Russlands OSZE-Politik spiegelt das Auf und Ab seines Beziehungen zum Westen
Unerfüllbare Hoffnungen und große Erwartungen am Anfang
Die russische OSZE-Politik steht sichtbar in der Tradition der Sowjetunion, die zu den Initiatoren der Vorläufer der Organisation gehört. 1975 war die UdSSR maßgeblich an der Initiierung der KSZE beteiligt. Die UdSSR und ihre osteuropäischen Verbündeten wollten damit den für sie vorteilhaften territorialen Status quo in Europa festigen, ihre eigene Position stärken, den "Kalten Krieg" entschärfen, die Beziehungen zu den westlichen europäischen Staaten auszubauen und die Rolle der USA auf dem europäischen Kontinent schwächen.
Der Westen setzte hingegen von Anfang an darauf, die Sowjetunion und ihre Verbündeten durch einen engen politischen Dialog und verstärkte wirtschaftliche Zusammenarbeit auf die Einhaltung der Menschenrechte und die völkerrechtlichen Grundsätze der Souveränität der Staaten und der Nichteinmischung zu verpflichten. So sollten einerseits die Spielräume für oppositionelle Kräfte im Innern der Sowjetunion und ihrer Verbündeten erweitert und andererseits Moskau davon abgehalten werden, etwaige Demokratisierungsprozesse durch militärische Interventionen zu ersticken, wie dies bereits in der Vergangenheit mehrfach geschehen war. Ziel des Westens war die Veränderung des territorialen Status quo durch die Förderung eines friedlichen Regimewandels.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 war die KSZE für Russland eine wichtige Plattform, um seine neue Kooperationsbereitschaft unter Präsident Boris Jelzin unter Beweis zu stellen. Doch die Erwartungen Russlands, dass sich die NATO bald auflösen und sich die KSZE zur wichtigsten Sicherheitsorganisation mit echten Entscheidungsbefugnissen in Europa entwickeln würde, erfüllten sich nicht. Die westlichen Staaten hatten andere Vorstellungen. Sie setzten auf die Erweiterung der NATO und der EU, um die Einigung Europas voranzutreiben. Russland wurde dabei immerhin die Rolle eines strategischen Partners zuerkannt.
Moskau reagierte 1993-1994 mit ersten Reformvorschlägen. Diese und alle folgenden Initiativen zielten darauf ab, die Rolle der KSZE/OSZE als Sicherheitsorganisation und damit auch die eigene Rolle in Europa zu stärken. Die meisten russischen Reformvorschläge wurden von den NATO- und EU-Staaten abgelehnt, die nicht die OSZE, sondern ihre eigenen Integrations- und Sicherheitsstrukturen weiterentwickeln wollten.
Marginalisierung der OSZE in der russischen Außenpolitik – von den 1990er Jahren bis zur Ukrainekrise
Die Kosovo-Krise 1999, die schrittweise Osterweiterung von NATO und EU sowie die lauter werdende westliche Kritik an Russland wegen seines Vorgehens im zweiten Tschetschenienkrieg (1999), aber auch Rückschritte bei der Demokratisierung innerhalb Russlands, insbesondere seit Wladimir Putin an die Macht gekommen war (1999), führten dazu, dass Russland die OSZE zunehmend als unwirksam kritisierte und sie sogar als "vulgäres Instrument" des Westens bezeichnete.
Als Reaktion fördert Russland seit 2000 aktiv eigene Integrations- und Sicherheitsstrukturen, so zum Beispiel die "Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit" (OVKS).
Russlands Bewertung der OSZE verschlechterte sich auch dadurch, dass das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der OSZE (ODIHR
Daraufhin verweigerte Moskau 2007-2008 die Beobachtung der russischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen durch ODIHR; 2007 suspendierte Russland seine Teilnahme am KSE-Vertrag.
Die Versuche, den Geist der Zusammenarbeit in Europa wieder zu beleben, insbesondere nach der Kosovo-Krise auf dem OSZE-Gipfeltreffen von Istanbul (1999) und nach dem russisch-georgischen Krieg 2008 auf dem Gipfeltreffen von Astana (2010), führten zwar zu vielversprechenden gemeinsamen Erklärungen der Mitgliedsstaaten, echte Veränderungen blieben jedoch angesichts der sich zuspitzenden Spannungen zwischen Ost und West stecken.
