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Meinung: Militärische Intervention in Libyen ist grundsätzlich zu begrüßen | Kriege und Konflikte | bpb.de

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Meinung: Militärische Intervention in Libyen ist grundsätzlich zu begrüßen

Hans-Joachim Heintze

/ 5 Minuten zu lesen

War die Libyen Intervention richtig? Hans-Joachim Heintze ist davon überzeugt, dass es ein Fortschritt ist, wenn die Staatengemeinschaft ihre Augen nicht verschließt vor massiven Menschenrechtsverletzungen. Und zum Schutz der Bevölkerung auch Gewalt anwendet.

Feiernde Menschen in Bengasi: Am 23. Oktober erklärte der Übergangsrat Libyen für befreit. (© picture-alliance/AP)

Im Frühjahr 2011 entwickelte sich in Libyen nach der gewaltsamen Niederschlagung der politischen Proteste gegen das Gaddafi-Regime eine Bewegung, die mit militärischen Mitteln die Herrschaft Gaddafis beenden wollte. Die Auseinandersetzungen spitzten sich im März zu, als die Regierungstruppen sich auf die Eroberung der Rebellenhochburg Bengasi vorbereiteten. Nachdem der Aufruf von UN-Generalsekretär, Ban Ki-Moon, zur Feuereinstellung und Versuche einer diplomatischen Lösung erfolglos blieben, verabschiedete der Sicherheitsrat am 26. Februar 2011 die Resolution 1970. Darin wurde die libysche Regierung zur Einhaltung der Menschenrechte aufgefordert. Außerdem wurde der Sachverhalt an den Internationalen Strafgerichtshof überwiesen, der ermitteln sollte, ob die libysche Führung Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat. Zugleich wurden nicht-militärische Sanktionen ausgesprochen, die ein rechtstreues Verhalten erzwingen sollten.

Diese Maßnahmen erwiesen sich als zu schwach, denn der Konflikt spitzte sich zu, und immer mehr Opfer waren zu beklagen. Es liegt in der Logik der UN-Charta, dass nun schwerwiegende Sanktionen, und zwar militärische, ergriffen werden mussten. Dies geschah am 17. März 2011 mit der Resolution 1973. Sie ermächtigte die Mitgliedsstaaten, die dieses Vorgehen dem UN-Generalsekretär notifizierten, "alle notwendigen Maßnahmen" zu ergreifen, um von Angriffen bedrohte Zivilpersonen und von der Zivilbevölkerung bewohnte Gebiete zu schützen. Das Kommando der Militäraktion wurde schließlich von der NATO übernommen. Ihr Auftrag war der Schutz von Zivilisten vor Gewalt, welche sich gegen ihr Leben oder ihre Gesundheit richtet. Dabei macht die Resolution keinerlei Unterschiede bezüglich der Angreifer. Der Schutzauftrag konnte also sowohl gegen Truppen des Gaddafi-Regimes als auch gegen die Aufständischen durchgesetzt werden.

Das UN-Menschenrechtsregime

Libyen ist seit den 1970er Jahren ein Mitgliedsstaat der UN-Menschenrechtsverträge. Doch obwohl es in den vergangenen Jahrzehnten in Libyen zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, hat das Regime die Hinweise des Menschenrechtsausschusses nicht berücksichtigt. Solche Beispiele wurden und werden als Beleg dafür angesehen, dass der völkerrechtliche Menschenrechtsschutz keine "Zähne" habe.

Gleichwohl gibt es durchaus völkerrechtliche Mechanismen zur Durchsetzung der Menschenrechte. Der erste führt über den UN-Menschenrechtsrat, ein aus 47 Staaten bestehendes Organ der UN-Generalversammlung, das sich mit der Kodifizierung der Menschenrechte und der Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen befasst. In ihm sollen Staaten vertreten sein, die eine positive Bilanz bei der Beachtung der Menschenrechte aufweisen können, die von den Staaten ihrer Region nominiert und durch die UN-Generalversammlung gewählt wurden.

