Es gehe um die "Erhaltung der islamischen Werte", heißt es es in der Selbstdarstellung des libanesischen Satellitenkanals Al-Manar. Zudem sei der Sender"die erste arabische Einrichtung, die einen effektiven psychologischen Krieg gegen den zionistischen Feind" führe. Al-Manar ist der Sender der schiitischen Hizbullah und zählt zu den einflussreicheren unter den arabischen Satellitensendern, deren Zahl in den vergangenen Jahren auf beinahe zweihundert angewachsen ist. Die meisten von ihnen strahlen ein Unterhaltungsprogramm aus, das den hiesigen nicht unähnlich ist - Spielfilme, Soap-Operas, Musik-Videos oder Adaptionen von Star-Academy und anderen. Anders Al-Manar: Der Sender versteht sich als politischer Propagandasender gegen Israel und als "Leuchtturm" (arab. manar) für einen politischen Islam. Und mit diesem Programm ist Al-Manar weit über den Libanon hinaus bekannt und populär.
So viel lässt sich sagen – viel mehr aber auch nicht. Denn man weiß kaum etwas über den Verbreitungsgrad und die Wirkung von islamistischen Medien in Europa. Das gilt vor allem für TV-Kanäle und das Internet. Wie viele junge Muslime zum Beispiel in Deutschland welche islamistischen Medien nutzen und inwiefern diese ihre politischen Einstellungen beeinflussen, ist so gut wie unerforscht.
Auch in Deutschland dürfte Al-Manar indes zu den bekannteren Kanälen gehören. Aus zwei Gründen: Zum einen konzentriert sich der Sender mit dem Palästinakonflikt auf ein Thema, das weit über den Libanon hinaus auf großes Interesse bei Arabern und Muslimen stößt. Zum anderen ist es der Tonfall der Berichterstattung. Mit seinen anti-israelischen und oftmals auch anti-semitischen Propagandasendungen spricht der Sender viele Migranten arabischer und muslimischer Herkunft an. Vor dem Hintergrund eigener Erfahrungen, mehr noch aber unter Einfluss jahrzehntelanger Propaganda in der Region, sind diese mit dem Feindbild Israel "vertraut". Für Viele stellt dieses Feindbild auch in der zweiten und dritten Einwanderergeneration noch einen zentralen Bestandteil ihres arabischen oder muslimischen Selbstverständnisses dar.
Das gilt auch für junge Muslime in Deutschland, die nicht dem islamistischen Spektrum zuzuordnen sind. Unter Jugendlichen ist allerdings weniger das Fernsehen als das Internet das meist genutzte Medium. Vor allem an Jugendliche libanesischer Herkunft wendet sich zum Beispiel das deutschsprachige Internetforum Rache-Engel. Wie Al-Manar bringen auch die Betreiber dieser Seite ihre Sympathie für die Hizbullah und deren Führer Nasrallah deutlich zum Ausdruck. In den Debatten geht es dann aber um ein breites Spektrum von Themen: Neben dem Nahostkonflikt und der allgemeinen Bewunderung für den Kampf der Hizbullah geht es auch um Rechtsradikalismus in Deutschland, die Rolle der Frau und den Versuch, bestehende Ressentiments zwischen Sunniten und Schiiten zu überwinden. Auffällig und typisch dabei ist die meist weniger islamistische als vielmehr anti-imperialistische und USA-feindliche Ausrichtung vieler Kommentare. (www.rache-engel.com)
Typisch für diesen Diskurs ist auch der Muslim-Markt (MM). Das bekannte deutschsprachige Portal der schiitischen Brüder Özoguz aus Delmenhorst sympathisiert mit dem iranischen Regime, wendet sich gegen den "Raubtierkapitalismus" und rief in den vergangenen Jahren zur Al-Quds-Demonstration in Berlin für die "Befreiung von Jerusalem" auf. (Vgl. etwa http://www.muslim-markt.de/
Palaestina-Spezial/demos/quds2004/quds_tag2004aufruf.htm.)
