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NATO-Einsatz in Libyen Militärische Maßnahmen der NATO im Jahr 2011

Markus Kaim

/ 5 Minuten zu lesen

2011 griff die NATO in den libyschen Bürgerkrieg ein. Erklärtes Ziel war u. a. die Umsetzung einer Flugverbotszone und der Schutz der Zivilbevölkerung. Innerhalb der NATO war der Einsatz umstritten.

Ein Kampfflugzeug wartet auf der Startbahn eines französischen Flugzeugträgers vor der libyschen Küste auf seinen Einsatz zur Umsetzung der Flugverbotszone im Libyen-Konflikt. (© picture-alliance/AP, Christophe Ena)

Ausgangspunkt der Libyen-Operation der NATO war der sogenannte Interner Link: Arabische Frühling im Frühjahr 2011, als sich Demokratiebewegungen in Nordafrika und dem Nahen Osten gegen die Interner Link: autoritären Regime der Region richteten. Im Februar 2011 erreichte diese Bewegung auch Libyen, wo innerhalb weniger Tage zahlreiche gegen die Herrschaft von Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi demonstrierende Menschen ums Leben kamen. Als sich die Demonstrationen ausbreiteten, weiteten sich die Auseinandersetzungen zu einem Bürgerkrieg zwischen der Regierung und dem von oppositionellen Kräften gegründeten Nationalen Übergangsrat im Osten des Landes aus. In dessen Verlauf drohte die Regierung an, rücksichtslos gegen die Aufständischen vorzugehen.

Weitere Hintergründe zum Konflikt in Libyen

Während Frankreich, Großbritannien und die Vereinigten Staaten von Amerika in Reaktion auf eine Resolution des Interner Link: UN-Sicherheitsrates sofort militärische Maßnahmen in Form von Luft- und Raketenangriffen ergriffen (Operation Odyssey Dawn), kamen bereits wenige Tage nach der Operation Überlegungen auf, die Durchführung der Militäroperation der NATO zu übertragen. Am 22. März 2011 erklärte sich die Allianz zunächst bereit, das Waffenembargo gegen Libyen durchzusetzen; zwei Tage später kündigte sie an, alle militärischen Aspekte der Resolution 1973 durchzusetzen (Operation Unified Protector - OUP). Am 31. März 2011 übernahm das NATO-Kommando in Neapel die Einsatzführung der „Koalition der Willigen“ aus 14 Mitgliedstaaten sowie Jordanien, Katar, Schweden und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die OUP dauerte bis zum 31. Oktober 2011.

Aufgaben der NATO-Truppen

Die OUP hatte drei Hauptaufgaben:

  1. die Durchsetzung eines Waffenembargos im Mittelmeer, um den Transfer von Waffen, damit verbundenem Material und Söldnern nach Libyen zu verhindern;

  2. die Durchsetzung einer Flugverbotszone, um die Bombardierung ziviler Ziele durch Flugzeuge zu verhindern;

  3. die Unterbindung von drohenden und erfolgten Angriffen auf libysche Zivilistinnen und Zivilisten durch see- und luftgestützte Angriffe gegen militärische Kräfte.

Bereits Anfang März 2011 hatte die NATO ihre Überwachungsoperationen im Mittelmeerraum verstärkt. Das Bündnis entsandte AWACS-Flugzeuge (Airborne Warning and Control System) sowie Schiffe von NATO-Staaten in die Mittelmeerregion rund um Libyen, um die Küste und den Luftraum des Landes rund um die Uhr zu beobachten. Bodentruppen der NATO waren nicht involviert.

Politisch haben alle NATO-Mitglieder der Operation zugestimmt, aus verschiedenen Gründen sahen einzelne Mitglieder jedoch von einer militärischen Beteiligung ab. Einige sahen keine sicherheitspolitische Bedrohung, die ein Eingreifen der NATO erfordert hätte, andere verwiesen auf die Gefahr, Partei innerhalb des libyschen Bürgerkriegs zu werden. Zeitweise waren mehr als 8.000 Soldatinnen und Soldaten, 21 Schiffe und mehr als 250 Flugzeuge für die OUP im Einsatz.

Mandatsgrundlage

Als Reaktion auf die Kämpfe in Libyen verabschiedete der UN-Sicherheitsrat am 26. Februar 2011 die Resolution 1970. Darin verurteilte der Sicherheitsrat den Einsatz militärischer Gewalt gegen Zivilistinnen und Zivilisten, prangerte „schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen“ auch gegen friedlich Demonstrierende an und verhängte ein Waffenembargo gegen das Land. Nachdem sich die Lage in den Folgewochen weiter verschlechtert hatte, folgte im März 2011 die Resolution 1973. Darin stellte der Sicherheitsrat fest, dass es weiterhin zu systematischen Menschenrechtenrechtsverletzungen komme, wie etwa willkürliche Verhaftungen, Folter und Hinrichtungen, und forderte einen unverzüglichen Waffenstillstand. Zugleich wurde eine Flugverbotszone über Libyen verhängt und die UN-Mitgliedstaaten wurden ermächtigt, alle erforderlichen Maßnahmen zum Schutz der libyschen Zivilbevölkerung zu ergreifen.

