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Stadtplanung als Kriminalprävention

Marcus Kober

/ 6 Minuten zu lesen

Es gibt einen Zusammenhang zwischen Kriminalität und Wohnumgebung, das ist erwiesen. In den 1970er Jahren entwickelte der Architekt Oscar Newman ein städtebauliches Konzept zur Vorbeugung von Kriminalität. Kann Architektur Sicherheit garantieren? Marcus Kober stellt Newmanns Ideen vor - und die Kritik daran.

Eine durchgehende, ausreichende Beleuchtung, übersichtliche, schmale Pfeiler und gut sichtbare Hinweisschilder wirken Unsicherheitsgefühlen in einem Parkhaus entgegen.

Auf der Suche nach Ursachen kriminellen Verhaltens wurden bereits vor 150 Jahren auch Zusammenhänge zwischen Kriminalität und Wohnumgebung untersucht. Erste empirische Untersuchungen zur Überprüfung dieses Zusammenhangs führten Vertreter der sogenannten Chicago-Schule in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch. Im Mittelpunkt des Interesses stand dabei die Frage, warum sich sozial abweichendes Verhalten in bestimmten Stadtteilen amerikanischer Städte konzentrierte. Um darauf Antworten zu finden, wurde untersucht, wo jugendliche Täter wohnen und warum sie dort wohnen. Zusammenfassend konnte unter anderem festgestellt werden, dass

  • bestimmte städtische Areale gleichermaßen durch eine hohe Kriminalitätsbelastung (durch jugendliche Täter) sowie eine ungünstige Sozialstruktur gekennzeichnet waren,

  • die Belastung durch Straftaten umso höher ausfiel, je näher die untersuchten Gebiete dem Stadtzentrum waren, und

  • diese besonders belasteten Stadtteile eine minimale gegenseitige soziale Kontrolle der Bewohner aufwiesen.

Zudem waren diese Problemgebiete baulich besonders verkommen und durch einen schnellen Wechsel der Bewohner geprägt. Diese hatten daher kaum Möglichkeiten, sich mit ihrem Wohnumfeld zu identifizieren und sich in eine Nachbarschaft zu integrieren. Infolgedessen lebten in diesen Vierteln vor allem Menschen, die sich eine Wohnung in einer anderen Wohnlage finanziell nicht leisten konnten.

Vergleichbare Probleme brachte der Wohnungsbau in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit sich. In vielen Städten in den USA entstanden Großsiedlungen, die sich durch eine hohe Bewohnerdichte und eine monotone Architektur auszeichneten – eine Entwicklung, die sich in den folgenden Jahrzehnten auch in Deutschland vollzog. Trabantensiedlungen, denen es häufig an Grünflächen, Spielgelegenheiten, Geschäften, Cafés und anderen Orten des sozialen Miteinanders mangelte, prägten das Bild am Rand vieler Städte.

Kennzeichen sich problematisch entwickelnder Stadtquartiere waren unter anderem das weitgehende Fehlen städtischer Öffentlichkeit, die Konzentration benachteiligter Bevölkerungsgruppen und ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein der Bewohner für das eigene Wohnumfeld. In einer solchen Umgebung wird die Entstehung von Nachbarschaften und gemeinsam wahrgenommener Verantwortung erschwert, weil die Bewohner durch die gestalterische Unübersichtlichkeit und Anonymität ihres Viertels verunsichert sind, sich in die Privatheit ihrer Wohnungen zurückziehen und zum Beispiel Hauseingänge oder Grünflächen der Verschmutzung, Verwahrlosung oder Zerstörung überlassen.

Wohnanlagen sollen Kriminelle abschrecken

Vor dem Hintergrund dieser in vielen Städten zu beobachtenden Probleme beschäftigte sich der Architekt Oskar Newman als einer der Ersten mit der Frage, wie architektonische und städtebauliche Elemente gezielt eingesetzt werden können, um Kriminalität und Unsicherheitsgefühlen in Siedlungen entgegenzuwirken. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen stand die Leitfrage, wie eine Wohngestaltung aussehen müsse, um den Bewohnern eine bessere informelle Kontrolle zu ermöglichen. Anfang der 1970er Jahre entwickelte er das Konzept des "Schutz bietenden Raums" ("Defensible Space"). Es geht von der Überlegung aus, dass eine Wohnlage auf potentielle Straftäter weniger attraktiv erscheint, wenn sie geschlossen und überwacht wirkt. Im Wesentlichen besteht Newmans gestalterischer Ansatz zur Vorbeugung von Kriminalität in der Anwendung von vier Planungsgrundsätzen, die als Grundpfeiler seines Konzeptes angesehen werden können:

"Territorialität": Mit diesem Begriff wird die Einteilung in privaten, halbprivaten, halböffentlichen und öffentlichen Raum beschrieben. Durch eine solche Einteilung soll deutlich sichtbar gemacht werden, auf welche Gebiete Nutzungs- oder Eigentumsansprüche geltend gemacht werden und wo solche Einschränkungen etwa im öffentlichen Raum nicht bestehen. Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen können durch materielle Barrieren wie Mauern, Zäune und Türen gestaltet werden oder mit Hilfe symbolischer Barrieren, etwa in Form von Bodentexturen, offenen Toren oder Grünflächengestaltung.