Vor allem aber bietet der Muslim-Markt einen Service, der auch bei anderen islamischen und islamistischen Internetportalen im Mittelpunkt steht: Informationen für den muslimischen Alltag in Deutschland. Wann beginnt der Ramadan? Wo finde ich Halal-Restaurants oder einen muslimischen Arzt, Anwalt oder Friseur? Welche Veranstaltungen finden statt, die Muslime interessieren könnten? Und es gibt Mustertexte. Solche für muslimische Gemeinden, die die örtliche Polizei zu einem Moscheebesuch einladen wollen, ebenso wie Antragsvordrucke zur religiös begründeten Befreiung der Tochter vom Schwimmunterricht. Beigefügt ist hier allerdings ein Kommentar der Redaktion, der allen muslimischen Eltern empfiehlt, ihren Kindern das Schwimmen beizubringen und sie soweit wie möglich am Sportunterricht und an Klassenfahrten teilnehmen zu lassen. Denn:
"Ein muslimischer Bürger dieses Landes trägt auch die Verantwortung zur Mitgestaltung der Gesellschaft in dem ihm möglichen Rahmen (...). Erst in der Auseinandersetzung mit den täglichen Schwierigkeiten, können sich die jungen Muslimas und Muslime zu konstruktiven Bürgern des Landes mit Rückrat entwickeln, die ihren Glauben voller Gottesehrfurcht überzeugt leben." (http://www.muslimmarkt.de/Mustertext/muslim-mustertext.htm)
Das unter jungen Muslimen weltweit bekannteste und meist zum islamistischen Spektrum gezählte Internetportal ist zweifellos IslamOnline. Spiritus rector von IslamOnline ist Scheich Yussuf al-Qaradawi. Qaradawi steht der Muslimbruderschaft nahe und ist der gegenwärtig wohl international einflussreichste islamische Gelehrte. Über den Nahen und Mittleren Osten hinaus bekannt geworden ist er durch seine wöchentliche Sendung auf Al-Jazeera "Al-Sharia wal-Hayat" ("Die Scharia und das Leben"), in der er Fragen aus Politik und Gesellschaft aus religiöser Sicht diskutiert. Um ähnliche Themen geht es auch in seinem bekannten Buch "Al-Halal wal-Haram fil-Islam" (dt. Titel: "Erlaubtes und Verbotenes im Islam"). Und eben auf IslamOnline. IslamOnline ist Teil einer "Fatwa-Industrie", jener in den vergangenen Jahren stark anwachsenden TV- und Internetprogrammsparte, in denen islamische Gelehrte auf Fragen von Zuschauern oder Lesern mit religiösen Gutachten (Fatwas) antworten. IslamOnline richtet sich dabei auch an Muslime, die in nicht-islamischen Gesellschaften leben. Ihnen geben religiöse Gelehrte Auskunft in allen Lebenslagen:
Darf ich auch ohne Kopftuch beten, wenn an meiner Arbeitsstelle Kopftücher verboten sind? (Nein, das Gebet ohne Kopftuch ist immer ungültig.) Darf ich Augenkontakt mit dem anderen Geschlecht haben? (Nur wenn es sich nicht vermeiden lässt.) Darf ich die Zinsen behalten, die mir die Bank zahlt? (Nein, sie sollten an eine wohltätige Einrichtung gespendet werden.) Darf meine Freundin einen nicht-muslimischen Freund haben? (Sie darf überhaupt keinen Freund haben, sondern muss die Beziehung sofort beenden und hoffen, dass Gott ihr vergibt.) Sind Selbstmordanschläge von Palästinensern erlaubt? (Sie sind nicht nur erlaubt, sondern eine religiöse Pflicht.) Für ein Attentat in Israel darf eine Muslima laut Qaradawi sogar ohne Erlaubnis und – zwecks Unauffälligkeit - ohne Kopftuch das Haus verlassen. Trotz solcher Positionen orientieren sich viele Jugendliche aus der Strömung des Pop-Islam (s. Beitrag zu Islamismus und islamischer Jugendkultur) an Yussuf al-Qaradawi und IslamOnline. (www.islamonline.net)
Das "Frag-den-Gelehrten"-Prinzip ist aber nicht nur typisch für diese Websites islamistischer Prägung. Im Zweifel geht es auch in nicht-islamistischen Foren oft weniger darum, sich eine eigene Meinung zu bilden oder kontroverse Positionen zu diskutieren. Die Antwort gibt auch hier oft der religiöse Gelehrte. Mit dem Koran in der Hand und dem vorbildhaften Leben des Propheten vor Augen kennt er die Quellen, findet eine Lösung für jedes Problem und befindet, was richtig und falsch, was erlaubt und was verboten ist im Islam.
