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Dschihadistische Nachwuchswerbung 2.0 Das Inspire-Magazin al-Qaidas auf der arabischen Halbinsel

Christoph Schwarz

/ 8 Minuten zu lesen

Im Inspire-Magazin aus dem Umfeld al-Qaidas vermischen sich islamistischer Hass und der poppige Look eines modernen Magazins. Für die Leser bietet es klare Freund-Feind-Schemata, will mit Texten und Bildern radikalisieren und liefert sogar Anleitungen zum Bombenbau in der heimischen Küche. Das Ziel: kampfbereite Extremisten in der muslimischen Diaspora zu Anschlägen anstacheln.

Cover des Inspire-Magazins Nummer 9: "...and inspire the believers."

Als "War of Ideas", Krieg der Ideen, wird die Auseinandersetzung mit dem transnationalen Terrorismus im englischen Sprachraum häufig bezeichnet. Die Medien sind ein integraler Schauplatz dieses Konflikts. Das hat auch die al-Qaida-Führung frühzeitig erkannt: Bereits im Jahr 2005 verwies Ayman Al-Zawahiri, Nachfolger des 2011 getöteten Osama Bin Laden an der Spitze des Terrornetzwerks darauf, dass "mehr als die Hälfte der Schlacht auf dem Schlachtfeld der Medien ausgetragen werde". Man befinde sich, so Al-Zawahiri weiter, geradezu in einer “Schlacht um die Herzen und Köpfe” der Umma, der islamischen Gemeinschaft der Gläubigen.

Im Rahmen dieser Auseinandersetzung wendet sich die Zeitschrift Inspire gezielt an die muslimische Diaspora, um aus deren Mitte Sympathisanten, Unterstützer und Kämpfer für die Sache al-Qaidas zu gewinnen. Seit 2010 in bisher neun Ausgaben von der Al-Malahem Media Production, dem Medienzentrum der Filiale al-Qaidas auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) in englischer Sprache veröffentlicht, verbindet das Magazin die Vorteile des Internet mit denen klassischer Publikationsformate. Die einzelnen Ausgaben von Inspire können aus dem Netz herunter geladen werden. Der interessierte Leser muss die gewünschten Informationen nicht auf einer oder mehreren Webseiten zusammensuchen, sondern kann das professionell gestaltete Magazin durchstöbern oder im Inhaltsverzeichnis gleich gezielt nach einzelnen Beiträgen suchen. Auch zur Weitergabe an interessierte Dritte, zum Beispiel zu Rekrutierungszwecken, eignet sich die in einzelnen Ausgaben mehr als 70 Seiten starke und mit reichlich Bildmaterial ausgestattete Zeitschrift. Als Instrument der Radikalisierung ist sie deshalb wohl deutlich besser geeignet als der Verweis auf einschlägige Websites.

Vermittlung technischer Fertigkeiten, ideologischer Rechtfertigungen und strategischer Leitlinien

Inspire ist nicht das erste englischsprachige Magazin aus dem Umfeld al-Qaidas. In den Jahren zuvor waren bereits in ähnlich professioneller Form die so genannten Jihad Recollections erschienen. Das neue Format steht nicht nur in Bezug auf seine optische Gestaltung, sondern auch den inhaltlichen Aufbau in Kontinuität zu seinem Vorgänger. Allenfalls der relativ gesehen höhere Anteil von Texten aus dem unmittelbaren Umkreis der AQAP-Führung fällt hier auf. Besondere Bedeutung kommt den Texten des in den USA geborenen und aufgewachsenen Predigers Anwar Al-Awlaki zu, der im September 2011 im Jemen durch einen amerikanischen Drohnenangriff getötet wurde. Die Aufrufe und Predigten Al-Awlakis werden als bedeutsam im Zusammenhang mit verschiedenen Radikalisierungsprozessen im Vorfeld von Anschlägen durch Einzeltäter angesehen, so zum Beispiel im Fall des amerikanischen Majors Nidal Malik Hasan, der im November 2009 auf dem amerikanischen Militärstützpunkt Fort Hood 13 Menschen erschoss. Hasan stand im regen Mailaustausch mit Al-Awlaki.

