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Syrien-Ausreisende und -Rückkehrer | Islamismus | bpb.de

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Syrien-Ausreisende und -Rückkehrer Ein Überblick

Marwan Abou-Taam

/ 12 Minuten zu lesen

Rund 680 Personen aus Deutschland zwischen 13 und 63 Jahren haben sich auf den Weg nach Syrien gemacht, um sich der Terrormiliz IS anzuschließen. Die meisten sind zwischen 16 und 25 Jahre alt. Was motiviert vor allem junge Männer, für den Islamischen Staat zu morden? Wie sollen wir mit den Rückkehrern umgehen?

Kreshnik B. (M) steht am 15.09.2014 im Hochsicherheitssaal des Oberlandgerichts in Frankfurt am Main (Hessen) neben seinem Verteidiger Mutlu Günal. Nach einem Aufenthalt in Syrien war der Angeklagte bei seiner Wiedereinreise nach Deutschland auf dem Flughafen Frankfurt verhaftet worden. Die Bundesanwaltschaft hatte dem jungen Mann die Mitgliedschaft in der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sowie die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat im Ausland vorgeworfen. Im Dezember 2014 wurde er zu drei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. (© picture-alliance/dpa)

Lange ging man davon aus, dass islamistischer Radikalismus ein Importgut sei. Die in den letzten Jahren im Phänomenbereich "Islamistischer Terrorismus" gewonnenen Erkenntnisse belegen aber, dass Radikalisierungsprozesse auch in europäischen Gesellschaften stattfinden können. Die geschätzte Zahl der aus der EU nach Syrien und den Irak ausgereisten "ausländischen Kämpfer" liegt bei 7000 Personen. Diese Zahl ist jedoch relativ, da in den verschiedenen EU-Staaten uneinheitlich gezählt wird. Die meisten dieser Kämpfer kommen aus westeuropäischen Ländern mit einer großen muslimischen Gemeinde und hatten vor ihrer jeweiligen Ausreise regen Kontakt zur jeweiligen salafistischen Szene. Aus Deutschland haben sich 680 Personen im Alter von 13 bis 63 Jahren auf dem Weg nach Syrien gemacht, wobei die Gruppe derjenigen zwischen 16-25 bei weitem überwiegt. Hormonell aufgeladen, revolutionär, auf der Suche nach Gerechtigkeit und Zusammenhalt haben sie sich sehr stark mit dem Leiden der Opfer des syrischen Krieges solidarisiert und verfolgen das Ziel, die Systeme in Syrien und Irak zur stürzen, um ein islamisches Gemeinwesen basierend auf den Vorgaben der Scharia aufzubauen. Die meisten Kämpfer sind sunnitische Muslime der dritten Generation, Kinder von Einwanderern aus der Region des Vorderen Orients. Andere sind junge Konvertiten aus der "Ureinwohnerschaft" ohne Migrationshintergrund. Während die meisten ausländischen Kämpfer alleinstehende Männer sind, nimmt die Zahl der Frauen, die in die Kriegsregion ziehen, stark zu, auch Kinder werden zunehmend von ihren Eltern mit in den Sog des Jihad hineingezogen. Die Mehrheit der Betroffenen sind klassische Schulbildungsverlierer. Es lassen sich unter den Ausreisenden aber auch gebildete junge Männer finden, die ihr Studium aufgegeben haben, um sich dem IS anzuschließen.

Der Weg zum IS (Marwan Abou Taam) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Gründe für die Radikalisierung

Es gibt viele Ursachen für Radikalisierung. Sie ist keine Frage des Geschlechts oder der sozialen Herkunft und kann in allen Ebenen der Gesellschaft stattfinden, unabhängig von wirtschaftlichen Gegebenheiten oder Schulabschlüssen. Obwohl Radikalisierung ein individueller Prozess ist, lassen sich zumindest bei den deutschen Aktivisten Ähnlichkeiten in der Biographie feststellen: Bei den Ausreisenden handelt es oft um Jugendliche mit Identitätsproblemen auf der Suche nach starken Gruppenerlebnissen und Lebenssinn. Sie wollen eine Rolle in der Gesellschaft haben, die ihnen oft – so ihre eigene Wahrnehmung – verwehrt wird. Von ihren Eltern bekommen sie den Vorwurf zu hören "wie die Deutschen zu sein", von der Gesellschaft werden sie als "Muslime" problematisiert. So brechen viele im Kontext ihrer Radikalisierung mit ihrem bisherigen sozialen Umfeld. Die Loslösung von der Familie und dem bisherigen Freundeskreis im Vorfeld der Ausreise wird meistens von der wachsenden Einbindung in eine salafistische Gruppe begleitet.

