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Workshop 5: Das ist es, was mit mir geschieht Wie es sich anfühlt, 'russlanddeutsch' zu sein

Christoph Velling

/ 4 Minuten zu lesen

Panelteilnehmer*Innen

  • Merle Hilbk, Autorin,

  • Helena Goldt, Musikerin

Moderation: Walter Gauks, Bundesvorsitzender der Jugend Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Berlin

Aussiedlung – Beheimatung – Politische Teilhabe Workshop 5 (Björn Stysch) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/

"Was ist das, Heimat? Ein geografischer Ort, Menschen, eine Idee?"

Der Begriff "Heimat" schwebte, wie über der gesamten Fachtagung, auch über diesem Workshop.

Die Autorin Merle Hilbk, die Sängerin Helena Goldt und der Vorsitzende der Jugendorganisation der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland, Walter Gaucks, boten eine beeindruckende multimediale sowie künstlerische Darstellung über ihre Zugehörigkeit zur "Gruppe" der Russlanddeutschen.

Der Workshop zielte auf die Lebensgeschichte der drei Protagonist/innen ab und sie berichteten, untermalt von emotionaler, klassischer, russischer Musik, von ihren Erfahrungen auf dem Weg der Integration in dem "Land [ihrer] Ur-Ur-Großeltern, in Deutschland". Dies wurde künstlerisch in einem Theaterstück verarbeitet. Welches auch dazu diente, die Unterschiede zwischen einzelnen Erfahrungen und gemeinsamen Erfahrungen der Protagonist/innen darzustellen. Das geschah, indem sie nach Einzelauftritten eine Art "Stuhlkreis" bildeten, in dem sie dann von ihren gemeinsamen Erlebnissen berichteten.

Die gemeinsame Herkunftsgruppe vereint die drei, doch ihre Erfahrungen in Deutschland sind zu Beginn sehr unterschiedlich. Als sie sich jedoch kennenlernen, stellen sie fest, dass sie viele gemeinsame Erlebnisse haben.

Doch was ist so unterschiedlich an den drei Persönlichkeiten?

Merle Hilbk sagt über sich selbst, dass sie das sei, was man eine Einheimische nennt. Sie wurde in Deutschland geboren und hat sich erst im jungen erwachsenen Alter auf die Suche nach den Wurzeln ihrer Familie gemacht. Helena Goldt und Walter Gaucks hingegen sind Wanderer zwischen zwei Welten, "das, was man russlanddeutsch nennt."

Was ist überhaupt dieses "Russlanddeutsch"?

Walter Gaucks nannte es "eine Marke mit einem unklaren Markenkern". Er sieht die Aufgabe der in Deutschland lebenden "Russlanddeutschen" darin, diesen Markenkern zu spezifizieren und jenen den "Bio-Deutschen" näher zu bringen.

Schnell machte er die Erfahrung, dass die "Russaki", also die Russlanddeutschen, zusammenhalten. Dies wurde in seiner beklemmenden Erzählung von den Angriffen der Rechtsradikalen auf ihr Heim in Magdeburg deutlich.

Sein Verständnis von Integration ist nicht, dass er nur noch Deutsch sprechen und seine Herkunft vergessen wolle.

Nein, für ihn ist es bis heute wichtig zu "denken, träumen und mit [sich] selbst auf Deutsch [zu] sprechen", aber genauso wichtig ist für ihn seine zweite Muttersprache, russisch. Denn "nur Russaki war [ihm] zu wenig." Helena Goldt machte mit dem "Deutschsein" andere Erfahrungen. Sie berichtete davon, dass ihr Vater seine russischen Wurzeln vergessen möchte und darauf bestand, dass sie komplett deutsch sei, obwohl sie sogar "beim Schwäbeln das R" rolle. Sie warf im Laufe der Jugend sogar die Frage auf, ob sie "vielleicht deutscher als die Deutschen" sei. Auch in der Schule wurde sie oft kritisch beäugt, da sie "jeden Tag mit Freude und Dankbarkeit zur Schule" ging und die Schule von Schülern, die in Deutschland geboren waren, eher als Belastung, als als Chance angesehen wurde. Insbesondere zeigte sie auf, dass gerade die Generationen ihrer Großeltern und ihrer Eltern eine Art Schocktherapie vollziehen mussten, gerade "was zum Beispiel das emanzipierte Frausein angeht, Beziehungen zu führen, die nicht gleich in eine Heirat münden". Doch insgesamt kommt sie zu dem Schluss, dass man "nun, nach 26 Jahren in Deutschland, (…) von echter Ankunft sprechen [kann]".

Als Abschluss des Theaterstücks werfen die drei Akteur/innen die Frage auf, was denn Integration überhaupt ist und wie man sich in Deutschland integrieren soll: Was ist überhaupt "DIE deutsche Kultur"? und "Welche russlanddeutsche Kultur soll in dieses schwammige Gebilde namens deutsche Kultur integriert werden?"

Doch auch ein positiver Blick wird von den Protagonist/innen aufgezeigt, denn nachdem "wir Russlanddeutschen [eine ganze Zeit lang versuchten] zu gefallen", wie Helena Goldt anmerkte, haben sie mittlerweile ein eigenes Identitätsgefühl und ein Selbstbewusstsein aufgebaut.

Bei der abschließenden Plenumsdiskussion kommt es schnell zu emotionalen Themen, da die Teilnehmer/innen selber die Erfahrungen der drei teilen und von diesen berichten können.

Hierbei taucht häufig der Punkt auf, dass eine stärkere Vernetzung mit den "Deutschen" notwendig und möglich ist. Insbesondere verweisen die Beteiligten darauf, dass "man (…) nicht mehr nur in der Familie bleiben [darf]". Dies resultiert aus den verschiedenen Berichterstattungen nach dem "Fall Lisa", die nach dem Empfinden der Teilnehmenden häufig sehr negativ geprägt war. Als Beispiel wurde hier ein Kommentar im Nachrichtenmagazin Der Spiegel genannt. Die dortige Diskussion um die Frage "Warum kriegen die [Russlanddeutschen] einen Pass, aber die armen Flüchtlinge nicht?" wurde von vielen Workshopteilnehmenden als sehr belastend empfunden, da sie sich als "heimgekehrte Deutsche" und nicht als Migrant/innen fühlen.

Walter Gaucks erwähnte auch die Chance, die durch Deutsche aus Russland möglich wird. Diese könnten als Brückenbauer zwischen den Kulturen fungieren.

Abschließend fasste Helena Goldt die Stimmung in dem Satz "Meine Familie ist meine Identität" zusammen. Dies beantwortet aus Sicht der drei Protagonist/innen eine der vielfältigen Fragen, die bei der Fachtagung aufgeworfen wurden.

Fussnoten