Begleitmaterial zur Erstausstrahlung: "Holocaust kontrovers"
Beitrag aus der Sonderbroschüre von 1978
Wilhelm van Kampen
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Dieser Text wurde aus dem Archiv der Bundeszentrale für politische Bildung geholt: zur Ausstrahlung der Serie „Holocaust“ produzierte sie umfangreiches pädagogisches Begleitmaterial. Hier stellen wir diesen Beitrag in Auszügen als historische Quelle online zur Verfügung.
Hinweis
Dieser Text ist 1978 im Zuge einer Sonderausgabe der Bundeszentrale für politische Bildung und der Landeszentrale Nordrhein-Westfalen als Sammlung von "Materialien zu einer amerikanischen Fernsehserie über die Judenverfolgung im Dritten Reich" erschienen.
Dass sich bereits im Vorfeld der Ausstrahlung der Serie eine breite Diskussion entzündete, sahen die beteiligten Akteure als einmalige Chance für den Bildungsbereich, mit einer großen Breitenwirkung die Aufarbeitung der NS-Zeit voranzutreiben. Abgesehen davon wurde die kommerziell motivierte Produktion mit der Fiktionalisierung und Personalisierung des Themas durchaus kritisch gesehen. Daher wurde Bedarf an einordnenden Informationen erkannt. Die Broschüre wurde sehr stark nachgefragt: nach Angaben des damaligen Referatsleiters der Bundeszentrale für politische Bildung Tilman Ernst war die Startauflage von 150.000 Exemplaren bereits vor der Ausstrahlung vergriffen. Am Ende wurde das Begleitmaterial bundesweit (auch von den Landeszentralen für politische Bildung) in einer Auflage von ca. 500.000 Exemplaren verteilt – an Schulen und Lehrende, aber auch an Bürgerinnen und Bürger.
Der Autor Wilhelm van Kampen ordnete die US-amerikanischen Fernsehserie "HOLOCAUST" in den deutschen Kontext ein, bot pädagogische Begleitinformationen und besprach das Format als Teil der (inter-)nationalen Erinnerungskultur. Sein Beitrag liefert heute einen Einblick in die Ansätze der politischen Bildung der 1970er Jahre und spiegelt dabei die Sprache und die Perspektive des damaligen wissenschaftlichen Diskurses wider. Einige Begriffe und Äußerungen hat die Redaktion aus heutiger Sicht kommentiert und durch Verlinkungen eingeordnet. Zur besseren Lesbarkeit wurde der Text an die neue deutsche Rechtsschreibung angepasst. Die über diesen Text hinausgehenden Materialien zu HOLOCAUST sind hier nicht aufgeführt. Hinweise auf andere Kapitel wurden daher von der Redaktion herausgekürzt und durch […] gekennzeichnet.
Schon die ersten Nachrichten, die uns über die Fernsehserie HOLOCAUST erreichten, ließen erkennen, dass es sich dabei um eine höchst umstrittene Sache handelte. Ein dpa-Korrespondent berichtete am 18. April 1978, noch bevor alle Teile der Serie gezeigt worden waren, sie habe die Gemüter in den USA „erhitzt und gespalten, wie es wohl kaum zuvor jemals einer Fernsehserie gelungen sein mag“. Ein weiterer dpa-Bericht eines anderen Korrespondenten, der positive und negative Reaktionen gegenüberstellte, sprach von „vielen Opfern“, die die Serie nicht sehen wollten: „Sie betrachten das neunstündige Dokumentarspiel (...) als verwässerten Abklatsch einer grauenvollen Wirklichkeit oder haben Angst, alte Wunden wieder aufzureißen.“ Und die NEW YORK TIMES, immerhin eine Autorität unter den amerikanischen Zeitungen, konnte mit dem Urteil zitiert werden: „Die Trivialisierung ist fatal. HOLOCAUST ist weniger ein nobles Versagen als ein anmaßendes Unterfangen.“ Die Kritik einiger britischer Zeitungen, etwas später, war geradezu vernichtend. Die positiven Stimmen, von denen es auch viele gab, schienen dagegen zunächst überhaupt nicht anzukommen.
Das war aber auch gar nicht anders zu erwarten. Die Darstellung historischer Ereignisse und Zusammenhänge auf dem Bildschirm war – wie der historische Film und die historische Belletristik bei uns in der Weimarer Republik – von Anfang an einer scharfen Kritik von Seiten der zünftigen Geschichtsschreibung und der sich an ihr orientierenden Publizistik ausgesetzt. Jerry Kuehl, der als Fernsehproduzent unter anderem für die auch in der Bundesrepublik gezeigte Serie THE WORLD AT WAR verantwortlich war, hat die dabei entstehenden Konflikte schon vor einigen Jahren treffend beschrieben: Die Beziehungen zwischen akademischen Historikern und den Produzenten von Fernsehdokumentationen, so stellte er in einem Aufsatz über „Geschichte auf dem öffentlichen Bildschirm“ fest , seien immer schwierig gewesen: „Mögen die Historiker beleidigt sein durch die Oberflächlichkeit und Unvollständigkeit der ohne ihre aktive Mitarbeit entstandenen Programme, so reagieren die Produzenten ihrerseits empfindlich auf die Versuche der Akademiker, ihre Maßstäbe und Interessen einem Gebiet aufzuzwingen, das nach Meinung der Fernsehmacher außerhalb ihrer Kompetenz liegt.“ Kuehl führt dieses wechselseitige Unbehagen auf einen ernstzunehmenden Mangel an Verständigung zwischen den beiden Professionen zurück: Jeder missverstehe den Beruf des anderen; gehe von falschen Voraussetzungen darüber aus, was der andere tun könne oder solle, und sei so schließlich außerstande, die Leistungen und Begrenzungen seines Gegenübers richtig einzuschätzen und zu würdigen.