Bei genauer Betrachtung lassen sich die Ausreisenden grob in vier Kategorien typisieren, wobei Mischmotivationen die Regel sind:

  • ideologisch Überzeugte,

  • Abenteurer und Mitläufer,

  • "Neu- und Wiedergeborene", die ihre meist kriminelle Vergangenheit damit abbüßen wollen

  • und diejenigen, die glauben, dass sie ihre Gewalt- und Tötungsphantasien im Bürgerkrieg unbestraft ausleben können.

Die Betroffenen sehen Gewalt als berechtigtes Instrument im Jihad, um übergeordnete Ziele zu erreichen. Die dafür notwendige ideologische Indoktrination erfolgt vor allem in Kleingruppen im Rahmen von sogenannten Islamseminaren sowie in Lese- und Diskussionszirkel der salafistischen Szene. Hier wird der "Heilige Krieg" gegen alle Arten von "Ungläubigen", muslimische und nicht-muslimische, gelehrt und ein ideologisch geschlossenes, salafistisches Weltbild vermittelt. Dieses Weltbild bestimmt ein radikales Schwarz-Weiß-Denken: Jeder Konflikt wird auf eine Auseinandersetzung zwischen Gut und Böse reduziert. Diese Vereinfachung der Welt schafft eine Heimat, in der sich die Betroffenen sehr wohl fühlen. Betrachtet man den Diskurs über die Ursachen der Radikalisierung von Ausreisenden und die damit einhergehenden Debatte über die richtige staatliche und gesellschaftliche Reaktion darauf, so muss festgestellt werden, dass bei aller Bemühungen keine schlüssige Theorie existiert, die die Mehrheit der Fälle erklären kann. Vorhandene Ansätze deuten lediglich bestimmte Aspekte eines Radikalisierungsprozesses, um in der Folge festzustellen, dass sich der Ansatz für die Analyse anderer Personenkreise nicht eignet. Radikalisierungsprozesse und die Entscheidung, in die Jihadschauplätze zu ziehen, werden von verschiedenen sich oft komplementierenden Faktoren begünstigt. Dabei handelt es sich um ideologische, politische, psychologische und soziologische Dimensionen. Hierbei hängt es von der jeweiligen betroffenen Person ab, welche dieser Dimensionen auschlaggebend ist.

Radikalisierung in Deutschland (Marwan Abou Taam) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Ideologische Dimension des Radikalisierungsprozesses

Jihadistische Salafisten vertreten eine islamistische Ideologie, die sich an dem Vorbild der Gründerväter der islamischen Religion orientiert und eine vermeintlich ideale islamische Gesellschaft erschaffen will. Die grundlegenden Quellen des Islam – der Koran und die Überlieferungen des Propheten Muhammad (Sunna) – sind ihre unveränderbaren Grundfesten. In Abgrenzung zu der Mehrheit der Muslime lehnen sie jede Anpassung der Interpretation der autoritativen Quellen an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten als "unislamische Neuerungen" (arab. bid’a) kategorisch ab. Diese Neuerungen führen – der salafistischen Vorstellung nach – zwangsläufig zum "Unglauben". Zudem vertreten sie ein dualistisches Weltbild, das nur noch aus Gläubigen und Ungläubigen (arab. kuffar) besteht. Zu diesen Ungläubigen zählen neben den "üblichen" Atheisten, Juden und Christen auch alle nichtsalafistischen Muslime.

Ein Umgang mit diesen ist zu begrenzen und wenn möglich ganz zu vermeiden, da sie die "wahren" Muslime diskriminieren würden. Eben diese Diskriminierungsgefühle werden geschürt und instrumentalisiert, um Anhänger anzuwerben. Die jihadistischen Salafisten legitimiert ihre Aktionen durch die Religion und vertreten die Position, dass der militärische Jihad eine Pflicht für jeden Muslim ist und im Prinzip keine Beschränkungen in der Wahl der Mittel kennt. Dies gilt bis das Ziel der universellen Umsetzung islamisch-weltanschaulicher Prinzipien erreicht wurde. Somit ist der Jihadismus eine klare Kampfdoktrin, die jeden Gläubigen verpflichtet, den Kampf für die Errichtung und Bewahrung eines islamischen Staates aufzunehmen.