Die Liste der gegenseitigen Vorwürfe und Anschuldigungen ist lang und kann hier nicht näher behandelt werden (z.B. von russischer Seite: die Osterweiterungen der EU und der NATO, die westlichen Raketenabwehrpläne und der Umstand, dass Russland von vielen wichtigen Entscheidungen ausgeschlossen wird, Bruch des Völkerrechts durch den Westen durch die Kosovo-, Irak- und Libyen-Intervention; von der Seite des Westens: das russische Vorgehen in beiden Tschetschenienkriegen und im russisch-georgischen Krieg, Menschenrechtsverletzungen und die zunehmend autoritären Entwicklungen in Russland. Sicherlich tragen beide Seiten – Russland und der Westen – Verantwortung dafür, dass die OSZE als Organisation, aber auch als die Verkörperung des Dialogs und der Zusammenarbeit allmählich marginalisiert wurde. Die weiter bestehende Kooperation konzentrierte sich vor allem auf weniger wichtige Sicherheitsprobleme (sog. soft security), während in "harten" Sicherheitsfragen weiterhin eine Ost-West-Blockmentalität und Misstrauen vorherrschten.
Die russische Haltung zur OSZE seit der Ukrainekrise (2014)
Heute wird die OSZE in Moskau als eine westlich dominierte Organisation angesehen, in der Russland marginalisiert wird. Wie die beiden russischen Autoren Mark Entin und Jekaterina Entina schreiben, will der Westen "Russland aus dem europäischen Raum ausschließen, aber weder heute noch in der Zukunft wird Russland auf seine Präsenz in Europa und den Einfluss auf sein Schicksal verzichten."
Deshalb fordert Russland seit 2008 Verhandlungen über einen neuen Sicherheitsvertrag für Europa. Dieser Vertrag soll helfen, die Aufnahme weiterer Länder in die NATO zu stoppen, Russland in Entscheidungen über Fragen der europäischen Sicherheit stärker einzubinden und zur Anerkennung Russlands als gleichberechtigte Großmacht mit strategischen Interessen im post-sowjetischen Raum beitragen.
Dass die OSZE auch für Russland relevant bleibt, zeigte sich im Laufe der Ukrainekrise.
Die "wichtigste Aufgabe" der OSZE sieht Russland darin, dass sie "wieder zum einmaligen Forum für einen gleichberechtigten und gegenseitig respektvollen Dialog und für kollektive Beschlussfassung über akute Fragen der regionalen Sicherheit wird".
Eine Reform der OSZE sowie die Stärkung der Mechanismen der Konfliktprävention, Rüstungskontrolle und des Dialogs im Rahmen der OSZE betrachtet Russland im aktuellen Kontext der Situation in der Ukraine als eine Möglichkeit, den Weg aus der heutigen Krise zwischen Russland und dem Westen zu finden.
Gegenwärtig ist die OSZE ständig in den russischen Medien und in den Äußerungen von offiziellen Vertretern präsent. Russland appelliert an die OSZE, die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine zu schützen sowie die ukrainische Regierung dahingehend zu beeinflussen, dass sie ihre Verpflichtungen aus dem "Minsk-Abkommen"
Zusammenfassend nutzt Russland die OSZE vor allem, um seine Außenpolitik zu legitimieren, um für Moskau wichtige Themen auf der europäischen Bühne anzusprechen und insbesondere, um auf Probleme in westlichen -Mitgliedsstaaten der OSZE aufmerksam zu machen. Die OSZE gilt aus russischer Sicht insgesamt als nützlich. Das zeigen auch die positiven Reaktionen Moskaus, z.B. auf die Wiederaufnahme von Verhandlungen über Transnistrien, die Berufung von Wladislaw Grib (Russland) zu einem der drei persönlichen Beauftragten des OSZE-Vorsitzenden für Toleranz und Nichtdiskriminierung, Äußerungen von Außenminister Frank-Walter Steinmeier als OSZE-Vorsitzender über die Bedeutung des Dialogs mit Russland. Ebenfalls mit Wohlwollen registrierte Russland, dass ODIHR die Parlamentswahlen in Russland 2016 weniger kritisch als die früheren beurteilt hat.
Auf der anderen Seite stellt die russische Annexion der Krim weiterhin eine schwere Verletzung des Völkerrechts und der OSZE-Prinzipien dar. Russland und die pro-russischen Rebellen behindern und blockieren in der Ostukraine immer wieder die Arbeit der OSZE-Beobachtermission. Die logistische, finanzielle, militärische und politische Unterstützung der Rebellen durch Russland erschwert die Lösung des Konflikts. Diskussionen in den Gremien der OSZE beschränken sich häufig auf gegenseitige Beschuldigungen.
Literatur
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