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Die sicherheitspolitischen Folgen und Implikationen der Krisen und Umbrüche im arabischen Raum | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Die sicherheitspolitischen Folgen und Implikationen der Krisen und Umbrüche im arabischen Raum

Moritz A. Mihatsch

/ 7 Minuten zu lesen

Der "Arabische Frühling" hat zur Ausbreitung des Islamismus geführt. Die Folge sind massive politische und militärische Auseinandersetzungen zwischen dem sunnitischen und schiitischen Lager. Die zweite Konfliktlinie verläuft zwischen Islamisten und säkularen Kräften, die um ihre Macht und ihre Pfründe fürchten.

"Polizisten" des Islamischen Staats (IS) in Ninive, Irak (19.09.2014). (© picture-alliance/AP)

Karte der Kurdengebiete im Nahen Osten
Interner Link: Hier finden Sie die Karte als hochauflösende pdf-Datei. (© mr-kartographie)

Der Nahe Osten ist in den letzten zwölf Monaten noch unübersichtlicher geworden. Im Irak bekämpfen die Amerikaner gemeinsam mit Iran den Islamischen Staat (IS). In Syrien unterstützt Iran gemeinsam mit Russland Assad, während die Amerikaner Assads Gegner unterstützen. Zugleich kämpfen die USA im Rahmen einer breiten Allianz, unter anderem gemeinsam mit der Türkei, gegen den IS in Syrien. Während die USA mit den Kurden in Syrien kooperieren, die auch von Russland unterstützt werden, bekämpft die Türkei die Kurden in der Türkei und in Syrien. Der Westen bekämpft Al-Qaida in Afghanistan. Gleichzeitig unterstützt Saudi-Arabien als wichtiger Partner des Westens in der Region die Al-Nusra-Front, einen Al-Qaida-Ableger in Syrien. Andererseits führt Saudi-Arabien in Jemen Luftschläge gegen die schiitischen Houthi-Rebellen durch, die auch zu den Feinden von Al-Qaida gehören. Außerdem steht in Jemen die Muslimbruderschaft auf der Seite Saudi-Arabiens, das in Ägypten und Libyen den Kampf der Regierungen gegen die Bruderschaft unterstützt.

Die Folge ist eine extrem labile Konstellation verschiedener Allianzen. Vergleichsweise geringfügige Ereignisse in einem Land können Verschiebungen der Kräfteverhältnisse in allen anderen Ländern nach sich ziehen. Zudem erscheint es zunehmend aussichtslos, die Konflikte in einzelnen Ländern bearbeiten und lösen zu wollen. Ein regionaler Ansatz ist gefragt. Insbesondere in Syrien, aber auch in Irak und Jemen, werden bei Verhandlungen zumindest auch die Regionalmächte am Tisch sitzen müssen, wenn ein stabiles Resultat erreicht werden soll.

Hintergründe

Nachdem die Tunesier und die Ägypter 2011 ihre Diktatoren erfolgreich gestürzt hatten, kam es auch in Libyen, Syrien und Jemen zu Massendemonstrationen. In Libyen bedurfte es des Eingreifens der NATO, um den Rebellen zum Sieg über Gaddafi zu verhelfen. In Syrien entschieden sich die westlichen Mächte, nicht einzugreifen, und der Konflikt zwischen Opposition und Regierung eskalierte zu einem Bürgerkrieg. Ähnlich dramatisch entwickelte sich die Situation in Jemen. Die Instabilität bot diversen regionalen und internationalen Akteuren günstige Bedingungen, um ihren Einfluss in der Region auszubauen.

Karte der Anschläge 2002-2016 und der Fluchtbewegungen in Tunesien
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Nach dem "Arabischen Frühling" 2011 hatten zunächst Katar und die Türkei versucht, sich als Regionalmächte zu etablieren. Insbesondere Katar engagierte sich stark in Ägypten, Libyen und Syrien. Kurzfristig gelang es der mit Katar alliierten Muslim-Bruderschaft, die Regierungen in Ägypten, Libyen und Tunesien zu stellen bzw. zu kontrollieren. Seit der Machtübernahme Sisis in Ägypten 2013, die von Saudi-Arabien zumindest geduldet und im Nachhinein finanziell abgesichert wurde, konnten Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emiraten den Einfluss Katars wieder zurückdrängen.

Konnten die diversen Konflikte bis 2013 als innerstaatliche Konflikte mit starker externer Einflussnahme analysiert werden, kam es seit Anfang 2013 mit dem Aufstieg und der Expansion des IS zu einer massiven Regionalisierung. Dem IS gelang es, sich im Irak und Syrien auszubreiten. Der daraus folgende Propagandaerfolg motivierte über 60 dschihadistische Gruppen in 30 Ländern der Region und weltweit, sich dem IS anzuschließen. Beispiele sind Ansar Beit al-Maqdis im Sinai in Ägypten und Boko Haram in Nigeria. Der Aufstieg des IS verdeutlicht die Dringlichkeit, Lösungen für die verschiedenen lokalen Konflikte zu finden und die Ausdehnung der islamistischen Milizen zu stoppen.

