Die Bevölkerung in Deutschland wird zunehmend als divers wahrgenommen. Trivial, aber dennoch wichtig anzumerken ist, dass auch die Gruppe der Menschen mit Behinderungen sehr verschieden ist. Ihre Lebenswirklichkeiten sind je nach Art und Umfang ihrer Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen unterschiedlich geprägt und die betroffenen Menschen haben sehr verschiedene individuelle Erfahrungen, Einstellungen und Wünsche. Überdies können beispielsweise entlang sozialer und normativer Differenzen wie Geschlecht, Alter, sozioökonomischer Hintergrund, Migrations- oder Fluchterfahrung unterschiedliche Lebenslagen, kollektive Zugehörigkeiten und Identitäten ausgebildet werden. Erst in den vergangenen Jahren rückte in den Blick von Politik, Wissenschaft und sozialer Praxis, dass die Phänomene Behinderung und Migration nicht nur getrennt betrachtet werden können. Die Forderung wechselseitiger Öffnungen und Annäherungen der separaten Diskurse und Strukturen zu „Behinderung“ und „Migration“ wurde dabei von den Fachverbänden für Menschen mit Behinderung mit Bezug auf die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) vorgebracht.
Zur Datenlage von Menschen mit Behinderungen und Migration-/Fluchterfahrung
Mit der Unterzeichnung der UN-BRK verpflichtete sich Deutschland im Jahr 2009 zur Anerkennung der Verschiedenheit von Menschen mit Behinderungen sowie ihrer Gleichstellung gemäß menschenrechtlichen Prinzipien. Alle Menschen mit Behinderungen sollen freie und gleiche Möglichkeiten haben, ihr Leben zu gestalten und ihre gesellschaftliche Teilhabe verwirklichen zu können. Dies gilt auch für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, was in verschiedenen internationalen Menschenrechtsinstrumenten verankert wird. Diese Verpflichtung spiegelt sich in der Berichterstattung der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen bzw. Beeinträchtigungen wider. Der zweite Teilhabebericht (2016) widmet den Menschen im Schnittfeld von Behinderung und Migration erstmals ein eigenes Schwerpunktkapitel. Der dritte Teilhabebericht (2021) integriert vorliegende Daten über die statistische Kategorie „Menschen mit Migrationshintergrund“ in der Betrachtung der Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen. Auf die Relevanz dieser differenzierenden Betrachtung verweisen die soziodemografischen Grunddaten des Berichtes. In den Jahren von 2009 bis 2017 verzeichnet der Bericht einen Anstieg der Menschen mit Beeinträchtigungen und einem Migrationshintergrund um 30 % auf insgesamt 1,87 Millionen Menschen. Im Ergebnis zeigen die Datenauswertungen des Berichts eklatante Teilhabedefizite an der Schnittstelle von Behinderung und Migration, z.B. in der gleichberechtigten Verwirklichung von Arbeit und Beruf unter anderem wegen fehlender qualifizierender Schulabschlüsse. Auffällig sind zudem fehlende soziale Beziehungen und die daraus folgende (soziale) Isolation. Damit einhergehend sind Gefühle von Einsamkeit.
Die Anzahl von Menschen mit Beeinträchtigungen, die in den letzten Jahren im Rahmen von Flucht und Asyl nach Deutschland gekommen sind, kann nur geschätzt werden. Nichtregierungsorganisationen wie Handicap International gehen von etwa 1 936 350 im Jahr 2021 (ohne Schutzsuchende aus der Ukraine) aus. Zur Teilhabesituation ukrainischer Betroffener liegen noch keine Berichte vor. Der Teilhabebericht gibt allerdings keine Auskunft über die Situation asylsuchender, geduldeter und in Gemeinschaftsunterkünften lebender sowie anderer schutzberechtigter Menschen. Die Monitoring-Stelle der UN-BRK, das Deutsche Institut für Menschenrechte, und die Wohlfahrtsverbände weisen auf Teilhabe- und Versorgungsdefizite bereits im Aufnahmeverfahren hin und fordern eine Umsetzung rechtlicher Vorgaben und die Berücksichtigung besonderer Bedarfe. Zugleich belegen neuere sozialwissenschaftliche Studien zu geflüchteten Menschen mit Beeinträchtigungen, dass diese besonders in Abhängigkeit vom rechtlichen Aufenthaltsstatus mit vielen Restriktionen und Barrieren zu kämpfen haben. Zugangs- und Teilhabebedingungen in den Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen sind für Menschen an der Schnittstelle Behinderung und Migration aus unterschiedlichen Gründen erschwert.