Ideologische Entwicklung (Marwan Abou Taam) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

Politische Dimension des Radikalisierungsprozesses

Betrachtet man die Funktionsweise und Rekrutierungsstrategie des IS, so wird man feststellen, dass die Ideologisierung und die Polarisierung das Hauptelement ihrer Erfolgsstrategie darstellt. Der IS lässt zunehmend für die Veränderung der Ordnung im Nahen Osten kämpfen. Dabei werden diejenigen mobilisiert, die dem Westen gegenüber feindlich eingestellt und bereit sind, diese Feindschaft in Aktionen umzusetzen. Somit richtet sich die Rekrutierungspropaganda an diejenigen, die bereits Wut empfinden, aber diese Wut nicht politisch artikulieren können. Hauptfeind bzw. konstituierendes Element ist aus IS-Sicht der dekadente Westen, der die Umma ausblutet und die Muslime ausgrenzt. Westliche Werte müssen demnach zurückgewiesen, die eigene islamische Identität verteidigt werden. Die meisten Syrienausreisenden geben an, dass sie in erster Linie von der ungerechten Gewalt gegen die Sunniten in Syrien motiviert werden und machen die "westlichen" Invasionen in der islamischen Welt dafür verantwortlich. Der Westen habe die Konflikte in die Nahostregion gebracht und würde nun zuschauen, wie die Sunniten im Irak und Syrien von den Schiiten "niedergemetzelt" werden.

Des Weiteren wird von ihnen angekreidet, dass sie in den westlichen Gesellschaften aufgrund ihrer religiösen Identität ausgegrenzt werden. In diesen Kreisen hat sich zudem der Eindruck festgemacht, dass sich die Politik hierzulande gegen den Islam verschworen habe und ihnen keine Möglichkeit übrig bleibt, als ihre Identität und Religion mit Gewalt durchzusetzen. Sie fühlen sich von der politischen Elite nicht vertreten und leugnen die Möglichkeit der politischen Teilhabe ab. Nach außen fühlen sie sich verpflichtet, sich für die Rechte der sunnitischen Muslime einzusetzen. Dabei wird von ihnen ausgeblendet, dass die Mehrheit der IS-Opfer sunnitische Muslime sind.

Psychologische Dimension des Radikalisierungsprozesses

Der IS profitiert von unterschiedlichen sozial-psychologischen Elementen innerhalb der Islamdiaspora. Viele junge Menschen leben und denken durch die mediale Verbindung zu ihren Herkunftsländern an und in heimischen Konflikten. Sie solidarisieren sich mit den dortigen Sorgen und definieren ihre Konflikte durch die Transnationalität der Religion entlang einer ethnisch-religiösen Trennungslinie. Diese Konflikte werden jedoch mit ihren eigenen in der Diaspora kombiniert und gedeutet. Die Väter der betroffenen Generation von Syrienausreisenden werden sehr oft als schwach und feige beschrieben, jedoch ist die Vaterrolle in einer patriarchalisch strukturierten Gesellschaft zentral, insbesondere dann, wenn der Vater in der eigenen Wahrnehmung als die einzige legitime Macht gesehen wird. Kommt es in solchen komplexen Beziehungssystemen dazu, dass der Vater als Beschützer der Familie in seiner traditionellen Rolle scheitert, so kann ein Gefühl der Ablehnung entstehen. Wenn die Familienstruktur mit dem Vater an der Spitze keinen Schutz bieten kann, so kann bei Kindern in einer patriarchalisch organisierten Gesellschaft ein Gefühl der Enttäuschung entstehen, das sich in Formen materieller und existenzieller Ängste ausdrückt.

Solche Erfahrungen prägen Kinder sowie Heranwachsende und machen sie besonders sensibel für vermeintliche Ungerechtigkeiten. Man kann bei diesem komplexen Vorgang von einem kannibalischen Narzissmus sprechen, denn es läuft eine kontinuierliche Entwertung der bestehenden Machtverhältnisse ab. Verhängnisvoll ist bei diesem Automatismus, dass nur durch die Entwertung anderer – mit welchen Mitteln ist zweitrangig – die eigene "Großartigkeit" gerettet werden kann. An dieser Stelle setzen die negativen Narrative über die Wahrnehmung des Islam im Westen an. Man ist nicht mehr Türke/Araber und noch nicht Deutscher. Die Zugehörigkeit zum Islam ist der Hauptbestandteil der Identität. Die Debatte über den Islam greift diese Identität massiv an. Dabei ist zu bedenken, dass kollektive Identitäten strategische soziale Konstruktionen sind, die sich durch eine enge Verflechtung von Ideen, Weltanschauungen, Religionen und Ideologien sowie soziokulturellen Werten konstituieren. Genau an dieser Stelle liefert der Salafismus die notwendige Deutung der Welt und konstruiert aktiv eine historische Wirklichkeit. Im salafistischen Dualismus wird die Differenzierung überflüssig. Je komplexer die Welt, desto einfacher muss ihre Deutung sein. Dies wird durch die IS-Propaganda komplementiert mit dem Ziel, einen kollektiven Wahn zu produzieren.