Gilt dies nun schon für Fernsehproduktionen, die immerhin dokumentarischen Charakter haben, also mit den echten filmischen Quellen arbeiten, so war vorauszusehen, dass eine Serie, die sich in der Form der amerikanischen Fernseh-Familiensaga, also einer fiktiven Spielfilmhandlung zweifelhaften Genres, des in mancherlei Hinsicht heiklen Themas der nationalsozialistischen Judenverfolgung annehmen wollte, auf umso größeren Widerstand – und diesmal nicht nur der Historiker – stoßen musste. Als in der Bundesrepublik bekannt wurde, dass der Westdeutsche Rundfunk die Serie der NBC kaufen wollte oder schon gekauft hatte, meldeten sich daher sofort Stimmen, die gegen eine Ausstrahlung im Deutschen Fernsehen sprachen, weil sie die Behandlung eines so ernsten und für Deutschland so prekären Themas in Gestalt einer kommerziellen amerikanischen Fernsehserie für durch und durch unangemessen hielten. Sie beriefen sich auf das kritische Echo in den USA, Kanada und Großbritannien, wobei die Berichte über den Selbstmord einer alten jüdischen Dame in England – nachdem sie HOLOCAUST gesehen hatte – einen besonders emotionalen Akzent setzten. Aber auch aus dem Lager der Fernsehmacher selbst wurde Kritik laut. Der Bayerische Rundfunk drohte, sich aus dem ARD-Programm auszuschalten, der Baden-Badener Fernsehspiel-Chef protestierte in der ZEIT, und der Berliner Fernsehmann Itzchak Pruschnowski, der, einst selber Ghetto-Insasse, mit seinem Fernsehfilm „Auf der Suche nach einem Gerechten“ nach Meinung des SPIEGEL „eine Art deutschen HOLOCAUST“ gedreht hatte, lehnte die amerikanische Serie mit dem keineswegs falschen Argument ab: „Wir brauchen keine Entwicklungshilfe aus den USA, wir können unsere eigene Geschichte filmdokumentarisch selbst aufarbeiten – billiger, besser und ohne falsches Pathos.“
Dem ist jenseits aller historiographischen und medienkritischen Bedenken erst einmal entgegenzuhalten, dass die deutschen Fernsehanstalten, nachdem es die Serie einmal gab, überhaupt keine Wahl hatten, sie zu senden oder nicht. Denn sie nicht auszustrahlen (und nicht dem Fernsehzuschauer selber das Urteil zu überlassen), hätte auf jeden Fall bedeutet, sich dem Vorwurf auszusetzen, dass hier wieder einmal die Deutschen ihre schlimme Vergangenheit verdrängen wollten – nur diesmal mit dem heuchlerischen Argument, die Serie entspreche nicht den hier üblichen und für das Thema angemessenen historiographischen und filmästhetischen Ansprüchen. Dass dieses Argument nicht an den Haaren herbeigezogen ist, zeigten Äußerungen aus den USA und Frankreich, die man nicht übersehen sollte. So zitierte schon am 21. April ein dpa-Korrespondent eine amerikanische Kolumnistin mit der Erklärung: „Am meisten ermutigen würde uns nach dem Erlebnis der jüngsten Geschichte auf dem Fernsehschirm die Nachricht, dass Deutschland eine Filmkopie angefordert habe.“ Und VARIETY, das amerikanische Fachblatt für Film und Fernsehen, registrierte am 13. September: Die meisten führenden Fernsehleute in der Bundesrepublik seien sich klar darüber, dass die Augen der Welt sich auf sie richten würden, wenn HOLOCAUST gesendet wird, und dass es erheblich mehr Kritik aus dem Ausland geben würde, wenn sie sich weigerten, die Serie den möglicherweise überempfindlichen Zuschauern in Westdeutschland zu zeigen. Das war, nachdem die Pariser LE MONDE schon kritisch angemerkt hatte, dass mit der Ausstrahlung in den Dritten Programmen ja wohl kaum das große deutsche Publikum erreicht würde.
Dies zu beachten, heißt nicht, die Augen vor der berechtigten Kritik an HOLOCAUST zu verschließen. Von dieser Kritik wird im Folgenden noch zu berichten sein. Entscheidend ist aber nicht die Frage, ob die Serie gesendet werden soll oder nicht – diese Entscheidung ist mit Recht in positivem Sinne gefallen –, sondern was wir aus der Chance machen, dass Millionen von deutschen Fernsehzuschauern (mehr vielleicht als je zuvor bei einschlägigen Dokumentationen) auf eine unmittelbare, wenn auch stark emotionale Weise mit diesem dunklen Kapitel unserer Geschichte konfrontiert werden. Es ist die Chance, sich zu erinnern und diese Erinnerung für möglichst viele von uns fruchtbar zu machen. Dabei verlangt niemand, dass der deutsche Fernsehzuschauer seinen Verstand an der Kasse abgeben soll. Im Gegenteil: HOLOCAUST ist auch die Chance, sich über die Darstellbarkeit von Geschichte im Fernsehen Rechenschaft zu geben. Zu beidem wollen die hier vorgelegten Materialien helfen. Sie sagen kurz, was HOLOCAUST erzählt und wie die Geschichte aufbereitet wird. Dann informieren sie über den Zusammenhang, in dem die Serie in den USA präsentiert worden ist, und fassen das Echo zusammen, das sie ausgelöst hat. Anschließend werden einige Probleme diskutiert, die durch HOLOCAUST aufgeworfen werden, z.B. die Frage nach den Grenzen der Darstellung von Geschichte in einer solchen Serie und das Problem der Authentizität. [...]
Zum Begriff „Holocaust“
Für den Begriff „Holocaust“, wie er in dieser Fernsehserie verwendet und auch im deutschen Titel beibehalten wird, sucht man in unseren Enzyklopädien und auch im „Lexikon des Judentums“ (Bertelsmann, 1971) vergebens nach einer befriedigenden Erklärung. Entsprechend ratlos waren die meisten Zeitungen, als sie das Wort verdeutschen wollten. Wenn allerdings eine deutsche Amerika-Korrespondentin ihren kritischen Bericht (in den STUTTGARTER NACHRICHTEN v. 21. 4. 78) mit der Feststellung eröffnete: „... allein der Titel ist schon makaber. Denn das Wort bezeichnet das ‚Brandopfer' nach alttestamentarisch-jüdischem Ritus. Das Wort auf die bestialische ,Endlösung der Judenfrage' in den Krematorien der Konzentrationslager anzuwenden, verrät einiges von der Gedankenlosigkeit der Produzenten...“ – so entlarvt sich darin eher das Vorurteil und die groteske Ahnungslosigkeit der Berichterstatterin, denn ein Blick in die englischsprachige Encyclopaedia Judaica (Vol. 8, Jerusalem 1971, Sp. 828 ff.) hätte genügt, sie eines Besseren zu belehren. Dort wird gerade unter diesem Begriff die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung zusammengefasst, und die einführende Erklärung lautet: „Der ‚Holocaust' (auch bekannt als die Katastrophe, Shoah, Hurban) ist die tragischste Periode in der Geschichte der jüdischen Diaspora und der modernen Menschheit überhaupt. Sie begann in Deutschland am 30. Januar 1933 mit der Machtergreifung der Nazis und endete am 8. Mai 1945 mit der bedingungslosen Kapitulation Nazi-Deutschlands.“
Der Begriff hat sich im englischen Sprachbereich längst eingebürgert, und der Mannheimer Professor Theo Stemmler hat deshalb auch mit Recht in einer Zuschrift an die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG (27. 6. 78) darauf hingewiesen, dass den Deutschen nun in beklemmender Weise zu Ereignissen ihrer jüngsten Geschichte die angemessenste Bezeichnung für eben diese Geschehnisse nachgeliefert werde. Professor Stemmler erklärt:
„Die deutschen Wörter Massenmord oder Interner Link: Endlösung wirken zwar wegen ihrer bürokratischen Abstraktheit (Massenmord) und Interner Link: euphemistischen Verhüllung (Endlösung) brutal und zynisch; die Schrecken der damaligen Ereignisse werden jedoch weitaus komplexer – und damit genauer – mit dem englischen Wort holocaust bezeichnet. Holocaust ist so bedeutungsschwer – heute sagt man: voller Konnotationen –, weil es keinen der verschiedenen Begriffsinhalte, die es im Verlauf seiner Geschichte bezeichnete, je ganz verloren hat. Wie in einem Palimpsest sind die früheren Bedeutungen dieses Wortes simultan vorhanden und ablesbar. Zunächst – und im entsprechenden religionsgeschichtlichen Kontext bis heute – bezeichnet das griechische holokauston ein Brandopfer in der Art, wie es in 3. Mose 1, 3 –17 beschrieben wird: ein Opfer, bei dem alle opferbaren Teile des Tieres auf dem Altar verbrannt werden. Die Mehrzahl der vier wesentlichen Elemente dieses Begriffs – vollständig/Brand/Opfer/Tier –ist über die Jahrhunderte hinweg erhalten geblieben, hat jedoch eine bezeichnende Umwertung erfahren. Neben den rituellen Begriff Brandopfer treten seit dem 15. Jahrhundert allgemeinere Bedeutungen wie Opfer, Aufopferung, die zunächst noch im religiösen Bereich angesiedelt sind, dann aber säkularisiert werden. Das Begriffselement Tier des Wortes holocaustum geht bald verloren und wird durch Mensch ersetzt; das Element vollständig (griechisch holos) erscheint abgewandelt als groß, zahlreich: Es geht nunmehr um den Feuertod, dann allgemein um die vollständige Vernichtung zahlreicher Menschen. Auf diese Weise ist aus einem durchaus positiven, rituellen Begriff ein negativer, säkularer geworden. Das Wort holocaust gewinnt seine Komplexität aus den mitgegebenen Konnotationen Opfer/Feuer vollständig: Holocaust ist eine bedrückend genaue Bezeichnung für die von den Nazis betriebene Vernichtung der europäischen Juden.“
In Israel lief HOLOCAUST unter dem Titel HASCHOAH. „Schoah“ („Vernichtung“, vgl. Jes. 10,3) mit dem bestimmten Artikel „ha“ ist die dort gebräuchliche neuhebräische Bezeichnung für die Massenvernichtung der Juden durch das Hitlerregime. Der jährliche Opfergedenktag heißt entsprechend „Jom ha-Schoah“ .)