Rechtliche Restriktionen
Der Aufenthaltsstatus bzw. -titel entscheidet über mögliche, begrenzte oder verwehrte Zugänge zu Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen. Stark eingeschränkt ist dieser für Menschen im laufenden Asylverfahren. Das Asylbewerberleistungsgesetz regelt in § 4, dass die Versorgung „zur Behandlung akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“ und gewähren ist. Diese Begrenzung der Gesundheitsversorgung ist deshalb besorgniserregend, da Menschen mit Behinderung im Flüchtlingsschutz (z.B. EU-Aufnahmerichtlinien) als schutzbedürftige Gruppe angesehen werden. Diese Schutzbedürftigkeit, die sich aus Art. 19 der EU-Aufnahmerichtlinie ergibt, wird nicht hinreichend berücksichtigt, wenn in der Erstaufnahme der behinderungsspezifische Unterstützungsbedarf nicht systematisch festgestellt und umgesetzt wird. Nicht selten werden z.B. Betroffene und ihre Angehörigen in Gemeinschaftsunterkünfte verteilt, die weder barrierefrei sind (fehlende Aufzüge, Sanitärräume usw.) noch barrierefreie Informationen und Zugänge zu (sozial-/asyl-)rechtlicher Beratung oder gesundheitlicher Versorgung sowie Teilhabe an barrierefreien Sprach- und Integrationskursen anbieten können.
Die fehlenden Barrierefreiheit in sämtlichen Bereichen ist eine anhaltende Herausforderung. Außerdem ist eine die zögerliche Umsetzung der EU-Aufnahmerichtlinien zu verzeichnen. Dies scheint an einem Mangel an Bewusstsein seitens der zuständigen Instanzen (z.B. Sachbearbeiter:innen in Ausländerbehörden) hinsichtlich der Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen zu liegen. Diese Defizite in der Sensibilisierung, die sich aus unzureichenden Schulungsmaßnahmen ergeben, tragen dazu bei, dass die vorhandenen Handlungsspielräume, einschließlich der Ermessensentscheidungen, nicht in vollem Umfang genutzt werden – und dies gilt nicht nur für Einzelfälle. Dies bremst zusammenfassend auch den Zugang zu Bildung, Ausbildung und Arbeit und mindert nicht nur das psychische und physische Wohlbefinden, sondern damit auch potentielle „Bleibeperspektiven“.
Behördliche „Komm-Strukturen“ als Barriere
Erst nach Erreichen eines sicheren Aufenthaltstitels bestehen die gleichen sozialrechtlichen Leistungsansprüche wie bei deutscher Staatsbürgerschaft. Eine Verbesserung der Teilhabe im Bereich Gesundheit ist dann zwar feststellbar, aber dennoch bleiben andere Barrieren im Zugang zu Hilfeleistungen bestehen.
Die Vielzahl an Behörden und Ämtern (Ausländeramt, Versorgungsamt, Jobcenter, Kranken/-Pflegekassen, u.a.m.) mit denen Betroffene in Kontakt kommen (müssen), zeichnen sich durch eine Komm-Struktur aus. Hilfesuchende müssen Ansprüche und Leistungen erkennen, explizit und fachsprachlich kommunizieren und administrativ in deutscher Sprache beantragen. Dolmetschende sind bei Antragsverfahren oder bei Behördengängen nicht selbstverständlich, auch werden die Kosten nicht immer übernommen. Oft bestehen Unkenntnisse über die vorhandenen, teils sehr unterschiedlichen wohlfahrtsstaatlichen Leistungen und die damit verbundenen bürokratischen Verfahren, die als wenig nachvollziehbar erfahren werden und so Ängste und Misstrauen im Umgang mit den administrativen Stellen (weiter) aufbauen. Schließlich überfordern die Antragsverfahren nicht allein in kommunikativer, sondern auch in zeitlicher und psychosozialer Hinsicht. Die meist langen Wartezeiten auf Bewilligungen und Umsetzungen adäquater Hilfen, insbesondere auch im Zusammenhang mit Widerspruchsverfahren, sind der gesundheitlichen Lage eher abträglich. Der psychosoziale Aufwand eines Antrags- und Klageverfahrens übersteigt oft den Aufwand für den Verzicht und/oder die anderweitige Organisation von abgelehnten Hilfen. Nur diejenigen mit eigenen auskömmlichen finanziellen Ressourcen und sozialen Netzwerken können notwendige Hilfsmittel eigenständig anschaffen und dadurch eine „Auseinandersetzung“ mit der jeweiligen Stelle auch umgehen. Allerdings besteht für viele Betroffene aufgrund von finanziell und sozial eher prekären Lebenslagen nur wenig Möglichkeit zur Kompensation. Oftmals erfahren sie – wegen fehlender Sprachkenntnisse und komplizierter Behördensprache – zudem erst nach vielen Jahren von potenziellen Angeboten und ihren Ansprüchen auf Nachteilsausgleiche, Pflegedienstleistungen oder andere Hilfen (z.B. Fahrdienste) und versuchen diese dann nachholend „aufzuarbeiten“. Unabhängig von Beeinträchtigung, Aufenthaltsstatus und Einwanderungszeitpunkt haben viele Menschen im Schnittfeld Behinderung und Migration erhebliche Probleme Teilhabeansprüche wahrzunehmen und umzusetzen .
Aufklärungsbedarf in den Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen
Orientierungs- und Aufklärungsbedarf besteht allerdings auch in den Unterstützungs- und Versorgungsstrukturen. Behindertenhilfe und Sozialarbeit im Bereich Migration und Flucht arbeiten nach eigenen strukturellen und rechtlichen Rahmenbedingungen, die jeweils für sich hoch komplex und dynamisch sind. Die sogenannte Versäulung der Strukturen beinhaltet zudem je einseitige Kompetenz und Zuständigkeit im Bereich Behinderung oder Migration, was die Kooperation untereinander und den fachlichen Austausch erschwert. So fehlt es sowohl an behinderungsspezifischem Wissen in der Sozialarbeit als auch an migrations-spezifischem Wissen in der Behindertenhilfe. Dies gilt weitgehend auch für die jeweiligen Selbstorganisationen. Überforderung der Fachkräfte, fehlende (Multi)Professionalität und intransparente Verfahren sowie Weiterverweisungen führen dazu, dass Informationen, Beratungen und Hilfen oft unvollständig und verzögert ankommen. Zudem sind Informationen, Beratungen und Hilfen noch nicht durchgängig barrierefrei verfügbar und längst nicht in allen Sprachen und Sprachformen vorhanden, was auch für den digitalen Bereich gilt. Bei Geflüchteten mit Behinderungen kann zwar eine Gebärdendolmetschung nach Ermessen aus dem SGB XII finanziert werden, allerdings wird in der Praxis hauptsächlich deutsch gebärdet. Das Angebot einer „Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung“ (EUTB) greift das Problem der intransparenten Strukturen auf. Mit dem Prinzip „Eine für alle“ und einer „Peer Beratung“ können alle behinderungsspezifischen Anliegen und Fragen in einer EUTB- Stelle gestellt werden. Migrationsspezifisches Fachwissen ist allerdings noch nicht flächendeckend ausgebaut und steht bisher nur in Großstädten zur Verfügung.
Intersektionelle Diskriminierungserfahrungen
Begegnung und Kontakt mit den unterschiedlichen medizinischen, pflegerischen, sozialen, rechtlichen, administrativen Fachkräften ist durch institutionell-fachliche, sprachlich-kommunikative und soziale Hemmnisse geprägt. Gravierend kommen dabei ableistische und rassistische Machtverhältnisse zum Tragen, die sich u.a. in alltäglichen Otheringprozessen zeigen und Betroffene über Zuschreibung und Zuordnung von Andersheit und Abweichung marginalisieren. Es fehlt in vielen Professionen noch eine kritische Reflexion dieser Verhältnisse mit der Folge, dass auch Fachkräfte zu wenig qualifiziert sind für einen menschenrechtsorientierten, antidiskriminierenden Umgang mit den Betroffenen. Beleidigungen, Herabsetzungen, Ausgrenzungen und Gewalt durch Fachkräfte in verschiedenen Organisationen (z.B. ÖPNV, Gesundheitswesen, Erziehungs- und Sozialwesen) können daher in unterschiedlichen Formen und Ausprägungen und in allen Teilhabebereichen widerfahren werden. Von Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln, über Arbeits- und Wohnungssuche, Arztbesuche bis hin zu Beratungsgesprächen werden Betroffene mit Vorurteilen entlang verschiedener Merkmale (Hautfarbe, Geschlecht, Religion, Sprache usw.) konfrontiert. Direkte und indirekte Diskriminierungen sind daher für viele Teil ihres Alltags.