Soziologische Dimensionen des Radikalisierungsprozesses

Salafisten mit einer Fahne des Islamischen Staats (IS) bei einer Veranstaltung des umstrittenen Vereins "Helfen in Not" am 3.10.2013. Bei Veranstaltungen wie diesen werden junge Menschen radikalisiert. Laut Verfassungsschutz NRW liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei dem Verein um eine extremistische, salafistische Bestrebung handelt. (© picture-alliance/dpa)

Radikalisierungsprozesse laufen oft in salafistischen Gruppen ab. Dabei liefert die Gruppe eine Gruppenidentität, die die individuelle Identität mit all ihren Schwächen überschattet. Die innere Dynamik und die soziokulturellen Werte der salafistischen Gruppe erklären nicht nur die Rekrutierungskraft, sondern auch das Verbleiben und die Treue der Mitglieder. Die salafistische Gruppe hat eine eigene Gruppenkultur mit spezifischen Traditionen und Werten, die prinzipiell totalitär sind und vom Einzelnen die absolute Solidarität mit der Gruppe in ihrer Gesamtheit, nicht unbedingt mit dem einzelnen Individuum verlangen. Der Kontakt nach außen wird hierbei vehement abgelehnt und radikal sanktioniert, denn dieser soll nur von speziell dafür bestimmten Gruppenmitgliedern, die in ihrer Ideologie stark gefestigt sind, entsprechend strategischer Vorgaben geführt werden. Kein Gruppenmitglied äußert seine eigene Meinung, denn es gibt nur das Kollektiv. Die Migration in die Gruppe isoliert den Einzelnen psychisch und sehr oft auch physisch von seiner "normalen" Umgebung. Vertrauensbeziehungen existieren nur zu anderen Gruppenmitgliedern.

Die Kräfte, die dadurch entwickelt werden, können auch in Sekten beobachtet werden. Je stärker sich eine Person in die Gruppe eingliedert, umso weiter entfernt sie sich von ihrer ursprünglichen Lebenswelt. Eine Integration in die Gruppe bedeutet die komplette Auflösung des Individuums im Sinne der Gruppenidentität und der damit verbundenen hierarchisch einbahnigen totalen Kontrolle durch die Gruppe. Von religiösen Sekten wissen wir, dass nicht nur soziale Kontakte vorgeschrieben werden, sondern auch, dass Verehelichung von Gruppenmitgliedern diktiert wird. In salafistischen Gruppen können wir ähnliche Strukturen beobachten. Zwischen den Gruppenmitgliedern entwickeln sich im Laufe der Zeit existenzielle Bindungsverhältnisse. Daraus ergibt sich, dass Ansehen und Ruf innerhalb der Gruppe, das hierarchische Aufsteigen und die Akzeptanz durch die Mitglieder weitaus wichtiger sind als die Wahrnehmung von außen. Für religiös motivierte Gruppen sind die religiösen Texte von großer Bedeutung. Sich darin auszukennen, fasziniert und bindet zugleich. Daher ist die religiöse Indoktrination Ziel und Mittel zugleich.

Umgang mit Syrienrückkehrern – zwischen Repression und Reintegration

Etwa ein Drittel der Ausgereisten ist wieder zurückgekehrt. Für deutsche Behörden stellen vor allem diejenigen Jihadisten, die vom "Heiligen Krieg" zurückkehren, eine besondere Bedrohung dar, weil sie Erfahrungen im Kampfeinsatz, in der Schusswaffennutzung, im Bombenbau oder in der Rekrutierung von neuen Anhängern mitbringen. Einige der Rückkehrer sind traumatisiert und desillusioniert, andere sind radikalisiert und kommen mit dem Auftrag und dem Willen zurück, den Terror nach Deutschland zu bringen. Ihre Hemmschwelle zu aktiver Gewalt könnte deutlich gesunken sein. Daher müssen Syrienrückkehrer gemäß der derzeitigen Rechtsprechung damit rechnen, dass gegen sie Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat geführt werden. Das hat damit zu tun, dass die Bundesanwaltschaft die Mittel des Terrorismusstrafrechts möglichst effektiv einsetzen möchte, um die Bevölkerung vor möglichen Anschlägen zu schützen, denn die Rückkehrer werden als unkalkulierbares Risiko gesehen. In diesem Kontext wurden die Mittel für Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Verfassungsschutz erhöht und 750 neue Stellen geschaffen.

