„Seit dem 11. September 2001 hat der Islamismus ´ne ganz steile Karriere hingelegt – ganz großer Aufstieg!“, bewunderte Fatih Çevikkollu, Kabarettist aus Köln, gewohnt sarkastisch die aktuellen Entwicklungen rund um das Phänomen Islamismus. Sein
Ein Fokus, der sich durch das gesamte Programm zog, lag dabei auf der "Glokalität" islamistischer Entwicklungen, wie wir sie heute erleben. So betonte
Woher dieser Ausdifferenzierung unter islamistischen Organisationen "vom Reform-Islam zum internationalen Dschihadismus" rührte, analysierte
Aussagen über Trends nach dem Arabischen Frühling seien dagegen durchaus möglich. Laut
Diese Interpretation teilte er mit Dr. Elisabeth Kendall, die an der anschließenden Podiumsdiskussion unter dem Titel
Bei der Analyse von Twitteraktivitäten des al-Qaida-Ablegers im Jemen analysierte sie, dass nur drei Prozent der Tweets kriegerische Handlungen und Strafen thematisierten, sich dagegen aber 13 Prozent mit Feierlichkeiten und über 50 Prozent aller Tweets mit gesellschaftlichen Entwicklungsprojekten wie beispielsweise Straßenbau befassten. Über die Erkenntnis, dass Islamistinnen und Islamisten, darunter nicht nur Anhängerinnen und Anhänger des militanten Dschihadismus, sondern vor allem auch den Muslimbrüdern nahestehende politische Parteien, nach 2011 an großer Bedeutung gewonnen haben, waren sich die Podiumsteilnehmenden weitestgehend einig. Die Frage, wie mit dem Aufstieg dieser Parteien umgegangen werden solle, sorgte dagegen für kontroverse Diskussionen sowohl auf dem Podium als auch im Publikum. So sprach sich Hamid für "Demokratie mit einem kleinen d" aus und kritisierte, dass Demokratie zu oft nur in Verbindung mit Liberalismus gedacht werde. Demokratie bedeute für ihn jedoch nicht "das Richtige" zu wählen, sondern das Recht zu haben, auch etwas "Falsches", wie beispielsweise islamistische Parteien, zu wählen. Diab zweifelte dagegen daran, ob islamistische Parteien demokratische Grundwerte, wie Geschlechtergleichheit oder Minderheitenschutz, jemals akzeptieren würden. Bevor man Islamistinnen und Islamisten in politische Prozesse aufnehmen könne, müsse man gesetzliche Rahmen schaffen, in denen diese zu operieren hätten. Gerlach führte darüber hinaus an, dass islamistische Parteien, anders als beispielsweise die NPD in Deutschland, nicht mehr nur einen theoretischen, sondern durch ihren Machtgewinn in einigen arabischen Ländern, auch eine praktische Gefahr für staatliche Institutionen und Strukturen in den jeweiligen Ländern darstellten.
Das Ende des ersten Konferenztags bedeutete nicht auch das Ende der Kontroverse darüber, wie man mit nicht-militanten islamistischen Organisationen umgehen solle. Viel mehr tauchte diese Frage vor allem während der verschiedenen Programmpunkte im Plenum immer wieder auf und sorgte für angeregte Diskussionen. So auch beim Vortrag
Während er sich in seinem Vortrag, ähnlich wie die Sprecher/-innen der ersten Veranstaltungen am Vortag, zu großen Teilen mit den gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen des Islamismus auseinandersetzte, beschäftigten sich die Teilnehmenden der Fachtagung in den daran anschließenden Sessions in Gruppen mit bis zu 30 Personen mit spezifischen islamistischen Organisationen oder Themen, die islamistische Narrative begünstigten. Die Sessions widmeten sich dabei primär der Phänomen-Analyse in einem transnationalen Kontext. Dabei waren folgende islamistische Gruppierungen Gegenstand der Sessions: die
Im Fokus der Diskussionen über Phänomen im Bereich des legalistischen Islamismus stand neben der Muslimbruderschaft auch die Millî Görüş. Vor allem die Transnationalität der Gemeinschaft wurde eingehend beleuchtet. Dr. Thomas Schmidinger erläuterte, dass die Diaspora besonders nach der Spaltung der Millî Görüş-nahen Partei Fazilet Partisi in die AKP und die Saadet Partisi 2001 an Bedeutung gewonnen habe. Entscheidungen würden dadurch heute immer mehr in Köln (Sitz der Millî Görüş) als in Ankara getroffen. Für Kontroversen sorgte die Frage, inwieweit Millî Görüş demokratische Standards adaptiert habe, um seinen Einfluss zu verwirklichen. Während einige der Meinung waren, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit würden in der legalistisch islamistischen Gruppierung keine Rolle mehr spielen, sahen andere darin eher eine Taktik, um unter dem Radar des Verfassungsschutzes zu fliegen und somit politischer Repression zu entgehen. Es fehle vor allem eine kritische Auseinandersetzung mit entsprechenden Thesen zu den kritischen Standpunkten der Führungsfigur Erbakan.