Insgesamt vermittelt Inspire den Eindruck eines dschihadistischen “Multifunktionswerkzeugs”: Die einzelnen Sektionen der jeweils ähnlich aufgebauten Ausgaben dienen spezifischen Zwecken. Ausnahmen sind nur die Sonderausgaben zum Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001 und den vereitelten Anschlägen auf Frachtflugzeuge der Firmen FedEx und UPS im Jahr 2010. Die einführende Zusammenstellung von Zitaten unterschiedlichster Persönlichkeiten ebenso wie die Sektion “Fragen, die wir alle stellen sollten” (“Questions we all should be asking”) fordert den Leser zu einer klaren Freund-Feind-Unterscheidung auf. Durch Zustimmung zu den wenig subtil formulierten Fragen soll der Radikalisierungsprozess befördert werden und schließlich zur Parteinahme im Sinne der Dschihadisten führen. Damit soll der Boden für die Aufnahme der nachfolgenden Reden, Botschaften und Interviews von Bin Laden, Al-Zawahiri, Al-Awlaki und anderen bereitet werden. Nachfolgende Sektionen zielen darauf ab, dieses Radikalisierungspotenzial in Aktivität zu überführen. Mit Fotos unterlegte Erlebnisberichte aus dem Dschihad klären den potenziellen Kämpfer darüber auf, wie der vermeintliche Alltag im Trainingslager aussieht und was ihn im Kampf erwartet. Insgesamt ist die Stoßrichtung Inspires jedoch nicht primär, Angehörige der Diaspora zur Reise in Ausbildungslager in Afghanistan oder dem Jemen zu motivieren. Vielmehr sollen die neu gewonnenen Kämpfer vor Ort, an ihren jeweiligen Aufenthaltsorten, in weitgehender Eigenregie Anschläge verüben.

Als Anhaltspunkt für mögliche Anschlagsziele liefert die Zeitschrift Listen möglicher Zielpersonen. Darüber hinaus vermittelt sie in der Rubrik “Open Source Jihad” technisches Know-how in Form einer schrittweisen Bauanleitungen für die Herstellung von Bomben aus frei verfügbaren Haushaltsmitteln und alltäglichen Gebrauchsgegenständen, informiert über Verschlüsselungstechniken und beschreibt anschaulich das Vorgehen beim Ausspähen von Anschlagszielen. Der hier vertretene Primat des dezentralen, weltweiten Dschihad weitgehend unverbundener Zellen und Einzelpersonen wird durch den auszugsweisen Neuabdruck der Schriften Abu Musab al-Suris theoretisch untermauert. Von seinem Biographen Brynjar Lia treffend als “Architekt des globalen Dschihad” bezeichnet, plädiert Al-Suri angesichts der gravierenden technologischen Überlegenheit des amerikanischen Militärs für den Übergang zum individuellen Dschihad, für den weltweit jede sich bietende Möglichkeit zur Durchführung von Anschlägen nutzt.

Die Auszüge aus den Schriften Al-Suris sind ebenso wenig neu wie die Inhalte der überwiegenden Mehrzahl der abgedruckten Texte. Im Gegenteil: Die vorgestellten Begründungsmuster und Legitimationsfiguren für den Dschihad und die in ihm anzuwendenden Taktiken sind weitestgehend deckungsgleich mit den bekannten dschihadistischen Argumentationslinien. Auch in Inspire wird der defensive Dschihad gegen die Quelle allen Übels, die USA und ihre Verbündeten nah und fern, als individuelle Pflicht für jeden Muslim herausgestellt. Das Endziel des Kampfes gegen diese Gruppe von Feinden ist die (Wieder-)Errichtung des Kalifats auf Grundlage der Schariah. Wiederholt wird betont, dass der Bereitschaft zum Märtyrertod zentrale Bedeutung zukommt, um diesen Sieg tatsächlich zu erringen. Ein Beitrag unter dem Titel “Was ist besser: Märtyrertod oder Sieg?” erklärt die Selbstaufgabe im Zeichen des Heiligen Krieges gar zur eigentlichen Voraussetzung für den Erfolg. Entsprechend dieser Argumentation stellen sich die Mujahedin durch Glauben und Selbstaufopferung in den Dienst einer Sache, die größer ist als sie selbst. Das auf diese Weise errungene Wohlgefallen Gottes wird diesen in den Augen des Autors dazu bewegen, den Kämpfern den Sieg zu schenken.

