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Al-Qaida

Guido Steinberg

/ 8 Minuten zu lesen

Was als loser Zusammenschluss ohne genaue Ziele begann, entwickelte sich in den 1990er Jahren zur gefährlichsten Terror-Organisation von Islamisten: al-Qaida.

Al-Kaida-Führer Osama bin Laden im Jahr 1998 an einem unbekannten Ort in Afghanistan. (© AP)

Der Name al-Qaida (deutsch "die Basis") wurde erstmals gegen Ende des Afghanistankrieges 1988 verwendet. Ein prominenter saudi-arabischer Freiwilliger namens Osama Bin Laden (1957-2011) plante damals, diejenigen arabischen jungen Männer, die am Kampf gegen die Sowjetunion teilgenommen hatten, in einer neuen Organisation dieses Namens aufzufangen. Bin Laden hoffte so, den "Heiligen Krieg" (Jihad) gegebenenfalls in anderen Ländern fortsetzen zu können.

Al-Qaida wurde im August 1988 gegründet, doch handelte es sich damals um einen losen Zusammenschluss ohne genau definierte Ziele, so dass die Gruppe zunächst unbedeutend blieb. Als Organisation in der Form, in der sie die Anschläge des 11. September 2001 in New York und Washington ausführte, entstand al-Qaida erst Mitte der 1990er Jahre, als sich Bin Laden und seine Gefolgsleute mit der ägyptischen Jihad-Organisation unter dem heutigen al-Qaida-Chef Aiman az-Zawahiri (geb. 1951) verbündeten. Seit 2001 spiegelt sich diese Vereinigung auch in ihrem neuen Namen "Qaida al-Jihad" wieder.

1. Eine saudi-arabisch-ägyptische Gründung

Die Gründer der al-Qaida, Osama Bin Laden und Aiman az-Zawahiri, kannten sich bereits seit Mitte der 1980er Jahre, beschlossen aber erst 1995/96, eine gemeinsame Organisation zu gründen. Diese setzte sich zunächst mehrheitlich aus Saudi-Arabern und Ägyptern zusammen.

Saudi-Araber hatten während des Afghanistankrieges eine verhältnismäßig große Zahl von Kämpfern gestellt. Sie radikalisierten sich jedoch erst infolge des Zweiten Golfkrieges (1990/91). Auslösendes Moment war die Präsenz nicht-muslimischer Truppen auf saudi-arabischem Territorium. Damals bildete sich eine stark antiamerikanische islamistische Oppositionsbewegung, deren militanter Flügel von Bin Laden angeführt wurde und der schließlich in der al-Qaida aufging. Bin Laden musste sein Heimatland 1991 verlassen und hielt sich bis 1996 im Sudan und anschließend in Afghanistan auf. Die Entscheidung, den Kampf gegen die USA und das Regime der Familie Saud aufzunehmen, scheint jedoch frühestens Ende 1993 gefallen zu sein, als die saudi-arabische Regierung Bin Laden nahe stehende Oppositionelle verhaftete. Eine genauere Festlegung seiner Ziele und Strategien erfolgte erst aufgrund des Bündnisses mit der ägyptischen Jihad-Gruppe.

Die ägyptischen Gruppierungen zielten schon seit den 1970er Jahren auf den Sturz ihrer eigenen Regierung ab. Der erhöhte Verfolgungsdruck nach dem Attentat auf Präsident Anwar al-Sadat 1981 zwang viele von ihnen ins Exil nach Afghanistan und in den Sudan, von wo aus sie sich jedoch weiter auf künftige Auseinandersetzungen in ihrem Heimatland vorbereiteten. Zu einem Umdenken führte erst das Scheitern des Aufstandes in Ägypten zwischen 1992 und 1997. Ein Flügel der Organisation unter der Führung von Zawahiri änderte seine Strategie: Statt ausschließlich gegen das Regime des Präsidenten Mubarak vorzugehen, sollten die militanten Islamisten die USA angreifen, um sie dazu zu bewegen, ihre Unterstützung für Kairo aufzugeben. Nur dann würde sich gegebenenfalls die Möglichkeit ergeben, die Macht in Ägypten zu übernehmen. Zawahiri wurde ab 1996 zum Vordenker des Strategiewechsels vom "nahen Feind" (d.h. den Regimen der Heimatländer) gegen den "fernen Feind" (d.h. die USA und den Westen).

