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Tschad | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Tschad

Helga Dickow

/ 10 Minuten zu lesen

Nach dem Tod von Langzeit-Präsident Idriss Déby im April 2021 setzt sein Sohn Mahamat das autokratische System seines Vaters bruchlos fort. Kritische Opposition und Zivilgesellschaft werden auch weiterhin brutal unterdrückt.

Der tschadische Präsident Mahamat Déby am 05. September 2024 auf dem Forum für China–Afrika Kooperation in Beijing.

(© picture-alliance, Xinhua News Agency)

Die aktuelle Situation

Der tschadische Langzeit-Präsident Idriss Déby Itno kam im April 2021 während des Vorrückens der Rebellenbewegung FACT (Front pour l'Alternance et la Concorde au Tchad) unter nach wie vor ungeklärten Umständen ums Leben. Mit der Bekanntgabe seines Todes übernahm ein militärischer „Übergangsrat" (Conseil Militaire de Transition – CMT) im Widerspruch zur Verfassung die Macht und erklärte Débys (Adoptiv-)Sohn Mahamat zu seinem Präsidenten. Mahamat Déby Itno versprach Wahlen und die Rückkehr zur konstitutionellen Ordnung innerhalb von 18 Monaten. In der Übergangszeit sollte ein nationaler Dialog stattfinden und eine neue Verfassung erarbeitet werden.

Nach dem Tod Idriss Débys und der Machtübernahme seines Sohnes keimten für eine kurze Phase Hoffnungen auf einen demokratischen Wandel und Frieden. Ein sogenannter Vor-Dialog in der katarischen Hauptstadt Doha von März bis August 2022 sollte politisch-militärische Gruppierungen von einem Friedenvertrag mit der Regierung sowie zur Teilnahme am nachfolgenden Nationalen Dialog überzeugen. 40 Bewegungen unterschrieben den Vertrag. Mehrere Bewegungen, darunter der CCMSR und die FACT, haben allerdings die Konferenz vorzeitig verlassen oder erst gar nicht teilgenommen.

Im Juli und August 2022 fand der sogenannte Inklusive Nationale Dialog mit rund 1.400 Delegierten in der Hauptstadt N’Djamena statt. Die Opposition kritisierte insbesondere, dass die Auswahl der Delegierten nicht transparent gewesen sei und eine deutlich überproportionale Vertretung der Machtelite zeige. Außerdem seien Entscheidungen per Akklamation und nicht per Abstimmung getroffen worden. Weil ihre Forderungen kein Gehör fanden, haben auch hier wichtige Akteure die Konferenz von Anfang an boykottiert oder sie aus Protest verlassen. Dessen ungeachtet wurde die Transition um zwei Jahre verlängert – wiederum mit Mahamat Déby als Präsidenten. Zudem wurde ihm und allen Mitgliedern der Übergangsregierung das Recht eingeräumt, bei den nächsten Wahlen zu kandidieren.

Am 20. Oktober (das Datum markiert das ursprüngliche Ende der Transition) folgten vornehmlich jugendliche Demonstrierende in N’Djamena und anderen Städten einem Aufruf von „Wakit Tama“ und „Les Transformateurs“ und protestierten gegen die Verlängerung der Übergangszeit um zwei Jahre. Sicherheitskräfte schossen in die Menge. Nach Angaben unabhängiger Menschenrechtsorganisationen kamen mehrere hundert Menschen ums Leben, mehr als tausend wurden verhaftet. Dieser Tag traumatisierte Opposition und kritische Zivilgesellschaft und ist als „Schwarzer Donnerstag“ in die Geschichte des Landes eingegangen.

Zu den Beschlüssen des Nationalen Dialogs gehörte die Erarbeitung einer neuen Verfassung und die Durchführung von Wahlen. Die Verfassung wurde am 17. Dezember 2023 per Referendum mit 83,7 % der Stimmen angenommen. Die Opposition hatte zum Boykott des Referendums aufgerufen, dem Medienberichten zufolge viele Wahlberechtigte nachkamen. Die Präsidentschaftswahlen am 6. Mai 2024 gewann Mahamat Déby laut amtlichem Wahlergebnis mit 61% der Stimmen. Vorher hatte er sich von einer Koalition von mehreren hundert Parteien und Organisationen zum Präsidentschaftskandidaten küren lassen. Von den 20 Kandidaten, die sich zur Wahl aufstellen lassen wollten, ließ die Wahlbehörde letztendlich nur 10 zu. Mit Allamaye Halina wurde der langjährige Protokollchef von Idriss Déby zum Premierminister ernannt.