In stationären Einrichtungen, wo eine starke Abhängigkeit von Fachkräften besteht, artikuliert sich der Umgang nicht zuletzt durch Verletzungen der Selbstbestimmung. Dies wird exemplifiziert in Situationen innerhalb betreuter Wohnformen, wo erwachsene Bewohner:innen mit Strafen bedroht werden, sollten sie Anweisungen nicht befolgen. Diese Strafen können zur Folge haben, dass sie umgehend ihre Zimmer aufsuchen und bereits am Nachmittag die Bettruhe einhalten müssen. Derartige Maßnahmen stellen eine einschränkende und starre Begrenzung der individuellen Entscheidungsfreiheit dar.
Heteronorme Strukturen, also Systeme, in denen Entscheidungsfreiheit nicht beim Individuum liegt, sondern bei einer übergeordneten Person (z.B. Betreuer:innen in betreuten Wohnformen), befördern einen paternalistischen und infantilisierenden Umgang mit Menschen mit Beeinträchtigungen. Die Wechselwirkungen mit rassistischen Ressentiments und Handlungen gefährden in besonderer Weise Menschen mit Migrationshintergrund.
Neben alltäglichen Diskriminierungserfahrungen bestehen intersektionelle Ausgrenzungsrisiken insbesondere im Bildungsbereich. Es besteht ein eindeutiger Zusammenhang von zugewiesenem sonderpädagogischem Förderbedarf und Migrationshintergrund, so dass Kinder und Jugendliche mit solch einem Hintergrund an Förderschulen überrepräsentiert sind. Ein einmal diagnostizierter Förderbedarf und der anschließende Haupt- oder Förderschulbesuch haben Folgen für die weitere (Erwerbs-)Biografie, denn viele Betroffene erwerben damit keinen qualifizierenden Schulabschluss und sind den entsprechenden marginalisierenden gesellschaftlichen Zuschreibungen und Etikettierungen ausgesetzt, was auch die Selbstwahrnehmung nachhaltig beeinflusst. Die fehlenden Übergänge in Arbeit und Beruf bzw. die Separationen im Bildungs- und Beschäftigungsbereich, auch die Werkstätten für Menschen mit Behinderungen, stabilisieren schließlich fortwährend die prekären Lebenslagen. Die Folgen der institutionellen Verknüpfungen von Schule und Arbeit manifestieren sich außerdem in einer geringeren sozialen und kulturellen Teilhabe. Im Alltag derer, die in separaten Bildungs-, Beschäftigungs- und/oder Wohneinrichtungen leben, sind soziale Kontakte und Freizeitgestaltung eher auf diese Umwelt reduziert. Freundschaften und soziale Beziehungen außerhalb dieser Einrichtungen und familiärer Bezüge zu schließen und zu pflegen ist nur schwer möglich. Fehlende Mobilität und Barrierefreiheit aber auch migrations-/fluchtspezifische Familientrennungen können die soziale Isolation weiter verstärken. Besuche von Familienangehörigen im Ausland sind aus aufenthaltsrechtlichen, gesundheitlichen und finanziellen Gründen nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich.
Die soziale Teilhabe wird auch erschwert durch die Situation auf dem Wohnungsmarkt. Barrierefreies Wohnen ist allgemein mit hohen finanziellen Anforderungen (z.B. bauliche Anpassungen) verbunden und in Anbetracht geringer eigener finanzieller Ressourcen (z.B. geringe Transferleistungen) für viele nicht zu verwirklichen. Gerahmt ist das Problem durch einen allgemein angespannten Wohnungsmarkt, der zudem rassistisch diskriminiert.
Widerstand und Ressourcen im Umgang mit Diskriminierung und Barrieren
Teilhabebarrieren werden in Abhängigkeit von den sozio-ökonomischen Hintergründen, den biografischen Verläufen von Beeinträchtigung und Migrations-/Fluchterfahrung und den individuellen Erfahrungen, Einstellungen und Wünschen unterschiedlich bewältigt.
Einige Betroffene entwickeln eine ausgeprägte gesellschaftspolitische Haltung, fordern eine inklusive Gesellschaft und leisten Widerstand gegen diskriminierende Strukturen. Sie engagieren sich, arbeiten in zivilgesellschaftlichen Netzwerken mit oder bauen Selbsthilfeorganisationen auf. Andere konzentrieren sich auf Informationsaustausch und Aufklärung über Rechte und Ansprüche auf die Gruppe der Menschen mit Migrations-/Fluchterfahrung bzw. gleicher Herkunftssprache. Sie tragen ihr Wissen um die menschenrechtliche Dimension des deutschen Teilhabe- und Rehabilitationsrechts schließlich auch in ihre transnationalen Netzwerke, um für Verbesserungen auch in den Herkunftsländern einzutreten.
