Aktuelle Konfliktsituation
Seit dem Putsch des Militärs am 18. August 2020 und 24. Mai 2021 befindet sich Mali offiziell in einer Übergangsphase. Übergangspräsident Colonel Assimi Goita leitet die Regierung, die zu einem Großteil mit Militärs besetzt ist. Eine zentrale Herausforderung bleibt die sich seit Jahren verschlechternde Sicherheitslage. Während zu Beginn der multidimensionalen Krise 2012 Rebellen- und islamistische Gruppen hauptsächlich im Norden des Landes aktiv waren, haben insbesondere letztere sich auch im Zentrum und teilweise auch im Süden des Landes etabliert. Angriffe auf Dörfer und ihre Bewohner und Bewohnerinnen sind dort an der Tagesordnung.
In der Folge trauen sich Menschen vielfach nicht, ihre Felder zu bestellen und zu Märkten zu fahren. Binnenflüchtlinge (ca. 400.000) aus dem Norden und dem Zentrum finden sich in den Regionalhauptstädten und der Hauptstadt Bamako.
Im Dezember 2023 beendete auf Bitte der Übergangsregierung die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA ihre Tätigkeit in Mali.
Grundsätzlich investiert die Übergangsregierung einen signifikanten Teil des Staatshaushaltes in die Stärkung und den Unterhalt der Armee. Hierdurch konnten zwar einige Erfolge im Kampf gegen islamistische Gruppen verzeichnet werden. Zugleich gibt es aber auch Hinweise auf massive Menschenrechtsverletzungen seitens der russischen Söldner und des malischen Militärs.
Am 18. Juni 2023 wurde eine neue Verfassung durch ein landesweites Referendum mit einer Wahlbeteiligung von 39,4 % angenommen.
Bereits mehrfach angekündigte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden mit Verweis auf den Übergangsprozess immer wieder verschoben. Auch die Präsidentschaftswahlen, die im Februar 2024 stattfinden sollten, wurden abgesagt, da laut Premierminister, Choguel Kokalla Maïga, dadurch die Integrität des Landes gefährdet würde.
Die innenpolitische Situation wird von einem sich zunehmend verengenden Raum für freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und politische Betätigung geprägt.
Die malische Übergangsregierung rechtfertigt ihr Vorgehen gegenüber regionalen und internationalen Partnern zunehmend mit einem starken Emanzipations- und Souveränitätsdiskurs.
Mali kündigte zudem im Januar 2024 das 2015 das „Friedensabkommen von Algier“ zwischen Rebellengruppen der Bewegungen Azawad und dem malischen Staat auf.
Ursachen und Hintergründe
Die nördlichen Regionen Malis sind seit der Unabhängigkeit (1960) nie vollständig vom Staat kontrolliert worden. Außerhalb der Hauptstadt und in den Provinzhauptstädten ist der Staat nur bedingt präsent. Die staatlichen Institutionen können bis heute in vielen Landesteilen nicht die Grundversorgung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wasser und Strom gewährleisten. Die verbreitete Frustration angesichts des Versagens des Staates auf allen Ebenen begünstigte die Ausbreitung bewaffneter Gruppen, die u.a. mit Schmuggel sowie Drogen- und Waffenhandel Einkommen generieren.
Aus Algerien verdrängte Terroristen fanden Rückzugsräume in den Regionen Kidal und Timbuktu, wo sie sich durch Nahrungsmittelversorgung, Geldzahlungen und Heiratsallianzen etablieren konnten. Aus Algerien und – nach dem Sturz von Gaddafi – auch aus Libyen kamen nicht nur Waffen, sondern auch die salafistische Auslegung des Islam nach Nordmali. Die Probleme wurden durch regionale Dürren zusätzlich verschärft, die vielen Viehhirten ihre Lebensgrundlage nahmen. Die Gefahr einer Teilung Malis ist nicht gebannt. Die Abwesenheit des Staates in vielen Regionen des Landes hat dazu geführt, dass Funktionen, wie Gerichtsbarkeit und Sicherheit, von außerstaatlichen Akteuren übernommen werden. Das gilt z.T. auch für islamistische Gruppen, allen voran der von Amadou Kouffa geführten „Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime“ (JNIM)
Der letzten demokratisch legitimierten Regierung unter Ministerpräsident Ibrahim Boubacar Keita, die von 2013 bis zum Putsch im August 2020 im Amt war, gelang es nicht, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Vielmehr entfernte sich die politische Klasse Malis immer weiter von den Bürgerinnen und Bürgern. Daraufhin putschten das malische Militär zweimal kurz hintereinander und brachte im Mai 2021 die aktuelle Übergangsregierung unter Colonel Assimi Goita an die Macht. Seit dem offiziellen Ende der Transition am 26. März 2024 sperrt sich die Übergangsregierung bislang gegen die Machtübergabe an demokratisch gewählte Institutionen.
Politische, ideologische und militärische Rückendeckung erhält die Übergangsregierung aus Russland. Durch die Annäherung an Moskau versucht sie, sich von ehemaligen Unterstützern, wie Frankreich, der EU und der UNO, unabhängig zu machen. Russland liefert mit Militärmaterial und Söldnern die Leistungen, die Bamako von der internationalen Gemeinschaft verwehrt wurden.
