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Menschenrechtsarbeit | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Menschenrechtsarbeit

Romy Stanzel

/ 8 Minuten zu lesen

Menschenrechte und Frieden sind eng miteinander verbunden. Die Präambel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 bezeichnet die umfassende Verwirklichung der Menschenrechte als Friedensbedingung. Umgekehrt ist jede Verletzung der Menschenrechte eine Ursache für Konflikte und eine Bedrohung des Friedens.

Der Vizegeneralsekretär für Humanitäre Angelegenheiten der UN, Jan Egeland, bei Verhandlungen mit der Lord's Resistance Army (LRA) in Uganda. (© picture-alliance/dpa)

Nicht nur wenn Menschen auf Menschen schießen, existiert Gewalt, sondern auch überall dort, wo Menschen systematisch an der Ausübung grundlegender Menschenrechte und/oder am Zugang zu menschenrechtsbasierten Dienstleistungen, wie soziale Teilhabe, Bildung und Gesundheitsfürsorge, gehindert werden. Dann bleiben menschliche Grundbedürfnisse unbefriedigt und werden Menschenrechte verletzt. Dies führt zu Frustration, Konflikten und in der Folge oft zu Gewalt, vor allem dann, wenn Mechanismen zur gewaltfreien Konfliktaustragung fehlen.

Insofern können Menschenrechte als Indikator und Maßstab für die Friedlichkeit einer Gesellschaft und ihre Fähigkeit angesehen werden, konstruktiv und gewaltfrei mit Konflikten und Krisen umzugehen. Die Gewährleistung und der Respekt der Menschenrechte zeigen auf, inwieweit ein Staat dem Einzelnen eine respektvolle und nichtdiskriminierende Behandlung, Wahlfreiheit und Partizipation – kurz: ein Leben in Würde – garantiert oder verweigert.

Menschenrechtsverletzungen als Auslöser gewaltsamer Konflikte – das Beispiel Mindanao

Die philippinische Inselgruppe Interner Link: Mindanao gilt als strukturschwächste und am wenigsten entwickelte Region des Landes. Die ungleiche Verteilung von Land und Ressourcen sowie die Benachteiligung und Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung tragen ursächlich zu diversen Gewaltkonflikten bei. Sie bestärken auch die muslimische Bevölkerung in ihrem Unabhängigkeitsstreben, das durch den Kampf der Moro Islamic Liberation Front (MILF) verkörpert wird. Zwar haben die philippinische Regierung und die MILF 2014 ein Abkommen zur sukzessiven Einrichtung der muslimisch geprägten Autonomieregion Bangsamoro unterzeichnet, deren Umsetzung steht jedoch aus. Die unsichere politische Lage befördert das Misstrauen gegenüber der Regierung und stärkt den Einfluss extremistischer Gruppen. Im Mai 2017 wurde die Stadt Marawi gewaltsam eingenommen und daraufhin das Kriegsrecht über die gesamte Region Mindanao verhängt.

Vielen aktuellen gewalttätigen Konflikten liegen jahrzehnte- oder gar jahrhundertelange Diskriminierung und Ausgrenzung von Menschen und Gruppen zugrunde, denen der gleiche Zugang zu Land, Bildung, Macht und Ressourcen, wie Land, Wasser oder Rohstoffe, verweigert wird: auf Mindanao für Moslems, in Myanmar für die Rohingya, in Sri Lanka für die Tamilen, in Nepal für die Dalits, in vielen Ländern Lateinamerikas für die indigenen Bevölkerungsgruppen. Die Liste ist längst nicht vollständig.

Und trotzdem: Nicht jede Verletzung von Menschenrechten führt zum Ausbruch von Gewalt. So verfügt Indien trotz hoher sozialer Ungerechtigkeit und damit einhergehenden Menschenrechtsverletzungen über politische Stabilität. Entscheidend ist die Legitimität des Staates und seiner Institutionen. Ist diese gegeben, führen Armut und soziale Ungleichheit nicht unweigerlich zum Konflikt – dieser entsteht erst im Zusammenhang mit staatlicher Repression. So in Nicaragua: Dort leben rund 30% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Trotzdem galt das Land lange Zeit als das sicherste Zentralamerikas. Erst als Präsident Ortega im April 2018 die friedlichen Proteste gegen eine Rentenreform gewaltsam niederschlagen ließ, eskalierte die Situation. Seitdem prägen gewaltsame Übergriffe staatlicher Sicherheitskräfte und Paramilitärs, willkürliche Festnahmen und Folterungen von Oppositionellen und Journalisten das Land, denen inzwischen mehrere hundert Menschen zum Opfer gefallen sind.

