögerungen von Seiten der BARMM-Verwaltung wurde die Wahl auf den 12. Mai 2025 verschoben. So lange bleibt die provisorisch eingesetzte Übergangsregierung (Bangsamoro Transition Authority) unter Chief Minister Murad Ibrahim, einer der führenden Personen der MILF, im Amt. Das bisher nicht-gewählte Übergangsparlament besteht aus 80 Personen, von denen 41 von der MILF und 39 von der philippinischen Zentralregierung benannt wurden.

Der politische Transitionsprozess wird klar von der MILF und ihrer politischen Partei, der Vereinigten Bangsamoro Gerechtigkeits-Partei (United Bangsamoro Justice Party, UBJP), dominiert, allerdings sind auch eine Vielzahl von anderen Parteien und Interessengruppen am politischen Willensbildungsprozess beteiligt. Bei den Parlamentswahlen 2025 soll ein Verhältniswahlrecht angewandt werden, sodass auch kleinere Parteien im Regionalparlament repräsentiert sein werden.

Die größte Herausforderung für die Übergangsbehörde und die nachfolgende Regierung wird es sein, einen wirtschaftlichen Aufschwung herbeizuführen, an dem möglichst viele teilhaben. Dazu gehört auch, zivile Beschäftigungsmöglichkeiten für die MILF-Armeeangehörigen zu schaffen. Die Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration der vormaligen Kämpfer stellen eine große Bewährungsprobe für die Handlungsfähigkeit der neuen Institutionen dar. Zur Durchführung und Kontrolle der Demobilisierung wurden Teams aus der MILF, der philippinischen Armee und der nationalen Polizei gebildet. Unterstützt wurden sie von einer internationalen Gruppe unter Beteiligung von Brunei, der Türkei und Norwegen.

Einen Risikofaktor für den Friedensprozess stellen jene bewaffneten Akteure dar, die das Abkommen nicht mittragen. Dies sind sowohl radikale Gruppen wie der „Salamat Wing” innerhalb der MILF, denen die erzielte Vereinbarung nicht weit genug geht, als auch kriminelle Banden, die von der instabilen Situation profitieren. Hinzu kommen Verflechtungen verschiedener lokaler Gruppen und Akteure in transnationale Netzwerke des Islamischen Staates (IS) wie die Abu Sayyaf-Gruppe, die seit den 1990er Jahren für zahlreiche Geiselnahmen und Morde verantwortlich ist. Auch die Bangsamoro Islamic Freedom Fighters (BIFF) – eine radikale Abspaltung der MILF – haben sich dem IS angeschlossen. In der Region kommt es immer wieder zu (Selbstmord-)Anschlägen und bewaffneten Auseinandersetzungen, zum Beispiel im Dezember 2023, als ein Bombenanschlag während eines katholischen Gottesdienstes in Marawi City vier Menschenleben kostete.

Ursachen und Hintergründe

Hauptursache des Mindanao-Konflikts ist die historisch entstandene Benachteiligung und Diskriminierung der muslimischen Einwohner durch die katholisch geprägte Mehrheitsgesellschaft der Philippinen. Verschärft wurde der Konflikt durch die seit Beginn des 20. Jahrhunderts zunehmende Einwanderung von Christen aus dem Norden des Landes, die zum Teil von der Regierung in Manila gefördert wurde. Mit der Zuwanderung ging auch ein ökonomischer Verdrängungsprozess zu Lasten der Muslime einher. Traditionell lebte ein Großteil der Bevölkerung Mindanaos als Selbstversorger von der Landwirtschaft, allerdings ohne eindeutige Eigentumsnachweise für Grund und Boden. Dies nutzten oft Großgrundbesitzer aus dem Norden der Philippinen, um sich des Landes zu bemächtigen.

In der Folge ging der Anteil der Muslime an der Bevölkerung auf Mindanao von 80 % im Jahr 1900 auf etwa 20 % im Jahr 2015 zurück. Dies empfanden viele Muslime als Bedrohung ihrer regionalen und religiösen Identität. Die Bangsamoro-Region ist seit den 1970er Jahren die wirtschaftlich am wenigsten entwickelte Gegend der Philippinen. Auch in den meisten anderen sozio-ökonomischen Indikatoren (Bildung, Gesundheit, Lebensstandard, Einkommen, etc.) liegt die Region im innerphilippinischen Vergleich auf den hinteren Plätzen. Die wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zurücksetzung und Marginalisierung befeuerte spätestens seit der Eroberung der Philippinen durch die USA (1898) das Unabhängigkeitsstreben der damals mehrheitlich von Muslimen bewohnten zweitgrößten Insel der Philippinen.

