Welche Sozialisationsbedingungen haben Kinder, die bei salafistischen Eltern aufwachsen? Meistens sind die Eltern jung und häufig KonvertitInnen. Zu dieser Feststellung kamen die Referentinnen Nora Fritzsche, Fachreferentin für Radikalisierungsprävention der Arbeitsgemeinschaft Kinder- und Jugendschutz (AJS) der Landesstelle NRW e.V., Lea Hildebrandt, systemische Beraterin bei Legato Hamburg und der Moderator des Workshops Michael Gerland, ebenfalls Legato Hamburg. Es gebe nicht den einen Salafismus, aber übergreifende Einstellungsmuster. Hier sind zum Beispiel die Abgrenzung zu "Sündern" und "Ungläubigen", eine strenge Auslegung des Islams und die Unterscheidung in "wir" und "ihr" zu nennen. Dies gehe oft mit einer repressiven Erziehung, Strenge und hohem Konformitätsdruck einher, sei aber kein speziell salafistischer Aspekt. Eher ist die Simplifizierung von Ideen und Verhältnissen symptomatisch, ebenso die Glorifizierung eigener Ideen und die Abwertung anderer Sichtweisen, kombiniert mit einer gezielten Desinformation der Kinder. Das habe negative Auswirkungen: Zunächst einen Wirklichkeitsverlust und der Verlust von Offenheit und Gesprächsfähigkeit mit Kindern. Zudem werde Kreativität in der Erziehung meist abgelehnt. Allerdings gebe es auch mögliche Ressourcen für Kinder. Ihre Lebenswelt sei übersichtlich, sie hätten Handlungssicherheit, verlässliche Beziehungen und die Familie hat einen hohen Stellenwert. Fritzsche, Hildebrandt und Gerland stellten jedoch eine Faustregel auf: Je geschlossener ein System nach Außen ist, desto höher ist die Gefahr der Übergriffigkeit nach innen. Die Prüfung der Eltern am Tag des Jüngsten Gerichts hänge im salafistischen Verständnis von der religiösen Entwicklung des Kindes ab: "Wenn mein Kind kein guter Moslem wird, kommen wir beide in die Hölle" – diese wechselseitige Verantwortung belaste salafistische Eltern. Aus rechtlicher Perspektive sei die Elternautonomie gegenüber der Kindeswohlgefährdung abzuwägen. Da die Elternautonomie aber sehr weit gefasst wird, ist eine Kindeswohlgefährdung sehr schwer nachweisbar und das Aufwachsen im Salafismus kann nicht per se eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des Strafgesetzbuches sein. Aus ihrem konkreten Arbeitsfeld konnten Fritzsche, Hildebrandt und Gerland berichten, dass die direkte Arbeit mit betroffenen Familien selten sei. Es gebe allerdings hin und wieder Trennungen in den Familien, was die Möglichkeit des Ausstiegs erleichtere, ebenso wie Kinder in Schulen, die ihre Ängste äußerten. Als Handlungsempfehlung nannten die beiden Referentinnen eine Resilienzförderung der Kinder. Zudem sei es sinnvoll einen Dialograum mit Andersdenkenden über Religion und Gottesbild herzustellen und Aufklärung sowie Perspektivwechsel als Antwort auf die fehlende Streit- und Diskussionskultur in den Familien anzubieten. Dabei sei es wichtig, die eigene Abwehr gegenüber dem elterlichen Verhalten zum Wohl des Kindes zurückstellen und sich gleichzeitig klar demokratisch zu positionieren.
Referentinnen:
Nora Fritzsche, Kinder- und Jugendschutz Landesstelle NRW, Köln
Simone Bahr, Legato – Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung, Hamburg
Moderation: Michael Gerland, Legato – Fach- und Beratungsstelle für religiös begründete Radikalisierung, Hamburg