Was HOLOCAUST erzählt
HOLOCAUST erzählt die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung am Beispiel zweier Familien, die sich kennen, aber auf verschiedenen Seiten stehen. Die einen sind die Opfer, die anderen gehören zu den Henkern. Die Opfer: das ist die Familie des jüdischen Arztes Dr. Josef Weiß, die die Schrecken der Verfolgung am eigenen Leibe erleben muss. Zum Henker, nicht zuletzt unter dem Einfluss seiner ehrgeizigen Frau, entwickelt sich allmählich der Jurist Dorf auf seinem Weg vom unbeteiligten Zuschauer zum Mitarbeiter Heydrichs. In vier Folgen beschreibt die Serie die Entwicklung von den ersten Anzeichen der Judenverfolgung bis zum Interner Link: Massenmord und zum Zusammenbruch der Naziherrschaft. Sie endet mit der trotz allem optimistischen Perspektive eines neuen Anfangs für die Überlebenden in Palästina.
Hier eine – notwendig stark verkürzte – Inhaltsangabe (nach der amerikanischen Fassung):
Teil I: „Die hereinbrechende Dunkelheit“
Berlin 1935. In einer Szenerie im Freien feiern zwei Familien und ihre Freunde die Hochzeit von Karl Weiß, einem jungen Maler und Sohn des wohlhabenden jüdischen Arztes Dr. Josef Weiß, mit Inga Helm, einem katholischen Mädchen. Heinz Müller, ein Nationalsozialist, der als Freund von Ingas Eltern an der Feier teilnimmt, weist durch eine Bemerkung auf die Bedrohung hin, die heraufzieht: In wenigen Monaten würden solche „Mischehen“ in Deutschland verboten sein.
An einem anderen Ort in Berlin wird Erik Dorf, ein arbeitsloser Jurist, dessen Familie Patienten von Dr. Weiß sind, von seiner ehrgeizigen Frau Martha überredet, sich bei Heydrich um eine Anstellung in der SS zu bewerben. Er wird persönlicher Referent von Heydrich. Dorf besucht dann Weiß, um ihn zu warnen: Er soll mit seiner Familie Deutschland verlassen. Aber Frau Weiß, die die Gefahr unterschätzt, weigert sich hartnäckig, ihr Heimatland zu verlassen.
1938. In den Ereignissen der „Interner Link: Reichskristallnacht“ wird das nächste Stadium der Judenverfolgung deutlich: Durch die Straßen von Berlin wütet der nationalsozialistische Mob, schlägt Juden zusammen und zerstört ihr Eigentum. Eines der Opfer ist Frau Weiß' Vater, Herr Palitz, ein hochdekorierter Offizier des Interner Link: Ersten Weltkrieges. Seine Buchhandlung wird zerstört, er selbst geschlagen und gedemütigt. Rudi Weiß, der zweite Sohn des Arztes und seine Schwester Anna retten ihn. Jetzt steigern sich Tempo und Maß der Verfolgung: Karl wird verhaftet und nach Interner Link: Buchenwald verschleppt, Dr. Weiß in sein Geburtsland Polen deportiert; die Familie muss ihre Wohnung verlassen. Das Ehepaar Palitz nimmt sich darauf das Leben. Während Rudi entkommt, wird seine Schwester nachts auf der Straße vergewaltigt und, darüber schwermütig geworden, eines. der ersten Opfer des nationalsozialistischen Interner Link: „Euthanasie“-Programms: Sie wird mit anderen Behinderten in einer „Heilanstalt“ ermordet. Danach sehen wir Rudi in Prag, wo ihn eine junge tschechische Jüdin, Helena Slomova, vor der Verhaftung rettet. Sie verlieben sich ineinander und beschließen, gemeinsam nach Osten zu fliehen, um den Deutschen zu entkommen.
Teil II: „Die Straße nach Babi Yar“
1941. Müller, der schon immer ein Auge auf Inga Weiß hatte, ist jetzt einer der Bewacher in Buchenwald, wo Ingas Mann Karl zur Arbeit in den Steinbrüchen gezwungen wird. Der Mord an zwei jungen Interner Link: Zigeunern macht deutlich, wie es hier zugeht. Als Inga kommt, um nach ihrem Mann zu sehen, verspricht ihr Müller, Briefe herein- und hinauszuschmuggeln und Karl aus dem Steinbruch zu holen, wenn sie sich ihm hingibt. Karl arbeitet dann später in einer Künstlerwerkstatt.
Nach einer Reihe von Abenteuern erreichen Rudi und Helena Kiew. Versteckt in einem ausgebombten Geschäft retten sie Ingas Bruder, Hans Helm, nach einer Explosion auf der Straße und bringen ihn zurück zu seiner Einheit, wo er sein Versprechen, ihnen zu helfen, bricht und sie verrät. Unterdes macht Erik Dorf Karriere, indem er Heydrich hilft, neue Verfahren zur Vernichtung der Juden in Europa zu finden. Dorf beobachtet eine Massenexekution und beklagt sich über die Ineffektivität –die Erschießungen sind ihm nicht „sauber“ genug. Der darüber erboste Führer des Einsatzkommandos, Blobel, zwingt ihn, eigenhändig ein noch lebendes Opfer zu erschießen. (Später sieht man auch einmal Himmler, dem beim Anblick der Leichen schlecht wird ...) Rudi und Helena fliehen aus einer langen Kolonne von Juden, die nach Interner Link: Babi Yar gebracht werden, und beobachten entsetzt, wie Tausende von Männern, Frauen und Kindern erschossen werden.
Im Interner Link: Warschauer Ghetto finden sich Josef und Berta Weiß wieder. Er versucht, als Arzt zu helfen, sie unterrichtet Kinder. Zusammen mit seinem Bruder Moses schließen sie sich nach einigem Zögern der Widerstandsbewegung im Ghetto an.