Gleichzeitig schaltete sich Iran immer massiver in das Geschehen ein. Teheran stützt sowohl die Regierung in Bagdad als auch in Damaskus. Damit der Irak nicht vollständig an den IS fällt, brauchte Bagdad die Unterstützung durch Bodentruppen. Da die Amerikaner erst gerade aus dem Irak abgezogen waren, konnten und wollten sie diese nicht selbst zur Verfügung stellen. Angesichts der Verbesserung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses im Zuge der Atomverhandlungen waren das Eingreifen des Irans auf Seiten Bagdads und die Unterstützung der irakischen Kurden mit iranischen Waffen durchaus willkommen. Auch in Bezug auf Syrien hofft Washington, dass sich Teheran konstruktiv an einer Friedenslösung beteiligen wird.

Wichtige Einflussfaktoren

Die Annäherung zwischen dem Westen und Iran stieß auf die erbitterte Opposition Saudi-Arabiens. Riad befürchtet, durch die regionale Stärkung des Iran an Einfluss zu verlieren. Der schiitische Iran wird als der größte machtpolitische Konkurrent im Nahen und Mittleren Osten angesehen. In Syrien fechten beide Länder einen Stellvertreterkrieg aus. Saudi-Arabien unterstützt die sunnitischen Milizen, während sich der Iran als regionale Schutzmacht aller Schiiten auf der Seite des alawitischen Assad-Regimes und der libanesischen Hisbollah engagiert, die zu den wichtigsten regionalen Verbündeten Assads zählt.

Karte des Mehrfrontenkriegs in Jemen
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All diese Entwicklungen stehen für die Politisierung und Eskalation des uralten, primär theologischen Konfliktes zwischen Sunniten und Schiiten. In diesem Sinne muss auch die Unterstützung der Houthi-Rebellen im Jemen durch den Iran und das darauffolgende massive Eingreifen Saudi-Arabiens verstanden werden. Um Terrain zurückzugewinnen, versucht Saudi-Arabien nun, eine große sunnitische Allianz gegen den Iran zu schmieden. Dazu ist Riad auch bereit, wieder mit den Muslimbrüdern und sogar mit Al-Qaida zusammenzuarbeiten.

Dieser Kurswechsel geht zum Teil auf König Salman zurück, der seit Beginn seiner Amtszeit im Januar 2015 klar andere Akzente setzt als sein Vorgänger Abdullah. Hatte Abdullah versucht, seine Interessen durch Scheckbuchdiplomatie durchzusetzen, schrickt der neue Monarch nicht davor zurück, die eigene Armee massiv zur Durchsetzung politischer Ziele zu nutzen. Unter Führung seines jüngsten Sohnes und neuen Verteidigungsministers Mohamed bin Salman ist die saudische Armee direkt an den Kämpfen in Jemen beteiligt. Bei den Kämpfen mit Houthi-Rebellen musste sie – wie auch die Armee der Vereinigten Arabischen Emirate – bereits substanzielle Verluste hinnehmen, ohne dafür wirkliche Erfolge vorweisen zu können.

Die vertrackte Lage in Jemen, die Massenpanik während der Pilgerfahrt 2015, die mit über 2.000 Toten als das schlimmste Unglück in der Geschichte des Haddschs gilt, und die schwierige Finanzlage Saudi-Arabiens, die aus gestiegenen Ausgaben seit der Ernennung Salmans, kombiniert mit geringeren Einnahmen aufgrund des sinkenden Ölpreises, resultiert, haben zu ungewöhnlich harscher Kritik aus der Herrscherfamilie an Salman und seiner Politik geführt. Manche Beobachter spekulieren sogar, es könnte zu einem Staatsstreich kommen. Aber selbst wenn dies nicht eintritt, könnte Saudi-Arabien bald einen neuen König krönen. Salman ist bereits 80 Jahre alt und leidet an diversen Gesundheitsproblemen. Dies hätte substanzielle Konsequenzen für die Entwicklung in der Region und insbesondere für die Konflikte in Jemen, Syrien und die Rivalität mit Iran.

Nordafrika und Naher Osten - Konfliktintensität und Flüchtlinge 2015
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Vor diesem Hintergrund hat in den letzten Monaten die Einflussnahme internationaler Akteure in der Region stark zugenommen. Die EU-Staaten, durch den massiven Zustrom von Flüchtlingen und den Anschlag im November 2015 in Paris aufgeschreckt, versuchen nun Friedensverhandlungen in Syrien herbeizuführen. Die Russen greifen mit ihrer Armee direkt in den Syrien-Konflikt ein und haben auch zum Konflikt in Libyen Position bezogen.

