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Mali | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Mali

Svenja Bode

/ 10 Minuten zu lesen

Die malische Militärregierung hat mit der Beendigung der UN-Friedensmission, dem angekündigten Austritt aus der Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Aufkündigung des Friedensvertrags von Algier einen radikalen Kurswechsel vollzogen. Doch bislang kann sie lediglich begrenzte militärische Erfolge vorweisen.

Verteidigungsminister Boris Pistorius und Svenja Schulze (v.l.), Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, bei einem Treffen mit General Assimi Goita, Präsident von Mali im April 2023. (© picture-alliance/dpa)

Aktuelle Konfliktsituation

Seit dem Putsch des Militärs am 18. August 2020 und 24. Mai 2021 befindet sich Mali offiziell in einer Übergangsphase. Übergangspräsident Colonel Assimi Goita leitet die Regierung, die zu einem Großteil mit Militärs besetzt ist. Eine zentrale Herausforderung bleibt die sich seit Jahren verschlechternde Sicherheitslage. Während zu Beginn der multidimensionalen Krise 2012 Rebellen- und islamistische Gruppen hauptsächlich im Norden des Landes aktiv waren, haben insbesondere letztere sich auch im Zentrum und teilweise auch im Süden des Landes etabliert. Angriffe auf Dörfer und ihre Bewohner und Bewohnerinnen sind dort an der Tagesordnung.

In der Folge trauen sich Menschen vielfach nicht, ihre Felder zu bestellen und zu Märkten zu fahren. Binnenflüchtlinge (ca. 400.000) aus dem Norden und dem Zentrum finden sich in den Regionalhauptstädten und der Hauptstadt Bamako. Die regionale Vernetzung der terroristischen Gruppen Jama’a Nusrat ul-Islam wa al-Muslimin (JNIM) und des Islamischen Staats im Sahel bringt Unsicherheit in die Nachbarstaaten Niger und Burkina Faso sowie in die nördlichen Teile der Küstenstaaten Westafrikas. Ein größerer Destabilisierungseffekt für die ganze Region ist nicht mehr auszuschließen.

Im Dezember 2023 beendete auf Bitte der Übergangsregierung die UN-Stabilisierungsmission MINUSMA ihre Tätigkeit in Mali. Bereits im Prozess der Abwicklung der Mission und der Übergabe von Militärstützpunkten an das malische Militär (FAMa) kam es in der Region Kidal zu Kämpfen zwischen Gruppen von Aufständischen und der FAMa um die ehemaligen UN-Stützpunkte. Im November 2023 konnte das malische Militär die Regionalhauptstadt Kidal nach längeren Kämpfen einnehmen. Dabei wurde es von russischen Kräften unterstützt. Die Einnahme wird von der Übergangsregierung als großer Erfolg bei der Etablierung der territorialen Integrität und Souveränität gewertet.

Grundsätzlich investiert die Übergangsregierung einen signifikanten Teil des Staatshaushaltes in die Stärkung und den Unterhalt der Armee. Hierdurch konnten zwar einige Erfolge im Kampf gegen islamistische Gruppen verzeichnet werden. Zugleich gibt es aber auch Hinweise auf massive Menschenrechtsverletzungen seitens der russischen Söldner und des malischen Militärs. Trotz der hohen Investitionen in das Militär und der erzielten Erfolge wird die schlechte Sicherheitslage laut der jährlich durchgeführten Bevölkerungsbefragung der Friedrich-Ebert-Stiftung weiterhin als größte Herausforderung bezeichnet.

Am 18. Juni 2023 wurde eine neue Verfassung durch ein landesweites Referendum mit einer Wahlbeteiligung von 39,4 % angenommen. Das Referendum wurde kritisiert, weil es nicht im gesamten Staatsgebiet durchgeführt wurde. So konnte in der Region Kidal, die zu dem Zeitpunkt noch nicht unter staatlicher Kontrolle stand, nicht abgestimmt werden. Vertreter politischer Parteien und der Zivilgesellschaft warfen der Regierung zudem die Manipulation der Abstimmung vor.