In Berlin feiert die Familie Dorf Weihnachten. Martha spielt Weihnachtslieder auf einem Bechsteinflügel, der, wie sich herausstellt, einmal den Weiß‘ gehört hat. Bald darauf, es müsste der 20. Januar 1942 sein, nimmt Dorf an der (später sogenannten) „Interner Link: Wannsee-Konferenz" teil, bei der die „Endlösung der Judenfrage“ beraten wird. In Russland werden Rudi und Helena, die kurz vor dem Verhungern sind, von einer jüdischen Partisanengruppe in einem Heuschober entdeckt und schließen sich ihr an.
Teil III: „Die Endlösung“
1942. Karl Weiß und sein Malerfreund Felscher sind nach Interner Link: Theresienstadt gebracht worden, dem Muster-KZ in der Tschechoslowakei, das die Deutschen den Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes und neutraler Länder zu zeigen pflegen. Wir erfahren, dass die dort an Propagandabildern arbeitenden Künstler heimlich in Kunstwerken die Wirklichkeit der nationalsozialistischen Verbrechen darstellen. Rudi und Helena, die jetzt Mitglieder der jüdischen Partisanenbrigade sind, werden in einer traditionellen Zeremonie im Wald getraut. Beim Zusammenstoß mit ukrainischen Milizeinheiten ist Rudi gezwungen, einen Jungen zu töten, der fliehen wollte, um Hilfe zu holen. In Warschau formiert sich der jüdische Widerstand. Waffen werden ins Ghetto geschmuggelt. Eine Gruppe übt, sie zu gebrauchen.
Erik Dorf ist die Vernichtung der Juden und anderer Opfer immer noch nicht wirksam genug. Das Lager Auschwitz wird vergrößert. Zyklon B wird bestellt, ein Blausäuregas. Man wird es als Desinfektionsmittel etikettieren.
Inga bittet Müller um einen letzten Gefallen: Er soll sie denunzieren, damit sie ihrem Mann nach Theresienstadt folgen kann. Nach Heydrichs Ermordung zeigt sein Nachfolger Kaltenbrunner Dorf einige anti-deutsche Zeichnungen, die man in Prag entdeckt hat. In Theresienstadt gestehen Karl und andere Künstler, dass sie von ihnen stammen. Sie werden gefoltert, geben aber ihr Versteck nicht preis.
Der Judenrat in Warschau erfährt, dass täglich 6.000 Menschen aus dem Ghetto „ausgesiedelt“ werden sollen. Man findet heraus, dass die Züge in Wirklichkeit nach Auschwitz und Treblinka gehen.
Teil IV: „Die Überlebenden“
In Warschau werden das Ehepaar Weiß und andere Juden abtransportiert. Die zurückbleibenden Widerstandskämpfer beginnen den Aufstand, der erst nach über 20 Tagen mit der Vernichtung des Ghettos endet. Nach den Folterungen in Theresienstadt kaum noch lebend, erhält Karl Weiß noch einmal Gelegenheit, seine Frau Inga zu sehen. Sie sagt ihm, dass sie ein Kind von ihm erwartet. Dann bringt man ihn in den Zug nach Auschwitz. Dort werden inzwischen viele Opfer in die Gaskammern geschickt, schließlich auch die Arbeiter, die Dorfs Onkel Kurt bei Straßenbauarbeiten beschäftigt und bisher gerettet hatte. Unter ihnen ist Dr. Weiß.
Bei einem Partisanenangriff auf einen deutschen Konvoi in Russland wird Helena getötet. Rudi wird gefangen genommen und in das Lager Sobibor in Ostpolen gebracht. Hier beteiligt er sich an einem erfolgreichen Ausbruch der Gefangenen. Als am Ende Theresienstadt befreit wird, trifft er Inga mit ihrem zweijährigen Sohn. Sie zeigt ihm Karls geheime Zeichnungen von den NS-Verbrechen. Sie wird nach Berlin zurückkehren, aber dort nicht bleiben. Rudi, der nun alleinsteht, entschließt sich, eine Gruppe von Waisen durch die britische Blockade nach Interner Link: Palästina zu bringen.
Aus der Inhaltsangabe wird deutlich: Die Geschichte der beiden Familien wird so entfaltet, dass sie uns an die Hauptorte des „Holocaust“ führt. Das wirkt manchmal künstlich, sollte als Kunstgriff der Erzählung aber erlaubt sein. Darüber, wie erzählt wird, wird im Folgenden zu sprechen sein. Denn hier hat die Kritik vor allem angesetzt.
Zur Diskussion über HOLOCAUST
Man wird das Echo, das die Serie in den USA und anderswo gefunden hat, nicht verstehen, wenn man sich nicht klarmacht, wie hier die Geschichte der nationalsozialistischen Judenverfolgung präsentiert worden ist, mit welchen Absichten und in welchem Zusammenhang.
Die Form der Erzählung
HOLOCAUST ist das, was man in den USA „miniseries“ nennt, eine Form, die es noch gar nicht lange gibt. ROOTS und eine Serie über Interner Link: Martin Luther King sind zwei weitere Beispiele. Eine 6-Stunden-Serie über General Eisenhowers Erlebnisse im Interner Link: Zweiten Weltkrieg soll demnächst folgen. Wer diese Form, wie es in der Kritik geschieht, allzu rasch mit den herkömmlichen „Soap Operas“ des amerikanischen Fernsehens vergleicht, übersieht zunächst einmal wichtige Unterschiede. Die gewöhnlich tagsüber ausgestrahlten „Seifenopern“ sind die Nachfahren der populären Rundfunkserien. Sie werden täglich in Fortsetzung über eine längere Zeit hinweg gesendet und dienen vor allem dazu, um die „Käufer von Reinigungsmitteln, Fußbodenwachs und Pulverkaffee“ zu werben. Darauf sind auch Form und Inhalt abgestimmt. Es sind Rührstücke, vorwiegend für Hausfrauen gemacht , mehr oder weniger melodramatische Familiengeschichten mit kriminellen, sozialen, medizinischen und Ehe- und Liebesproblemen, eine Welt von Sorgen und Nöten, vor allem des privaten Daseins. Das charakteristisch Harmonisierende dabei ist aber die Tatsache, dass alle diese Sorgen und Probleme gegen positive Inhalte abgewogen werden: Kranke werden geheilt, Liebende versöhnen sich usw. Die Spannung oder der Unterhaltungswert einer solchen Fernsehserie nähren sich aus einer Reihe von Grundproblemsituationen und Themen, „die weder typisch für die Ereignisse in der unmittelbaren Nachbarschaft der Zuschauer sind noch zu weit entrückt von solchen Ereignissen, die möglicherweise im Haus nebenan passieren könnten“. Die Charaktere und Themen sind also nur beinahe-realistisch. Über die Wirkung dieser Serien weiß man wenig. Katzmann nimmt an, dass sie großen potentiellen Einfluss besitzen, sei es durch Verstärkung der Zuschauereinstellungen oder durch deren Veränderung.