Bei vielen Rückkehrern ist es trotz Ermittlungsverfahren oft unbekannt, ob sie tatsächlich militärisch ausgebildet wurden. Und vor allem ist es sehr schwer ihnen rechtstaatlich nachzuweisen, dass und in welchem Umfang sie an Kriegsverbrechen beteiligt waren. Zumal die rechtliche Grundlage für eine Verurteilung dieser nicht unbedingt sicher ist. Somit sind die Gerichte auf die Aussagen von Betroffenen angewiesen.

In der Stadt Aarhus in Dänemark hat sich eine andere Philosophie durchgesetzt. Dort wird argumentiert, dass Jihadisten, die in Syrien oder im Irak gekämpft haben, nach der Rückkehr in ihre Heimatländer eine Gefahr sein können, wenn sie ausgegrenzt werden. Daher wurde dort ein Sonderprogramm eingeführt, das die Betroffenen, denen man nicht nachweisen kann, dass sie an terroristischen Aktionen beteiligt waren und die damit nicht verurteilt werden können, in die Gesellschaft eingliedern soll. Die Reintegration in die Gesellschaft umfasst psychologische und medizinische Hilfe und die Unterstützung bei der der Job- und Wohnungssuche. Des Weiteren wird den Rückkehrern ein Mentor zur Seite gestellt.

Dieser Ansatz aus Dänemark macht deutlich, dass im Kontext einer rechtsstaatlichen Kultur die Reintegration dieser Personen unerlässlich ist. Selbst wenn man diesen Personen Gesetzesverstöße nachweisen kann, stellt sich unmittelbar nach der Verurteilung die Frage, wie verhindert werden kann, dass diese Personen in der Haft radikalisierend auf andere Insassen einwirken bzw. wie eine Deradikalisierung der betroffenen Personen erfolgen kann. Hierbei muss immer bedacht werden, dass die Resozialisierung, also die Wiedereingliederung von Verurteilten in das soziale Gefüge der Gesellschaft, eines der Ziele einer Haftstrafe ist. Die Abkehr von Radikalität und extremistischen Neigungen ist ein langwieriger Lernprozess und bedarf der intensiven Sozialarbeit. Trotz der vielen Fälle und der steigenden Anzahl von Verurteilungen haben wir in Deutschland keine flächendeckenden Projekte der Resozialisierung.

Diejenigen, die nach Rückkehr mangels Beweise nicht verurteilt werden, sind eine besondere Herausforderung sowohl für die sicherheitspolitisch relevanten Akteure als auch die Präventionsarbeit. Für Polizei und Verfassungsschutz sind sie gewissermaßen eine deutliche Überforderung, die die Kapazität überdehnt. Eine 24-Stunden-Überwachung ist derart personal- und ressourcenintensiv, dass sie illusorisch wirkt. Auf der anderen Seite ist die Präventionsarbeit auf die freiwillige Teilnahme der Personen angewiesen. Es gibt keine gesetzliche Handhabe sie in die Maßnahme zu zwingen. Die Präventions- und Deradikalisierungsarbeit mit diesen Personenkreisen ist zeitintensiv und langwierig. Und es fehlt momentan an Projekten und qualifiziertem Personal.

Die Erkenntnisse und die darauf basierenden Einteilung der Motivationen basieren auf biographischen Analysen, Interviews mit Betroffenen und der Auswertung von Experteninterviews. Hierbei wurden Personen befragt, die in der praktischen Präventions- und Deradikalisierungsarbeit aktiv sind. Ferner wurden Gerichtsurteile, Eigendarstellungen von Jihadisten in den Sozialen Foren und propagandistische Verlautbarungen ausgewertet. Dieser Artikel ist ein Extrakt aus einer noch nicht veröffentlichten Studie des Autors.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe zum Thema Salafismus in Deutschland Thorsten Gerald Schneiders (Hrsg.) (2014): Salafismus in Deutschland. Ursprünge und Gefahren einer islamisch-fundamentalistischen Bewegung, Bielefeld. Darin insbesondere El-Mafaalani, Aladin: Salafismus als jugendkulturelle Provokation. Zwischen dem Bedürfnis nach Abgrenzung und der Suche nach habitueller Übereinstimmung, S. 355 ff.