Abgesehen von begrenzten militärischen Erfolgen gelang es der Regierung bislang nicht, die sozio-ökonomischen Herausforderungen, wie steigende Lebensmittelpreise, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und nur sporadische Stromversorgung, auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Dies führt zu stetig wachsender Frustration innerhalb der Bevölkerung. Besonders groß und potenziell explosiv ist die Unzufriedenheit in der malischen Jugend. Die Probleme verlangen primär eine politische und sozio-ökonomische, keine militärische Antwort.
Bearbeitungs- und Lösungsansätze
Von 2013 bis 2023 stellten die Vereinten Nationen eine Friedensmission (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations unies pour la stabilisation au Mali – MINUSMA). Die Mission umfasste sowohl militärische als auch zivile Einheiten und Programme. Die Europäische Union war lange mit zwei Missionen im Land präsent: EU Capacity Building Mission in Mali (EUCAP Sahel Mali)
Der malische Friedensprozess auf der Grundlage des Friedensabkommens von Algier ist offiziell gescheitert. Die Aufkündigung durch die Übergangsregierung war für viele im Land nur noch ein letzter Sargnagel. Zwar waren inzwischen die administrativen Voraussetzungen für die Umsetzung des Abkommens und einige Reformen geschaffen worden, doch wurde die Gelegenheit für eine zügige, politische Umsetzung in den letzten Jahren vertan. Auch bei der Förderung guter Regierungsführung und im Kampf gegen Korruption, die im Friedensvertrag vorgesehen sind, ließen sich wenig Fortschritte feststellen. Das gilt ebenfalls für die Reform der dysfunktionalen staatlichen Verwaltung und Justiz.
Während des Abzugs der MINUSMA flammten die Kämpfe in den nordmalischen Regionen zwischen Rebellengruppen, die auch den Friedensvertrag unterzeichnet hatten, und der malischen Armee wieder verstärkt auf. Um die Lage zu beruhigen, initiierte die Übergangsregierung den „Inter-malischen Dialog“, der im ersten Halbjahr 2024 stattgefunden hat. Das Ergebnis sind über 300 Empfehlungen
Verlängerung der Übergangsphase
Dialog mit allen malischen bewaffneten Bewegungen,
Einführung eines nationalen Tags der Vergebung,
Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen,
Schaffung eines Rahmens für einen dauerhaften inner- und intergemeinschaftlichen Dialog,
Auflösung der Milizen und Selbstverteidigungsgruppen und soziale und berufliche Wiedereingliederung ihrer Kombattanten,
Nutzung traditioneller Formen und Bräuche als Mittel zur Prävention, Bewältigung und Lösung von Konflikten.
Mehrere Dutzend weiterer Empfehlungen wurden in den Bereichen Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung sowie Gestaltung des Übergangsprozesses und künftiger Wahlen erarbeitet.
Die Meinungen über den Dialog gehen auseinander. Während die breite Beteiligung gelobt wird, monieren Kritiker den Ausschluss von Parteien sowie die große Zahl sehr unterschiedlicher Vorschläge.
Auch die im Juni 2023 angenommene neue Verfassung wird von der Übergangsregierung als wichtiger Schritt zur Einigung und Befriedung des Landes gefeiert. Kritiker sehen darin die politische Agenda der Militärs, die u.a. darauf abzielt, die Rechte des Präsidenten zu stärken, die Putschisten vor rechtlicher Strafverfolgung zu schützen und die Kandidatur von Militärmitgliedern bei Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen.
Geschichte des aktuellen Konflikts
Mit mehreren Friedensabkommen wurde versucht, die Basis für einen Friedensprozess mit den Tuareg im Norden zu schaffen und die verschiedenen Teile des Landes und Bevölkerungsgruppen einander näher zu bringen – bisher jedoch ohne großen Erfolg. Die Rebellionen der Tuareg, die 1963 begannen, traten immer wieder in Zyklen auf (1990, 1994-2000, 2006 und 2012) und insbesondere dann, wenn der malische Staat eine Krise oder einen Transformationsprozess durchmachte.
Am 21. März 2012 putschten in der Hauptstadt Bamako Einheiten der malischen Armee gegen die Regierung von Amadou Toumani Touré. Vorausgegangen war eine erneute Revolte, bei der die Tuareg Waffen einsetzten, die sie nach dem Sturz Gaddafis aus libyschen Waffenlagern geraubt hatten. Die Nationale Bewegung zur Befreiung des Awazad (MNLA) nutzte das nach dem Putsch entstandene Machtvakuum, um am 6. April 2012 den unabhängigen Tuareg-Staat in der nördlichsten Region Malis auszurufen. Innerhalb kürzester Zeit eroberte die MNLA wichtigen Städte des Nordens Kidal, Gao und Timbuktu. Die eher säkular ausgerichtete MNLA verlor jedoch schnell ihren Einfluss an die islamistisch-dschihadistische Gruppen „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQMI) und „Ansar Dine“ („Verteidiger des Glaubens“) und zog sich auf ihre Hochburg Kidal zurück.
Auf Drängen Frankreichs verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 20. Dezember 2012 die Resolution 2085, die ab Herbst 2013 eine afrikanisch geführte Militärmission vorsah. Als jedoch islamistische Gruppen – AQMI und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO)