Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Wirtschafts- und Organisierte Kriminalität | Innere Sicherheit | bpb.de

Innere Sicherheit Sicherheitsbegriff Dimensionen des Sicherheitsbegriffs Freiheit und Sicherheit Das Gewaltmonopol des Staates Innere Sicherheit in Parteiprogrammen Die Kriminalitätslage – im Spiegel der Polizeilichen Kriminalstatistik Ethik der inneren Sicherheit Urbane Sicherheit Sicherheit im ländlichen Raum Sicherheitsprobleme Zahlen und Fakten Grafiken: Terrorismus Migration und Kriminalität Cyberkriminalität Jugendkriminalität Wirtschafts- und organisierte Kriminalität "Ausländerkriminalität" Politisch motivierte Gewalt Wie entsteht kriminelles Verhalten? Kriminalitätsfurcht Sicherheitsarchitektur Polizeien in Deutschland Gewalt durch und gegen Polizistinnen und Polizisten Private Sicherheitsdienste Nachrichtendienste Europäisierung von innerer Sicherheit Das Zusammenwachsen von innerer und äußerer Sicherheit Jugendhilfe und Polizei Kontrolle der Polizei Sicherheitsproduktion Situative Kriminalprävention Stadtplanung als Kriminalprävention Technische Überwachungsmaßnahmen Strafe und Strafvollzug Debatte: Extremismus und Sicherheitsbehörden Glossar Redaktion

Wirtschafts- und Organisierte Kriminalität

Karlhans Liebl

/ 11 Minuten zu lesen

Die "Bekämpfung" der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität gewinnt bei den Strafverfolgungsorganen wie auch beim Gesetzgeber immer mehr an Bedeutung.

Geldfälschung als Bereich des Organisierten Verbrechens: Eine gefälschte (links oben) und eine echte 50-Euro-Note. (© AP)

Die "Bekämpfung" der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität gewinnt bei den Strafverfolgungsorganen wie auch beim Gesetzgeber immer mehr an Bedeutung. Eine effektive Eindämmung und Verfolgung dieser Kriminalitätsform hat jedoch zur Bedingung, dass - und dies wird in der augenblicklichen Weltwirtschaftskrise wiederum sehr deutlich - die Verfolgung der Straftäter mit den internationalen Wirtschaftsbeziehungen Schritt halten muss. Es bedarf einer intensiven Zusammenarbeit der einzelnen Staaten. Bei der Bekämpfung der "Organisierten Kriminalität" sind die Staaten – so wird jedenfalls vielfach berichtet - bereits einige Schritte weiter. Obwohl beide Kriminalitätsformen nicht einem einheitlichen Bereich von Normverletzungen zuzuordnen sind, gibt es Schnittmengen, die es sinnvoll erscheinen lassen, diese im Zusammenhang zu beleuchten. Im Folgenden sollen zuerst einmal die beiden Kriminalitätsformen dargestellt werden, um dann in einer gemeinsamen Betrachtung auf den Umfang und abschließend auf die Auswirkungen und das Gefährdungspotential einzugehen.

Wirtschaftskriminalität

Die Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität finden sich weder in einem einheitlichen Gesetzbuch noch in einem eigenen Abschnitt im deutschen Strafgesetzbuch. Es fehlt auch bisher eine einheitliche Definition von "Wirtschaftskriminalität". Die vorliegende Betrachtung stützt sich auf eine deliktsmäßige Eingrenzung, deren Grundlage der § 74 c Gerichtsverfassungsgesetz ist. Dieser legt fest, für welche Straftaten die Wirtschaftsstrafkammer bei den jeweiligen Landgerichten zuständig ist, da bei der Bearbeitung besondere Kenntnisse des Wirtschaftslebens vorhanden sein müssen. Welche Formen der Wirtschaftskriminalität gibt es? Es wird gleich gezeigt werden müssen, dass sich ein weites Feld auftut, dass es Wirtschaftsdelikte von A bis Z gibt - vom Anlagebetrug bis zu Vergehen nach den Zollgesetzen. Einige der wichtigsten Delikte sollen kurz dargestellt werden

  • Betrug: Der Tatbestand des Betrugs (§ 263 Strafgesetzbuch) ist der Deliktsbereich, indem einer der Schwerpunkte der Wirtschaftskriminalität liegt, wobei es eine Vielzahl an Formen und Tatsituationen gibt. Die allgemeine Begehungsform zeichnet sich dadurch aus, dass Personen oder Firmen, die Waren bei einem Unternehmen bestellt haben, entweder nicht oder mit nicht mängelfreien Gegenständen beliefert werden. Dabei spielen oft Anzahlungen oder Zwischenabrechnungen eine Rolle, die dann den Tätern den erhofften finanziellen Vorteil verschaffen. Eine besondere Begehungsform dieser "allgemeinen Betrugshandlungen" ist heute in einem zunehmenden Umfang durch die Ausnutzung des Internets gekennzeichnet, da hier aufgrund der Anonymität Regress- oder Ermittlungsmöglichkeiten erschwert sind und sich der Geschäftsgebrauch der Vorauszahlung herausgebildet hat. Eine weitere zentrale Form des Betrugs im Zusammenhang mit der Wirtschaftkriminalität ist der Kapitalanlagebetrug, d.h. betrügerische Handlungen bei der Vermittlung von Anlagemöglichkeiten für Geldvermögen.
     

  • Untreue: Die Veruntreuung von Geldbeträgen (§ 266 Strafgesetzbuch) aufgrund der institutionellen Wahrnehmung der Vermögensbetreuung (also z. B. durch einen Rechtsanwalt oder eine Bank) oder aufgrund der beruflichen Tätigkeit, so z. B. als Prokurist, Bevollmächtigter oder Geschäftsführer, ist der zweite Schwerpunkt der Wirtschaftskriminalität.
     

  • Insolvenzkriminalität: In Deutschland stellt die Insolvenzkriminalität einen weiteren Schwerpunkt im Bereich der Wirtschaftskriminalität dar (§§ 283 ff. Strafgesetzbuch). Wenn ein Unternehmen in eine Existenzkrise gerät, d.h. die Geldmittel nicht mehr ausreichen um bestehende Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen oder die Verbindlichkeiten (Schulden) des Unternehmens das Vermögen übersteigen, kommt es oft dazu, dass die Verantwortlichen keinen Insolvenzantrag stellen und weiterhin den Geschäftsbetrieb aufrecht erhalten und dadurch weitere Personen oder Unternehmen schädigen, da sie z. B. bestellte Waren nicht mehr bezahlen können.
     

  • Korruption: Auch der Bereich der Korruption gehört zu den Wirtschaftsdelikten . Dabei handelt es sich um die "Bestechung" von Personen, die aufgrund ihrer Funktion (sogenannte "Amtsträger-Eigenschaft") Vermögensinteressen der Allgemeinheit wahrnehmen sollen, um einen persönlichen Vorteil zu erhalten. Ein Beispielfall wäre die Bestechung einer Beamtin, um den Auftrag zur Ausstattung einer Schule mit neuen Möbeln zu erhalten. Dabei macht sich natürlich auch der sogenannte "Amtsträger" strafbar, wenn er die Bestechungsgelder oder einen sonstigen Vorteil (z. B. Urlaubsreise) annimmt.
     

  • Steuerhinterziehung: Die Steuerhinterziehung ist eine Form der Wirtschaftskriminalität, die sehr unspektakulär abläuft, aber der Allgemeinheit einen sehr hohen Schaden aufbürdet. Aufgrund von Buchhaltungsmanipulationen verschiedenster Formen oder dem Zusammenspiel zwischen Unternehmen werden Einnahmen nicht versteuert oder die auf (fast) jeder Ware beim Verkauf erhobene Mehrwertsteuer nicht abgeführt oder sogar zu Guthaben umgerechnet.
     

  • Produktpiraterie und andere Rechtsschutzverletzungen: Dieser Bereich der Wirtschaftsvergehen, dessen Umfang nur geschätzt werden kann, ist derjenige mit dem theoretisch fast jede Person in Berührung kommen kann. Dazu gehören beispielsweise die - zumeist mit viel billigeren Ausgangsmaterialien illegal hergestellten – gefälschten "Nobel- oder Markenartikel", wie z. B. Uhren, Handtaschen, Schuhe oder Bekleidungsstücke. Auch Urheberrechtsverletzungen durch das ungenehmigte Kopieren von z. B. Musikaufnahmen gehören in diesen Bereich.

