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Jugendhilfe und Polizei | Innere Sicherheit | bpb.de

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Jugendhilfe und Polizei

Bernd Dollinger

/ 10 Minuten zu lesen

Wenn Jugendliche einer Straftat verdächtigt werden, treffen sie sowohl auf die Polizei als auch auf die Jugendhilfe. Die beiden Institutionen haben unterschiedliche Aufgaben, arbeiten aber vielfältig zusammen.

Polizeibeamte kontrollieren einen Jugendlichen. (© picture-alliance/dpa)

Jugendliche, denen eine Straftat zur Last gelegt wird, geraten sowohl in den Blick der Polizei mit ihrem Strafverfolgungsauftrag als auch in den Fokus der Jugendhilfe, die sich mit dem Auftrag der Hilfe und Erziehungsförderung Jugendlichen zuwendet. Beide Organisationen kümmern sich um die jugendlichen Tatverdächtigen, haben aber dabei unterschiedliche gesetzliche Rahmenbedingungen, Aufgaben und Ziele – die mitunter auch zueinander in Konflikt stehen und die Zusammenarbeit schwierig machen können. In diesem Beitrag werden die Aufgaben der beiden Institutionen vorgestellt sowie die Möglichkeiten und Grenzen der Kooperation betrachtet.

Aufgaben und Selbstverständnis der Jugendhilfe

Wesentliche Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe sind im Sozialgesetzbuch VIII (SGB VIII) geregelt. Als wichtige Leitlinie ist § 1 SGB VIII anzusehen. Dort heißt es in Satz eins: "Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit". Die Jugendhilfe ist folglich damit beauftragt, die Erziehung junger Menschen so zu fördern, dass sie sich als eigenständige Individuen entwickeln können und zugleich ihre Integration in die Gesellschaft unterstützt wird. Leistungen der Jugendhilfe sollen hierzu v.a. die Erziehung in der Familie unterstützen und ergänzen, nötigenfalls auch ersetzen. Der wichtigste öffentliche Träger, der diese Tätigkeiten organisiert, ist das jeweilige Jugendamt der Kommune. Es arbeitet mit gemeinnützigen freien Trägern (z.B. dem Deutschen Caritasverband, dem Diakonischen Werk oder der Arbeiterwohlfahrt) sowie mit privatgewerblichen Trägern zusammen. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Stellen und öffentlichen Einrichtungen ist dem Jugendamt rechtlich vorgegeben, darunter die Polizei und Ordnungsbehörden (§ 81 SGB VIII).

Leistungen des Jugendamts

Das Jugendamt ist zweigliedrig aufgebaut; es besteht aus dem Jugendhilfeausschuss und der Verwaltung des Jugendamtes. Der Jugendhilfeausschuss bildet eine Art Steuerungsgremium und befasst sich mit aktuellen Problemen von Kindern, Jugendlichen und Familien, mit der lokalen Weiterentwicklung der Jugendhilfe und mit der Zusammenarbeit mit freien Trägern der Jugendhilfe. Der Ausschuss kooperiert dabei mit der Verwaltung des Jugendamtes. In der Realität zeigen sich deutliche Unterschiede in der Arbeit der einzelnen Jugendämter. Allerdings kommt ihnen insgesamt eine große Bedeutung in der Jugendhilfe zu. Dies hängt mit der Doppelfunktion eines Jugendamtes zusammen: Einerseits erbringt es eigene Leistungen und ist damit ein eigenständiger Träger der Jugendhilfe, indem es z.B. Beratungs- und Unterstützungshilfen für die jungen Menschen und die Eltern anbietet. Andererseits kommt ihm eine Gesamtverantwortung zu, da es die Erfüllung der Leistungen und Aufgaben verantwortet, die das Sozialgesetzbuch VIII bestimmt. Dies betrifft neben den personenbezogenen Maßnahmen für Kinder, Jugendliche und Familien außerdem Bemühungen, eine für das Aufwachsen förderliche Infrastruktur bereitzustellen (s. im Einzelnen Jordan u.a. 2012). Dabei muss teilweise – insbesondere bei einer Gefährdung des Kindeswohls (Vernachlässigung, Gewalt, sexueller Missbrauch) – mit Zwang gehandelt werden. Dennoch ist das Selbstverständnis der Jugendhilfe insgesamt auf Kooperation, Hilfe und Unterstützung ausgerichtet: Es soll geholfen werden, wo besonderer Erziehungsbedarf besteht. Jugendkriminalität alleine ist kein Anzeichen eines solchen besonderen Erziehungsbedarfs. Sie ist statistisch normal, da fast alle Jugendlichen einmal etwas Illegales anstellen. In besonderen Fällen kann Kriminalität jedoch ein Anzeichen dafür sein, dass die Erziehung eines Jugendlichen gefährdet ist. Das Selbstverständnis der Jugendhilfe bleibt auch in diesen Fällen unverändert: Wo immer es möglich ist, soll mit den Empfängern einer Hilfe zusammengearbeitet und eine Vertrauensbeziehung zu ihnen aufgebaut werden, weil es um deren Wohlergehen geht.