Insgesamt kommt den familiären Beziehungen und Ressourcen eine starke Bedeutung für die Bewältigung von Diskriminierungserfahrungen und der Bewahrung eigener Handlungsfähigkeit zu. Familien- und Freundschaftsbeziehungen werden nicht selten transnational über teils tägliche (Video-)Telefonie aufrechterhalten, was als emotional entlastende Ressource erlebt wird. Die Organisation von alltäglicher praktischer Hilfe und Versorgung, auch als Kompensation nicht oder nur teils bewilligter Leistungen, findet in familiären Zusammenhängen (oft „selbstverständlich“ durch weibliche Angehörige) statt. Externe alltägliche Unterstützung in Form von professioneller Betreuung oder Assistenz wird ebenfalls als Ressource empfunden, da sie familiärer Beziehung ersetzen, ergänzen oder erweitern kann.
Im Umgang mit Barrieren und Diskriminierungen können folgende Bewältigungsmuster festgelegt werden:
Empowerndes bzw. selbstermächtigendes Muster: Proaktiv werden von Betroffenen Informationen und Gelegenheiten der Verbesserung der Teilhabe gesucht und eingefordert. Bewusstsein und Wissen über eigene Rechte und Ansprüche sind deutlich vorhanden, prägen eine politische Haltung und ein zivilgesellschaftliches Engagement.
Pragmatisches Muster: Hier zeigt sich ein Arrangieren mit eingeschränkter Teilhabe und Versorgung und eine Zufriedenheit mit familiären und familienähnlichen Beziehungen und Unterstützungen. Informationen und Gelegenheiten zur Verbesserung der Teilhabe erreichen die Betroffenen eher zufällig aus dem sozialen Umfeld.
Entmutigendes Muster: Diskriminierungserfahrungen und Barrieren in vielen Lebensbereichen können nur schwer durch eigene Ressourcen kompensiert werden und es überwiegen Isolation und Resignation. Betroffene haben wenig bis kaum Zugang zu Mobilität und barrierefreiem Wohnen. Ihre Hoffnung und Zuversicht ergeben sich, wenn überhaupt, alleine aus familiären oder familienähnlichen Bezügen.
Ausblick
Rechtliche, sprachlich-administrative und sozioökonomische Barrieren verhindern Zugänge und marginalisieren Menschen im Schnittfeld Behinderung und Migration. Die Komplexität behördlicher Strukturen hilft bei der Orientierung nicht weiter, sondern erschwert die Orientierung teilweise noch durch fehlendes diversitätsbewusstes Vorgehen (z.B. mehrsprachige und barrierefreie Beratung). Alltägliche Diskriminierungserfahrungen aufgrund ableistischer und rassistischer Machtverhältnisse prägen die Lebenswirklichkeit und erschweren die gesellschaftliche Teilhabe umfassend und nachhaltig. Trotz inklusiver Bemühungen bestehen Logiken und Praxen der Separation teils ungehemmt fort.
Wenn aber wohlfahrtsstaatliche Angebote der Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen (diskriminierungsfrei) angenommen werden, sind sie für viele Betroffene durchaus positiv, wirkungsvoll und teilhabefördernd. Besonders wenn bereits Erfahrungen mit Beeinträchtigungen im Herkunftsland gemacht wurden und dort vergleichbare Strukturen fehlten, ist die Zufriedenheit sehr groß. Der Kontakt zu Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Selbstorganisationen wird ebenfalls als wichtig wahrgenommen, da diese Einrichtungen neben fachlichen Expertisen auch soziale Beziehungen ermöglichen. Versorgungs- und Unterstützungsstrukturen müssen den rechtlich-politischen Verpflichtungen gemäß der UN-BRK sowie der besonderen Schutzbedürftigkeit nachkommen sowie nachhaltig und nachholend ihre Handlungsweisen mit Menschen im Schnittfeld Behinderung und Migration/Flucht ändern. Neben einer Verbesserung der Teilhabezugänge von Geflüchteten und anderer Neuzugewanderter gilt es auch, die über Jahrzehnte versäumte Inklusion der bereits lange in Deutschland lebenden Migrantin:innen nachzuholen. Strukturen und Institutionen sowie Akteure müssen sich auf dauer- und regelhafte Teilhabeoptionen von Diversität einstellen und Vorkehrungen zur Abwendung von Ausgrenzungen und zur Gestaltung für Durchlässigkeit schaffen, d.h. die Entwicklung flexibler und individueller Lebenswege und -welten zu ermöglichen.