Weitere Tatformen im Bereich der Wirtschaftskriminalität könnten noch seitenlang fortgeführt werden. Dies macht auch deutlich, welche Ermittlungsschwierigkeiten bei den Strafverfolgungsorgangen gelöst und Ausbildungskenntnisse vorhanden sein müssen. So sollen an dieser Stelle noch Delikte im Zusammenhang mit der Lebensmittelherstellung, mit der Sozialversicherung von Arbeitnehmern und der damit einhergehenden illegalen Beschäftigung, der unlauteren Werbung, der illegalen gewerblichen Abfallbeseitigung oder dem Immissionsschutzgesetz genannt werden. Gleichfalls nicht zu vernachlässigen sind Verstöße gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (also die nicht genehmigte Lieferung von Waffen an andere Staaten), das Kreditwesengesetz aber auch z. B. gegen die Gewerbeordnung.

Organisierte Kriminalität

Ein besonderes Merkmal der Organisierten Kriminalität (OK) ist, dass sie sich definitorisch schlecht erfassen lässt und weiterhin über diesen Begriff heftig diskutiert wird. In Deutschland stützt sich die Polizei auf eine Arbeitsdefinition:

“OK ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere Zeit oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a) unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken. Der Begriff umfasst nicht Straftaten des Terrorismus. Die Erscheinungsformen der Organisierten Kriminalität sind vielgestaltig. Neben strukturierten, hierarchisch aufgebauten Organisationsformen (häufig zusätzlich abgestützt durch ethnische Solidarität, Sprache, Sitten, sozialen und familiären Hintergrund) finden sich - auf der Basis eines Systems persönlicher und geschäftlicher kriminell nutzbarer Verbindungen - Straftäterverflechtungen mit unterschiedlichem Bildungsgrad der Personen untereinander, deren konkrete Ausformung durch die jeweiligen kriminellen Interessen bestimmt wird” (nach RiStBV, Anlage E).

Wird über OK gesprochen, so stehen oftmals “Mafiose Organisationen” wie die Mafia, die Cosa Nostra oder die Yakuza (für eine ausführliche Debatte vgl. Arnold 2000) im Fokus. Für Deutschland kann jedoch gesagt werden, dass es - wohl - keine OK in mafioser Form gibt, andererseits sollte auch nicht vergessen werden, dass zahlreiche Hinweise vorliegen, dass Deutschland als ein “Rückzugs- und Unterschlupfgebiet” der italienischen Mafia gilt. Was sind nun die hauptsächlichsten Betätigungsfelder der OK? Die für die Bundesrepublik Deutschland jährlich erscheinenden "Lagebilder" OK stellen die unter OK erfassten Delikte wie folgt dar:

  • Rauschgifthandel
     

  • Eigentumsdelikte (insbesondere geplant durchgeführte Einbrüche oder Manipulationen von Geldautomaten sowie der Diebstahl von Kraftfahrzeugen auf Bestellung)
     

  • Delikte aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität (hier speziell sogenannte "Firmenbestatterfälle"oder auch die illegale Beschäftigung)
     

  • Schleusungsfälle (also das Verbringen von Personen in den EU-Bereich)
     

  • Menschenhandel (insbesondere auch im Zusammenhang mit der Prostitution oder des Kinderhandels - auch im Bereich der Kinderpornographie)
     

  • Steuer- und Zolldelikte
     

  • Gewaltkriminalität (zumeist jedoch nur im Zusammenhang mit anderen Deliktbereichen)
     

  • Kriminalität im Zusammenhang mit dem Nachtleben (Diskotheken mit Prostitutionsangeboten etc.)
     

  • Fälschungskriminalität (insbesondere Geldfälschung aber auch Fälschung von Wertpapieren)
     

  • Waffenhandel
     

  • Umweltdelikte
     

  • Handel mit Arzneimitteln oder Dopingpräparaten (wobei es sich bei den Arzneimitteln oftmals um sogenannte Totalfälschungen handelt. Dopingmittel können sich auf Menschen und Tiere beziehen und haben ihren Markt nicht nur im Profisport).