In die Debatten um die Rechtsgrundlage der NATO-Operation fand die sogenannte Schutzverantwortung (Interner Link: Responsibility to Protect) Eingang, die in den Jahren zuvor in den UN entwickelt worden war: Sei die politische Führung eines Staates nicht fähig oder willens, seine Bürgerinnen und Bürger vor schweren Menschenrechtsverletzungen zu schützen, dürfe die internationale Staatengemeinschaft zum Schutz der bedrohten Bevölkerung eingreifen. Dazu stünden ihr nach Maßgabe der Interner Link: UN-Charta zivile und militärische Mittel zur Verfügung, über deren Einsatz der Sicherheitsrat entscheidet.

Eine Interner Link: völkerrechtliche Kontroverse hat sich in der Folge der OUP entzündet: Interner Link: Kritikerinnen und Kritiker monierten, dass die NATO die Regierung von Präsident Gaddafi gestürzt habe und damit den legitimatorischen Rahmen des Mandats, das lediglich auf den Schutz der Zivilbevölkerung zielte, bei weitem überschritten habe. In manchen Ländern, vor allem des globalen Südens, ist so der Eindruck entstanden, die Allianz habe auf einen gewaltsamen Regimewechsel von außen gezielt. Befürwortende der Intervention hielten dem entgegen, dass dies möglicherweise ein ungewollter Effekt der Operation gewesen sei, sich die NATO aber mit ihrer Operation im Kern an das Mandat der Schutzverantwortung gehalten habe.

Deutsche Beteiligung

Die Bundesrepublik Deutschland hat sich nicht an der OUP beteiligt und sich bei der Abstimmung zur Resolution 1973 als nicht-ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates enthalten. Das hat zu erheblichen Irritationen unter den Verbündeten geführt. Denn grundsätzlich hatte die Bundesregierung ihre Ablehnung der Politik des Gaddafi-Regimes klar artikuliert, weshalb sie die politische Stoßrichtung der Resolution 1973 durchaus unterstützte. Ihre Bedenken richteten sich jedoch gegen die Wahl der Mittel, das heißt gegen die Flugverbotszone und das damit verbundene militärische Eingreifen. Frankreich, Großbritannien und die USA unterstützten hingegen das in der Resolution skizzierte Vorgehen gegen das libysche Regime.

Zur Kompensation bot die Bundesregierung ihren Bündnispartnern eine Art „Tauschgeschäft“ an: Deutsche Soldatinnen und Soldaten sollen sich am Einsatz von AWACS-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan beteiligen, damit sich die NATO stärker auf Libyen konzentrieren können.

Bilanz

Die Bilanz der OUP ist ambivalent einzuschätzen. In Sinne des Mandats kann von einem Erfolg gesprochen werden, denn im Oktober 2011 endeten die Kämpfe des Bürgerkriegs zunächst, ein nationaler Übergangsrat konnte die Regierungsgewalt übernehmen und der Schutz der Zivilbevölkerung schien wieder gewährleistet.

Problematischer ist jedoch die langfristige Entwicklung des Landes. Denn seit dem Sturz von Präsident Gaddafi ist Libyen weitgehend ohne zentrale staatliche Autorität. Während der bewaffneten Auseinandersetzungen wurden überall im Land die Waffenarsenale des Regimes geplündert und es entstanden zahlreiche neue Milizen. So schuf der Bürgerkrieg von 2011 den Nährboden für neue Gewalt und Konflikte. Auch im ab 2014 bis 2020 folgenden Bürgerkrieg konnte keine Konfliktpartei die Oberhand gewinnen, sodass das Land bis heute in unterschiedliche militärische und politische Einflusszonen unterteilt ist und die Anwendung von Gewalt zum Alltag gehört. Die Durchführung allgemeiner Wahlen ist 2021 gescheitert, eine politische Einheit des Landes scheint in weite Ferne gerückt zu sein. Zudem spielen die Interventionen von Regional- und Großmächten wie Russland, den Vereinigten Arabischen Emiraten und der Türkei, die in Libyen auch militärisch aktiv sind, eine immer größere Rolle im Konflikt, sodass von einem „internationalisierten internen Konflikt“ gesprochen werden muss.

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Dr. Markus Kaim ist Politikwissenschaftler und Sicherheitsexperte. Als Senior Fellow in der Forschungsgruppe Sicherheitspolitik der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin verfasste er mehrere Textbeiträge für das Dossier NATO auf bpb.de. Seit Mai 2024 leitet er das Referat „Geoökonomie und Sicherheitspolitik“ im Bundesministerium der Finanzen (BMF).