Prof. Dr. iur. Hans-Joachim Heintze (© Hans-Joachim Heintze)

Der Menschenrechtsrat soll Menschenrechtsverletzungen durch die Verabschiedung einer Resolution verurteilen und den betroffenen Staat zur Rechtstreue aufrufen. Allerdings ist das ein politisches Instrumentarium. Konkret bedeutet das, dass eine Resolution nur zustande kommt, wenn ein Staat die Initiative ergreift und sich eine Zweidrittel-Mehrheit findet. Das ist der Grund dafür, dass z.B. weder die USA für Guantanamo noch China für Tibet oder Russland für Tschetschenien verurteilt wurden. Hinzu kommt, dass diese Resolutionen rechtlich nicht bindend sind. Bei wiederholten Rechtsverletzungen kann der Menschenrechtsrat einen Spezialberichterstatter einsetzen, der alle Informationen bezüglich eines Staates sammelt und verifiziert; für den betroffenen Staat bedeutet dies einen erheblichen Gesichtsverlust, denn das "naming and shaming" (öffentliches Anprangern) ramponiert ihre Reputation.

Im Falle Libyens, das selbst dem Menschenrechtsrat angehörte, wurden diese politischen Mechanismen nicht angewendet, obwohl es dort systematisch zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Tripolis hat sich das Wohlverhalten zahlreicher afrikanischer Regierungen großzügig erkauft. Auch westliche Staaten waren überwiegend an guten Beziehungen zum Gaddafi-Clan interessiert. Diese politischen Gründe für die Aushebelung des UN-Menschenrechtsregimes kann man allerdings nicht dem Völkerrecht anlasten; es hätte sehr wohl die Möglichkeit zur Verurteilung von libyschen Rechtsverletzungen geboten.

Erzwingung rechtstreuen Verhaltens bei Bedrohung des regionalen Friedens

Im Frühjahr 2011 erreichten die Menschenrechtsverletzungen des Gaddafi-Regimes eine neue Dimension. Da die Verbrechen das Völkerrecht verletzten, begründeten sie eine Rechtsbeziehung zwischen dem Verletzerstaat und der Staatengemeinschaft als Ganzes. Es handelt sich daher nicht um eine innere Angelegenheit Libyens, in die sich andere Staaten nicht einmischen dürfen. Vielmehr sind diese berechtigt, von dem Verletzerstaat ein rechtstreues Verhalten zu erzwingen. Da Menschenrechtsverletzungen dieser Dimension eine Bedrohung des regionalen Friedens darstellen, kann die Staatengemeinschaft auch das Organ, das die Verantwortung für die Aufrechterhaltung des internationalen Friedens trägt – den UN-Sicherheitsrat – mit solchen Verletzungen befassen.

Es gehört zu den großen Errungenschaften der Zeit nach dem Kalten Krieg, dass der UN-Sicherheitsrat sich mehrfach mit Menschenrechtsverletzungen in Mitgliedsstaaten befasst hat. Damit wurden die Menschenrechte erstmals tatsächlich erzwungen, und zwar im Wege der Anwendung von Sanktionen. Dies funktioniert folgendermaßen: Der Sicherheitsrat stellt nach Art. 39 UN-Charta fest, dass ein bestimmtes Verhalten eine Bedrohung des Friedens darstellt. Klassischerweise war dies nur dann der Fall, wenn es zu zwischenstaatlichen Konflikten kam.

Nach 1990 wurden durch den Sicherheitsrat zunehmend auch Menschenrechtsverletzungen als Bedrohungen des Friedens angesehen, ohne dass sie mit zwischenstaatlichen bewaffneten Auseinandersetzungen einhergingen. Dies hat erhebliche Konsequenzen, denn der Sicherheitsrat hat die Verpflichtung, den internationalen Frieden zu garantieren. Wenn nach seiner Auffassung der Weltfrieden gefährdet ist, muss der Rat nach Art. 41 UN-Charta nichtmilitärische Zwangsmaßnahmen gegen den Friedensstörer ergreifen. Wenn diese nicht zum erwünschten Ergebnis führen, muss er militärische Maßnahmen ergreifen, so dass die Friedensgefährdung oder -verletzung überwunden wird.