Die philippinische Armee, die seit Langem als Staat im Staate agiert, hat den Konflikt in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geschürt. Als vehemente Gegnerin jeder Form von Autonomie und Sezession drängte sie die Regierung lange Zeit dazu, entschieden gegen jede Form von politisch militantem und bewaffnetem Separatismus vorzugehen. Erfüllte die Regierung diese Forderungen nicht, führte das Militär oft unautorisierte Einsätze durch, was den Friedensprozess in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder stocken ließ. In den letzten Jahren hat der Widerstand gegen die Sonderautonomie für die Bangsamoro-Region in Reihen des Militärs jedoch stark abgenommen.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Verhandlungen über den Status der muslimisch geprägten Gebiete in Mindanao finden seit den 1970er Jahren statt. 1972 wurden sie durch den von Präsident Marcos ausgerufenen Ausnahmezustand gestoppt. Ein erstes Abkommen entstand 1976 auf internationalen Druck der Organisation Islamischer Staaten (OIS). Doch wurde es erst nach dem Ende von Marcos’ autoritärer Herrschaft 1989 umgesetzt, allerdings ohne zu einer dauerhaften Befriedung zu führen. 2001 begann eine neue Verhandlungsrunde unter Vermittlung Malaysias. Seit 2009 assistiert und moderiert eine internationale Kontaktgruppe, bestehend aus Großbritannien, Japan, der Türkei und Saudi-Arabien, den Friedensprozess. Die Europäische Union unterstützt seit 2005 gemeinsam mit anderen Gebern den Friedensprozess finanziell durch den „Mindanao Trust Fund“. Allerdings hat Präsident Duterte 2017 die Annahme von EU-Mitteln ausgesetzt, da die EU sein rücksichtsloses Vorgehen gegen Drogenbanden und -händler kritisierte und die Achtung der Menschenrechte einforderte. Erst nach dem Amtsantritt von Dutertes Nachfolger Ferdinand Marcos jr. wurde die EU wieder einbezogen.

Die Regierung Duterte konnte bei der Aushandlung des Bangsamoro Organic Law an die Vorarbeit mehrerer früherer Regierungen anknüpfen. So baut das verabschiedete Abkommen maßgeblich auf den Friedensvereinbarungen auf, die der frühere Präsident Benigno Aquino 2012 und 2014 mit der MILF geschlossen hatte. Hierbei sind insbesondere die Verdienste von Miriam Coronel-Ferrer zu nennen, die als Vorsitzende des Friedensgremiums der philippinischen Regierung das Abkommen mit der MILF entscheidend vorbereitete.

Allerdings weigerte sich der philippinische Kongress mehrere Jahre lang, das Friedens- und Autonomieabkommen mit der MILF zu verabschieden. Erst unter Präsident Rodrigo Duterte gelang es 2018, ein modifiziertes Abkommen durch das Gesetzgebungsverfahren des philippinischen Kongresses zu bringen. Dutertes Einsatz für dieses Projekt ist zum Teil dadurch zu erklären, dass er lange in Davao City, der größten Stadt von Mindanao, Bürgermeister gewesen ist. Darum ist er mit den Dynamiken und Folgen des Konfliktes gut vertraut. Zudem ist Duterte auch bei der katholischen und muslimischen Bevölkerung Mindanaos äußerst beliebt und konnte dort seine landesweit höchsten Wahlergebnisse erzielen.

Der Ausweitung der Selbstverwaltung auf nationaler Ebene zu Akzeptanz zu verhelfen, ist nicht einfach. In Metro Manila und anderen weiter nördlich gelegenen Teilen der Philippinen haben die Muslime in Mindanao einen sehr schlechten Ruf, da sie auf Grund ihrer militanten Vergangenheit als gewalttätige Terroristen und Separatisten wahrgenommen werden. Darüber hinaus enthält das recht zentralistische politische System der Philippinen nur wenig föderale Elemente. Der Autonomiegrad von Bangsamoro entspricht in etwa dem eines deutschen Bundeslands und stellt eine große Ausnahme im zentralistischen Staatsgefüge der Philippinen dar. Gegner der Autonomie sehen darin die Gefahr, dass dadurch auch in anderen Regionen Begehrlichkeiten geweckt und innenpolitische Fliehkräfte verstärkt werden könnten.

Geschichte des Konflikts

Historisch lässt sich der Konflikt bis ins 16. Jahrhundert und zur spanischen Kolonisierung der Philippinen zurückverfolgen. Die auf Mindanao lebenden Muslime leisteten von Beginn an Widerstand gegen die Spanier. Im Gegensatz zum Großteil der Bevölkerung auf den nördlichen Inseln der Philippinen konvertierten sie nicht zum Katholizismus. Die Spanier bezeichneten die Einwohner Mindanaos aufgrund ihrer Religion als „Moro“ (deutsch: Mauren) – ein Name, den die Muslime heute mit Stolz tragen. „Bangsa“ kommet aus dem Malaiischen und bedeutet Rasse oder Nation. Mit der Selbstbezeichnung als „Bangsamoro“ wird deutlich, dass die Muslime in Mindanao sich als eigenes Volk sehen, bei dem der islamische Glauben ein entscheidendes Abgrenzungskriterium ist.