Bereits mehrfach angekündigte Parlaments- und Präsidentschaftswahlen wurden mit Verweis auf den Übergangsprozess immer wieder verschoben. Auch die Präsidentschaftswahlen, die im Februar 2024 stattfinden sollten, wurden abgesagt, da laut Premierminister, Choguel Kokalla Maïga, dadurch die Integrität des Landes gefährdet würde. Wahlen sollen deshalb erst nach der endgültigen Stabilisierung des Landes abgehalten werden.

Die innenpolitische Situation wird von einem sich zunehmend verengenden Raum für freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit und politische Betätigung geprägt. So wurden im Vorfeld des „Inter-malischen Dialogs“ alle politischen Parteien sowie alle politischen Aktivitäten suspendiert. Die Suspendierung wurde zwar wieder aufgehoben – sie belegt gleichwohl die wachsende Bereitschaft der Übergangsregierung, bürgerliche Freiheiten einzuschränken. Ein Beispiel dafür ist das neue „Cyberkriminalitätsgesetz“, das bereits mehrmals angewendet wurde, um politische Stimmen zum Schweigen zu bringen.

Die malische Übergangsregierung rechtfertigt ihr Vorgehen gegenüber regionalen und internationalen Partnern zunehmend mit einem starken Emanzipations- und Souveränitätsdiskurs. Sie beschloss mehrere öffentlichkeitswirksame Maßnahmen, um sich von einer aus ihrer Sicht zu starken äußeren Einflussnahme zu befreien. Hierzu gehört u.a. die Beendigung von MINUSMA. Doch hat sich dadurch nicht nur die Sicherheitssituation im Land weiter verschärft, zugleich ist auch ein gewichtiger Wirtschaftsfaktor weggebrochen und rd. 900 malische Ortskräfte haben ihre Arbeit verloren. Dienstleister für MINUSMA und ehemals Angestellte bei international Beschäftigten leiden ebenfalls unter dem Abzug.

Mali kündigte zudem im Januar 2024 das 2015 das „Friedensabkommen von Algier“ zwischen Rebellengruppen der Bewegungen Azawad und dem malischen Staat auf. Nach dem Abzug von MINUSMA waren die Kämpfe zwischen den Vertragsparteien wieder aufgeflammt, weshalb die Regierung das Abkommen als faktisch gescheitert bezeichnete. Schließlich kündigte sie fast zeitgleich mit den Nachbarstaaten Burkina Faso und Niger den Austritt aus der regionalen Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS an. Dies könnte sowohl Auswirkungen auf die Visafreiheit in der Region als auch auf die wirtschaftlichen Beziehungen zu den ECOWAS-Staaten haben. Die drei Sahel-Staaten hatten bereits im September 2023 und zuletzt auf ihrem ersten Gipfeltreffen im Juli 2024 im Rahmen der neugegründeten „Allianz der Sahelstaaten“ eine stärkere Zusammenarbeit in den Bereichen Verteidigung, Terrorismusbekämpfung sowie Wirtschaft und Kultur beschlossen.

Ursachen und Hintergründe

Die nördlichen Regionen Malis sind seit der Unabhängigkeit (1960) nie vollständig vom Staat kontrolliert worden. Außerhalb der Hauptstadt und in den Provinzhauptstädten ist der Staat nur bedingt präsent. Die staatlichen Institutionen können bis heute in vielen Landesteilen nicht die Grundversorgung in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Wasser und Strom gewährleisten. Die verbreitete Frustration angesichts des Versagens des Staates auf allen Ebenen begünstigte die Ausbreitung bewaffneter Gruppen, die u.a. mit Schmuggel sowie Drogen- und Waffenhandel Einkommen generieren.

Aus Algerien verdrängte Terroristen fanden Rückzugsräume in den Regionen Kidal und Timbuktu, wo sie sich durch Nahrungsmittelversorgung, Geldzahlungen und Heiratsallianzen etablieren konnten. Aus Algerien und – nach dem Sturz von Gaddafi – auch aus Libyen kamen nicht nur Waffen, sondern auch die salafistische Auslegung des Islam nach Nordmali. Die Probleme wurden durch regionale Dürren zusätzlich verschärft, die vielen Viehhirten ihre Lebensgrundlage nahmen. Die Gefahr einer Teilung Malis ist nicht gebannt. Die Abwesenheit des Staates in vielen Regionen des Landes hat dazu geführt, dass Funktionen, wie Gerichtsbarkeit und Sicherheit, von außerstaatlichen Akteuren übernommen werden. Das gilt z.T. auch für islamistische Gruppen, allen voran der von Amadou Kouffa geführten „Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime“ (JNIM), die bereits mehrfach zwischen rivalisierenden Dörfern vermittelt hat.