Die „miniseries“, von denen hier die Rede gewesen ist, unterscheiden sich von diesen Fabrikaten nun zweifellos nicht hinsichtlich der kommerziellen Seite ihrer Produktion und Verwendung. Auch sie müssen ein kaufkräftiges Publikum an die Bildschirme locken und daran festhalten. Auch sie sind dramaturgisch so konstruiert, dass in regelmäßigen Abständen Werbesendungen eingeblendet werden können. Und es ist ebenfalls richtig, dass gerade die Gesellschaft, die HOLOCAUST produziert hat, dringend einen großen Erfolg brauchte, um das Terrain wieder zurückzuerobern, das die Konkurrenz mit ROOTS gewonnen hatte und sie selbst mit KING nicht hatte zurückgewinnen können, weil das von den angestrebten Zuschauerzahlen her ein Reinfall war . Es ist also kein Zweifel, dass es sich auch hier um Produktionen für ein großes Massenpublikum handelt. Der Unterschied liegt vielmehr in der relativen Kürze und Geschlossenheit der „miniseries“, in der Sendezeit – HOLOCAUST jedenfalls ist abends, an vier aufeinanderfolgenden Tagen gezeigt worden – und vor allem in der Wahl der Themen. HOLOCAUST nimmt dabei sicherlich eine Sonderstellung ein. Aber gerade das ist es, was eine Reihe von amerikanischen Kommentatoren als positiv hervorgehoben haben. Von Zeit zu Zeit erlöse das Fernsehen sich selbst, schrieb eine kanadische Kritikerin, und dies sei ein solcher Fall . Die New York Post-Vorkritik gab am 14. April die Parole aus: „Jede amerikanische Familie sollte HOLOCAUST sehen. Es ist der kraftvollste Film, der je fürs Fernsehen gemacht worden ist.“ – und knüpfte daran die Hoffnung, dass mit einem Erfolg dieser Serie eine Entscheidung über das Programmniveau der nächsten Jahre gefällt werden würde. Es sei der Test dafür, ob das Publikum von dem gewöhnlich seichten Eskapismus weggelockt werden könne. An dem Marktkampf der Fernsehgesellschaften lasse sich nichts ändern. An HOLOCAUST werde sich aber zeigen, ob das Fernsehen ausschließlich der nationale Vergnügungspark bleibe oder ein Medium sei, in dem auch Schwieriges und Belastendes einem signifikant großen Publikum geboten werden könne. Amerikanisches Fernsehen am Scheideweg also!
Ob diese Entscheidung mit dem unbestreitbaren Erfolg von HOLOCAUST tatsächlich gefallen ist, mag dahingestellt sein. Jedenfalls haben 120 Millionen Amerikaner – das ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung – die Serie gesehen, und die Folgen sind noch gar nicht zu überschauen. Dass die Aufmerksamkeit sich derart auf die Sendungen konzentrierte, ist aber auch auf die ungewöhnliche Präsentation der Serie zurückzuführen.
Präsentation und „Promotion“ der Serie
HOLOCAUST ging nicht nur die übliche Werbung voraus: 150 Schauspieler (keine Stars, aber viele aus renommierten Theaterensembles), 1.000 Statisten, ein Regisseur, der schon die Hälfte von ROOTS gemacht hatte (Marvin Chomsky), ein Drehbuchautor, der als Romancier bekannt und mit dem Thema vertraut war (Gerald Green); Informationen über die Drehorte in Deutschland und Österreich, über die Produktionshindernisse und die Zwischenfälle, die es gegeben hatte, auch darüber, wie die Schauspieler sich gefühlt hatten, besonders Michael Moriarty, der den Dorf spielte – er war einmal weinend aus der Szene gelaufen. Die eigentliche „extensive promotion“ lag darin, wie ein Millionenpublikum auf die Sache vorbereitet wurde, die da verhandelt werden sollte. An die 50 Studienanleitungen wurden in 1 Million Exemplaren von religiösen und anderen Organisationen an Schulen und Hochschulen verteilt. Führend war dabei die Anti-Diffamierungs-Liga des jüdischen B'nai-B'rith-Bundes, mit deren Hilfe die Chicago Sun-Times z. B. eine zwölfseitige Beilage produzierte, die später an 200.000 Schüler in der Stadt verteilt wurde. Eine sechzehnseitige Veröffentlichung der Liga mit dem Titel „The Record“ wurde in fast zehn Millionen Exemplaren, meist durch Zeitungen, im ganzen Land verbreitet, wobei die Zeitungen die Kosten für Druck und Verteilung trugen. Die NBC selber hatte in Millionenauflage einen achtseitigen „viewers guide“ zu HOLOCAUST herausgegeben. Zitat aus einem der „study guides“: „Es ist eine Herausforderung für unser Gewissen und für unsere Fähigkeit zu lernen und zu lehren, dass wir die Sendungen zum Studium benutzen, um unser Verständnis des Unbegreiflichen zu vertiefen.“ ).
Das Interesse, das sich in solchen Aktivitäten ausdrückt, ist, besonders in Chicago, auch eine Reaktion auf das Treiben lokaler Nazi-Gruppen, die die jüdische Bevölkerung einzuschüchtern versuchen. Dass im nahen Evanston ein Professor für Elektromaschinenbau ein die Judenvernichtung leugnendes Buch mit dem Titel „Der Betrug des 20. Jahrhunderts“ veröffentlichen konnte, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, hat viele Amerikaner, besonders jüdischer Herkunft, darauf aufmerksam gemacht, dass die jüngere Generation Informationen zur neueren Geschichte braucht. Der Hauptgegner in der auch hier geführten Debatte um die Ausstrahlung von HOLOCAUST war eine Christian Defense League, deren Anführer, James Warner, die NBC völlig einseitiger zionistischer Propaganda bezichtigte. Dem standen aber Hunderte von Treffen gegenüber, auf denen Christen und Juden miteinander sangen und durch das Tragen von Armbinden mit Davidsternen Solidarität demonstrierten. Die National Conference of Christians and Jews, die über neue Äußerungen von Antisemitismus besorgt war, hatte 50.000 solcher Abzeichen drucken lassen.
Das Interesse am Thema HOLOCAUST war schließlich so groß, dass der erst nach der Fernseh-fassung geschriebene „Roman“ von Gerald Green noch vor der ersten Sendung am 16. April in über einer Million Exemplaren verkauft wurde. Nach dem Anlaufen der Serie stieg die Zahl bald fast bis zur Zwei-Millionen-Grenze an. Die Serie selber wurde schon vorher in zehn Länder verkauft.
Das Echo der Serie in den USA und Kanada
Die Vorkritiken in den amerikanischen Zeitungen zeigten überwiegend Zustimmung, einige waren sogar überschwänglich und begeistert. Zwar wurde der kommerzielle Zusammenhang überall gesehen; er gab aber nicht den Ausschlag. Der Bericht in TIME (17. 4. 78) nannte die Serie sogar den Beweis dafür, dass die Verbindung von Kommerz und Kunst bemerkenswerte Früchte tragen könne. In anderer Form wäre HOLOCAUST gewiss nicht so wirkungsvoll gewesen. So aber werde es die Gewissen von mehr Menschen aufrütteln als je ein anderes einzelnes Werk seit Interner Link: Anne Franks Tagebuch vor nahezu 30 Jahren. Ähnliche Urteile ließen sich noch mehr anführen. Dass die Werbeeinblendungen in diesem Fall besonderes Ärgernis hervorriefen, war zu erwarten. Es soll dabei haarsträubende Effekte gegeben haben. Eine kanadische Kritikerin, die das beanstandete, kommt aber bezeichnenderweise zu dem Schluss, nur eine Geschichte von so ungewöhnlicher Kraft habe sich in dieser schizophrenen Präsentation behaupten können.
