Der Verfassungsschutz sieht insgesamt ein wachsendes religiös-extremistisches Personenpotenzial und beobachtet mehr als ein Dutzend islamistischer Organisationen mit mehreren zehntausend Anhängern, darunter die "Muslimbruderschaft"(MB), "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD), die "Millî Görüş"-Bewegung, die Hisbollah und die Hamas.
Dem jüngsten Bericht des Inlandsnachrichtendienstes vom Juli 2018
Wachsende Sorge vor der Unterwanderung staatlicher Institutionen
Aus Sicht des Verfassungsschutzes steht der deutsche Staat im Fokus des islamistischen Terrorismus. Oberstes Ziel der Sicherheitsbehörden ist daher die Verhinderung von Anschlägen. Daneben aber gibt es eine wachsende Sorge vor der Unterwanderung staatlicher Institutionen durch Islamisten
Im "Muslim Gang Book", einem 2015 vom sogenannten Islamischen Staat veröffentlichten Leitfaden für terroristische Anschläge in Europa, werden Muslime dazu aufgerufen, "ihre eigenen Banden zu gründen und diese in eine Dschihad-Bewegung zu verwandeln" . Die Autoren systematisierten damit einen bereits vorhandenen Trend und erklärten ihn zur Strategie: Die islamistische Szene besteht – forciert durch das Muslim Gang Book – nicht nur aus klar erkennbaren Strukturen und Gruppen, sondern aus Einzelnen, mit engen, vor allem familiären Kontakten , Netzwerken, Seilschaften: Nach Erkenntnissen des NRW-Verfassungsschutzes waren zum Beispiel, allein im Ruhrgebiet 39 Frauen in 21 Städten daran beteiligt, das islamistische Netz in eine Art soziale Bewegung zu verwandeln (Stand Dezember 2017). Sie knüpfen Kontakte, sammeln Spenden, vermitteln Ehen und Wohnungen, kümmern sich um Kranke und organisieren Ausreisen in Kriegsgebiete. Sie schaffen es, so sagt es Burkhard Freier, NRW-Verfassungsschutz-Chef, "den Salafismus als eine Art Familienangelegenheit zu machen. Männer, Kinder, Frauen, ganze Familien, die auch untereinander vernetzt sind, sind durch die Frauen auch in der Szene viel stärker verankert, die Propaganda wird sehr viel schneller vorangetrieben und es führt dazu, dass diese Szene eine echte Parallelwelt zu unserer Gesellschaft wird."
An die Stelle einer Organisation ist eine Franchise-Ideologie getreten. Die verbreitet sich, wie der Verfassungsschutz beobachtet, am besten im kleinen Kreis: "Es gibt in der salafistischen Szene einen Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private. Orte der Radikalisierung sind inzwischen weniger Moscheen oder größere, überregionale Organisationen, sondern eher kleine konspirative Zirkel und vor allem das Internet."
Bundeswehr als attraktives Ziel für Islamisten
Der Militärische Abschirmdienst MAD jedenfalls sieht die Gefahr, dass die Terrormiliz des "Islamischen Staats" (IS) deutsche Kasernen als Ausbildungscamps zu nutzen versucht. Für den Geheimdienst ist klar: Die Bundeswehr ist ein attraktives Ziel für Islamisten, die Interesse an militärischer Ausbildung und Zugängen zu Waffen haben, so ein Sprecher des MAD
Nach Erkenntnissen des MAD sind in den vergangenen Jahren mehr als 1.000 Islamisten aus Deutschland in den Dschihad Richtung Syrien/Irak ausgereist, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kämpfen teilzunehmen. Bislang befand sich darunter kein aktiver Soldat, aber 48 Personen, die in den letzten 22 Jahren Wehrdienst bei der Bundeswehr geleistet hatten.
Sicherheitsüberprüfung bei der Bundeswehr ausgeweitet
Im Juli 2017 wurde durch eine Änderung des Soldatengesetzes die Sicherheitsüberprüfung auf alle Bewerber der Bundeswehr ausgeweitet. Mehr als 16.000 Bewerber wurden seither abschließend überprüft. Dabei wurde elf von ihnen, darunter drei des Islamismus Verdächtigen, der Zugang zur Truppe und damit auch die Ausbildung an Kriegswaffen verwehrt.