Ab 1996/97 begannen Bin Laden und Zawahiri den Aufbau der gemeinsamen Organisation in Afghanistan. Die Gelegenheit dazu bot ihnen der Aufstieg der Taliban, die weite Teile des Landes unter ihre Kontrolle brachten und der Qaida erlaubten, ihr Hauptquartier und ihre Trainingslager auf afghanischem Staatsgebiet einzurichten.

2. Autoritäre Führung und rudimentäre Organisation

al-Qaida war im Jahr 2001 keine homogene Organisation, sondern vor allem die Summe von Einzelgruppierungen, die meist landsmannschaftlich organisiert waren und eine innere Homogenität bewahrten, die Qaida als Gesamtorganisation fehlte. Die Ägypter waren eine dieser Einheiten; die saudi-arabischen Gefolgsleute Usama Bin Ladens stellten eine weitere Landsmannschaft, Rekruten aus Nordafrika stießen vor allem ab 1998 hinzu. Obwohl Qaida versuchte, die Differenzen zwischen den einzelnen Nationalitäten abzubauen, blieb ihr Integrationsgrad niedrig, und die Zusammenarbeit zwischen den Teilgruppen verlief keineswegs spannungsfrei. So kritisierten viele Mitglieder der al-Qaida noch bis 2010 die Dominanz der Ägypter in der Organisation.

Letztere spielten in der Führungsspitze von Qaida tatsächlich eine zentrale Rolle. Usama Bin Laden war zwischen 1998 und 2011 der unbestrittene Führer der Qaida, doch sein Stellvertreter und spätere Nachfolger Zawahiri nahm immer eine sehr prominente Position ein. Dem unmittelbaren Führungskreis gehörte mit dem "Militärchef" Muhammad Atif (Abu Hafs al-Masri) bis zu dessen Tode 2001 ein weiterer Ägypter an. Um diese drei Hauptfiguren, die die Organisation autoritär führten, bildete sich ein informelles Beratungsgremium, genannt Schura(=Konsultations)-Rat, in dem der erweiterte Führungszirkel der al-Qaida in Gestalt der Leiter einzelner "Fachausschüsse" vertreten war.

Bei diesen handelte es sich zunächst nur um die Zuständigkeitsbereiche führender Persönlichkeiten der Organisation, weniger um fest gefügte Institutionen. Für die Leitung der "Fachausschüsse" und der Trainingslager sowie für die Planung von terroristischen Operationen verfügte Qaida über eine etwas größere Zahl von mittleren Führungskadern. Der prominenteste unter ihnen war der Kuwaiti Khalid Shaikh Muhammad, der Chefplaner des 11. September. Das Fußvolk der Qaida bestand aus wenigen tausend Rekruten aus der gesamten arabischen Welt. Nur in Ausnahmefällen schlossen sich Nichtaraber der Organisation an.

3. Kampf gegen den Nahen und den Fernen Feind

Die Ideologie der Qaida ist eine eigentümliche Verbindung des revolutionären Denkens des Ägypters Sayyid Qutbs (1906-1966) und seiner militanten Adepten im Ägypten der 1960er und 1970er Jahre mit der Gedankenwelt der saudi-arabischen Wahhabiya. Ihre Ziele hat die al-Qaida bisher nicht genau und umfassend definiert, vermutlich, um für möglichst viele Jihadisten weltweit attraktiv zu sein. Entsprechend ihrer landsmannschaftlichen Struktur betreibt sie zunächst den Sturz der Regierungen aller arabischen Länder – bis 2001 vor allem in Ägypten und Saudi-Arabien. Mit der Internationalisierung ihrer Strategie ab 1996/97 beschlossen Bin Laden und Zawahiri zusätzlich, den gemeinsamen "fernen Feind", die USA, anzugreifen, um die Amerikaner zum Rückzug aus Saudi-Arabien sowie zum Einstellen ihrer Finanzhilfen an Ägypten zu zwingen und auf diese Weise die Regime ihrer Heimatländer zu schwächen.