Für einige kritische Artikel ist charakteristisch, dass sie zwar alle echten und vermeintlichen Schwächen der Produktion deutlich beschrieben, sich zu einer generellen Ablehnung aber doch nicht entschließen konnten. Sie erwogen pro und contra und ließen die Sache am Ende offen. Eindeutig ablehnend waren neben den wenigen Faschisten und Antizionisten ein angesehener jüdischer Professor und der Fernsehkritiker der NEW YORK TIMES. Am 16. April, als die Serie anlief, konnte man in ein und derselben Nummer der NEW YORK TIMES eine ganzseitige Anzeige der NBC lesen, in der 24 Geistliche, Gelehrte und Journalisten mit zustimmenden und lobenden Voten zitiert wurden; einen Bericht über die positiven Voten von Geistlichen und Minderheitenführern; die total ablehnende Stellungnahme Professor Wiesels (in der „Arts and Leisure“ section) und einen Auszug aus der bissigen Kritik, die der Kritiker der Zeitung schon am 14. April veröffentlicht hatte. Die als „persönliche Ansicht“ deklarierte Stellungnahme Interner Link: Elie Wiesels, die bei uns viel zitiert wurde, ist von so grundsätzlicher Art, dass wir uns mit ihr gesondert befassen müssen. Das Urteil des Kritikers haben wir eingangs schon zitiert; er. hält das Unternehmen insgesamt für verfehlt.
Die Zuschauer reagierten, soweit messbar, überwiegend positiv. NBC registrierte (laut DAILY NEWS v. 21. 4.) 6.103 positive und 883 ablehnende Anrufe. -Die Stimmen der von der NEW YORK TIMES Befragten, von denen wir noch einige zitieren werden, ließen sich nicht auf einen Nenner bringen. Bei der diesjährigen „Emmy“-Verleihung (die dem Film-“Oscar“ entspricht) erhielt HOLOCAUST acht Preise, u. a. für die beste Kurzserie des Jahres und drei Preise für schauspielerische Leistungen.
Das Echo in England, Israel und der Bundesrepublik
Die Aufnahme von HOLOCAUST in England scheint viel differenzierter gewesen zu sein; als es zunächst den Anschein hatte. Zwar sprach sich ein vielzitierter Artikel im DAILY TELEGRAPH (am 5.9.) in einem Totalverriss eindeutig gegen die Serie aus („Ein aufrichtiger Versuch, die Zahl der Zuschauer zu vergrößern, indem man die Schrecken des Gegenstandes verkleinert.“), und die SUNDAY TIMES (v. 10. 9.) schloss sich dem mit der Feststellung an, man müsse HOLOCAUST nicht vorwerfen, dass es eine schlechte, sondern dass es eine sehr gute „Seifenoper“ sei. Das wurde aber schon vorher von dem Fernsehkritiker der Londoner TIMES (am 5.9.) bestritten, der meinte, die Serie sei überhaupt keine „soap opera“; die Absicht, diese erschreckende Seite der modernen Geschichte für so viele Zuschauer wie möglich wieder sichtbar zu machen, sei mit 120 Millionen in den USA voll gelungen. Repräsentativ für viele mag die Meinung des Kritikers im OBSERVER am 10.9. gewesen sein, der seine ausführliche und sehr differenzierte Rezension mit dem Satz begann: „Es ist nicht möglich und hätte vielleicht nie versucht werden sollen. Aber wenn man diese Fragen beiseitelässt, sollte Raum für das Eingeständnis sein, dass HOLOCAUST möglicherweise so schlecht gar nicht gewesen ist.“ Deshalb konnte die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG auch in einer Zusammenfassung am 8.9. feststellen, gegenüber der vornehmlich intellektuell begründeten Ablehnung beginne sich eine andere populäre Meinung Luft zu machen, die zeige, wie sehr der Film viele Menschen trotz der stilistischen und politischen Einwände beeindruckt habe, da er sie zum ersten Mal überhaupt mit Ereignissen konfrontiert habe, von denen sie bisher nichts gewusst hätten. Nicht nur in Leserbriefen, sondern auch bei den Fachleuten in der den vierten Teil abschließenden BBC-Debatte hätten die positiven Argumente überwogen.
Die bisher vorliegenden Berichte aus Israel sind widersprüchlich: Während der Korrespondent der PAZ (am 14.9.) die Reaktion des Publikums als „unverhohIen kritisch und abweisend“ beschrieb, meldete die JERUSALEM POST (v. 19.9.) eher Zustimmung, besonders unter den jungen Zuschauern, von denen die meisten gesagt hätten, der Film sei so viel wert wie hundert Geschichtsstunden. Der Kritiker der JERUSALEM POST war überrascht, dass der Film nicht so „blumig, naiv und schmalzig“ war, wie er es nach den Berichten aus Amerika erwartet hatte. Trotz mancher Schwächen sei HOLOCAUST „großes Fernsehen“. In Israel wie in England wurde HOLOCAUST, wie üblich, ohne Werbeeinblendungen gezeigt.
Für die Bundesrepublik sei nur nachgetragen, dass der SPD-Vorstand sich für die Ausstrahlung der Serie ausgesprochen hat, Franz-Josef Strauß aber dagegen: sie sei kein Beitrag zur geschichtlichen Wahrheit, sondern „Geschäftemacherei“ (dpa, 24. 4. u. 30. 6. 78). Die Fronten werden aber wohl auch hier quer durch die Parteien laufen. So hat der Bundestagsabgeordnete Olaf Schwencke (SPD) die ARD beschworen, HOLOCAUST nicht auszustrahlen. Eine Gesprächsrunde des Arbeitskreises „Kirche und Judentum“ der Vereinigten Evangelischen Kirchen Deutschlands wiederum hat HOLOCAUST als „wichtiges Ereignis für Juden und Christen in der Bundesrepublik“ bezeichnet (epd v. 2.7. und dpa v. 6.11.78).
Probleme, die HOLOCAUST aufwirft
Versucht man die Kritik an HOLOCAUST in einigen Hauptpunkten zusammenzufassen, so schälen sich folgende Probleme heraus, die wir noch aufgreifen müssen: Das grundsätzliche Problem ist die Frage nach der Darstellbarkeit von Geschichte im Medium Fernsehen überhaupt und dieser Geschichte insbesondere. Es wird von Elie Wiesel aufgeworfen, der diese Frage verneint. Hält man die Darstellbarkeit für gegeben und vor allem: für notwendig, so bleibt die Frage, wie das am besten geschehen soll und ob die Form der amerikanischen „miniseries“, wie wir sie zu sehen bekommen, dafür geeignet ist. In der Debatte darüber werden vermutlich politisch-pädagogische Intentionen und die Forderung nach Angemessenheit, Tiefendimension und Authentizität miteinander konkurrieren. Bleibt schließlich die Frage nach der möglichen Wirkung, die die Serie in der Bundesrepublik haben wird. Darüber kann man nur spekulieren. Da aber die Serie einmal vorhanden ist und auch bei uns gesendet werden wird, stellt sich am Ende das Problem einer möglichen Einbettung in weitere Informations- und Diskussionszusammenhänge, das ja auch der Anlass für die Erstellung dieser Materialien war.