Der Rat hat sich bezüglich des früheren Jugoslawien (1992 ff.), Somalia (1992), Haitis (1994), Ruandas (1994), Osttimor (1999), Sierra Leone (1999), Kongo (2003), Liberia (2003), Elfenbeinküste 2002), Haiti (2004), Burundi (2004) und Sudan (2006) zu der Einschätzung durchgerungen, dass Menschenrechtsverletzungen eine friedensgefährdende Dimension haben und folglich dagegen mit humanitären Interventionen vorgegangen werden muss. Dies ist zweifellos ein gewaltiger zivilisatorischer Fortschritt, denn damit wurde anerkannt, dass die Überwindung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit eine Aufgabe der gesamten Staatengemeinschaft ist.

Allerdings ist die Entscheidung zum militärischen Vorgehen gegen die Rechtsverletzer nach wie vor ein politischer Akt, denn der Sicherheitsrat ist ein politisches Organ und kein rechtliches. In der Folge entstanden sehr widersprüchliche Situationen. So bezeichnete der Rat 1999 die Situation im Kosovo mit der Resolution 11 zwar als Bedrohung des Friedens, konnte sich aber dennoch nicht zu einem militärischen Vorgehen entschließen, da Russland für den Fall ein Veto androhte. Um eine humanitäre Katastrophe abzuwenden, entschloss sich die NATO unter Verletzung des völkerrechtlichen Gewaltverbots einseitig und ohne ein Mandat der UNO zur Gewaltanwendung gegenüber Serbien. Sie rechtfertigte dies mit der Verpflichtung zum Schutz der Opfer gegen Rechtsverletzungen.

Dies rief viele Diskussionen hervor und führte schließlich 2004 zur Herausbildung des Konzepts der "Schutzverantwortung" (Responsibility to Protect). Demnach soll die dem souveränen Einzelstaat obliegende Schutzverantwortung gegenüber den eigenen Einwohnern dann auf die Staatengemeinschaft übergehen, wenn der betroffene Staat nicht willens oder in der Lage ist, gegen Menschlichkeitsverbrechen vorzugehen. Freilich handelte es sich dabei anfangs nur um ein theoretisches Konzept von einigen ehemaligen Staats- und Regierungschefs, die das Völkerrecht an die modernen Erfordernisse des Menschenrechtsschutzes anpassen wollten. Doch nach und nach fand das Konzept auch Eingang in die Dokumente der UNO – so z.B. in das 2005 vom UNO-Weltgipfel verabschiedete Dokument "World Summit Outcome". Allerdings entfaltet die bloße Nennung des Konzepts in den rechtlich unverbindlichen Resolutionen der UN-Generalversammlung noch keine Bindungswirkung.

Fazit

Mit der Resolution 1973 vom 17.03.2011 bekannte sich der Sicherheitsrat zur Schutzverantwortung der internationalen Gemeinschaft gegenüber der libyschen Zivilbevölkerung mit dem Ziel, anhaltende Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen zu unterbinden. Von Bedeutung ist weiterhin, dass die Intervention auch von den Regionalorganisationen – Afrikanische Union und Arabische Liga – ausdrücklich gefordert wurde. Es ist ein Fortschritt, wenn die Staatengemeinschaft nicht länger die Augen vor massiven Menschenrechtsverletzungen verschließt. Deshalb sind die Resolution 1973 und die militärische Intervention zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung grundsätzlich zu begrüßen.

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Prof. Dr. iur. Hans-Joachim Heintze lehrt Völkerrecht am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Ruhr-Universität Bochum.Externer Link: http://www.ruhr-uni-bochum.de