Die Journalistin und Leiterin des Projekts HAYAT-Deutschland, Claudia Dantschke, leitete den Workshop mit einem kurzen Überblick aktueller Entwicklungen in der deutschen Szene ein. Dantschke betonte, dass unterschiedliche Ausprägungen des Salafismus in Deutschland zu beobachten seien: Die regionale und lokale Verortung salafistischer Strukturen sei allgemein stärker als die bundesweite Vernetzung. Es lasse sich fast von einer Spaltung der salafistischen Szene in Deutschland im globalen Kontext sprechen. Ein Grund sei zum Beispiel die öffentliche Distanzierung von Terrorismus vs. die Identifikation mit Al-Qaida oder dem Islamischen Staat. Verbindend sei hingegen, dass Musliminnen und Muslime, die nicht für den Dschihad kämpfen, in der Propaganda zu Ungläubigen oder Handlangern des Westens erklärt würden. Globale Konflikte dienten in der salafistischen Szene als Aufbaufläche für Propaganda. Als Beispiel nannte Dantschke, dass Konflikte häufig zu "Westen vs. Muslime"-Konflikte stigmatisiert würden, obwohl es sich, wie in Somalia, eigentlich um innerislamische Konflikte handele. Dennoch seien die aufgegriffenen Konflikte bedeutsam und müssten daher thematisiert und nicht klein geredet werden. Der Islamwissenschaftler Dr. Jochen Müller thematisierte in seinem Input nicht die Angebots- sondern die Nachfrageseite. Warum radikalisieren sich Jugendliche, welche Bedürfnisse stehen dahinter? Die salafistische Propaganda spreche zunächst die Emotionen an, so Müller. Sie stelle die Welt als unfair dar und internationale Konflikte würden somit schnell zur Projektionsfläche für persönliche Emotionen und Probleme. Müller machte deutlich, dass Jugendliche eigentlich meist positive Motive verfolgen: Gerechtigkeit, Freiheit, Rollensicherheit, Belohnung - diese Werte haben große Bedeutung für junge Menschen. In der Übertreibung führen diese aber zu Gewalt, Machtphantasien, Ideologisierung und Wahrheitsansprüchen. Trotzdem müsse die Präventionsarbeit zwingend verstehen, dass hinter der Radikalisierung von Jugendlichen positive Motive stehen. Für diese "Brille der Prävention" plädierte Müller mit Nachdruck. Doch die Kenntnis internationaler Konflikte sei ebenso wichtig: Die deutsche Szene lebe von globaler Politik und der daraus abgeleiteten Doppelmoral, um ihre Anhängerschaft zu rekrutieren. Auf diesem Resonanzboden könne man aber mit Jugendlichen noch diskutieren, ohne ein Gefühl von erzwungener Deradikalisierung zu schaffen. Chancen für gelungene Prävention seien also durchaus vorhanden.
Referenten:
Claudia Dantschke, Zentrum für Demokratische Kultur, Berlin
Dr. Jochen Müller, ufuq.de, Berlin
Moderation: Resa Memarnia, Bundeszentrale für politische Bildung, Berlin