4.200 $ für gescheiterte Anschläge – und einen propagandistischen Erfolg

Das größte Echo in der Aufnahme des Magazins durch die internationale Presse und Forschung hat eine Sonderausgabe zur so genannten “Operation Blutsturz (Operation Hemorrhage)” gefunden. Im Oktober 2010 waren mit Sprengstoff gefüllte Druckerkartuschen an Bord von Fracht- und Passagierflugzeugen auf die Reise vom Jemen in die USA geschickt worden. Einer der Sprengsätze wurde am Flughafen Köln/Bonn umgeladen, bevor er an Bord einer weiteren Frachtmaschine nach Großbritannien befördert und dort nach Hinweisen des saudi-arabischen Geheimdienstes schließlich entdeckt wurde. Neben diesen beiden gescheiterten Anschlagsversuchen behauptete AQAP ferner, für den Absturz einer Boeing 747-400 der Firma UPS im September 2010 verantwortlich zu sein.

Die entsprechende Inspire-Sonderausgabe präsentiert neben technischen Details zu den verwendeten Bomben samt exklusivem Bildmaterial auch die zu Grunde liegende “Strategie der 1000 Schnitte”. In dieser geht es nicht mehr primär darum, Anschläge verheerenden Ausmaßes wie am 11. September 2001 zu verüben. Angesichts weltweit verschärfter Sicherheitsmaßnahmen, die in den Augen der Autoren gerade im Fall der USA Ausdruck eines regelrechten “Sicherheitswahns” sind, schreiben sie im Magazin, dass es sinnvoller und gleichzeitig praktikabler sei, kleinere Anschläge mit weniger Attentätern und geringerer Vorbereitungszeit bei gleichzeitiger steigender Häufigkeit der Angriffe durchzuführen.

Im Fall der “Operation Blutsturz” werden bereits die Anschlagsversuche unabhängig von der Entdeckung der Sprengsätze als Erfolg gewertet, da die Pakete nicht bei den Sicherheitskontrollen, sondern nur durch Geheimdienstinformationen entdeckt worden sind. Die Zielstaaten würden damit vor die Alternative gestellt, weitere gigantische Summen in Sicherheitsmaßnahmen zu investieren oder nichts zu tun und darauf zu vertrauen, dass die unvermeidlich folgenden Anschlagsversuche ebenfalls scheitern – eine aus Sicht der Inspire-Autoren undenkbare Alternative. Entschieden sich die politischen Entscheidungsträger zu neuerlichen, massiven Investitionen in die Flug- und Flughafensicherheit, unterstützten sie damit nur das terroristische Kalkül. Ihre ökonomische Leistungsfähigkeit werde durch diese Ausgabenpolitik in der ohnehin angespannten Lage der Weltwirtschaft noch weiter geschwächt. Insgesamt folgt diese Argumentation der Autoren der klassischen Logik der Ermattungsstrategie: Der Feind soll durch anhaltende Kosten und Verluste soweit in seiner Widerstandskraft geschwächt werden, bis er zusammenbricht.