Zwei Bereiche sollen noch besonders vorgestellt werden, einmal die Schutzgelderpressung und die sogenannte "Geldwäsche", da sie besondere Schwerpunkte der OK in Deutschland darstellen, auch wenn statistisch gesehen der Rauschgifthandel und -schmuggel den Schwerpunkt darstellen.

  • Schutzgelderpressungen: Solche Formen der Erpressung durch die OK kommen insbesondere im Bereich der italienischen Gastronomie vor. Schutzgelderpressung ist dabei die Forderung zur Zahlung von täglichen bis monatlichen Geldsummen, die sich nach der Einschätzung der Ertragskraft des Unternehmens richten. Als "Gegenleistung" wird der Schutz der Familie oder auch des Marktgebietes geboten, wobei dies jedoch so zu verstehen ist, dass durch die schutzgelderpressenden Personen kein Schaden den Erpressten zugefügt wird (die Bandbreite reicht von Brandanschlägen bis hin zu Mord reicht). Diese Schutzgelderpressung dürfte nicht nur bei italienischen Lokalen vorkommen, sondern kann auch für Gaststätten von anderen Migrationsgruppen angenommen werden.
     

  • Geldwäsche: Gerade der Bereich des Gaststättengewerbes bietet sich für die Geldwäsche an, da hier die tatsächlichen Gaststättenbesucher nicht kontrollierbar sind. Da zumeist auch die Bewirtungsrechnungen bar beglichen werden, können so hohe Bargeldbeträge aus illegalen Einnahmen (sogenanntes "Schwarzgeld") nun wieder in den offenen Bereich eingeführt werden und stehen für Investitionen zur Verfügung. Die dadurch entstehenden Kosten, wie z.B. Steuern und Abgaben, sind dabei unerheblich, da andere Formen der Geldwäsche erheblich höhere "Wechselkosten" verursachen. Andere Formen der Geldwäsche benötigen oftmals ein kompliziertes Zusammenspiel von Unternehmensorganisationen (z.B. durch Scheinlieferungen in das Ausland um durch die Rechnungsbezahlungen Geldwäsche vorzunehmen) oder finden auch im Bereich des Diamantenhandels statt.

Organisierte Wirtschaftskriminalität

Abschließend sei noch auf eine spezifische Verknüpfung von Wirtschafts- und Organisierter Kriminalität hingewiesen. Insbesondere wird angenommen, dass aufgrund "der Ausweitung der durch Schattenwirtschaften entstehenden Vernetzungen zwischen herkömmlicher Wirtschaftskriminalität und organisierter Kriminalität" es zu einer "Aufhebung der Trennung der Konzepte organisierter Kriminalität und der Wirtschaftskriminalität" (Albrecht 2001: 143) kommen wird. Bedauerlicherweise gibt es dazu bisher fast keinerlei kriminologische Analyse und man muss sich auf verschiedene Anhalts- oder Verdachtspunkte beziehen, wie z.B.

  • Beteiligung von mafiosen Strukturen an eingeführten Handelsunternehmen mit einer bestimmten "Gewinnerwartung" (vgl. die Mediendarstellungen zum japanischen Kamerahersteller Olympus im November 2011; Stuttgarter Zeitung, 19.11.2011, S. 15).
     

  • Diamanten-Handel und seine Beteiligung an der Finanzierung von mafiosen und terroristischen Strukturen; speziell auch hinsichtlich der mit sehr wenigen logistischen Problemen einhergehenden Verschiebung von Millionenwerten (vgl. auch das Stichwort "Blutdiamanten").
     

  • Rohstoffbörsen und die Beteiligung von "anonymen Marktteilnehmern", die im Zusammenhang mit "Gewinnen" aus Drogengeschäften und Menschenschmuggel speziell im Bereich der asiatischen Börsen auch die Möglichkeit haben, diese Gelder zu waschen.
     