Seit 2001 propagiert die Organisation auch die Vernichtung Israels als ein wichtiges Ziel. In den daraufhin "befreiten" Staaten der arabischen und islamischen Welt will die al-Qaida einen übernationalen islamischen Staat begründen, der von einem Kalifen geführt werden soll. Darüber hinausgehende politische Ordnungsvorstellungen hat al-Qaida bisher noch nicht publik gemacht. Es ist aufgrund der wahhabitischen Prägung vieler al-Qaida-Mitglieder allerdings davon auszugehen, dass ihr das wahhabitische Saudi-Arabien im 18. Jahrhundert und möglicherweise auch der Staat der Taliban in Afghanistan 1996-2001 als Modelle dienen. Kurzfristig ging es Qaida zwischen 2003 und 2006 insbesondere um das Ende der amerikanischen Besatzung des Irak und die Destabilisierung des neuen irakischen Staates. Von dort plante sie eine Ausweitung des Jihad auf dessen unmittelbare Nachbarstaaten und Ägypten. Seit 2006 konzentrierte sich al-Qaida in erster Linie auf den Kampf in Afghanistan und Pakistan. In der arabischen Welt gelten heute (2011) neben dem Irak vor allem Algerien und der Jemen als wichtige Einsatzgebiete der Organisation.

Über die "Befreiung" der arabischen und islamischen Welt hinaus zielt Qaida darauf ab, all diejenigen Territorien zu erobern, in denen zwar Muslime leben, die gegenwärtig jedoch von Nichtmuslimen beherrscht werden. Hierzu gehören neben Israel vor allem Tschetschenien, Kaschmir, Ost-Timor, die südlichen Philippinen, Südthailand, Nordnigeria und einige weitere Länder. Bin Laden und Zawahiri haben keine Grenzen der Expansion benannt. Dasselbe gilt für ihre Intentionen jenseits der islamischen Welt. al-Qaida geht es um den Rückzug der USA nicht nur aus der arabischen und islamischen Welt, sondern aus der Weltpolitik insgesamt. Es ist anzunehmen, dass sie auch nach Erreichen ihrer unmittelbaren Ziele den Kampf gegen den Westen fortzusetzen plant.

4. Antiamerikanische Strategie und erweiterte Zielauswahl

Die Strategie der Qaida ist darauf ausgerichtet, durch spektakuläre terroristische Anschläge die USA zum Rückzug aus der arabischen Welt zu bewegen. Sie beschränkt sich dabei ausdrücklich nicht auf militärische Ziele, sondern hat im Februar 1998 offen erklärt, dass sie Militär und Zivilisten gleichermaßen bekämpft. Dem ersten nachweislich der al-Qaida zuzuschreibenden Anschlag auf die amerikanischen Botschaften in Kenia und Tansania im August 1998 folgten ein Attentat auf den Zerstörer USS Cole im Hafen von Aden im Oktober 2000 und schließlich die Anschläge vom 11. September 2001. Gleichzeitig (und wahrscheinlich auch schon vor 1998) förderte sie finanziell und logistisch weitere Anschlagsplanungen, die von Gruppen und Einzelpersonen durchgeführt wurden, die nicht zum Kernbereich der al-Qaida gehörten, ihr aber dennoch eng verbunden waren.

Nach 2001 erweiterte al-Qaida ihre Zielauswahl und griff vermehrt jüdische und israelische Ziele an. Hierzu gehörten israelische Touristen in Kenia im November 2002 und eine Synagoge in Istanbul im November 2003. Auch in Europa wurde al-Qaida aktiv. Nach der Besetzung des Irak durch amerikanische und britische Truppen im Frühjahr 2003 bemühte sich die al-Qaida-Führung, junge Muslime weltweit zu terroristischen Anschlägen gegen diejenigen Staaten zu bewegen, die Truppen im Irak stationiert haben. Eine Folge waren beispielsweise die Anschläge pakistanischstämmiger Briten auf den öffentlichen Nahverkehr in London im Juli 2005. Parallel ging al-Qaida dazu über, in Kooperation mit lokalen militanten Gruppierungen Anschläge auf westliche und einheimische Ziele in Pakistan zu verüben.