Jihad und Kalifat im Internet
Wenn sich auch die meisten islamistischen Medien strikt anti-liberal und in Opposition zum imperialistischen Westen und seiner materialistisch-kapitalistischen Ordnung präsentieren, so sind die Differenzen innerhalb dieses Spektrums dennoch groß. Eine deutlich radikale Haltung nimmt etwa die Organisation Hizb ut-Tahrir (HuT/Partei der Befreiung) ein. Diese in Deutschland verbotene aber weiterhin unter jungen Muslimen aktiv rekrutierende Gruppierung mit Sitz in London propagiert im Internet, in Büchern und ihrem Magazin (Khilafah; dt. Explizit; türk. Hilafet; arab. Al-Waye) einen Kalifat-Staat, dessen Bürger Muslime sein müssen – Nicht-Muslime und "sündige" Muslime kämen dagegen ins Höllenfeuer. So heißt es jedenfalls auf der deutschsprachigen Seite kalifat.com, wo auch ein "Aufruf an die muslimische Jugend" zu finden ist. Ausdrücklich wandte sich die HuT in den vergangenen Monaten zudem gegen Bestrebungen von Muslimen, einen "deutschen", "säkularen" oder "Euro-Islam" zu errichten. Insbesondere muslimische Verbände, die sich um Integration bemühen und etwa an der Islam-Konferenz teilnehmen würden, werden scharf verurteilt. Ihnen wirft kalifat.com Unterwürfigkeit gegenüber den "Kuffar", den Ungläubigen, vor. Sie würden den Islam verfälschen, wenn sie etwa Homosexualität, Mädchen beim Schwimmunterricht oder einen islamischen Religionsunterricht akzeptierten. (www.kalifat.com)
Die Positionen von Hizb ut-Tahrir sind nicht nur verfassungsfeindlich, die von ihnen erhobenen Anklagen von Verrat und Spaltung der muslimischen Gemeinschaft (umma) können auch als Vorstufe zu Militanz und Jihadismus betrachtet werden. Sind es doch eben jene vermeintlichen Feinde des Islam und angeblich vom wahren Glauben abgefallene Muslime, die auch im Visier der Jihad-Agitation stehen. Mord und Totschlag an diesen Gruppen sind für den Jihad-Islamismus legitim (oder gelten gar als religiöse Pflicht) und werden im Internet auf Hunderten von Webseiten gefordert und mit Hinrichtungs- und Attentatsvideos insbesondere aus dem Irak illustriert und gefeiert.
Zu diesem professionell betriebenen, vielfach untereinander verlinkten Spektrum der meist arabischsprachigen Jihad-Foren zählt auch der Propaganda-Arm von Al-Qaida, die Global Islamic Media Front (GIMF), mittlerweile eine Art Sammelbecken für Online- Sympathisanten von Al-Qaida. Die seit Ende 2006 vorübergehend mit deutschen Übersetzungen von GIMF-Statements und Terrordrohungen im Netz hervorgetretene "Stimme des Kalifat" (Caliphate Voice Channel) ist dabei ein Ausdruck von Bemühungen der GIMF, Anhänger unter jungen nicht-arabischsprechenden Muslimen in Europa zu rekrutieren.
Nun sind diese jihadistischen Internetseiten nicht repräsentativ für das Mediennutzungsverhalten junger deutscher Muslime. Sie sind vielmehr Ausdruck eines religiös legitimierten Radikalisierungsprozesses, den eine insgesamt betrachtet nur sehr kleine Zahl von Jugendlichen durchläuft. Als Mittel von Kommunikation, Propaganda und interner Selbstvergewisserung spielen Medien, allen voran das Internet, bei diesem Prozess jedoch eine wesentliche Rolle. Umso wichtiger ist es vor diesem Hintergrund, auf islamische Medien zu verweisen, die einer solchen religiöse legitimierten Radikalisierung vorbeugen und entgegenwirken wollen. Ein Versuch, die Deutungshoheit islamistischer Positionen zu durchbrechen, stellt die Internetplattform Muslimische Stimmen dar (www.muslimische-stimmen.de). Hier sollen Diskussionen unter jungen Muslimen zu religiösen und nicht-religiösen gesellschaftlichen Fragen initiiert werden.
Auch das vom Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) iniitierte Jugendportal Waymo (www.waymo.de) eröffnet jungen Muslimen Raum für eine Mitwirkung am öffentlichen Diskurs. Es ermöglicht seinen Nutzern vor allem das Video- und Audiosharing von Inhalten, die in manchen Fällen selbst produziert sind. Vorgestellt wird bei Waymo auch die Initiative "Zeig mir den Propheten" – ein Wettbewerb, in dem junge Muslime aufgefordert waren, die Bedeutung des Propheten Muhammad für ihr Leben künstlerisch darzustellen. Angesprochen werden hier zwar vor allem religiöse Muslime – eine kreative Antwort auf den Karikaturenstreit ist es jedoch allemal: "Wie soll ich Dich lieben", fragt etwa die Preisträgerin Yildiz Kaya aus Hamburg in ihrem Beitrag, "wenn mir in Deinem Namen auf die Finger geschlagen wird und nie von Deiner Barmherzigkeit die Rede ist?"