  • Lotterie- und Wettbetriebe, die sich auf einem internationalen Markt betätigen und für die Geldwäsche überaus geeignet sind. Hier muss insbesondere auch der Gesichtspunkt der Gewinnmanipulation mit beachtet werden.
     

  • Zusammenarbeit von Dienststellen verschiedener internationaler Organisationen, z.B. im "Oil-for-Food"-Programm der UN, die den Verkauf von irakischem Öl für humanitäre Zwecke erlaubten. Aufgrund von korruptiven Netzwerken wurde wesentlich mehr Öl aus dem Irak unter dem Marktpreis exportiert und es wurden auch "verdorbene" Lebensmittel für diese Geschäfte eingesetzt (vgl. dazu auch Süddeutsche Zeitung.de vom 7.3.2011).
     

  • Einvernehmliche und unkontrollierte Ausgabe von Subventionen an Subventionsantragsteller in verschiedenen EU-Ländern. Aufgrund einer Gerichtsverhandlung in einer anderen Sache wurde bekannt, dass zwei Antragsteller aus Griechenland über Jahre für eine Fläche fast des gesamten Landes Subventionen für den Tabakanbau von der EU erhalten haben (vgl. Liebl/Kühne 2008).

In dieser Zusammenarbeit des Wirtschaftsbereichs mit der Organisierten Kriminalität liegen auch die besondere Problematik und ihre weitgehenden Auswirkungen auf die Lebenswelten, wie sich dies auch aufgrund der sogenannten "Euro-Krise" zeigt. So soll sich insbesondere im Bereich des Subventionsbetruges feststellen lassen, dass in dem Zusammenspiel von Organisierter Kriminalität und Wirtschaftskriminalität der EU Schäden in geschätzten 100 Milliarden Euro und mehr entstehen. Weiterhin soll noch der Umstand erwähnt werden, dass es auch zu einer Verbindung von korrupten Regierungen oder Diktatoren und der Anlage von Milliarden US-Dollar von sogenanntem "Schwarzgeld" kommt, die auch insbesondere Wege zu den immer mehr aufstrebenden "Hegefonds" finden. Diese beteiligen sich nachweislich wiederum an Spekulationen gegen Handelsunternehmen oder ganze Staaten (wie z.B. der "Thailand-Fall") und Finanzsysteme, um weitere sehr hohe Gewinne zu erzielen. Da diese Gelder nicht in den Ländern, denen sie entzogen wurden, angelegt werden können (beim Sturz z.B. eines Diktators wäre auch sein erzielter "Regierungsgewinn" dann verloren), ziehen sie als sogenanntes "Vagabundierendes Kapital" von Anlagefonds zu Anlagefonds bzw. von einer Spekulation zur nächsten, um Gewinne auf Kosten der produzierenden und wertschöpfenden Teile anderer Gesellschaften (vgl. dazu auch die Ausführungen bei Mark Pieth, Professor für Ökonomie an der Universität Basel, unter Externer Link: www.pieth.ch) zu erlangen.

Umfang der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität

Bedauerlicherweise gibt es für Deutschland keine genauen Hinweise über den Umfang der Wirtschafts- und Organisierten Kriminalität. Bis 1981 existierte in Deutschland noch eine spezielle Statistik, die Auskunft über den Umfang der Wirtschaftskriminalität gab, die jedoch aufgrund der zunehmenden Verfahren abgeschafft wurde. Diese Statistik zeigte, dass jährlich bei ca. 3.500 Verfahren eine Schadenssumme von ca. 3 Mrd. Euro entstanden war. Da in den letzten Jahrzehnten Verfahren bekannt geworden sind, bei denen der angerichtete Schaden bereits diese Summe erreichte, ist davon auszugehen, dass diese Schäden aktuell wesentlich höher liegen. Da in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) die Wirtschaftsdelikte nicht gesondert bzw. nur bedingt ausgewiesen sind, kann nur aufgrund von Hilfsberechnungen ausgesagt werden, dass ca. 5 % aller dort aufgeführten Einzeltaten vermutlich in Beziehung zu Wirtschaftsdelikten stehen und diese ca. 65 % des in der PKS angeführten deliktischen Schadens aller Delikte ausmachen. So weist das letzte vom Bundeskriminalamt veröffentlichte Bundeslagebild "Wirtschaftskriminalität 2010" einen Schaden von ca. 4,7 Mrd. Euro aus (BKA 2011). Nach dem "Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2010" des BKA (BKA 2011a) wurden im Jahre 2010 606 Verfahren der OK (2009: 579) bearbeitet, die einen ermittelten Schaden von ca. 1,65 Mrd. Euro verursachten (2009: 1,37 Mrd. Euro).

