Rosa D.
Geboren am 9. April 1926, in Budapest (Ungarn)
Ich wurde am 9. April 1926 in Budapest in einer kleinbürgerlichen Familie geboren. Mein Vater hatte eine Agentur für Agrarprodukte. 1938 wurden in Ungarn die so genannten Judengesetze eingeführt, die im Alltag große Schwierigkeiten verursachten. Von 1936 bis 1944 besuchte ich das städtische Mädchengymnasium. Vor meinem Abitur besetzte im März 1944 Hitler Ungarn. Damit begann die Verfolgung und Verhaftung von Antifaschisten und Juden, es begann die "Endlösung" mit dem Ziel der Vernichtung aller Juden. Mit Hilfe der ungarischen Polizei und Gendarmen wurden in sehr kurzer Zeit fast 500.000 Menschen nach Auschwitz deportiert: Die Alten und Kranken, schwangere Frauen und Kinder wurden in Gaskammern ermordet.
Bis Herbst 1944 blieben wir in Budapest. Unsere Verwandten im Land verschwanden, nur wenige überlebten. Wir mussten den gelben Stern tragen und unsere Wohnungen aufgeben Wir lebten in Häusern mit einem großen gelben Stern am Eingangstor und mit vielen Beschränkungen. Die Deportation der Budapester Juden war eine größere Aufgabe und aus politischen Gründen bis Oktober 1944 nicht gelungen. Aber am 15. Oktober 1944 kamen die Pfeilkreuzler, eine Gruppe extrem faschistischer Verbrecher, an die Macht. Ende Oktober begann dann die Massenverschleppung. Zuerst wurden Männer, die noch zu Hause und nicht in Zwangsarbeitslagern waren, zwischen 16 bis 18 Jahren und 45 bis 65 Jahren, verhaftet, dann Mädchen und Frauen zwischen 10 bis 40 Jahren. Mich hat man aus unserem Wohnhaus am 9. November mit vielen anderen verschleppt. Meine Eltern und Verwandten mussten ein paar Wochen später ins Ghetto umsiedeln.
Ich wurde mit Tausenden von Frauen und Männern im Fußmarsch entlang der Wiener Landstraße bis zur deutschen Grenze getrieben. Ich brauchte etwa vier Wochen, weil ich einmal gemeinsam mit drei anderen Frauen zu fliehen versuchte. Wir versteckten uns in einem Heuschuppen auf einem Bauernhof. Zwei von uns vier war es gelungen, wie ich später nach dem Krieg erfuhr, nach Budapest zurückzufahren und sie überlebten. Ich wurde mit der anderen jungen Frau zweimal verhaftet, weshalb wir Angst hatten und schließlich in der Marschgruppe blieben. An der Grenze hat man uns der SS übergeben. Das war in den ersten Tagen im Dezember 1944. Man kann sich vorstellen, was für eine Arbeitskraft wir waren nach wochenlangem Laufen, Übernachtung unter freiem Himmel oder im Stall, fast ohne Essen und im kalten regnerischen Novemberwetter.
Meine Freundin blieb in Ravensbrück – sie kam nie wieder
Frauen und Männer wurden in verschiedene KZs eingeliefert. Ich wurde mit vielen Frauen nach Ravensbrück gebracht. Nach der Ankunft wurden wir, einige tausend ungarische Jüdinnen, in einem großen Zelt untergebracht. Ich war vier Wochen in Ravensbrück und viele Eindrücke sind noch lebendig: die Ankunft mitten in der Nacht, das Brüllen der SS-Leute, das laute Gebell der Hunde, Scheinwerferlicht, die Peitschen der SS-Frauen und der Anblick der Baracken. Im Zelt lagen wir in der ersten Woche Tag und Nacht auf dem Boden – später in aus Betten gebauten Blöcken, drei Frauen in einem Bett. Nach einer Selektion wurde ich von meiner Freundin getrennt und mit 700 ungarischen Frauen nach Penig geschickt. Meine Freundin blieb in Ravensbrück, sie kam nie wieder zurück. Sie war 28 Jahre alt. Sie hat ihre Mutter und ihren sechs Jahre alten Sohn zurückgelassen, die den Krieg im Budapester Ghetto überlebten.
Ich war im Lager Penig von Januar bis April 1945. Ende März wurde ich sehr krank und schwach. In einer Selektion kam ich mit vielen anderen als arbeitsunfähig in die "Krüppelbaracke". Dort warteten wir zum Abtransport nach Buchenwald zur "Behandlung". Gott sei Dank kam es nicht dazu. Das Lager wurde am 13. April geräumt, die Frauen wurden von der SS blitzschnell hinausgetrieben. Etwa 80 von uns ließ man als Sterbende zurück – ich war eine von ihnen. Die US-amerikanische Armee hat uns am 15. April 1945 befreit. Mit ihr kam der Journalist D. Shermann ins Lager. Er half uns, zum Krankenrevier Altenburg-Leunawald zu kommen und rettete dadurch viele Leben.
Rosa D. (© privat)
Rosa D. (© privat)
Nach einem mehrwöchigen Krankenhausaufenthalt konnten wir mit einer ungarischen Gruppe im August 1945 nach Budapest zurückkehren. Meine Eltern überlebten im Ghetto, aber meine Mutter wurde schwer krank. 1947 begann ich, Chemie zu studieren. Ich arbeitete 30 Jahre als Diplom-Chemikerin. Nach der Pensionierung war ich einige Jahre Reiseleiterin für Touristen. Ich lebe mit meinem Mann in Budapest. Unsere Familie ist klein geworden. Aber jetzt haben wir Enkelkinder und eine Urenkelin.
Warum ist es wichtig, darüber zu sprechen? Unsere Pflicht ist es, die Erinnerung wach zu halten. Die junge Generation soll wissen: Es waren Menschen, Säuglinge und Kinder, Erwachsene und Alte, die hier lebten und unsere Nachbarn waren und ermordet wurden. Die Jungen sollen die Wahrheit wissen, sollen darüber lernen und lesen, und immer gegen Hass, Diskriminierung und falsche Theorien kämpfen.
Rosa D., März 2004