Die Verantwortung des Staates, die Menschenrechte seiner Bürger/-innen zu schützen

Grundsätzlich ist jeder Staat verpflichtet, seine Bevölkerung vor Menschenrechts-verletzungen zu schützen. Diese Verantwortung spiegelt sich in zahlreichen Verpflichtungen im Rahmen des Menschenrechtsschutzes und des humanitären Völkerrechts wider. Globale, regionale und nationale Menschenrechtsinstrumente, wie der UN-Menschenrechtsrat, der Internationale Strafgerichtshof, der Europäische Gerichtshof und die Europäische Grundrechtecharta, geben diesen Verpflichtungen normative Verbindlichkeit und Anerkennung.

Seit Anfang der 2000er Jahre hat sich das Völkerrecht darüber hinaus weiterentwickelt. Unter der Bezeichnung "Schutzverantwortung" (Responsibility to Protect) wurde die Pflicht jedes Staates bekräftigt und konkretisiert, schwere Menschenrechtsverletzungen in Form von Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit auf seinem Territorium zu verhindern. Kommt eine Regierung ihrer Verantwortung nicht nach, ist es die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, die betroffenen Staaten zunächst durch Maßnahmen, wie Kapazitätserweiterung, Aufbau einer guten Verwaltung oder die Stärkung des Sicherheitsapparates, bei der Wahrnehmung ihrer Schutzfunktion zu unterstützen.

Erst wenn alle präventiven Bemühungen versagen, hat die internationale Gemeinschaft die Pflicht, selbst zu reagieren. Das Mittel der Wahl sind Zwangsmaßnahmen, wie das Einfrieren von Bankkonten und Waffenembargos. Als last resort (letztes Mittel) kommt auch eine militärische Intervention in Betracht, deren Autorisierung dem UN-Sicherheitsrat obliegt. Die Schutzverantwortung begrenzt damit das in der internationalen Ordnung und im Völkerrecht verankerte Prinzip der staatlichen Souveränität sowie das Interventions- und Gewaltverbot.

Risiken bestehen dort, wo mit der Schutzverantwortung der Staatengemeinschaft begründete militärische Interventionen als Mittel zur Unterstützung politischer Kräfte oder zur Durchsetzung politischer und ökonomischer Eigeninteressen der intervenierenden Mächte missbraucht werden. Solche Formen des selektiven und parteilichen Eingreifens sowie der einseitigen Anwendung militärischer Gewalt beschädigen das Konzept der Schutzverantwortung. Interventionen, v.a. der USA, aber auch anderer Staaten in Jugoslawien, Afghanistan, Irak, Libyen und aktuell Syrien haben das eindrücklich vor Augen geführt.

Menschenrechtsschutz und Konfliktbearbeitung

Die Erfahrungen der letzten Jahre lenken das Augenmerk auf die weitere Stärkung und Weiterentwicklung der internationalen Regime und Mechanismen zur Verteidigung und Durchsetzung der Menschenrechte sowie auf die Bedeutung ziviler Strategien der Konfliktbearbeitung. Menschenrechtsschutz und Konfliktbearbeitung dürfen nicht nur darauf gerichtet sind, direkte Gewalt abzubauen. Es geht auch und vor allem darum, Lebensgrundlagen nachhaltig zu sichern, politische und gesellschaftliche Missstände zu überwinden, die Sicherheitslage der Menschen zu verbessern und das Vertrauen der Bevölkerung (zurück) zu gewinnen. Dies gilt für alle drei Phase der Konfliktbearbeitung:

Vor dem Ausbruch der Gewalt können Beobachtung, Analyse, Dokumentation und Öffentlichmachung von Menschenrechtsverletzungen - im Sinne eines Frühwarnsystems – das Risiko von Gewaltanwendungen reduzieren. Akteure der Konfliktbearbeitung nutzen diese Informationen, um die Voraussetzungen für einen gleichberechtigten Dialog zu schaffen. Sie agieren als Brücke zwischen den verschiedenen Konfliktparteien, indem sie die schwächsten Konfliktparteien schützen und stärken und darüber hinaus den Staat befähigen, die Rechte seiner Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten.