Probleme durch die Wirtschafts- und Organisierte Kriminalität

Wie die Ausführungen zu den Schadenssummen schon deutlich machen, liegt hier eine erhebliche Beeinträchtigung und Schädigung des Wirtschaftslebens und der Allgemeinheit vor. Auch wenn diese Schäden bei einer Verhinderung nicht in die Überlegungen zur Finanzierung von Staatsaufgaben herangezogen werden können, so wirken sie doch direkt oder indirekt auf die Allgemeinheit: Einmal gehen z. B. durch Steuerhinterziehung oder Subventionsbetrug Einnahmen bzw. (über die Ausgaben) Vermögenswerte der Allgemeinheit direkt verloren. Durch betrügerische Machenschaften wird zwar nicht unmittelbar die Allgemeinheit geschädigt, jedoch gehen Einnahmen Dritten verloren und diese können dann selbst wiederum in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten. Auch darf nicht vergessen werden, dass solche Handlungen z. B. auch zu Verlusten von Arbeitsplätzen führen können, was wiederum nicht nur Dritte zu Geschädigten macht, sondern auch dazu führt, dass die Allgemeinheit aufgrund der Zunahme von Transferleistungen einen Schaden erleidet. Weiterhin ist zu beachten, dass die immateriellen Schäden für die Allgemeinheit erheblich sind. So kann es zu enormen Vertrauensverlusten in den Rechtsstaat und seine Organe kommen, wenn es nicht zu einer effektiven und schnellen Strafverfolgung - aber auch zu präventiven Maßnahmen in diesem Zusammenhang kommt.

Abschließend bleibt festzustellen, dass das "Konzept" einer besonderen Betrachtung der Wirtschaftskriminalität und OK nur dann einen Sinn ergibt, wenn sich aus der Beschäftigung mit diesem Bereich der Großkriminalität bessere Aufklärungs-, Kontroll- und Verfolgungsmöglichkeiten ergeben. Dies muss mit der Einsicht einhergehen, dass es nicht um die Suche nach einer "Mafia" oder den speziellen Wirtschaftsstraftätern in der Bundesrepublik Deutschland geht. Es geht vielmehr darum zu erkennen, dass es in der transnationalen Kriminalität zur Zusammenarbeit von legaler und illegaler Wirtschaft kommt. Beispiele gibt es dabei bereits in bedenklichem Umfang bei der Umweltkriminalität, dem Subventionsbetrug oder auch dem Sozialversicherungsbetrug (also der illegalen Beschäftigung von Arbeitnehmern) (vgl. dazu schon Liebl 1984). Dass auch der Waffenhandel in einer "Vermischung" der Strukturen abläuft und die direkte Korruption in der Zwischenzeit durch subtilere Zuwendungen verändert wurde (z. B. durch Stiftungen), zeigt, dass der Bereich der "organisierten" Kriminalität sich in einer stetigen Entwicklung befindet. Deshalb ist es notwendig, den Begriff "Organisierte Kriminalität" neu zu fassen und sich dabei stärker auch auf "Wirtschaftsorganisationen" zu beziehen.