Der letzten demokratisch legitimierten Regierung unter Ministerpräsident Ibrahim Boubacar Keita, die von 2013 bis zum Putsch im August 2020 im Amt war, gelang es nicht, das Vertrauen der Bevölkerung zurückzugewinnen. Vielmehr entfernte sich die politische Klasse Malis immer weiter von den Bürgerinnen und Bürgern. Daraufhin putschten das malische Militär zweimal kurz hintereinander und brachte im Mai 2021 die aktuelle Übergangsregierung unter Colonel Assimi Goita an die Macht. Seit dem offiziellen Ende der Transition am 26. März 2024 sperrt sich die Übergangsregierung bislang gegen die Machtübergabe an demokratisch gewählte Institutionen.

Politische, ideologische und militärische Rückendeckung erhält die Übergangsregierung aus Russland. Durch die Annäherung an Moskau versucht sie, sich von ehemaligen Unterstützern, wie Frankreich, der EU und der UNO, unabhängig zu machen. Russland liefert mit Militärmaterial und Söldnern die Leistungen, die Bamako von der internationalen Gemeinschaft verwehrt wurden. Um sein Engagement abzusichern, versucht Russland, durch Beiträge in sozialen Medien, wie Tik Tok und Facebook, in Mali und der Sahel-Region eine russlandfreundliche Stimmung zu fördern.

Abgesehen von begrenzten militärischen Erfolgen gelang es der Regierung bislang nicht, die sozio-ökonomischen Herausforderungen, wie steigende Lebensmittelpreise, anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und nur sporadische Stromversorgung, auch nur annähernd in den Griff zu bekommen. Dies führt zu stetig wachsender Frustration innerhalb der Bevölkerung. Besonders groß und potenziell explosiv ist die Unzufriedenheit in der malischen Jugend. Die Probleme verlangen primär eine politische und sozio-ökonomische, keine militärische Antwort.

Bearbeitungs- und Lösungsansätze

Von 2013 bis 2023 stellten die Vereinten Nationen eine Friedensmission (Mission multidimensionnelle intégrée des Nations unies pour la stabilisation au Mali – MINUSMA). Die Mission umfasste sowohl militärische als auch zivile Einheiten und Programme. Die Europäische Union war lange mit zwei Missionen im Land präsent: EU Capacity Building Mission in Mali (EUCAP Sahel Mali) und European Union Training Mission in Mali (EUTM Mali). Letztere wurde im Mai 2024 ebenfalls offiziell beendet.

Der malische Friedensprozess auf der Grundlage des Friedensabkommens von Algier ist offiziell gescheitert. Die Aufkündigung durch die Übergangsregierung war für viele im Land nur noch ein letzter Sargnagel. Zwar waren inzwischen die administrativen Voraussetzungen für die Umsetzung des Abkommens und einige Reformen geschaffen worden, doch wurde die Gelegenheit für eine zügige, politische Umsetzung in den letzten Jahren vertan. Auch bei der Förderung guter Regierungsführung und im Kampf gegen Korruption, die im Friedensvertrag vorgesehen sind, ließen sich wenig Fortschritte feststellen. Das gilt ebenfalls für die Reform der dysfunktionalen staatlichen Verwaltung und Justiz.

Während des Abzugs der MINUSMA flammten die Kämpfe in den nordmalischen Regionen zwischen Rebellengruppen, die auch den Friedensvertrag unterzeichnet hatten, und der malischen Armee wieder verstärkt auf. Um die Lage zu beruhigen, initiierte die Übergangsregierung den „Inter-malischen Dialog“, der im ersten Halbjahr 2024 stattgefunden hat. Das Ergebnis sind über 300 Empfehlungen, darunter z.B.:

  • Verlängerung der Übergangsphase

  • Dialog mit allen malischen bewaffneten Bewegungen,

  • Einführung eines nationalen Tags der Vergebung,

  • Rückkehr von Flüchtlingen und Vertriebenen,

  • Schaffung eines Rahmens für einen dauerhaften inner- und intergemeinschaftlichen Dialog,

  • Auflösung der Milizen und Selbstverteidigungsgruppen und soziale und berufliche Wiedereingliederung ihrer Kombattanten,

  • Nutzung traditioneller Formen und Bräuche als Mittel zur Prävention, Bewältigung und Lösung von Konflikten.