Die islamistische Terrormiliz Boko Haram und inzwischen auch der „Islamische Staat“ verüben immer wieder Anschläge und Selbstmordattentate in der Gegend des Tschadsees. Im März 2020 kamen bei dem bisher größten Angriff von Boko Haram auf eine Militärbasis am Tschadsee nach offiziellen Verlautbarungen fast 100 tschadische Soldaten ums Leben. Im Juli 2024 verkündete das tschadische Militär den Tod von 70 Boko Haram-Anhängern nach einem Vergeltungsschlag.

Ursachen und Hintergründe

Der Jahrzehnte dauernde Konflikt zwischen dem Süden und dem Norden war mit dem Sieg von Rebellengruppen aus dem Norden 1979 beendet worden. Der Tschad zählt ca. 120 ethnische Gruppen. Im trockenen Norden leben eher nomadische, muslimisch-arabisch geprägte Gruppen, im fruchtbaren Süden eher sesshafte, afrikanisch-christlich geprägte. Der Süden verlor seine aus der französischen Kolonialzeit herrührende politische und militärische Dominanz. Mit der Machtübernahme von Idriss Déby aus der ethnischen Gruppe der Zaghawa im Jahr 1990 schien das Land eine demokratische Öffnung zu erleben: Parteigründungen wurden möglich, von der insbesondere Intellektuelle aus dem Süden Gebrauch machten. Doch mit dem Verfassungsreferendum sowie den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen von 1996/97 endete diese Periode.

Seitdem wurden die Konflikte überwiegend mit Mitteln der politischen und militärischen Repression und Kontrolle eingedämmt. Die strukturellen Ursachen haben sich dagegen weiter verschärft. Der Tschad gehört zu den ärmsten Ländern weltweit. Im Human Development Index (2023) der Vereinten Nationen liegt das Land auf Platz 189 (von 192 Ländern). Unzureichende Gesundheitsvorsorge, schlechte Bildungschancen, hohe Arbeitslosigkeit und damit fehlende Perspektiven für die Jugend gehören zu den größten Problemen. Bedingt durch seine geographische Lage bedrohen regelmäßig Dürren und Überschwemmungen die Lebensgrundlagen der Menschen. Die traditionellen Konflikte zwischen Sesshaften und Nomaden drehen sich um den Zugang zu Acker- bzw. Weideland und Wasser. Im fruchtbaren Süden befinden sich auch die Erdölfelder.

Die Bevölkerung hatte aufgrund der Einnahmen aus den Erdölvorkommen auf mehr Teilhabe an den Reichtümern des Landes und auf das Ende der Armut gehofft. Doch nur die korrupte Machtelite profitiert davon. Die Lebenshaltungskosten steigen von Jahr zu Jahr; die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich weiter. Der Tschad gehört zu den korruptesten Ländern weltweit (2023: Rang 162 von 180). Die Erträge aus der Ölförderung seit 2003 ermöglichten dem Regime Idriss Déby die umfassende Kontrolle des Staates. Die wichtigsten Schritte bildeten der Ausbau der Sicherheitskräfte und die Etablierung eines ausgeklügelten Klientel- und Patronagesystems. Familienmitglieder und Angehörige der eigenen ethnischen Gruppe befanden sich an den Schaltstellen des Staates, der Armee und der Wirtschaft. Mahamat Déby führt dies weiter, allerdings stützt er sich nicht wie sein Vater nur auf die Zaghawa, sondern verstärkt auch auf die Goran, die ethnische Gruppe seiner Mutter.