In der Phase offener Gewalt steht vor allem die möglichst schnelle Beendigung der Gewalt im Vordergrund. Akteure der Konfliktbearbeitung suchen den Kontakt zu allen Parteien und treten im Sinne der Allparteilichkeit, auch mit den Verantwortlichen für Menschenrechtsverbrechen in den Dialog. Ohne anzuprangern, oft ohne den Terminus Menschenrechte überhaupt zu nutzen, agieren Akteure der Konfliktbearbeitung entsprechend menschenrechtlichen Standards und Prinzipien.

Parallel dazu – und sichtbar unabhängig von den Akteuren der Konfliktbearbeitung – setzen nationale und internationale Menschenrechtsorganisationen ihre Arbeit fort. Wichtige Handlungsfelder sind die Beobachtung der Entwicklungen in den Konfliktgebieten vor Ort, aber auch in den Medien und auf internationalen Konferenzen. Mit der Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen signalisieren sie den Tätern, dass ihre Handlungen beobachtet und nicht ungesühnt bleiben werden. Durch die Schutzbegleitung von Menschenrechtsaktivisten schaffen sie Öffentlichkeit für deren Arbeit und können so Übergriffe verhindern. Rollenklarheit ist hier ein zentrales Gebot.

Nach der Beendigung von Gewalt ist die Aufarbeitung und Ahndung begangener Menschenrechtsverbrechen zentral. Die Opfer erwarten die Anerkennung der erlittenen Leiden und die Bestrafung der Täter. Nur so kann nach gewaltsamen Konflikten das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Schutzfunktion des Staates wiedergestellt und ein friedliches Zusammenleben erreicht werden.

Es gilt, darauf zu achten, dass sich keine der Konfliktparteien aus dem Friedensprozess zurückzieht und in der Folge die Gewalt wieder aufflammt. Zugleich müssen rechtsstaatliche Institutionen (wieder) aufgebaut werden. Wann und wie Gerechtigkeit und Rechenschaft gefordert werden, ist deshalb von entscheidender Bedeutung.

Von Menschenrechtsgruppen unterstützte juristische Prozesse sind wichtig, tragen aber nur begrenzt zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit bei. Im Sinne der Eigenverantwortung der lokalen Akteure (local ownership) gilt es auch, lokale Vorstellungen der wiedergutmachenden Gerechtigkeit einzubeziehen. Diese zielen in erster Linie auf die Interner Link: Wiederherstellung der Beziehungen zwischen den Konfliktparteien und die Heilung der lokalen Gemeinschaften und werden von Akteuren der Konfliktbearbeitung unterstützt.

Gleiche Lebens-, Ausdrucks- und Entwicklungschancen sind eine entscheidende Grundlage für die Wiederherstellung von Vertrauen und wichtige Schritte in Richtung Versöhnung. Die von Gewalt und Menschenrechtsverletzungen Betroffenen gilt es, als Rechteinhaber und selbstbestimmte Akteure des gesellschaftlichen Wandels einzubeziehen. So umfassend verstanden, dient die Aufarbeitung der gewaltvollen Vergangenheit zugleich der Prävention erneuter Gewalt und Menschenrechtsverletzungen. Menschenrechtsarbeit und Konfliktbearbeitung leisten hierzu wichtige Beiträge.

Frieden und Gerechtigkeit – zwei unvereinbare Prioritäten?

