Die situative Kriminalprävention erforscht die konkreten Situationen, in denen es zu kriminellem Verhalten kommt. Ziel dieses Ansatzes ist es, Tatgelegenheiten zu reduzieren.
Situative Kriminalprävention
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Formen der Kriminalprävention
Kriminalprävention wird häufig in primäre, sekundäre und tertiäre Prävention unterteilt, die grundsätzlich unterschiedliche Ansätze und Strategien zur Vorbeugung von Kriminalität aufweisen. Während die primäre Prävention sich vornehmlich den tieferen Ursachen von Kriminalität widmet und beispielsweise durch erzieherische Arbeit bei Kindern und Jugendlichen und die Verbesserung der sozialen Bedingungen einen Rückgang der Kriminalität erreichen will, zielt die tertiäre Prävention auf die Verhütung von Rückfällen bei Tätern ab.
Die situative Kriminalprävention, um die es im Folgenden gehen wird, ist dagegen der sekundären Prävention zuzuordnen. Dieser Ansatz zielt auf die Abschreckung potenzieller Täter; hier geht es auch um Polizeiarbeit, um die Reduzierung von Tatgelegenheiten und um Opferschutz
Tägliche Routinen und Lebensgewohnheiten beeinflussen die Kriminalitätsraten
Der Ansatz der situativen Kriminalprävention (Situational Crime Prevention) lässt sich beschreiben als Versuch, die raum- und situationsgebundenen Bedingungen von Kriminalität so zu verändern, dass diese verhindert bzw. reduziert wird
Der seit den 1970er Jahren von Cohen und Felson entwickelte Routine Activity Approach beschreibt Kriminalität als Zusammenspiel von Täter, Ziel und Bewachung. Er untersucht Tatgelegenheiten und Viktimisierungsrisiken, die sich aus dem täglichen Leben und den Routinen in der Freizeit, am Arbeitsplatz oder im Urlaub ergeben (routine activities). Demnach entsteht Kriminalität auf der Mikroebene immer dann, wenn ein potenzieller Täter auf ein potenziell lohnendes Ziel ohne entsprechenden Schutz trifft.
Die ebenfalls seit den 1970er Jahren entwickelte Rational Choice Theory oder auch "Theorie des rationalen Wahlhandelns" ist von volkswirtschaftlichem Denken geprägt und wird auch als kriminalökonomischer Ansatz bezeichnet. Während andere Theorien Kriminalität aus der Veranlagung des Straftäters, seiner Geschichte oder psychologischen Verfassung in Interaktion mit seiner Umwelt erklären, geht die Rational Choice Theory von einer rationalen Kosten-Nutzen-Analyse aus. Es wird angenommen, dass der Täter seine Risiken mit den zu erwartenden Gewinnen abgleicht und sich daraufhin für oder gegen die Tat entscheidet.
Tatgelegenheiten sollen reduziert werden
Situative Kriminalprävention nutzt diese Erkenntnisse insofern, als sie die Gelegenheiten für Kriminalität reduzieren will. Bedingungen, die ein günstiges Tatumfeld schaffen, sollen so beeinflusst werden, dass für möglichst viele unterschiedliche Täter das Risiko erhöht und der zu erwartende Gewinn verringert wird
Aus der Sicht dieses Ansatzes können weder der Blick ausschließlich auf die Täter noch der ausschließlich auf die Umwelt bzw. den möglichen Tatort Kriminalität vollständig erklären. Mögliche soziale und psychologische Ursachen für abweichendes Verhalten werden nicht negiert, aus Gründen der Praktikabilität konzentriert sich die situative Kriminalprävention jedoch eher auf situationsgebundene Bedingungen, um bei der Kriminalitätsbekämpfung schneller Erfolge aufweisen zu können
Kritik
Kritiker werfen den Vertretern der situativen Kriminalprävention nichtsdestotrotz die Schlichtheit der Theorie vor. Auch würden diese sich unter Missachtung tieferer Kriminalitätsursachen nur deren Auswirkungen zuwenden und sich damit zudem als Dienstleister in Abhängigkeit von staatlichen Sicherheitsorganen begeben. Das Problem der Verdrängung von Kriminalität durch situative Maßnahmen halten Kritiker ebenfalls für nicht gelöst; die Kriminalität werde dadurch nicht verringert, sondern schlicht an andere Plätze verlagert, oft zum Nachteil sozial Schwächerer
Beispiele aus der Praxis
Im Folgenden sollen fünf Ansätze vorgestellt werden, mit denen Straftaten durch situative Kriminalprävention verhindert werden können. Hierbei ist es wichtig, die für das jeweilige Kriminalitätsproblem am besten geeigneten Lösungen auszusuchen. Geeignet sind Lösungen dann, wenn sie geringe ökonomische und soziale Kosten − Unbequemlichkeit, sozialer Ausschluss, mangelnde Ästhetik − verursachen und auf die unmittelbaren Ursachen vor Ort abzielen.