Ob die "Strategie der 1000 Schnitte" die westlichen Staaten tatsächlich in die Knie zwingen kann, bleibt abzuwarten. Autoren wie Ulrich Schäfer und Daveed Gartenstein-Ross haben dem zu Grunde liegenden Kalkül allerdings ein erhebliches Erfolgspotenzial attestiert. Weitgehend unbeachtet in diesem Zusammenhang ist jedoch der Umstand geblieben, dass es sich bei den Ausführungen in der Inspire-Sonderausgabe um eine Rechtfertigung handelt, die nach dem Scheitern der Anschlagsversuche veröffentlicht wurde. Folglich könnte man hier mit einiger Berechtigung auch vom Versuch einer professionell und medienwirksam in Szene gesetzten Schadensbegrenzung unter einem strategischen Deckmantel ausgehen. Zudem handelt es sich bei Inspire lediglich um das Organ einer der Filialen al-Qaidas. Ob deren strategische Ausrichtung als repräsentativ für die verschiedenen Teile des Terrornetzwerks angesehen werden kann, darf bezweifelt werden. In der Forschung ist die Frage umstritten, ob al-Qaida überhaupt als strategisch handelnder Akteur begriffen werden kann. Und selbst unter Autoren, die diese Frage bejahen, herrscht Uneinigkeit in Bezug auf die Frage, ob eine Ermattungsstrategie hierbei das leitende Paradigma darstellt. Angesichts der zentralen Bedeutung, die dem Faktor Mobilisierung in zahlreichen Aussagen Bin Ladens und seines Nachfolgers Zawahiri und eben auch durch die Herausgeber von Inspire explizit attestiert wird, wird die Strategie häufig auch als Mobilisierungsstrategie charakterisiert.

Besorgnis erregender Trend, aber nichts grundsätzlich Neues

Bei dem bereits angesprochenen Drohnenangriff im September 2011 wurde neben Al-Awlaki auch Samir Khan getötet. Khan, wie Al-Awlaki amerikanischer Staatsbürger, steuerte zahlreiche Beiträge zu Inspire bei und wurde verschiedentlich als Chefredakteur des Magazins genannt. Die in Medienberichten geäußerte Hoffnung, dass mit dem Tod Al-Awlakis und Khans auch das Ende von Inspire gekommen sein würde, hat sich nicht bewahrheitet. Eine Ausgabe ist 2012 bereits erschienen, weitere sind angekündigt.

Insgesamt stellt die durch Inspire und andere Zeitschriften gezielt betriebene Mobilisierung der muslimischen Diaspora im Sinne der radikalen Ziele al-Qaidas eine Besorgnis erregende Entwicklung dar. Inspire schafft eine niedrige Eintrittsschwelle für interessierte und der Ideologie des Terrornetzwerks aufgeschlossene potenzielle Rekruten. Gleichzeitig darf bei aller berechtigen Sorge jedoch nicht übersehen werden, dass Al Qaida bisher weit hinter den selbst gesteckten Rekrutierungszielen zurück geblieben ist. Zudem ist zu bezweifeln, dass die bloße Lektüre gleichermaßen willige und fähige Terroristen hervorbringt. Besorgt darf man wegen Inspire also durchaus sein – Alarmismus ist hingegen fehl am Platz.

Weiterführende Literatur

Gartenstein-Ross, Daveed, Bin Laden’s Legacy. Why We‘re Still Losing The War on Terror, Hoboken 2011.

Jane’s Terrorism & Security Monitor, AQAP after Awlaqi, October 2011, 16-18.

Kurzman, Charles, The Missing Martyrs. Why There are So Few Muslim Terrorists, Oxford/New York 2011.

Schäfer, Ulrich, Der Angriff. Wie der islamistische Terror unseren Wohlstand sprengt, Frankfurt am Main 2011.

Wiktorowicz, Quintan, A Genealogy of Radical Islam, Studies in Conflict & Terrorism, 28/2005, 75-97.

ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter mit dem Schwerpunkt Internationale Beziehungen und Strategische Studien am Institut für Politische Wissenschaft RWTH Aachen.