Die Vergangenheit hat gezeigt, dass die Beendigung von Gewaltkonflikten mitunter erst dann gelingt, wenn den Verantwortlichen für gravierende Menschenrechtsverletzungen eine Sonderbehandlung in Form eines freien Geleits ins Exil, einer Amnestie oder sogar einer Machtbeteiligung zugestanden wird. Ein Beispiel ist der Friedensprozess in Kolumbien. Dort befand sich im Herbst 2016 der Friedensprozess kurz vor dem Scheitern. In einem Referendum lehnte die Bevölkerung das Friedensabkommen mit knapper Mehrheit ab. Zentraler Kritikpunkt war ein Amnestiegesetz, das die FARC-Rebellen nur mit geringen Strafen belegen und ihnen zudem über die Gründung einer eigenen Partei den Weg in die Politik eröffnen sollte. Der Gesetzestext wurde schließlich in einigen Punkten geändert. Seit November 2016 herrscht offiziell Frieden in Kolumbien. Ein brüchiger Frieden, auch weil das Amnestiegesetz einige Unklarheiten enthält, was befürchten lässt, dass viele für Menschenrechtsverstöße Verantwortliche nicht zur Rechenschaft gezogen werden.

Ob in Kolumbien, Nicaragua, Ruanda oder Syrien - von Strafe verschonte Verantwortliche und Täter nutzen ihre kaum angefochtene Machtstellung, um ihre Interessen zu verfolgen und den Konflikt weiter zu schüren. Straflosigkeit für begangene Menschenrechtsverletzungen, unbearbeitete Konfliktursachen, wie eine ungerechte Ressourcenverteilung, fehlender Zugang zu Land und Jobs, verweigerte Selbstbestimmung und rücksichtslose Ausbeutung natürlicher Ressourcen, sowie Unterdrückung und Diskriminierung führen über kurz oder lang erneut zu Gewalt.

Angesichts der hohen Rückfallrate innerstaatlicher Friedensprozesse sah (und sieht) sich die internationale Gemeinschaft vor der Notwendigkeit, ihr Vorgehen zu hinterfragen. Die bislang weit verbreitete Praxis, dem Stopp offener Gewalt Vorrang gegenüber der Ahnung von Menschenrechts¬verletzungen einzuräumen, wurde inzwischen – zumindest auf der konzeptionellen Ebene – korrigiert. So formuliert die UN-Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung von 2015 mit dem 16. nachhaltigen Entwicklungsziel (Sustainable Development Goal – SDG) die Aufgabe und Verpflichtung, friedliche und inklusive Gesellschaften im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung zu fördern, allen Menschen Zugang zur Justiz zu ermöglichen und effektive, rechenschaftspflichtige und inklusive Institutionen auf allen Ebenen aufzubauen.

Die Einsicht, dass sich Gewaltprävention, Frieden und Menschenrechtsschutz gegenseitig bedingen und verstärken müssen, verlangt neue Ansätze und eine kohärente Strategie. Richtungsweisend sind hier u.a. die Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung von 2017, die betonen, dass Menschenrechte und nachhaltiger Frieden Hand in Hand gehen müssen.

Fazit

Die Einsicht in die Wichtigkeit des Menschenrechtsschutzes im Kontext der Konfliktbearbeitung erweiterte die Konzepte und Zielvorstellungen in beiden Handlungsfeldern. Die Konfliktbearbeitung nimmt nicht mehr nur den Abbau direkter Gewalt in den Blick, sondern auch Fragen sozialer Gerechtigkeit und langfristigen Wandels. Menschenrechte dienen als Maßstab für die Bewertung der Qualität des Prozesses und der Ergebnisse der Konfliktbearbeitung.

Menschenrechtsgruppen fordern über das Öffentlichmachen und die individuelle juristische Verfolgung der Verantwortlichen hinaus auch mehr Fairness und Gleichberechtigung im sozioökonomischen Bereich.

Die so möglich werdende Zusammenarbeit und gemeinsame Analysen können dazu beitragen, Lücken im Verständnis von Gewaltursachen und Konflikten zu schließen, indem sie die Aufmerksamkeit auf verschiedene Aspekte lenken und daraus Handlungsoptionen ableiten.

Weitere Inhalte

geb. 1974, Diplom-Sozialpädagogin, Master in Friedens- und Konfliktforschung, hypnosystemischer Coach. Sie ist seit 2001 in der Entwicklungszusammenarbeit im In- und Ausland tätig. Aktuell arbeitet sie als Senior-Projektmanagerin im Programm Ziviler Friedensdienst (ZFD) der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ). Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Steuerung der ZFD-Programme im Kontext von Flucht und Vertreibung, die Begleitung der ZFD-Programme in Lateinamerika und Kambodscha, Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit sowie die Themen Vergangenheitsarbeit und Konflikttransformation und Menschenrechte.