Der MAD prüft aber nicht nur Bewerber, sondern alle Verdachtsfälle, Soldaten, die durch radikale Äußerungen auffallen, an salafistisch geprägten Veranstaltungen teilnehmen, Kameradinnen und Vorgesetzte ablehnen oder sich anti-westlich oder antisemitisch äußern. Insgesamt ist der MAD seit 2009 rund 390 Verdachtsfällen von Islamismus bei der Bundeswehr nachgegangen, von denen sich 30 bestätigt haben, nachdem man sie befragt und ihr Umfeld überprüft, Angehörige, Freunde und Arbeitgeber angehört und eigene Geheimdiensterkenntnisse mit denen befreundeter Staaten abgeglichen hatte.
Ebenfalls Ziele: Polizei und Geheimdienste
Für Islamisten als zu infiltrierende Institutionen nicht weniger interessant sind die Polizei und die Geheimdienste: Dort ließen sich Fähigkeiten und Fertigkeiten erwerben, etwa im Umgang mit Waffen, Zugang zu vertraulichen Erkenntnissen erlangen und Wissen über das Wissen der anderen Seite sammeln. 2013 erregte der Fall eines Salafisten Aufmerksamkeit, der mit drei anderen einen Anschlag auf den Chef der rechtsextremen Partei Pro NRW geplant haben sollte – und zwei Jahre zuvor Anwärter auf einen Posten bei der Polizei in Bremen war
2016 enttarnte der Verfassungsschutz einen mutmaßlichen islamistischen Maulwurf unter seinen Mitarbeitern
Bekannter Problemfall: Polizeiakademie Berlin
Seit Ende 2017 wird am Beispiel der Polizeiakademie in Berlin debattiert, ob es sogar eine systematische strategische Unterwanderung staatlicher Dienststellen gibt. Der Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft sagte damals, es gebe durchaus Hinweise darauf, dass "arabische Großfamilien" gezielt Angehörige in den öffentlichen Dienst einzuschleusen versuchten. "Die haben natürlich ein ganz vitales Interesse daran, genau zu wissen, wo und wie Staat funktioniert, wie Polizei tickt, wann Durchsuchungen stattfinden", sagte Bodo Pfalzgraf.
Bestätigt wurde diese kontroverse Annahme nicht, ein vom Berliner Senat bestellter externer Sachverständiger fand keine Belege für eine Unterwanderung. Aber auch für die Gewerkschaft der Polizei steht fest: "Die Berliner Polizei als staatliche Institution ist unter Garantie ein Bereich, aus dem kriminelle Organisationen gern Informationen abschöpfen möchten" . Das gelte nicht nur für kriminelle Clans. "Wir wissen, dass es Islamisten gibt, und dass Berlin als europäische Metropole durchaus ein strategisch relevantes Ziel für radikale Extremisten darstellt." Für die Polizei ergäbe sich daraus aber vor allem das Erfordernis, Maßnahmen zu treffen, "damit wir solche BewerberInnen ablehnen beziehungsweise herausfiltern können, falls sich KollegInnen radikalisieren".
Unterwanderungsstrategie durch Extremisten wird vorgebeugt
Bundeswehr, Geheimdienste, Polizei sehen sich gut aufgestellt im Abwehrkampf gegen Extremisten. Hazim Fouad, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Landesamt für Verfassungsschutz in Bremen, sagt, stellvertretend für viele: "Durch die Sicherheitsüberprüfungen wird einer etwaigen Unterwanderungsstrategie durch Extremisten wirkungsvoll vorgebeugt."
Das Bewusstsein für die Gefahr wächst, die Sensibilität bei Mitarbeitern und Vorgesetzten auch, die Dunkelfelder werden zunehmend ausgeleuchtet, die Hürden für Bewerber immer höher. Aber das eine ist der Schutz der Institutionen vor Extremisten, ein anderes die rechtzeitige und richtige Ansprache der sich potenziell Radikalisierenden, bevor sie extremistisch aktiv werden. Hier sehen die Behörden eine neue Herausforderung für die Islamismusprävention: die zunehmende Verquickung und Nähe von Extremismus und Kriminalität.