1. Den Aufwand für den Täter erhöhen
Hierunter werden alle Maßnahmen verstanden, die es dem Täter schwerer machen, seine kriminelle Aktivität auszuführen. Dazu zählen zum Beispiel:
Fahrradschlösser
Wegfahrsperren in Autos.
Das britische Design Against Crime Research Center hat einen "diebstahlsicheren" Stuhl konzipiert; an ihm lassen sich Handtaschen so befestigen, dass sie nicht gestohlen werden können
.
Elektronische Ausgangskontrolle in Warenhäusern
.Die Kontrolle potenzieller Waffen bzw. Werkzeuge. So sind in Australien Anti-Graffiti-Gesetze in Kraft getreten, die den Verkauf von Sprühdosen generell und insbesondere an Jugendliche streng regulieren und teilweise bereits das Mitführen von Sprühdosen in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen
. Die Spannweite der Einflussmöglichkeiten reicht demnach von der Einführung strenger Waffengesetze bis zur Ausgabe von Plastikbechern anstelle von Gläsern auf Volksfesten.
2. Das Risiko für den Täter erhöhen
In diese Kategorie fallen alle Maßnahmen, die dazu beitragen, das Entdeckungsrisiko für den Täter zu erhöhen und ihn von der geplanten Tat abzuschrecken. Hierzu zählen:
Schutz vor Einbrechern durch Simulation von Anwesenheit im Urlaub, etwa durch automatisches An- und Ausschalten der Beleuchtung mit Zeitschaltuhren.
Auch der gezielte Einsatz von natürlicher Überwachung hilft, den Täter zu entmutigen und sein Risiko zu erhöhen. Unter natürlicher Überwachung versteht man etwa ausreichend beleuchtete Wege und Straßen, aber auch kurz geschnittene Sträucher und Hecken, die es Nachbarn oder Passanten erlauben, Räume zu überblicken und so eventuelle Straftaten zu beobachten.
Zugbegleiter im öffentlichen Personennahverkehr sollen durch ihre Präsenz tätliche Übergriffe und Vandalismus verhindern.
Verantwortung zeigt sich aber auch in der Ermunterung zu und Belohnung von Zivilcourage und Wachsamkeit, wie es in Deutschland zum Beispiel die Aktion "Tu was" der Polizeilichen Kriminalprävention der Länder anstrebt
.
3. Die Belohnung verringern
Hier soll den Tätern der Anreiz genommen werden, straffällig zu werden, indem der zu erwartende Nutzen reduziert wird. Dies kann auf unterschiedlichste Art und Weise geschehen:
Die geschlechtsneutrale Auflistung von Teilnehmern in Telefonverzeichnissen erschwert es potenziellen Tätern, Frauen als Opfer zu erkennen.
Auch die Kennzeichnung von Wertgegenständen und Fahrrädern ist ein sinnvolles Mittel gegen Diebstahl, da es für den Täter schwerer ist, markierte Gegenstände weiterzuverkaufen und diese schnell zu ihrem Besitzer zurückverfolgt werden können.
Den Markt für gestohlene Gegenstände zu verunsichern, etwa durch eine Überwachung von Leihhäusern und Second-Hand-Läden; auch die Kontrolle von Kleinanzeigen in Zeitungen oder im Internet gehört hierzu.