Gefahrenabwehr, Schutz der Sicherheit und Strafverfolgung durch die Polizei

Interner Link: Die Polizei ist als ein Träger des Gewaltmonopols des Staates hingegen vorrangig mit der Aufgabe präventiver Gefahrenabwehr, dem Schutz von Sicherheit und Ordnung sowie reaktiver Strafverfolgung befasst. Der Polizei geht es um die (Wieder-)Herstellung der gesellschaftlichen Ordnung und den Schutz vor Straftaten bzw. die Reaktion auf sie. Bei ihr steht damit – allerdings nicht nur – eine repressive Aufgabe im Vordergrund. Die Polizei kann auf Zwangsmaßnahmen zurückgreifen, sofern sie dabei verhältnismäßig vorgeht. Bei der Ermittlung von Straftaten untersteht sie dem Legalitätsprinzip. Dies bedeutet: Die Polizei muss bei einem begründeten Anfangsverdacht für eine Straftat Ermittlungen aufnehmen und die Ergebnisse der Staatsanwaltschaft mitteilen. Sie besitzt dabei keinen rechtlichen Ermessensspielraum. Der polizeiliche Auftrag ist bei der Strafverfolgung von Jugendkriminalität also ein ganz anderer als der der Jugendhilfe, die auf Unterstützung und die Gestaltung positiver Entwicklungschancen (auch krimineller) Jugendlicher abstellt.

Unterschiedliche Aufgaben und Handlungsformen

Wo die Jugendhilfe auf die Mitarbeit ihrer Adressaten Wert legt, ist die Ausgangslage der Polizei eine gänzlich andere: Die Personen, gegen die sie tätig wird und ermittelt, müssen mit Strafen rechnen. Wer etwa einen Diebstahl begeht, dürfte kaum ein Interesse daran haben, von der Polizei identifiziert und einer Strafe zugeführt zu werden. Die Polizei setzt deshalb auf Mittel wie (präventive) Abschreckung und Repression, weshalb ihr Selbstverständnis von dem der Jugendhilfe deutlich abweicht. In der Jugendhilfe wird hingegen versucht, Einzelnen zu helfen und Lebensbedingungen zu verbessern, wenn diese die Entwicklung junger Menschen gefährden könnten.

Gemeinsamkeiten in der historischen Wohlfahrtspolitik ("Policey")

