Welche Rolle spielt das Internet für islamistische Organisationen?
Das Internet bietet den Islamisten die Gelegenheit zu etwas, was es in der Wirklichkeit vielleicht so nie so gegeben hat: Eine weltumspannende Umma zu haben, eine islamische Gemeinde, in der man sich zu Hause fühlt und in der alle dasselbe denken. Das heißt, man findet Gleichgesinnte überall und diese Gleichgesinnten können dann auch noch miteinander kommunizieren und möglicherweise auch Anschläge vorbereiten.
Wie nutzen Islamisten das Internet?
Zum einen benutzen Islamisten das Internet für Propaganda, das heißt sie rekrutieren Nachwuchs, indem sie Bilder von schrecklichen Ereignissen auf der Welt einstellen, z.B. eine Schießerei an einem amerikanischen Checkpoint in Irak, bei der Frauen und Kinder getötet werden oder ein Luftangriff in Afghanistan, bei dem Zivilisten sterben. Diese Bilder werden online gestellt, man erklärt sie zum Beweis für den Vernichtungskrieg gegen die Muslime in der Welt. Das ist Propaganda, die dann flankiert wird mit Videos von eigenen Terroranschlägen, die belegen sollen, dass man etwas dagegen unternimmt. Praktisch heißt das: Terroristen werden zu Helden, Märtyrern, Freiheitskämpfern hochstilisiert.
Das Internet wird auch genutzt zur Anschlagsvorbereitung: Man lädt sich Anleitungen zum Bombenbau herunter, man kommuniziert miteinander konspirativ mit Passwörtern in verschiedenen Sprachen, mit technischen Tricks wie E-Mailaccounts, die nur ein mal genutzt werden usw., um Terroranschläge vorzubereiten. Wir haben mehrere Fälle erlebt, jetzt auch jüngst in Deutschland, in denen die Terroristen untereinander über das Internet Anschlagsplanungen ausgetauscht und die Befehle bekommen haben.
Was fasziniert vor allem die Jugendlichen am islamistischem Terrorismus?
Der islamistische Terrorismus gibt sich als Globalisierungskritiker, Osama bin Laden höchstpersönlich gibt sich so. Er nutzt Ungerechtigkeiten in der Welt wie Leid und Gewalt, um zu suggerieren, dass hier nur einer daran Schuld ist, nämlich Amerika und seine Verbündeten. Damit will er bei den jungen Leuten, die das Gefühl haben, sie werden ungerecht behandelt, diskriminiert und haben weniger Chancen in der Gesellschaft, einen Solidarisierungseffekt erzielen: Mein eigenes Leid, meine eigenen Ungerechtigkeiten, die ich empfinde, entsprechen dem, was weltweit los ist und dagegen muss ich aktiv werden. Auf diese Weise werden junge Leute begeistert, mitzumachen und gegen diese Ungerechtigkeiten aufzustehen, und das schlägt dann leider sehr schnell in Gewalt und in Terrorismus um.
Wie unterscheidet man zwischen Jugendlichen, die mit islamistischen Terroristen sympathisieren und die sich z.B. Videos von Selbstmordattentätern anschauen und denen, die tatsächlich zu Tätern werden? Wie groß ist die Gefahr, dass ein Sympathisant zum Täter wird und die Anleitung zum Bombebau umsetzt?
Wenn man selber in den Bildern zu erkennen glaubt, dass es hier eine Diskrepanz herrscht zwischen einem Westen, der von Freiheit, Demokratie, Gleichheit und gleichen Chancen redet, aber in Wirklichkeit das Gegenteil tut – so sagen es auf jedenfall die Folterbilder von Abu Ghraib, die Gefangenen in Guantanamo, Raketenangriffe in Afghanistan und Irak, wo Zivilisten sterben – dann bekommt man das Gefühl, dass hier eine Doppelmoral im Gange ist. Und das radikalisiert und emotionalisiert junge Leute so, dass sie eher bereit sind, mitzumachen. Auf diesem fruchtbaren Boden können Terrorgruppen rekrutieren.
Das Interview führte Hanna Huhtasaari beim Medienseminar "Terrorismus und Medien" der bpb am 20.09.2007 in Berlin. Sie ist Volontärin in der Online-Redaktion der bpb.