Quellen / Literatur

  • Albrecht, Hans-Jörg (2001): Organisierte Wirtschaftskriminalität - Ein fassbarer Tatbestand? In: Polizei-Führungsakademie (2001): 123-144
     



  • Arnold, Jörg (2000): Kriminelle Vereinigung und organisierte Kriminalität in Deutschland und anderen europäischen Staaten. In: Millitello et al (2000): 87-176
     



  • Bannenberg, Britta (2002): Korruption in Deutschland und ihre strafrechtliche Kontrolle. Eine kriminologisch-strafrechtliche Analyse. Neuwied
     



  • Bannenberg, Britta (2006): Bemühungen zur Eindämmung organisierter Kriminalität. In: Heitmeyer/Schröttle (2006): 422-434
     



  • Bundeskriminalamt (2000): Bundeslagebild Organisierte Kriminalität. Wiesbaden
     



  • Bundeskriminalamt (2011): Bundeslagebild Organisierte Kriminalität 2010, Wiesbaden
     



  • Bundeskriminalamt (2011a): Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität 2010, Wiesbaden
     



  • Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.) (2006): Zweiter Periodi-scher Sicherheitsbericht. Berlin
     



  • Gewerkschaft der Polizei (Hrsg.) (1983): Organisierte Kriminalität - eine akute Bedrohung? Berlin
     



  • Haesler, Walter T. (Hrsg.) (1984): Politische Kriminalität und Wirtschaftskriminalität. Dies-senhofen
     



  • Kaiser, Günther/Geissler, Isolde (Hrsg.) (1988): Crime and Criminal Justice. Freiburg im Breisgau
     



  • Kerner, Hans-Jürgen/Kury, Helmut/Sessar, Klaus (Hrsg.) (1983): Deutsche Forschungen zur Kriminalitätsentstehung und Kriminalitätskontrolle, Köln
     



  • Kühne, Hans-Dieter (1995): Festschrift für Koichi Miyazawa, Baden-Baden
     



  • Liebl, Karlhans (1984): Zur organisierten Wirtschaftskriminalität und organisierten Kriminalität. In: Haesler (1984): 381-408
     



  • Liebl, Karlhans (1984): Die Bundesweite Erfassung von Wirtschaftsstraftaten nach einheitlichen Gesichtspunkt, Freiburg
     



  • Liebl, Karlhans/Kühne, Eberhard (Hrsg.) (2008): Wirtschaftskriminalität und die Rolle der Strafverfolgungsorgane, Rothenburg
     



  • Millitello, Vincenzo/Arnold, Jörg/Paoli, Letizia (2000): Organisierte Kriminalität als transnationales Phänomen. Freiburg im Breisgau
     



  • Müller, Michael/Niewald, Wolfgang (2006): Unternehmensansatz und Stabsarbeit bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. In: Polizei-heute 35: 197-200
     



  • Neumahr, Axel (1999): Organisierte Kriminalität. Tübingen
     



  • Ohlemacher, Thomas (1998): Verunsichertes Vertrauen? Baden-Baden
     



  • Polizei-Führungsakademie (Hrsg.) (1997): Organisiere Kriminalität mit Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität, Münster
     



  • Polizei-Führungsakademie (Hrsg.) (2001): Rechtliche und strategische Aspekte der Kontrolle der organisierten Wirtschaftskriminalität, Münster
     



  • Southwell, David (2007): Geschichte des organisierten Verbrechens, Köln
     



  • Wittkämper, Gerhard W. (1996): Europa und die Innere Sicherheit? Auswirkungen des EG-Binnenmarktes auf die Kriminalitätsentwicklung und Schlußfolgerungen für die polizeiliche Kriminalitätsbekämpfung, Wiesbaden
     



  • Zachert, Hans-Ludwig (1995): Organisierte Kriminalität, in: Kühne, Hans-Heiner (Hrsg.) (1995): 283 - 304

Fussnoten

Fußnoten

  1. Die hier zutreffenden Tatbestände finden sich im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und dem Patentgesetz.

  2. Die Aufstellung geht auf Lageberichte des Bundeskriminalamtes zurück. Einige dieser Berichte sind jedoch nicht der Allgemeinheit zugänglich, sodass hier nur die öffentlich berichteten Deliktgruppen aufgeführt werden können.

  3. "Firmenbestatter" sind Personen, die insolvente Unternehmen aufkaufen und die Vermögenswerte zum Nachteil der Gläubiger "ausschlachten" und durch zahlreiche Firmensitzverlegungen die juristische Nachverfolgung ihrer Handlungen verhindern wollen.

Weitere Inhalte

Prof. Dr. Karlhans Liebl hat einen Lehrstuhl für Kriminologie an der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg inne. Zuvor war er als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg tätig.