Was nach einer eindeutigen Trennung aussieht, ist in der Praxis nicht immer so einfach zu unterscheiden. Die Geschichte zeigt dies deutlich. Die Jugendhilfe und die Polizei entwickelten sich erst im Verlauf mehrerer Jahrhunderte als eigenständige Institutionen und erlebten dabei sehr grundlegende Transformationen. Ein wichtiger Bezugspunkt ist der Ordnungs- und Wohlfahrtsstaat, der sich im Mittelalter und der frühen Neuzeit herausbildete. Die Versuche, positive Formen des Zusammenlebens ("Wohlfahrt") zu erreichen und durch Verwaltungsvorschriften und -maßnahmen durchzusetzen, wurden als "Policey" bezeichnet. Ein Teil dieser Policey war die Sorge für arme, verwaiste und – was stets unklar definiert war – "verwahrloste" Kinder und Jugendliche. Eine zentrale Rolle übernahmen dabei Armen- und Arbeitsanstalten, in denen die Heranwachsenden harter Disziplin unterworfen wurden. Arbeit, Religiosität und Unterordnung blieben lange Zeit die wichtigsten Mittel, um armen jungen Menschen zu begegnen. Erst allmählich setzte sich in der Jugendfürsorge die Erkenntnis durch, dass dies für die Erziehung junger Menschen keine geeigneten Rahmenbedingungen sein können. Im Verlauf des späten 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden Reformen umgesetzt, mit denen seit dem 18. Jahrhundert verbreitete pädagogische Leitvorstellungen nun auch diesen jungen Menschen zugutekommen sollten: Formen der Disziplinierung und der Zwangsausübung mussten – in einem bis heute nicht abgeschlossenen Prozess – mühsam zurückgedrängt werden, um dem Wohlergehen der jungen Menschen tatsächlich entsprechen zu können. Dies galt auch für private bzw. konfessionelle Einrichtungen, die im Verbund mit kommunalen öffentlichen Trägern tätig wurden, um Jugendfürsorge zu leisten.

Die Polizei erlebte, ebenso wie die Jugendhilfe, eine Verrechtlichung ihrer Zuständigkeiten. Besonders wichtig wurde für die Polizei zudem eine Begrenzung ihrer Aufgaben. Mit der historischen Policey und ihrem Auftrag, allgemeine Wohlfahrt zu sichern, hatte sie seit dem 18. und 19. Jahrhundert immer weniger gemeinsam. Die konkreten Aufgaben, die ihr als einer Trägerin des Gewaltmonopols zukommen, waren oftmals umstritten, aber in besonderer Weise wurden Prinzipien der engen Bindung an das Recht und die Verhältnismäßigkeit leitend, um den Aufgabenbereich der Polizei zu beschränken. Nicht mehr die Gewährleistung von Wohlfahrt, sondern der Schutz vor konkreten Gefahren und Sicherheitsrisiken sowie die Ermittlung von Straftaten bildeten sich im Sinne einer rechtsstaatlich-demokratisch begründeten Institution langfristig als entscheidende Aufgaben der Polizei heraus.

Doppelstruktur von Jugendhilfe und Justiz

Mit der Weimarer Republik entwickelte sich das Verhältnis von Jugendhilfe und Justiz weiter. 1924 trat mit dem Reichsjugendwohlfahrtsgesetz (RJWG) eine Regelung in Kraft, welche die Kinder- und Jugendhilfe auf eine einheitliche rechtliche Grundlage stellte. Zudem forderte das Gesetz die Einrichtung von Jugendämtern. Fast parallel wurde im Jahr 1923 mit dem Reichsjugendgerichtsgesetz (RJGG) der Umgang mit jugendlichen Straftätern geregelt. Mit diesen beiden Gesetzen wurde eine Doppelstruktur geschaffen: Ein Jugendhilfe- stand neben einem Jugendstrafrecht. Obwohl dies teilweise gefordert wurde, gibt es deshalb bis heute kein einheitliches Jugendgesetz. Die Grenzen zwischen den Gesetzen waren zwar in der Praxis nicht immer ganz klar: Unter anderem wurde das RJWG auch genutzt, um restriktive Verhaltensstandards gegenüber Kindern und Jugendlichen durchzusetzen. Zudem konnten einzelne Maßnahmen wie die Unterbringung in einem Heim von Jugendlichen als Strafe empfunden werden. Dennoch waren es zwei ganz unterschiedliche Gesetze: Das RJWG behandelte Hilfen für junge Menschen und regelte die Zusammenarbeit von öffentlichen und freien Trägern der Jugendhilfe. Demgegenüber stellte das RJGG ein Strafrecht dar und richtete sich damit nur an junge Menschen, denen Straftaten zur Last gelegt werden und deren Bestrafung reguliert werden sollte.