Prof. Dr. Fawaz Gerges und Dr. Shadi Hamid (© bpb, BILDKRAFTWERK)
Prof. Dr. Fawaz Gerges und Dr. Shadi Hamid (© bpb, BILDKRAFTWERK)
Keinerlei Uneinigkeit herrschte in anderen Sessions dagegen darüber, dass militante dschihadistische Gruppierungen eine erhebliche Gefahr für liberale Gesellschaften darstellten. Diese variierten derzeit viel mehr in ihrem Mobilisierungspotenzial. Die Zerstörung des "Kalifats des ‚Islamischen Staats‘" (IS) könnte laut Gerges beispielswese dazu führen, dass viele enttäuschte IS-Kämpfer/-innen sich wieder vermehrt al-Qaida zuwendeten. Die einstige Mutterorganisation des sogenannten IS habe den Vorteil, durch ihr dreißigjähriges Bestehen den Eindruck zu erwecken, ein größeres Überlebenspotenzial zu haben. Dr. Behnam Said, der die Session zu "30 Jahre Al-Qaida – Local is Going Global. Global is Going Local" leitete, betonte, dass al-Qaida sich seit dem 11. September 2001 vor allem durch die zahlreichen Ableger in verschieden Staaten der Welt auszeichne. Diese Ableger, die heute oft nicht mehr "al-Qaida" im Namen tragen, gewännen im Vergleich zur Zentralorganisation al-Qaida zunehmend an Bedeutung. Im Vergleich zu anderen dschihadistischen Bewegungen schaffe es al-Qaida durch die enge Kooperation unter den einzelnen lokalen Ablegern aber nach wie vor auch global zu agieren – ein Paradebeispiel für die Glokalität islamistischer Strömungen.
Die theoretische Betrachtung verschiedener Phänomene in den Sessions, wurde am Abend des zweiten Konferenztags durch die mitreißende Geschichte
PD Dr. Elham Manea, Dr. Merjam Wakili (© bpb, BILDKRAFTWERK)
PD Dr. Elham Manea, Dr. Merjam Wakili (© bpb, BILDKRAFTWERK)
Zuvor schilderte
Über diesen Vortrag hinaus gab es in den praxisorientierten Panels, die am Nachmittag des zweiten sowie am Vormittag des dritten Konferenztags stattfanden, die Möglichkeit, sich mit
Auf große Resonanz stieß unter anderem das Angebot zur Präventionsarbeit mit Rückkehrer/-innen. In den Praxisbeispielen von Kreshnik Gashi und Arber Kadriu aus dem Kosovo sowie Annelies Jansen vom Radicalisation Awareness Network wurden immer wieder Herausforderungen deutlich, die sich auch in anderen Präventionsprojekten, wie beispielsweise in Gefängnissen, abzeichneten. Zum einen sei es enorm wichtig, einen "Multi Agency"-Ansatz zu verfolgen, bei dem verschiedene Akteure involviert würden. Darunter sei neben der Justiz und Sicherheitsbehörden, die Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure sowie psychologischer und sozialer Betreuung von großer Bedeutung. Darüber hinaus müsse eng mit dem sozialen Umfeld, wie der Familie, Arbeitgeber/-innen bzw. bei Kindern mit den Schulen zusammengearbeitet werden. Als großes Hindernis stelle sich dabei jedoch immer wieder die professionelle Schweigepflicht dar. Ein "Multi-Agency"-Ansatz sei ohne klar geregelten Informationsfluss unter den einzelnen Akteuren nahezu unmöglich.
Die verschiedenen inhaltlichen Themensetzungen in den Panels machten nicht nur ein weiteres Mal die Vielschichtigkeit islamistischer Radikalisierung deutlich, sondern deren Besetzung auch die Transnationalität des Phänomens. So konnte die bpb für zwölf Panels Expert/-innen aus insgesamt 18 verschiedenen Staaten, darunter unter anderem USA, Spanien, Italien, Frankreich, Singapur, Tunesien,
Eine Tatsache, die Hanne Wurzel und Lobna Jamal während des Abschlusses am dritten Konferenztags als wesentliche Weiterentwicklung der Fachtagung würdigten: Die angestrebte Betrachtung der Themeninhalte aus internationaler Perspektive sei geglückt. Neben der internationalen Ausrichtung der Programminhalte sei es auch gelungen, internationale Teilnehmende- bzw. Expert/-innen aus dem Themenfeld nach Potsdam einzuladen, um den fachlichen Austausch auf transnationaler Ebene zu befördern. Die Konferenz sei durch die sachliche Auseinandersetzung mit unterschiedlichsten Phänomenen und tagespolitischen Entwicklungen, den fachlichen Austausch über verschiedene internationale Präventionsansätze, aber vor allem durch rege und kontroverse Debatten geprägt worden.
Hier finden Sie das Programm der Fachtagung als Interner Link: PDF-Datei.