5. al-Qaida heute

Unter dem Druck weltweiter Bekämpfungsmaßnahmen verlor al-Qaidaab 2002 immer mehr den Kontakt zu ihren Anhängern und wurde immer mehr zu einer ideologischen Leitstelle für Jihadisten weltweit. Zwar bestand die Kernorganisation in Pakistan fort, doch verbreiteten ab 2003 ihre regionalen Ableger in Saudi-Arabien, im Irak, in Algerien und im Jemen den Eindruck, dass es sich bei al-Qaida tatsächlich um ein weltumspannendes Netzwerk handele. Bin Laden und seine Gefolgsleute profitierten außerdem von einer wachsenden jihadistischen Szene in Europa, wo die Ideologie der al-Qaida heute sehr viel weiter verbreitet ist als noch 2001.

Die al-Qaida-Zentrale befindet sich seit 2002 in den paschtunischen Stammesgebieten auf der pakistanischen Seite der pakistanisch-afghanischen Grenzregion, in erster Linie in Nord Waziristan unter dem Schutz des afghanischen Kriegsfürsten Jalaluddin Haqqani. Die Organisation in Pakistan ist stark geschwächt, da sie seit 2008 mehr als zwei Dutzend wichtige Führungspersönlichkeiten verloren hat, die infolge amerikanischer Drohnenangriffe getötet wurden. Außerdem liquidierten amerikanische Spezialkräfte im Mai 2011 den charismatischen Anführer der al-Qaida, Osama Bin Laden, in seinem Versteck im pakistanischen Abbottabad. Es ist fraglich, ob die Gruppe diese Verluste tatsächlich kompensieren und mittelfristig fortbestehen kann.

Al-Qaida profitierte jedoch seit 2003 davon, dass sich ihr regionale Gruppierungen in der arabischen Welt anschlossen und nach ihr benannten. Dies waren die 2003 gegründete "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" in Saudi-Arabien, "al-Qaida in Mesopotamien" im Irak (2004), "al-Qaida im Islamischen Maghreb" in Algerien (2007) und wiederum "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" im Jemen, die 2009 ihre gleichnamige Vorgängerorganisation in Saudi-Arabien ersetzte. Diese Gruppierungen gewannen aufgrund der Schwäche der al-Qaida-Zentrale in Pakistan an eigenständiger Bedeutung und profitierten dabei zusätzlich von den Unruhen in der arabischen Welt, die Anfang 2011 ausbrachen. Der Sturz der Regime in Ägypten, Libyen und Tunesien und ihre Schwächung in Syrien und im Jemen verschafften den Jihadisten neue Operationsmöglichkeiten.

Da die al-Qaida-Führung seit dem Winter 2001/2002 weitgehend isoliert in Pakistan lebte, konnte sie nur noch eingeschränkt mit anderen Teilen der Organisation kommunizieren. Stattdessen verbreiteten Bin Laden und Zawahiri seit Oktober 2001 vermehrt Audio- und Videobotschaften über arabische Fernsehsender und das Internet. So versuchten sie, ihre Anhänger weltweit anzuleiten: Neben Propaganda verbreiteten sie ideologische, strategische und taktische Informationen (wie z.B. konkrete Zielvorgaben), so dass sich die al-Qaida immer mehr von einer Organisation zu einer ideologisch-strategischen Leitstelle entwickelte. Der Einfluss der al-Qaida-Ideologie weitete sich vor allem unter jungen Muslimen in Europa aus, die nach 2001 vermehrt rekrutiert wurden und die mehrere Aufsehen erregende Anschläge verübten. Seit 2007 reisten auch vermehrt Jihadisten aus Deutschland nach Pakistan, um sich dort al-Qaida und ähnlich gesinnten Organisationen anzuschließen.

Literatur

Gerges, Fawaz A.: The Rise and Fall of Al-Qaeda, Oxford: University Press 2011

Musharbash, Yassin: Die neue Al-Qaida. Innenansichten eines lernenden Terrornetzwerks, Köln: Kiepenheuer & Witsch 2006

Sageman, Marc: Leaderless Jihad. Terror Networks in the Twenty-First Century, Philadelphia: University of Pennsylvania Press 2008

Steinberg, Guido: Der nahe und der ferne Feind. Die Netzwerke des islamistischen Terrorismus, München: Beck 2005

Wright, Lawrence: The looming Tower. Al-Qaeda and the road to 9/11, New York: Knopf 2006.

Dr. Guido Steinberg ist Islamwissenschaftler und arbeitet für die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Von 2002 bis 2005 war er Terrorismusreferent im Bundeskanzleramt.