Wie die jüngsten Ereignisse, darunter das Atomabkommen mit Iran demonstrieren, haben die USA trotz des Disengagements in den vergangenen Jahren weiterhin einen erheblichen Einfluss in der Region. Obama dürfte versuchen, sein letztes Amtsjahr mit einem Erfolg in der Nahostpolitik zu krönen. Zugleich werden die regionalen politischen Führer mit Spannung die Präsidentschaftswahlen in den USA verfolgen.

Innerstaatliche Implikationen

Nach dem vorläufigen Scheitern des "Arabischen Frühlings" hat sich die zentrale innerstaatliche Konfliktlinie vom Ringen um politische Freiheiten und soziale Reformen hin zu erbitterten Auseinandersetzungen um die "richtige" Auslegung bzw. die Rolle des Islam als ideologische und normative Grundlage für Gestaltung der Gesellschaft und des Staates verschoben. Dabei stehen sich in unterschiedlichen Konstellationen die neu erstarkten Kräfte der alten Regime und radikalisierte islamistische Bewegungen gegenüber, die zum Teil von dschihadistischen Gruppen und Milizen aus dem Ausland unterstützt werden.

Karte des Bürgerkriegs in Libyen (Stand 2017)
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In Libyen kam es nach dem Wahlsieg nicht-islamistischer Kräfte im Juni 2014 zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen mit islamistischen Gruppen. Große Teile des Westens des Landes werden von den Islamisten, der Osten von der international anerkannten Regierung kontrolliert. Die Instabilität nutzend, gelang es dem IS, Teile des Landes an sich zu reißen. Beide Seiten glaubten, sich militärisch durchsetzen zu können und haben sich entsprechend nur halbherzig an Verhandlungen beteiligt. Ob der unter Vermittlung der UNO ausgehandelte Plan für eine Übergangsregierung Chancen auf Realisierung besitzt, bleibt abzuwarten.

Im Jemen war die Exilregierung unter Präsident Abd Rabbuh Mansur Hadi, die Aden, die Küstengebiete und Teile des Ostens kontrolliert, lange der Meinung, sie könnte die Houthis dank massiver Unterstützung Saudi-Arabiens und der Vereinigten Arabischen Emirate militärisch besiegen. Entsprechend sind alle Versuche, Verhandlungen durchzuführen, bislang gescheitert. Der Konflikt hat Al-Qaida ermöglicht, die Kontrolle über die wichtige Hafenstadt Mukalla zu erringen, gleichzeitig tritt der IS zunehmend durch Anschläge in Erscheinung, die sich gegen beide Konfliktparteien richten. Zuletzt kam bei einem Attentat in Aden der Gouverneur der Provinz ums Leben.

Im Irak scheint der IS immer mehr unter Druck zu geraten. Kurdischen Kämpfern und der Regierung in Bagdad gelang es, einzelne Städte zurückzuerobern, insbesondere Sindschar, Tikrit. Über den Jahreswechsel 2015/16 konnte die Zentralregierung auch die Kontrolle über Ramadi zurückgewinnen. Die Zeit der massiven Frontveränderungen, die es noch 2014 gab, scheint aber vorerst vorbei.

In Syrien hat vor allem das Eingreifen Russlands eine neue Situation herbeigeführt. Die Truppen von Assad, mit Unterstützung Russlands und des Irans sind nun auf dem Vormarsch, insbesondere gegen die Freie Syrische Armee. Aufgrund der massiv verschärften Flüchtlingssituation in Europa drängt die EU verstärkt auf Verhandlungen, und seit dem Anschlag des IS in Paris sind die Europäer möglicherweise bereit, im Kampf gegen den IS auch mit Assad zusammenzuarbeiten. Die Annäherung der Positionen zwischen Russland und dem Westen hat erstmals zu einer Resolution des Sicherheitsrats geführt, die die Weichen für Verhandlungen aller Konfliktparteien stellt.

In Ägypten und Tunesien erleichtern die ungesicherten Grenzen sowie erstarkte islamistische Milizen in Nachbarländern die Versorgung einheimischer Terrorgruppen mit Waffen, Geld und Material. Anschläge, insbesondere auf Touristen, schwächen die Wirtschaft in beiden Ländern. Zugleich verlieren die Regierungen, die mit dem Versprechen von Sicherheit an die Macht gekommen waren, zunehmend an Glaubwürdigkeit und Legitimität.

Karte des Bürgerkriegs in Syrien (Stand 2017)
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Weitere Inhalte

Dr. Moritz Mihatsch (geb. 1981) ist Assistenzprofessor für Politikwissenschaften an der British University in Egypt (BUE) in Kairo. Als Politikhistoriker beschäftigt er sich primär mit der arabischen Welt, insbesondere Sudan und Ägypten. Im Rahmen von Projekten der politischen Bildung war er an Trainings und Konferenzen in Ägypten, dem Irak, Marokko und Bosnien-Herzegowina beteiligt.