Der Konflikt zwischen den auf Mindanao lebenden Muslimen und der philippinischen Zentralregierung eskalierte Ende der 1960er, Anfang der 1970er Jahren durch ein nie aufgeklärtes Ereignis, das „Jabidah-Massaker“. Dabei sollen 28 muslimische Soldaten, die für den Einsatz in den philippinischen Streitkräften ausgebildet worden waren, durch die philippinische Armee exekutiert worden sein. Die Soldaten wurden aufgefordert, als Teil einer Spezialeinheit Aufstände in Sabah, einer malaysischen Provinz, anzustacheln. Da enge ethnische Verbindungen zwischen den Einwohnern Sabahs und Mindanaos bestehen, hätte dies den Kampf gegen Verwandte bedeutet, weshalb die Soldaten den Befehl verweigerten. Daraufhin sollen die Soldaten exekutiert worden sein, mutmaßlich um die Geheimhaltung der Mission nicht zu gefährden. Unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Schilderungen führten sie zum offenen Ausbruch des latenten Konflikts zwischen den Muslimen auf Mindanao und der Zentralregierung. Sichtbares Zeichen war die Gründung der Moro National Liberation Front (MNLF). Insgesamt kostet der Konflikt bis heute Schätzungen zufolge mindestens 120.000 Menschenleben.

Der aktuelle Versuch, den Konflikt mit einem Abkommen zu lösen, ist nicht der erste. Seit 1990 besteht auf Mindanao die „Autonomous Region Muslim Mindanao“, der sich nach Volksabstimmungen vier von 14 Provinzen der Region angeschlossen hatten. Allerdings wurden nach der Gründung schnell wieder kritische Stimmen laut, denen die vereinbarten Autonomierechte nicht weit genug gingen. Dennoch unterzeichneten 1996 die philippinische Regierung und die Vorgängerin der MILF, die MNLF, einen Friedensvertrag. Während die meisten Mitglieder der MNLF danach den Kampf beendeten und sich in die regionale Verwaltung integrierten, griffen die Anhänger der abgespaltenen MILF zu den Waffen und führten den Kampf für einen komplett unabhängigen islamischen Staat fort.

Als Reaktion rief der damalige Präsident Estrada im Jahr 2000 den „totalen Krieg“ gegen die MILF aus, die ihrerseits mit dem „Dschihad“ gegen die Regierung antwortete. Ein 2002 von Estradas Nachfolgerin Macapagal-Arroyo ausgehandelter Waffenstillstand bewirkte wenig. Erst nach einem Führungswechsel 2003 innerhalb der MILF zu einer moderateren Generation, die vom Ziel eines eigenen Staates zugunsten einer weitgehenden Autonomie abrückte, wurden die Verhandlungen wieder aufgenommen.

2008 überraschte die Regierung von Gloria Macapagal-Arroyo mit einer im Geheimen mit der MILF erzielten Einigung. Diese umfasste eine deutliche Erweiterung der autonomen Region um bis zu 700 Dörfer sowie weitergehende politische Rechte. Die Umsetzung wurde allerdings durch das höchste Gericht der Philippinen verhindert. Es urteilte, dass die philippinische Verfassung eine derart weitreichende Autonomie nicht erlaube. Die MILF fühlte sich verraten, und es kam erneut zu Kämpfen. Die Regierung von Präsident Benigno „Noynoy“ Aquino unterzeichnete nach zähen Verhandlungen im März 2014 das sogenannte Comprehensive Agreement on the Bangsamoro (CAB), was jedoch vom Obersten Gericht der Philippinen als teilweise verfassungswidrig beurteilt und daraufhin vom philippinischen Parlament nicht ratifiziert wurde.

2017 kam es zu einem massiven Aufflammen der Kämpfe, als IS-nahe Gruppen die Stadt Marawi eroberten und für vier Monate halten konnten. Während der Kämpfe zwischen der philippinischen Armee und den Terrorgruppen um Marawi starben mindestens 1.200 Menschen und über eine Million flüchteten vor der Gewalt. Der Wiederaufbau der weitgehend zerstörten Stadt in Zusammenarbeit mit der philippinischen Zentralregierung gilt als eine der kritischsten Aufgaben für die neue Führung der BARMM, bei der sie ihre Handlungsfähigkeit und Integrität angesichts der verbreiteten Korruption der Familienclans unter Beweis stellen kann.

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Dr. habil. Patrick Ziegenhain ist Politikwissenschaftler und zurzeit Associate Professor im Fach Internationale Beziehung an der President University in Cikarang/Indonesien.