Auch die schnelle Entfernung von Graffiti gehört in diese Kategorie des Verringerns der "Belohnung" für den Täter.
4. Anreize und Provokationen reduzieren
Alle Maßnahmen in dieser Kategorie zielen auf die Schaffung einer entspannten, ruhigen, gewalt- und störungsfreien Atmosphäre ab, um Täter zu entmutigen und keine leicht vermeidbaren Anreize für kriminelles Verhalten zu generieren. Dazu gehören:
Die Vermeidung von Streit, hierzu dient etwa die getrennte Platzierung gegnerischer Fußballfans, die Festlegung fester Tarife in Taxis oder auch die Beachtung der maximal zulässigen Teilnehmerzahl bei Veranstaltungen und in Gaststätten.
Der Anreiz, durch so genanntes "Abziehen" Jugendlichen teure Kleidungsstücke zu rauben, kann durch das Tragen von Schuluniformen vermindert werden.
Zur Reduzierung von Anreizen gehören auch solche Maßnahmen, die den modus operandi von Straftaten verschleiern, um Nachahmer abzuhalten; die schnelle Entfernung von Graffiti, aber auch von anderen Vandalismusschäden wirkt in diesem Sinne.
5. Ausreden beseitigen
Hierzu gehört die Festsetzung von Regeln, die eingehalten werden sollen. Dazu zählen:
Verhaltensregeln für einen bestimmte Ort oder eine Veranstaltung, die sich gegen Belästigung oder Gewalt richten, aber auch Verträge. So werden an Schulen häufig Schulverträge abgeschlossen, die die Rechte und Pflichten der Schüler regeln.
Zur Verdeutlichung bestehender Regelungen können auch Schilder beitragen, die auf Parkmöglichkeiten und -verbote hinweisen, Privatgrundstücke anzeigen oder auch das Verhalten im öffentlichen Raum regulieren.
Schließlich gehört auch die Kontrolle von Drogen- und Alkoholkonsum zur situativen Prävention.
Ständige Weiterentwicklung der Theorie nötig
Diese Vielzahl von Anwendungsbeispielen zeigt, welche Möglichkeiten die situative Kriminalprävention bei der Bekämpfung verschiedenster Delikte und Probleme bieten kann. Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass bei jeder Maßnahme eine genaue Problemanalyse vorgenommen werden muss, um die richtigen Werkzeuge aus diesem Pool von Möglichkeiten zu nutzen. Die mögliche Verlagerung von Kriminalität an andere Plätze, die Anpassung der Täter an Präventionsstrategien, neue technische Möglichkeiten oder soziale Veränderungen z.B. durch Arbeitslosigkeit, Armut oder Zuwanderung müssen in die Präventionskonzepte eingearbeitet werden, um deren Effektivität zu gewährleisten. Daher wird die situative Kriminalprävention von ihren Vertretern aus Wissenschaft und Praxis ständig weiterentwickelt und an neue Bedingungen angepasst. Dazu gehört auch eine regelmäßige Evaluation der Projekte: Vertreter dieses Ansatzes betonen, dass trotz anhaltender Kritik am Konzept der situativen Prävention wohl keine andere Form der Kriminalitätskontrolle so viele evaluierte erfolgreiche Projekte vorweisen könne
Weitere Inhalte
Marcus Kober, Jahrgang 1968, studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht. Seit 2005 ist er Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Kriminalprävention in Münster. Er ist Mitglied der International Crime Prevention Through Environmental Design Association (ICA) und der European Designing Out Crime Association (E-DOCA).
Andreas Kohl, M.A., (geb. 1965) Studium der Politikwissenschaft, Neueren Geschichte und Philosophie in Münster; seit 1995 Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Kriminalprävention in Münster. Lehrbeauftragter an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW, Abt. Münster. Mitglied der International CPTED Association (ICA), der European Designing Out Crime Association (E-DOCA) und im Interdisziplinären Arbeitskreis Innere Sicherheit (AKIS).
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