In der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Umgang mit jungen Menschen insgesamt auf rassistisch begründete Ziele verpflichtet und sollte dem "Volkswohl" dienen. Charakteristisch hierfür waren die politische Instrumentalisierung der Polizei und die Aussonderung angeblich "unerziehbarer" oder "schwer erziehbarer" Jugendlicher bis hin zu ihrer Unterbringung in Jugendkonzentrationslagern, beispielsweise im Interner Link: Jugend-KZ Uckermark. In der Nachkriegszeit knüpften die Institutionen wieder an rechtsstaatliche Traditionen und die Vorgaben aus den 1920er Jahren an, indem Änderungen aus der Zeit des Nationalsozialismus zurückgenommen wurden. Eine weitreichende Modernisierung der beiden Gesetze erfolgte allerdings erst deutlich später. 1990/91 trat das Kinder- und Jugendhilfegesetz (heute: Sozialgesetzbuch VIII) in Kraft. Mit ihm wurden Rechtsansprüche auf Hilfen bei Erziehungsproblemen verwirklicht, die präventive Schaffung einer entwicklungsförderlichen Umwelt wurde als wichtige Aufgabe der Jugendhilfe bestimmt und außerdem sollten repressive Elemente der Jugendhilfe weiter als früher zurückgedrängt werden. Zudem trat 1990 das "Erste Gesetzes zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes" (1. JGGÄndG) in Kraft. Mit ihm wurden im Jugendgerichtsgesetz ambulante Maßnahmen gestärkt und repressive Sanktionen – wie die Jugendstrafe – sollten ebenfalls weiter zurückgedrängt werden.

Konflikte in den 1970er Jahren und nachfolgende Entspannung

Symptomatisch für das schwierige Verhältnis von Jugendhilfe und Polizei sind Kontroversen, die in den 1970er Jahren vor dem Interner Link: Hintergrund der Studentenproteste ihren Höhepunkt erreichten. Sozialkritisch eingestellte Sozialarbeiter prangerten an, Polizei und Strafjustiz stigmatisierten kriminelle Jugendliche. Sie argumentierten, Straftaten junger Menschen entstünden durch Armut und gesellschaftliche Ausgrenzung. Repressive Methoden, wie sie die Polizei anwende, würden nur zu einer Verschärfung der Probleme der jungen Menschen beitragen.

Dem standen Forderungen der Polizei gegenüber, dass die Jugendhilfe mit der Polizei zusammenarbeiten solle, um gemeinsam eine autoritative – d.h. Grenzen setzende und zugleich für das Wohl von Kindern sorgende – Erziehung umsetzen zu können. Abgrenzungs- und Kooperationswünsche standen sich folglich gegenüber. In den 1990er Jahren entspannte sich das Verhältnis zwischen den Akteuren. Nicht zuletzt durch breite gesellschaftliche und politische Debatten über jugendliche Gewalttäter und junge Rechtsextreme sowie das Bemühen, gegen sie präventiv tätig zu werden, entstanden viele Kooperationsprojekte zwischen Polizei und Jugendhilfe.

Prävention und Fallkonferenzen als Beispiele für Kooperationen

Gegenwärtig arbeiten Jugendhilfe und Polizei vielfältig zusammen. Es existieren sowohl Formen struktureller Kooperation, die dauerhaft stattfindet und feste Aufgabenzuweisungen aufweist, wie auch projektbezogene, eher spontane Formen der Zusammenarbeit. Von politischer Seite aus wurde und wird diese Entwicklung nachhaltig gefördert. Es wird erwartet, dass Jugendhilfe und Polizei sich gemeinsam dem Problem der Jugendkriminalität stellen. Unproblematisch ist diese Zusammenarbeit allerdings auch gegenwärtig nicht. Zwei Beispiele zeigen ebenso die Notwendigkeit wie auch die Schwierigkeit der Kooperation:

  • Prävention: Es ist sinnvoll, mit Maßnahmen nicht zu warten, bis etwas Schlimmes geschehen ist, sondern frühzeitig einzugreifen. Man sollte nicht zusehen, wenn ein Jugendlicher zu einem Gewalttäter wird, sondern effektiv eingreifen. Dennoch muss genau überlegt werden, welche Institution wie eingreifen kann. Mit Blick auf die Polizei monieren Kritiker, dass die Präventionsprojekte kaum rechtsstaatlich begrenzbar seien, weil noch kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt. Mit Blick auf die Jugendhilfe kritisieren andere Akteure, die Präventionsprojekte würden nur auf die Verhinderung von negativem Verhalten abstellen, während die Jugendhilfe aber vorrangig die Förderung von positivem Verhalten der Jugendlichen im Blick haben solle. Prävention ist deshalb ein schwieriges Unterfangen. Dies gilt umso mehr, als der Begriff sehr vage ist. Fast alles kann als Prävention gedeutet werden.
     

