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"Die machen Dich mürbe. Das ist ja die Strafe, die wollen Dich mürbe machen." | Ravensbrück – Überlebende erzählen | bpb.de

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"Die machen Dich mürbe. Das ist ja die Strafe, die wollen Dich mürbe machen."

/ 3 Minuten zu lesen

1925 wird Anita als uneheliches Kind geboren – sie wächst bei Pflegeeltern, bei Onkel und Tante auf. Sie versucht auszureißen. Doch Anita kommt ins Mädchenheim, ins Gefängnis und wieder ins Mädchenheim. Im Frühjar 1943 wird sie in das "Jugendschutzlager" Uckermark gebracht.

Anita Köcke (© privat)

Anita Köcke

Geboren am 17. Januar 1925, in Weimar

Gestorben am 17. November 2005, in Frankfurt am Main

Am 17. Januar 1925 wird Anita als uneheliches Kind in Weimar geboren. Da ihre Mutter berufstätig ist und sich nicht um ihre Tochter kümmern kann, wächst Anita bis zum achten Lebensjahr bei Pflegeeltern auf. Mit zehn Jahren kommt sie in ein Kinderheim in Schwarzenberg im Erzgebirge. Zwei Jahre später nimmt sie ihre Tante in Gera auf; ihr Onkel arbeitet auf einem Gut als Oberschweizer, als Melker. Von Beginn an hilft Anita mit und steht früh morgens auf, um die Kühe zu melken. Sie bleibt bis zu ihrem Schulende 1939 auf dem Gut. Bei ihrer Konfirmation 1939 lernt sie zum ersten Mal ihren leiblicher Vater kennen, einen Textdichter und Musikverleger. Er schenkt Anita eine Armbanduhr und bezahlt ihr Klavierstunden. Doch die Eltern bleiben getrennt: Anitas Mutter möchte den Vater nicht heiraten, und das Sorgerecht für Anita nicht teilen. Seit dieser Zeit hat Anita ihren Vater nie wiedergesehen.

1939 kommt Anita zu einem Bauern nach Lindlar und leistet ihr Pflichtjahr. Danach geht sie nach Gera zurück, jedoch zu einem anderen Bauern, wo sie erneut schwer arbeiten muss. Sie versteht sich nicht mit den Bauersleuten und wird beschuldigt, gestohlen zu haben. Der Diebstahl wird ihr nicht nachgewiesen, doch Anita steht bis zum 21. Lebensjahr unter jugendlicher Fürsorge des Jugendamts, und weil sie als Kind immer mal ausgerissen war, kommt sie ins Gefängnis. Anita ist fast fünf Monate in Untersuchungshaft im Gefängnis von Gera. 1942 reißt sie aus und flieht nach Kiel, wo sie ein Schiff nach Dänemark oder Holland nehmen will. Bei einer Polizeikontrolle wird sie jedoch entdeckt und auf das Kieler Polizeipräsidium gebracht.

Im Frühjahr 1943 wird Anita in das Jugend-KZ Uckermark eingewiesen

Anita wird vom Jugendamt in das Mädchenheim Kiel in der Gartenstraße eingewiesen und zur Arbeit in der Kieler Werft verpflichtet, wo Lebensmittel hergestellt werden. Bei dem Versuch, eine Wurst zu klauen, wird sie erwischt und kommt wegen Diebstahl ins Gefängnis in Kiel. Kurz danach weist sie das Jugendamt in das Arbeitshaus in Glücksstadt ein. Anita kehrt noch einmal ins Gefängnis nach Kiel und anschließend ins Mädchenheim zurück. Sie kann erneut fliehen, ist jedoch ohne Papiere unterwegs, wird aufgegriffen und kommt wieder ins Gefängnis – diesmal, wie es heißt, wegen Arbeitsverweigerung. Ihre Akte geht nach Berlin und es wird verfügt, dass sie ins "Jugendschutzlager Uckermark" eingewiesen wird.

Von Frühjahr 1943 bis Ende 1944 ist Anita im Jugend-Konzentrationslager Uckermark. Als das Jugend-KZ Ende 1944 aufgelöst wird, kommt sie als so genannte "Unverbesserliche" ins Frauenkonzentrationslager Ravensbrück. In beiden KZs muss sie Zwangsarbeit für Siemens leisten. Bis zum Todesmarsch Ende April 1945 bleibt Anita in Ravensbrück.

Nach der Befreiung geht Anita nach München, weil sie hofft, dort Verwandte zu finden. Doch sie bricht auf offener Straße zusammen – sie wiegt noch 38 Kilogramm. Anita kommt ins Krankenhaus in Ismaningen. Als sie wieder etwas zugenommen hat, sie wiegt 49 Kilogramm, wird sie entlassen und kommt in ein Mutter-Kind-Heim. Anschließend geht sie nach Frankfurt am Main. Da sie keine Papiere hat und ohne festen Wohnsitz ist, wird sie bis 1948 immer wieder wegen Landstreicherei verhaftet. Bei einer Untersuchung im Gesundheitsamt Frankfurt steht sie plötzlich einer ehemaligen Aufseherin aus dem Jugend-KZ Uckermark gegenüber, die Anita mit den Worten fortschickt: "Hier weiß keiner darüber, sagen Sie nichts und lassen Sie sich nie wieder hier blicken!" Über das Rote Kreuz versucht Anita, ihre Mutter zu finden, doch erst in den 1950er Jahren gibt es ein Wiedersehen.

Nach 55 Jahren kehrt Anita erstmals nach Ravensbrück zurück

1948 bekommt Anita endlich mit Hilfe einer US-amerikanischen Familie Papiere und geht mit ihnen als Kindermädchen erst nach Chicago und dann nach New York. Nach anderthalb Jahren kehrt Anita nach Frankfurt zurück und lernt Ende der 1960er Jahre ihren künftigen Ehemann kennen.

Im Jahr 2001 kehrt Anita nach über 55 Jahren zum ersten Mal nach Ravensbrück zurück und besucht die Mahn- und Gedenkstätte. Anita forscht bei verschiedenen Ämtern nach Beweisen für ihre Haftzeit und bekommt endlich eine erste Rate der Entschädigungszahlung für ihre bei Siemens geleistete Zwangsarbeit sowohl im Jugend-KZ Uckermark als auch im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück.

Aus einem Interview mit Ebba Rohweder, April 2004

Fussnoten