  2. Vgl. Wiedl, Nina (2012): The Making of a German Salafiyya: The Emergence, Developement and Missionary Work of Salafi Movement in Germany, Aarhus, S.32 ff, sowie Steinberg, Guido (2012): Wer sind die Salafisten? Zum Umgang mit einer schnell wachsenden und sich politisierenden Bewegung, Stiftung Wissenschaft und Politik, SWP-Aktuell 2012/A 28, Mai 2012, S. 6ff.

  3. Vgl. Wagemakers (2012): A Quietist Jihadi: The Ideology and Influence of Abu Muhammad al-Maqdisi, 2012, S. 29 ff.

  4. Vgl. Abou Taam, Marwan (2014): Salafismus in Deutschland – Eine Herausforderung für die Demokratie, in: ZIS 9/2014, S. 442 ff.

  5. Vgl. hierzu die kommentierte Ausgabe der Reden von Usama Bin Laden, Abou-Taam, M./ Bigalke, Ruth (2006): Die Reden des Osama Ben Laden, München, insbesondere darin: Die Wegweisungen.

  6. Über Islamfeindlichkeit siehe Heitmeyer, Wilhelm (2011): Deutsche Zustände. Das entsicherte Jahrzehnt: Folge 10, Bielefeld.

  7. Vgl. hierzu die Studie von Peters, Till Hagen (2012): Islamismus bei Jugendlichen in empirischen Studien: Ein narratives Review, Veröffentlichungen des Instituts für Religionswissenschaft und Religionspädagogik 2, Bremen.

  8. Über Identität und Krise siehe Erikson, E.H. (1968): Identity: Youth and Crisis, New York.

  9. Vgl. Schmidbauer, Wolfgang: Der pharisäische und der kannibalische Narzissmus, in: Ders.: Der Mensch als Bombe. Eine Psychologie des neuen Terrorismus, Reinbek 2003, S. 64 ff.

  10. Finnemore, Martha; Kathryn Sikkink (1998): International Norm Dynamics and Political Change, in: International Organization 52: Nr. 4, S. 887-917.

  11. Vgl. Straub, Jürgen (1998): Geschichten erzählen, Geschichten bilden, Grundzüge einer narrativen Psychologie historischer Sinnbildung, in Straub, Jürgen (Hrsg.): Erzählung, Identität und historisches Bewußtsein. Die psychologische Konstruktion von Zeit und Geschichte, Erinnerun, Geschichte, Identität, Frankfurt am Main, S. 81 ff.

  12. Waldmann, Peter (2009): Radikalisierung in der Diaspora. Wie Islamisten im Westen zu Terroristen werden, Hamburg, S. 111 ff.

  13. Vgl. Fuhse, Jan A. (2001): Unser »wir« - ein systemtheoretisches Modell von Gruppenidentitäten, in SISS: Schriftenreihe des Instituts für Sozialwissenschaften der Universität Stuttgart: Nr. 1 / 200, S. 18. Hier stellt Fuhse mit Bezug auf Coser fest, dass der Konflikt mit anderen Gruppen zur Schaffung und zur Festigung der Gruppenidentität beiträgt und die Grenzen gegenüber der sozialen Umwelt erhält. Damit kann eine Gruppe "im Laufe des Konflikts mit negativen Referenzgruppen […] ihre Systemgrenze konstruieren und immer wieder rekonstruieren".

  14. Vgl. Schwonke, Martin (1999): Die Gruppe als Paradigma der Vergesellschaftung. in: Schäfers, Bernhard (Hrsg.): Einführung in die Gruppensoziologie. Geschichte, Theorien, Analysen. Wiesbaden, S.37-53.

  15. Zur alternativen Umgang mit Korantexten siehe Kermani, Navid (2009), "'Und tötet sie, wo immer ihr sie findet': Zur Missachtung des textuellen und historischen Kontexts bei der Verwendung von Koranzitaten". In: Islamfeindlichkeit. Hrsg. von Thorsten Gerald Schneiders. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 201–207.

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Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Marwan Abou-Taam für bpb.de

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