Bei diesem Gestaltungsprinzip wird von einem Zusammenhang zwischen Raumgestaltung, menschlicher Wahrnehmung und einem entsprechenden Verhalten ausgegangen.

Auf beiden Bildern wird der halbprivate Vorgarten vom öffentlichen Gehweg abgegrenzt. Oben geschieht dies durch die Vorgartengestaltung und den Fußweg, unten in Form einer nicht abgeschlossenen Mauer. In beiden Fällen wird optisch signalisiert, dass diese Bereiche der Kontrolle der Bewohner unterliegen.

"Natürliche Überwachung": Des Weiteren gilt es Newman zufolge, durch gestalterische Mittel eine natürliche Wachsamkeit in einer Nachbarschaft zu fördern. Dies kann beispielsweise dadurch geschehen, dass die Fenster eines Hauses auf die Haustür oder bestimmte Bereiche des öffentlichen Raumes (zum Beispiel Park- oder Spielplätze) gerichtet sind. Einem potentiellen Täter wird damit signalisiert, dass er beobachtet werden könnte, wodurch sein Entdeckungsrisiko steigt. Auch der Berücksichtigung von Sichtachsen etwa bei der Gestaltung von Grünflächen kommt in diesem Kontext eine große Bedeutung zu.

Der Spielplatz ist von den umliegenden Häusern gut einsehbar, wodurch eine informelle Kontrolle durch die Anwohner ermöglicht und gefördert wird.

"Image": Ein positives Image ist laut Newman geeignet, die Identifikation der Bewohner mit ihrem Wohnumfeld zu steigern und damit ihre Bereitschaft zu fördern, für seine Unversehrtheit Verantwortung zu übernehmen. Durch eine attraktive Gestaltung der Wohngebäude und des Umfeldes wird außerdem einer negativen Wahrnehmung oder gar Stigmatisierung von Siedlungen entgegengewirkt.

Unübersichtlichkeit steht einer Identifikation der Bewohner mit dem Wohnungsumfeld, der Entstehung von Nachbarschaften sowie einer natürlichen Überwachung entgegen.

"Milieu": Für die Sicherheit in Siedlungen hält Newman zudem deren Überschaubarkeit für wesentlich. Damit die Bewohner ihre Wohnumwelt noch überblicken können, muss daher die "Maßstäblichkeit" erhalten bleiben. Vorzugsweise sollten Mehrfamilienhäuser also nicht zu viele Wohnungen umfassen, und die Zahl von Wohnungen pro Hauseingang und Korridor sollte außerdem so begrenzt werden, dass diese halbprivaten Bereiche durch die Bewohner kontrolliert werden können.

Mir diesen Planungsprinzipien hat Oscar Newman die Basis für eine Vielzahl weiterer Konzepte gelegt, die ebenfalls zum Ziel haben, durch eine zielgerichtete Gestaltung der Wohnumwelt Kriminalität zu verringern und das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung zu fördern.

Angst-Räume

Verwahrlosung und nicht einsehbare Teilbereiche wie bei dieser Unterführung lösen Unsicherheitsgefühle aus.

Der Zusammenhang zwischen Kriminalität und Raum bzw. Umwelt wurde in Deutschland seit den 1970er Jahren zunächst vor allem in Bezug auf sogenannte Angst-Räume thematisiert. Als Angst-Räume werden zumeist (halb-)öffentliche Räume bezeichnet, in denen sich viele Menschen von Kriminalität besonders bedroht fühlen. Solche insbesondere von Frauen als unsicher wahrgenommenen Orte (wie etwa Fußgängertunnel, Parkhäuser oder Verkehrswege und Parks bei Dunkelheit) weisen einige typische Merkmale auf:

  • Es mangelt ihnen an sozialer Kontrolle.

  • Sie sind unüberschaubar, in Teilen nicht einsehbar und bieten potenziellen Tätern Versteckmöglichkeiten.

  • Sie sind unzureichend, nur teilweise oder gar nicht beleuchtet.

  • Ihre Bausubstanz ist verwahrlost oder zerstört.

Der Katalog gestalterischer Maßnahmen zur Vermeidung oder Umgestaltung von Angst-Räumen ist vielfältig. Für verschiedene Bereiche und Anwendungsfelder (Verkehrsplanung, Freiraumplanung, Wohnhäuser, öffentliche Gebäude und Einrichtungen etc.) sind Kriterienlisten baulich-räumlicher Maßnahmen entwickelt worden, die einer Entstehung von Angst-Räumen entgegenwirken. Das Spektrum reicht dabei von einer guten (nächtlichen) Beleuchtung über baugestalterische Maßnahmen für Grünflächen, Einfahrten, Zugänge und Wegeführungen bis zur dezentralen Ansiedlung von Geschäften, Supermärkten etc. Ziel ist es, Wohngebiete zu beleben und damit soziale Aufmerksamkeit und Kontrolle zu ermöglichen bzw. zu fördern.