Film und Geschichte
Eine ihrer Kriterien sichere, empirisch-fundierte und theoretisch-angeleitete geschichtsdidaktische Diskussion über die Problematik der Darstellung von Geschichte in Film und Fernsehen gibt es bei uns nicht. Erste Konfrontationen von Geschichtsdidaktikern und Journalisten, die im Fernsehen Geschichte vermitteln, bestätigen das Urteil Jerry Kuehis, dass die Verständigung schwierig ist, lassen aber hoffen, dass sich das allmählich bessert. Auch der Zustand der Fernsehkritik auf diesem Gebiet ist, von Ausnahmen abgesehen, eher blamabel, wie Karl Prümm jüngst am Beispiel des Echos auf die Sendung WUNSCHKONZERT in der Reihe „Spuren“ des WDR gezeigt hat: „Fernsehen ist immer noch ein Medium ohne adäquate publizistische Öffentlichkeit.“ So wird man immer damit rechnen müssen, dass angesichts von historischen Fernsehsendungen sich manche punktuellen Eindrücke vordrängen, vielleicht sogar die politische Argumentation die Diskussion über die Leistungen des Mediums im Rahmen seiner Möglichkeiten überlagert. Bei HOLOCAUST liegt das besonders nahe, sowohl im positiven wie im negativen Sinne. Die Kritik Elie Wiesels in der NEW YORK TIMES geht da tiefer, obwohl auch sie dem Medium kaum gerecht wird. Sie moniert nicht nur Einzelzüge (obwohl sie das auch tut) – sie hält das Ganze für falsch. Für Wiesel, den Überlebenden der Judenvernichtung, der auch als Historiker eine Autorität auf diesem Gebiet ist, zeigt sich der Film als „unwahr, beleidigend, billig“, er handelt nicht, so sagt er, von dem, „was einige von uns als den Holocaust in Erinnerung haben.“ Warum? Weil er zu zeigen versucht, was man sich nicht einmal vorstellen kann: „Er verwandelt ein ontologisches Ereignis in eine Seifenoper.“ Und wenn das jemanden weinen mache, so weine er aus falschen Gründen. Nicht dass der Film zu wenig zeigt – für Wiesel zeigt er zu viel:
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Er versucht alles zu erzählen: was vorher geschah, zwischendurch und danach. Den Anfang und das Ende. Die böse Mehrheit und die bedauernswerte Minderheit. Die blutdürstige SS und Interner Link: Pater Lichtenberg. Interner Link: Himmler und Interner Link: Eichmann, Interner Link: Blobel und Interner Link: Frank, Interner Link: Höß und Nebe: kaum ein Name ist ausgelassen, kaum eine Episode vergessen. Wir hören ihre ideologischen Diskussionen, wir sehen sie am Werk. Wir erfahren, wie sie alle ihre Fähigkeiten, ihren Erfindungsgeist und ihren Patriotismus benutzten, um ein perfektes System für den Massenmord aufzubauen; denn man brauchte viele Talente von vielen gut ausgebildeten Leuten, um eine Katastrophe solchen Ausmaßes zustande zu bringen. Auf der anderen Seite: die ersten Anzeichen, die ersten Erlasse, die ersten Warnungen. Ausbeutung, Beschlagnahme, Deportation. Die Ghettos. Die Menschenjagd, Hunger, Angst. Dann wird schließlich die zusammenschrumpfende Welt auf die Gaskammern reduziert. Aber zusammen mit den sterbenden Opfern zeigt man uns die kämpfenden Helden: Partisanen, Widerstandsgruppen, bewaffnete Insurgenten. Mut und Verzweiflung von Gläubigen und Ungläubigen: es ist alles da. Es ist zu viel da!
Für Wiesel wäre, auch von der filmästhetischen Gestaltung her, die Geschichte eines Kindes, das Schicksal eines Opfers, der Nachhall eines einzigen Schreis viel wirkungsvoller gewesen. Strenge, Nüchternheit, Zurückhaltung sind Qualitäten, die er für eine solche Darstellung fordert. Prinzipiell kann man dem kaum widersprechen.
Wiesels zweiter Haupteinwand richtet sich gegen die Konstruktion der Fabel: „Zu viel, viel zu viel passiert einer einzigen jüdischen Familie und zu viel Böses geschieht durch einen einzelnen deutschen Offizier.“ Diese wenigen sind überall, und das findet er besonders unglaubwürdig. Die Hauptpersonen sind fiktiv, die Nebenfiguren nicht. Aber aus künstlerischen Gründen werden sie alle als authentisch behandelt. Wie soll der uninformierte Zuschauer sie unterscheiden? Wird er sie nicht alle für gleich echt oder gleich erfunden halten? Und wird schließlich die Unfähigkeit des allgemeinen Publikums, „fact und fiction“ auseinanderzuhalten, nicht die hohen Ziele der Filmemacher vereiteln?
Wir haben es da mit einer alten Frage zu tun, die schon an manch einem historischen Roman diskutiert worden ist. Wiesel meint, ein Werk reiner Erfindung oder eine reine Dokumentation würden, jedes für sich, mehr erreichen. Aber, so muss man zurückfragen, ist ein rein fiktiver Film zu diesem Thema überhaupt möglich? Und wenn es ihn gäbe und er von vielen gesehen würde, würden viele. ihn nicht beruhigt für „reine Dichtung“ halten, für faktisch unglaublich? Es ist also die Frage, ob sich das Problem der Glaubwürdigkeit so einfach lösen lässt. Und es ist auch die Frage, ob ein Werk reiner Erfindung sich didaktisch so fruchtbar machen lässt wie HOLOCAUST.
Aber mit diesem Einwand ist Wiesels Argumentation noch nicht zu Ende. Er weiß natürlich, dass das Filmemachen seine eigenen Gesetze und Erfordernisse hat und dass nach diesen Gesetzen schon viele historische Nachschöpfungen zustande gekommen sind. Der entscheidende Punkt seiner ganzen Erörterung ist deshalb nun der, dass der Holocaust für ihn eben nicht ein Ereignis ist wie andere. Als Zeuge fühlt er sich verpflichtet zu erklären: Was wir auf dem Bildschirm sehen, ist nicht das, was dort geschehen ist:
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Sie mögen denken, Sie wüssten jetzt, wie die Opfer lebten und starben, aber Sie wissen es nicht. Auschwitz kann nicht erklärt oder ins Bild gesetzt werden. Ob Höhepunkt oder Irrweg der Geschichte, der Holocaust geht über alle Geschichte hinaus. Alles daran flößt Angst ein und führt zur Verzweiflung: die Toten sind im Besitz eines Geheimnisses, das wir, die Lebenden, weder würdig noch fähig sind zu erlangen. (...). Dieses letzte Mysterium kann weder verstanden noch vermittelt werden.
Wer so argumentiert, ist – zumindest auf dieser Ebene – nicht zu widerlegen. Man kann nur seinen Schmerz und seine Trauer respektieren und hoffen, dass möglichst viele, die jetzt HOLOCAUST sehen und darüber nachdenken, auch etwas davon empfinden. Es würde sicherlich zu weit führen, die Probleme einer wirklichen künstlerischen Bewältigung so „unfasslicher“ Ereignisse hier zu diskutieren. Das mag anderswo und von kompetenterer Seite geschehen. Wiesel jedenfalls meint, dass das Medium, welches in unserer Zeit mit seinen Bilderzählungen die meisten Menschen erreicht, dem Holocaust nie und nimmer gerecht werden kann. Auf die Frage, wie denn diese Geschichte, die auch seiner Ansicht nach dringend erzählt werden muss, tatsächlich erzählt werden soll, weiß er keine Antwort. Das erlaubt uns anderen, die wir vielleicht nicht meinen, dass „ein Film über Sobibor entweder kein Film oder nicht über Sobibor ist“, wieder auf eine tiefere Ebene der Diskussion hinabzusteigen und noch einmal die Frage aufzuwerfen, welches denn die Qualitäten oder Schwächen von HOLOCAUST innerhalb der Grenzen seines Mediums tatsächlich sind. Wenn schon jene innere Authentizität, von der Wiesel spricht, sich unserer Kontrolle entzieht, wie steht es mit der äußeren, die eher messbar und auch aufzuzeigen ist?
