Seit 2007 betreibt Dr. Carmen Becker von der Radboud Universität Nimwegen bereits die Feldforschung mit Salafisten in den Niederlanden. Die Entwicklungen dort sind gerade in den vergangenen Jahren stark vergleichbar mit den Entwicklungen des Salafismus in Deutschland. Allerdings haben sich die niederländischen Forschungen schon wesentlich früher mit dem Thema beschäftigt, wie Becker in ihrem Vortrag deutlich machte. Dort ist man heute in der Lage, genauer zwischen den unterschiedlichen Strömungen innerhalb des Salafismus zu unterscheiden.
Der Durchbruch gelang dem Salafismus in den 1980er- und 1990er-Jahren. Durch transnationale Netzwerke, Moscheen, Schulen und Studienzirkel etablierten sich die Salafisten in den Niederlanden. Die bekannten Persönlichkeiten der Anfangszeit waren Ahmed Cheppih, der die erste salafistische Moschee der Niederlande in Eindhoven gründete, und Ahmad Salam, der dort Iman wurde und eine eindeutig salafistische Ideologie vertrat. "Durch Diskussionen über den Golfkrieg und später die Anschläge auf das World Trade Center kam es zu einer Spaltung der Szene in Selefies und Hizbies", erklärte Becker. Während die Selefies eine quietistische Richtung einschlugen und sich aus politischen Entscheidungen herauszogen, waren die Hizbies aktivistischer und versuchten, politischen Einfluss zu erlangen.
In der Folge entstanden zusätzliche salafistische Zentren, wie etwa die Moscheen in Tilburg, Den Haag oder Amsterdam. Bis 2010/11 wuchs diese Bewegung, das quietistische Netzwerk blieb aufgrund interner Fragmentierungen jedoch relativ klein. Prägend für die frühe Debatte war der Mord am Regisseur Theo van Gogh im November 2004 durch das Hofstad-Netzwerk, einer abgesonderten radikalen Gruppe. "Salafistische Prediger nahmen deutlich Abstand vom Hofstad-Netzwerk", sagte Becker. "Ähnlich wie in Deutschland sind ab 2011 aber neue Aktivisten in den Vordergrund gerückt, die einen sehr konfrontativen Stil pflegen", erklärte Becker. "Sharia4Holland" lautet das Netzwerk, dass mit Demonstrationen beispielsweise gegen das diskutierte Verschleierungsverbot auf sich aufmerksam machte. Dieses Netzwerk unterstützt heute mutmaßlich auch Dschihad-Kämpfer für Syrien.
Als aktuelle salafistische „Drehscheiben" nannte die Politik- und Islamwissenschaftlerin die As Soennah Moschee in Den Haag, die El Tawheed Moschee in Amsterdam, die Al Fourkaan Moschee in Eindhoven sowie das Selefie-Netzwerk. Die genaue Zahl der Salafisten in den Niederlanden sei schwierig zu beziffern, da es nur wenig konkrete Erkenntnisse gebe. "Untersuchungen der Universität Amsterdam zeigen, dass acht bis zehn Prozent der Muslime in den Niederlanden zur ultra-orthodoxen islam-salafistischen Prägung neigen", betont Becker. 130 junge Muslime seien nach Syrien ausgereist, darunter auch viele junge Mädchen im Alter von 15-20 Jahren. Bis zu 30 Dschihad-Kämpfer sind bislang wieder zurückgekehrt. "Sie stellen keine konkrete Bedrohung für die Niederlande dar, aber die Vorsicht bei den Behörden ist trotzdem groß", so Becker.
Als Gefahren für das Land nannte Becker die Bildung einer Parallelgesellschaft mit salafistischer Prägung sowie die Verdrängung von nicht-salafistischen Strömungen innerhalb der muslimischen Gesellschaft. Um dem entgegenzuwirken wurde 2005 der Nationale Koordinator Terrorismusbekämpfung (NCTb) gegründet, der später in Nationaler Koordinator Terrorismusbekämpfung und Sicherheit (NCTV) umbenannt wurde. "Die Gefahr, die von Syrien-Rückkehrern ausgeht, soll durch ein strenges Monitoring und strafrechtliche Verfolgung gebannt werden", so Becker. "Damit sollen die Aktivisten zermürbt werden." Aber auch die Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern und Sozialarbeiterinnen, mit Eltern von „Syrienkämpfern" und einflussreichen Predigern gehört zur Prävention. "Den größten Einfluss haben aber anti-salafistische Muslime, die nicht offensichtlich mit Behörden zusammenarbeiten und sich aktiv im Internet gegen Salafismus aussprechen."
In der Diskussion nach Ende des Vortrags kam die Frage auf, wie sehr die Salafisten in den Niederlanden und in Deutschland verbunden sind. "Es gibt übergreifende Netzwerke, deutliche Verbindungen", erklärte Becker. Die Unterschiede in der öffentlichen Diskussion in beiden Ländern sieht die Islamwissenschaftlerin vor allem in der Differenzierung. "Die Behörden in den Niederlanden richten ihren Blick besonders auf bestimmte Netzwerke, nicht auf den Salafismus insgesamt. Eine solche Differenzierung ist aus meiner Sicht erfolgsversprechender", so Becker.