Kritik

An einer räumlichen, gestalterischen Planung, die zum Ziel hat, durch verstärkte Kontrolle normabweichende oder unerwünschte Aktivitäten oder Verhaltensweisen zu unterbinden, wird auch Kritik geäußert. Vorschriften, die bestimmte Verhaltensweisen in (halb-)öffentlichen Räumen vorschreiben, werden in bestimmten Fällen, etwa bei Friedhofs- oder Sportanlagen, von einer Mehrheit der Bevölkerung vergleichsweise einhellig akzeptiert. Doch gibt es Bedenken, dass die Grenze zwischen Kriminalität und bisher nicht strafbewehrten Handlungen (Unordnung, unerwünschtes Verhalten) durch Stadt- und Straßensatzungen, kommunale Verordnungen, Aufenthaltsbeschränkungen und andere ordnungsrechtliche Maßnahmen zunehmend aufgelöst werde. Wer bestimmt, welche Verhaltensweisen im öffentlichen Raum erlaubt sein sollen und welche nicht?

Kritiker befürchten eine zunehmende Durchsetzung partikularer Vorstellungen von Sicherheit. Insbesondere eine Orientierung an Kriterien betriebswirtschaftlicher Rationalität, die mit einem Rückgang des traditionellen staatlichen Kontrollmonopols einhergeht, betrachten sie mit Skepsis. Beispiele dafür sind etwa private Sicherungsdienste und Aufenthaltsbeschränkungen in Shopping Malls oder Bahnhöfen. Die Verdrängung Randständiger und die zunehmende Konzentration dieser Menschen in für andere unattraktiv gewordenen Quartieren führt ihrer Meinung nach dazu, dass diese Wohngebiete verwahrlosen und zunehmend zum Schauplatz krimineller Handlungen werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zum sogenannten ökologischen Ansatz Hans-Dieter Schwind (2006): Kriminologie. Eine praxisorientierte Einführung mit Beispielen, 16., neubearb. u. erw. Aufl., Heidelberg: Kriminalistik, S. 137 f.

  2. Vgl. Herbert Schubert (2003): Steuerung von Verhalten im öffentlichen Stadtraum – zu aktuellen Standards der kommunalen Kriminalprävention. Beitrag zur gemeinsamen Tagung "Sicherheit und Soziale Kontrolle in Städten" der DGS-Sektionen "Soziale Probleme und Soziale Kontrolle" und "Stadt- und Regionalsoziologie" am 24./25.10.2003 in Oldenburg, S. 2.

  3. Oscar Newman (1972): Defensible Space: Crime Prevention Through Urban Design, New York.

  4. Vgl. Zentrale Geschäftsstelle Polizeiliche Kriminalprävention des Bundes und der Länder (o.J.): Städtebau und Kriminalprävention. Eine Broschüre für die planerische Praxis, Stuttgart, S. 19.

  5. Vgl. Edwin Kube (2006): Kriminalprävention durch bauliche Gestaltung der räumlichen Umwelt. In: Thomas Feltes, Christian Pfeiffer, Gernot Steinhilper (Hrsg.): Kriminalpolitik und ihre wissenschaftlichen Grundlagen. Festschrift für Professor Dr. Hans-Dieter Schwind zum 70. Geburtstag, Heidelberg, S. 1016.

  6. Vgl. im Überblick verschiedene Kriterienlisten bei Kerstin Sailer (2004): Raum beißt nicht! Neue Perspektiven zur Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum, Frankfurt a. M., S. 230 f.

  7. Vgl. zur Bewertung abweichenden Verhaltens in öffentlichen Räumen Wulf Tessin (2004): Freiraum und Verhalten. Soziologische Aspekte der Nutzung und Planung städtischer Freiräume. Eine Einführung, Wiesbaden, S. 41.

  8. Vgl. Volker Eick, Jens Sambale, Eric Töpfer (Hrsg.): Kontrollierte Urbanität. Zur Neoliberalisierung städtischer Sicherheitspolitik, Bielefeld, S. 11.

  9. Vgl. Herbert Schubert, Holger Spiekermann, Katja Veil (2007): Sicherheit durch präventive Stadtgestaltung – Deutschland und Großbritannien, In: Aus Politik und Zeitgeschichte 12/2007, Innere Sicherheit im Wandel, S. 32.

  10. Vgl. Karl-Ludwig Kunz (2004): Kriminologie. Eine Grundlegung, 4., überarb. u.aktual. Aufl., S. 370.

Weitere Inhalte

Marcus Kober, Jahrgang 1968, studierte Politikwissenschaft, Soziologie und Öffentliches Recht. Seit 2005 ist er Geschäftsführer des Europäischen Zentrums für Kriminalprävention in Münster. Er ist Mitglied der International Crime Prevention Through Environmental Design Association (ICA) und der European Designing Out Crime Association (E-DOCA).