Bevölkerung und Opposition haben jede Hoffnung auf einen demokratischen Wandel verloren, nachdem auch Mahamat Déby sich als autoritärer Herrscher erwies und die Macht in den Händen des Déby-Clans verblieb. Sein Vater wehrte Umsturzversuche und Rebellenangriffe, auch aus den eigenen Reihen, erfolgreich ab – nicht zuletzt dank der westlichen Unterstützung, die nun auch sein Sohn und Nachfolger genießt. Die Bundesrepublik beendete dagegen ihre bilaterale Zusammenarbeit 2012 wegen der demokratischen Defizite. Seitdem beschränkt sich die deutsche Unterstützung auf humanitäre und strukturbildende Übergangshilfe sowie 20 % der Hilfszahlungen der EU. Der deutsche Botschafter wurde an Ostern 2023 wegen kritischer Äußerungen in Bezug auf die schleppende Transition des Landes verwiesen.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Nach der dreijährigen Transition und den ersten Monaten der Präsidentschaft von Mahamat Déby zeichnet sich ab, dass es Mahamat Déby und seiner Umgebung in erster Linie um den eigenen Machterhalt und nicht um die Etablierung eines demokratischen Systems geht. Dazu diente folgender Fahrplan im Umgang mit den innerstaatlichen und regionalen Konflikten:

  • Zunächst sollte der Vor-Dialog in Doha das Risiko von Angriffen politisch-militärischer Bewegungen, die in den Nachbarstaaten ihre militärischen Basen unterhalten, ausschalten. Das Abkommen von Doha umfasst einen Nichtangriffspakt, eine Amnestie und die Freilassung politischer Gefangener sowie ein Abkommen zur Entwaffnung und Wiedereingliederung von Kämpfern in die nationale Armee. Die Unterzeichner des Friedensvertrags von Doha kehrten in den Tschad zurück – in einigen Fällen nach Jahrzehnten des Exils. Die Gefahr eines militärischen Angriffs wurde jedoch nicht gänzlich gebannt. Schließlich saßen die Vertreter der militärisch stärksten Bewegungen, FACT und CCMSR, nicht mit am Verhandlungstisch.

  • Der nachfolgende „Souveräne und Inklusive Nationale Dialog“ (DNIS) sollte in der Tradition der Runden Tische den Anschein inklusiver Verhandlungsprozesse und Entscheidungen erwecken. Am DNIS nahmen rund 1.400 Delegierte teil. Die Sitzungen konnten live im Fernsehen und in sozialen Netzwerken verfolgt werden. Wie der Vor-Dialog in Doha wies jedoch auch der DNIS in N'Djamena entscheidende Mängel auf: Die Auswahl der Delegierten war nicht transparent und wies ein deutliches Übergewicht der Machtelite auf. Entscheidungen wurden per Akklamation und nicht per Abstimmung getroffen.

  • Im Prozess der Erarbeitung der neuen Verfassung setzte Mahamat Déby durch, dass Tschad, wie schon unter seinem Vater, ein Zentralstaat mit einem starken Präsidialsystem bleibt. Die Forderungen der Opposition nach einer föderalen Struktur für das fünftgrößte Flächenlandes Afrikas blieben unberücksichtigt. Damit konzentriert der neue starke Mann des Tschad alle wichtigen Hebel der Macht in seinen Händen.

  • Wie Idriss Déby, zu dessen Regierungszeit regelmäßig Präsidentschaftswahlen stattfanden, legt auch Mahamat Déby großen Wert auf Legitimierung durch straff kontrollierte Wahlen. Um seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Mai 2024 abzusichern, wurden vorher die Wahlbehörden mit regimetreuen Personen besetzt und aussichtsreiche Kandidaten nicht zugelassen oder sogar eliminiert. Internationale Wahlbeobachter waren nicht zugelassen.

  • Schließlich gehören die Einbindung und Kooptierung politischer Gegner zur Herrschaftsstrategie der Débys. Zahlreiche Oppositionelle und Kritiker von Idriss Déby sowie Führer politisch-militärischer Bewegungen gaben ihren Widerstand während der Transition auf und ließen sich auf lukrative Posten in Regierung und Verwaltung kooptieren. Mit der neuen Verfassung wurde z.B. das Amt des „Mediators der Republik“ wieder eingeführt. Déby besetzte es mit einem langjährigen politischen Gegner seines Vaters.

Wo das ausgeklügelte System der Machtsicherung versagt, greift auch die neue Regierung Déby auf Einschüchterung, Unterdrückung und Gewalt zurück. Zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, wie Wakit Tama, Journalisten, Gewerkschaftler, Blogger, Menschenrechtsaktivisten, sind von staatlichen Repressalien bedroht, sobald sie die Politik der Übergangsregierung, die grassierende Korruption oder die extreme Armut anprangern. Willkürliche Verhaftungen sind die Regel. Davon sind insbesondere Journalisten (das Land liegt auf der Rangliste der Pressefreiheit 2024 auf Platz 96 von 180 Staaten), Blogger, aber auch Mitglieder der Zivilgesellschaft betroffen.