  • Gemeinsame Fallkonferenzen: Wenn ein Jugendlicher einer (oder mehrerer) Straftaten beschuldigt wird, soll mit einer "Fallkonferenz" eine zügige Bearbeitung des Falls erreicht werden. Eine Fallkonferenz ist ein behörden- und ressortübergreifendes Fachgespräch, in dem sich die verschiedenen Akteure über den Straftäter austauschen. Ziel ist es, die Sichtweisen von Jugendhilfe und Justiz bzw. Polizei aufeinander abzustimmen und eine Entscheidung zu finden, die alle Akteure mittragen. Wenn die Jugendhilfe dem Jugendlichen helfen will, so muss sie dabei zu ihm ein Vertrauensverhältnis aufbauen. Der Jugendliche muss den glaubwürdigen Eindruck gewinnen, dass die Jugendhilfe ihn nicht bestrafen, sondern seine Chancen zu sozialer und beruflicher Integration fördern und seine persönliche Entwicklung unterstützen will. Verfolgen Polizei und Strafjustiz hingegen das Interesse, einen Jugendlichen zu bestrafen, so folgt dies einer anderen Logik. Um beides – pädagogische Hilfe und strafrechtliche Sanktionen – zu vermitteln, müssen Jugendhilfe und Polizei sowie Vertreter der Strafjustiz anerkennen, dass sie unterschiedlichen Aufgaben verpflichtet sind. In einer gemeinsamen Fallkonferenz kann ausgelotet werden, ob die Straftat eines Jugendlichen z.B. die Folge einer besonderen biografischen Belastung war. Trifft dies zu, so ist es die Aufgabe der Jugendhilfe, mit dem Jugendlichen und seiner Familie an der Überwindung dieser Belastung zu arbeiten. Etwas ganz anderes ist es, den Jugendlichen zu bestrafen, da dies die Gefahr mit sich bringen kann, dass er mit zusätzlichen Belastungen wie der Trennung von der Familie oder einer Stigmatisierung konfrontiert wird. Ob deshalb von einer Strafe abgesehen werden soll oder nicht, kann eine schwierige Entscheidung sein.
     

Die beiden Beispiele zeigen, dass Jugendhilfe und Polizei bzw. Justiz zusammenarbeiten müssen. Dies kann erfolgreich geschehen, wenn anerkennt wird, dass sie unterschiedliche Aufgaben erfüllen und hierfür Spielraum benötigen, um in ihrem Sinne tätig – oder bewusst: nicht-tätig – zu werden. Dies bedeutet konkret: Die Polizei handelt, wenn eine Straftat aufgetreten ist oder unmittelbar droht. Die Jugendhilfe hingegen wird tätig, wenn die Erziehung junger Menschen gefährdet ist oder gefördert werden soll.

Quellen / Literatur

  • Dollinger, B./Schabdach, M., 2013: Jugendkriminalität. Wiesbaden.

  • Jordan, E./Maykus, S./Stuckstätte, E.C., 2012: Kinder- und Jugendhilfe. 3. Aufl. Weinheim.

  • Möller, K. (Hg.), 2010: Dasselbe in grün? Aktuelle Perspektiven auf das Verhältnis von Polizei und Sozialer Arbeit. Weinheim.

Fussnoten

Weitere Inhalte

Bernd Dollinger ist Professor für Sozialpädagogik am Department Erziehungswissenschaft und Psychologie der Universität Siegen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Theorie und Geschichte der Sozialpädagogik, Sozialpolitik sowie Kriminalitätsforschung.