Mehrere Dutzend weiterer Empfehlungen wurden in den Bereichen Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung sowie Gestaltung des Übergangsprozesses und künftiger Wahlen erarbeitet.

Die Meinungen über den Dialog gehen auseinander. Während die breite Beteiligung gelobt wird, monieren Kritiker den Ausschluss von Parteien sowie die große Zahl sehr unterschiedlicher Vorschläge. Eine Priorisierung wird z.Z. auf Regierungsebene vorgenommen. Inwieweit die Empfehlungen umgesetzt werden und zur Befriedung des Landes beitragen werden, ist noch offen.

Auch die im Juni 2023 angenommene neue Verfassung wird von der Übergangsregierung als wichtiger Schritt zur Einigung und Befriedung des Landes gefeiert. Kritiker sehen darin die politische Agenda der Militärs, die u.a. darauf abzielt, die Rechte des Präsidenten zu stärken, die Putschisten vor rechtlicher Strafverfolgung zu schützen und die Kandidatur von Militärmitgliedern bei Präsidentschaftswahlen zu ermöglichen.

Geschichte des aktuellen Konflikts

Mit mehreren Friedensabkommen wurde versucht, die Basis für einen Friedensprozess mit den Tuareg im Norden zu schaffen und die verschiedenen Teile des Landes und Bevölkerungsgruppen einander näher zu bringen – bisher jedoch ohne großen Erfolg. Die Rebellionen der Tuareg, die 1963 begannen, traten immer wieder in Zyklen auf (1990, 1994-2000, 2006 und 2012) und insbesondere dann, wenn der malische Staat eine Krise oder einen Transformationsprozess durchmachte.

Am 21. März 2012 putschten in der Hauptstadt Bamako Einheiten der malischen Armee gegen die Regierung von Amadou Toumani Touré. Vorausgegangen war eine erneute Revolte, bei der die Tuareg Waffen einsetzten, die sie nach dem Sturz Gaddafis aus libyschen Waffenlagern geraubt hatten. Die Nationale Bewegung zur Befreiung des Awazad (MNLA) nutzte das nach dem Putsch entstandene Machtvakuum, um am 6. April 2012 den unabhängigen Tuareg-Staat in der nördlichsten Region Malis auszurufen. Innerhalb kürzester Zeit eroberte die MNLA wichtigen Städte des Nordens Kidal, Gao und Timbuktu. Die eher säkular ausgerichtete MNLA verlor jedoch schnell ihren Einfluss an die islamistisch-dschihadistische Gruppen „Al-Qaida im Islamischen Maghreb“ (AQMI) und „Ansar Dine“ („Verteidiger des Glaubens“) und zog sich auf ihre Hochburg Kidal zurück.

Auf Drängen Frankreichs verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 20. Dezember 2012 die Resolution 2085, die ab Herbst 2013 eine afrikanisch geführte Militärmission vorsah. Als jedoch islamistische Gruppen – AQMI und die Bewegung für Einheit und Dschihad in Westafrika (MUJAO) – in den Süden Malis vorrückten und die Hauptstadt Bamako bedrohten, griff Frankreich mit der Militäroperation „Serval“ auf Bitte von Interimspräsident Traoré im Januar 2013 ein. Französische Verbände und tschadische Elitetruppen befreiten die besetzten Städte, töteten viele islamistische Kämpfer oder trieben sie in die Berge des Nordens oder in die Nachbarstaaten. Es gelang ihnen jedoch nicht, sie dauerhaft zu besiegen. Von 2014 bis 2022 war neben der MINUSMA auch die französische Antiterror-Operation „Barkhane“ im Norden Malis präsent.

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ist Leiterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali. Sie studierte Politikwissenschaften und Friedens- und Konfliktforschung und arbeitet seit 2018 bei der FES. Zunächst war sie Projektassistentin im Auslandsbüro der FES in Tunesien, bevor sie als Referentin im MONA-Referat, zuständig für Nordafrika, arbeitete.