Auf regionaler und internationaler Ebene profitiert Mahamat Déby vom Bruch der Sahel-Staaten Mali, Niger und Burkina Faso insbesondere mit Frankreich und den USA. N’Djamena gilt als einziger verbliebener Verbündeter des Westens im Sahel und wird dementsprechend hofiert. Der Tschad war an verschiedenen Missionen und Allianzen zur Eindämmung des islamistischen Terrorismus in der Region beteiligt, und im Land befinden sich mehrere Basen Frankreichs und der USA. Doch der Besuch Mahamat Débys bei Putin in Moskau im Januar 2024 lässt die westlichen Partner befürchten, dass sich der Tschad ebenfalls abwenden könnte.

Geschichte des Konflikts

Nach der Unabhängigkeit von Frankreich wurde der Tschad von blutigen Konflikten um die politische Vorherrschaft zwischen Gruppen des Südens und des Nordens zerrissen. Seit 1979 stellen ethnische Gruppen aus dem Norden die Machtelite und den Präsidenten. Der politische und militärische Machtkampf findet seitdem hauptsächlich zwischen ethnischen Gruppen aus dem Norden statt. Er folgt einem sich periodisch wiederholenden Muster: Rebellenbewegungen sammeln sich im benachbarten Sudan und marschieren von dort aus auf N’Djamena. Auch Déby und seine MPS stürzten 1990 mit Duldung Frankreichs auf diese Weise den seit 1982 amtierenden Präsidenten und Diktator Hissène Habré.

Habré wurde 2016 im Senegal wegen gravierender Menschenrechtsverletzungen zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Verfahren wurde von der Afrikanischen Union (AU) angestrengt – ein Novum: Zum ersten Mal wurde ein afrikanischer Diktator für Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor einem afrikanischen Gericht zur Rechenschaft gezogen.

Idriss Déby stabilisierte das Land und gab ihm eine demokratische Fassade. Seit 1996 finden Präsidentschaftswahlen statt, die Déby mit Manipulation, Repression und Betrug stets für sich entschieden hat. Die Opposition errang lediglich in ihren regionalen Hochburgen Erfolge. Nach offiziellen Angaben gewann Déby auch die Präsidentschaftswahlen im April 2021. Über Palastrevolten innerhalb der ethnischen Gruppe der Zaghawa drang wenig nach außen. Eine Ausnahme war der Putschversuch der Brüder Erdimi, Débys Neffen, im Vorfeld der Verfassungsänderung von 2004.

Mehrmals versuchten tschadische Rebellenallianzen, den Präsidenten zu stürzen. Unter Idriss Déby gelang es den gut ausgebildeten Militär und Spezialeinheiten lange, bewaffnete Rebellionen politisch-militärischer Bewegungen vom Zentrum des Landes fernzuhalten. In Bedrängnis geriet die tschadische Regierung Anfang Februar 2019 beim Vormarsch der Union des forces de la résistance (UFR) von Libyen in Richtung der Hauptstadt N'Djamena. Zum zweiten Mal seit 2008 stellte sich Timan Erdimi, ein Neffe Débys, an die Spitze eines Umsturzversuchs.

Die Versuche wurden mit Unterstützung des französischen Militärs niedergeschlagen, das seit 1986 Militärbasen im Tschad unterhält. Nach dem Friedensschluss mit dem Sudan (2010) gelang zunächst eine weitgehende Befriedung der östlichen Grenze, die aber seit dem Beginn des Bürgerkriegs 2023 im Sudan wieder durchlässiger geworden ist. Auch im südlichen libysch-tschadischen Grenzgebiet haben sich seit dem Sturz Gaddafis (2011) wiederholt tschadische Rebellengruppen, wie die UFR oder zuletzt die FACT, gesammelt.

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Dr. Helga Dickow ist seit 1988 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Arnold-Bergstraesser-Institut. 1996 bis 1998 war sie am Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt, 1999 bis 2002 als Referatsleiterin beim Diakonischen Werk der EKD und von 2002 bis 2004 für die GTZ im Tschad tätig. Forschungsschwerpunkte: Zentrales und Südliches Afrika, Transformationsprozesse, ethnische und religiöse Konflikte, Evangelikale (Charismatische) Kirchen.