Das Problem der Authentizität
Der Autor und seine Fernsehgesellschaft sind der Meinung, dass sie große Anstrengungen unternommen haben, den Film so authentisch wie möglich zu machen, und viele Kritiker haben ihnen das auch abgenommen. Der Nationale Kirchenrat der USA hat sogar mit einiger Übertreibung erklärt: „HOLOCAUST könnte eines Tages als der endgültige Film über den Holocaust bekannt sein – unter dem Gesichtspunkt peinlicher Genauigkeit, der Vollständigkeit des vorgelegten Materials und der Verwendung sorgfältig ausgesuchter Dokumentarfilmstreifen.“ Das ist eine der Behauptungen über den Film, die Wiesel für gutgemeint, aber irreführend hält. Trotzdem muss festgehalten werden, dass aufs Ganze gesehen, HOLOCAUST erstaunlich genau zu rekonstruieren scheint. Das ist auch gar kein Wunder, denn die Vorgänge um die es hier geht, sind von den schriftlichen wie von den bildlichen Quellen her so gut belegt, dass man in der Hauptsache gar nicht viel falsch machen kann, wenn man sich nur bemüht . Ob man dabei zu weit geht in der Darstellung der Bestialität der Schinder und des Leidens der Opfer, ist eine andere Frage. Wiesel hat sie bejaht mit dem ehrenwerten Argument, dass man so etwas nicht „spielen“ könne und dass die letzten Augenblicke der vergessenen Opfer nur ihnen selbst gehören. Aber das ist ein Problem, das älter ist als HOLOCAUST und in vielen anderen Fällen leichter hingenommen wird. Dass unter den überlebenden Opfern auch solche sind, die sagen: ja, so ist es gewesen, und es ist gut, dass es jetzt endlich einmal erzählt wird, zeigt, dass man darüber doch verschiedener Meinung sein kann. Ob jemand von einer solchen Darstellung tief betroffen und erschüttert ist oder abgestoßen, hängt von so vielen subjektiven Faktoren ab, dass man darüber kaum einig werden wird.
Es gibt aber in der Frage der Authentizität einige Einwände, die nicht übergangen werden sollen. Dabei ist nicht in erster Linie davon zu sprechen, ob die Uniformen immer korrekt sind – das ist wirklich nicht so wesentlich. Auch sind manche Fehler, auf die Wiesel hinweist (der Gebetsschal bei Nacht, der falsche Segen bei der Partisanenhochzeit) zwar ärgerlich, aber für ein größeres Publikum von untergeordneter Bedeutung. Und dass viele Opfer so ruhig und resigniert scheinen, andere dagegen kämpfen, beruht auf historischen Tatsachen, auch wenn Wiesel davon nichts mehr hören will. Es unterstreicht doch nur die Ungeheuerlichkeit der Nazi-Verbrechen, wenn viele Juden sie bis zuletzt, bis es zu spät war, nicht glauben wollten oder trotz allem auf Rettung hofften. Wenn Häftlinge in Auschwitz keine Koffer haben durften, können sie nicht doch Familienbilder versteckt haben? Manche hatten ja sogar Fotoapparate, mit denen sie erschütternde Bilder gemacht haben. Wichtiger als der Hinweis, dass Hitlerjungen in Sommeruniformen unter Weihnachtsbäume treten, ist die Frage, wieso das Exekutionskommando im Warschauer Ghetto polnische Armeeuniformen trägt – es war so schnell nicht aufzuklären. Dass die Inschrift am (Film-)Tor von Buchenwald („Arbeit macht frei“) die von Auschwitz und Theresienstadt ist, ärgert natürlich schon deswegen, weil es so einfach gewesen wäre, die richtige festzustellen. Es waren zwei: im Tor stand „Jedem das Seine“ und über dem Tor „Recht oder Unrecht – mein Vaterland“. Aber alle sind im Grunde gleich infam. Warum die hölzerne Synagoge, in der Menschen verbrannt werden, sozusagen auf freiem Felde steht, ist nicht ganz klar (es sei denn wegen der Feuergefährlichkeit). Das sollte aber nicht zu dem falschen Schluss verleiten, so etwas hätte es nicht gegeben. Unglaublich, aber wahr ist auch die Interner Link: Streichmusik im Todeslager. Und philharmonische Konzerte konnte man in Buchenwald tatsächlich manchmal hören, wenn auch nur aus dem Radio – die Lagerkapelle war dazu nicht gut genug. Wie überhaupt die Zustände und Verbrechen in den Konzentrationslagern und den Aktionsräumen der „Interner Link: Einsatzgruppen“ im Osten durch Augenzeugen und nicht zuletzt durch die Berichte der Mörder selbst an ihre vorgesetzten Behörden, einschließlich ihrer Fotos und Filme, oft zum Schaudern deutlich werden.
Wer das Ausmaß der Judenverfolgung schon gleich zu Anfang der NS-Herrschaft kennt, mag mit einigem Recht bezweifeln, ob jene Hochzeit in einem Berliner Gartenrestaurant am 8. August 1935 tatsächlich möglich war. Aus Wismar wurde etwa zur gleichen Zeit gemeldet, dass bei einer privaten Hochzeitsfeier, zu der auch ein jüdischer Bürger mit seiner arischen Frau geladen war, die „empörten Volksgenossen“ sich vor dem Haus versammelt und „stürmisch die Entfernung des Juden von der Feier“ verlangt hätten. Mit Erfolg: „Die Polizei forderte schließlich den jüdischen Gast auf, die Hochzeit zu verlassen“ Es muss aber trotzdem in der relativen Anonymität der Millionenstadt Berlin noch nicht genauso zugegangen sein. Das Vorgehen der Nazis gegenüber den Juden steigerte sich zwar ständig, war aber durchaus nicht immer einheitlich und konsequent, sondern zum Teil davon abhängig, welche der verschiedenen NS-Gruppen jeweils die Politik gegenüber den jüdischen Deutschen bestimmte. 1934 zum Beispiel ebbte der Terror wieder etwas ab. Der NS-Juristenführer Hans Frank erklärte, das Regime wolle „in der Weiterverfolgung der Auseinandersetzung mit den Juden eine gewisse Beendigung eintreten lassen“. Das gab vielen jüdischen Mitbürgern neuen Mut. Im Mai 1935 sollen fast 10.000 Flüchtlinge wieder nach Deutschland zurückgekehrt sein. Damals wurde der Grundsatz, dass Juden, die im Interner Link: Ersten Weltkrieg gedient hatten, nicht zu maßregeln seien, sofern sie sich nicht politisch gegen den Nationalsozialismus stellten, wenigstens in Berlin noch eingehalten. Interner Link: Inge Deutschkron berichtet:
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„Um die ‚privilegierte' Stellung dieser Juden zu betonen, wurde ihnen noch im August 1935, im Namen des Führers und Reichskanzlers' das von Hindenburg gestiftete Ehrenkreuz für Frontkämpfer zur Erinnerung an den Ersten Weltkrieg überreicht. Auch mein Vater wurde aus diesem Anlass auf unser Polizeirevier in der Grolmannstraße bestellt. Es war eine groteske Situation: Vor ihm, dem wegen seiner politischen Einstellung gemaßregelten Juden, salutierten die diensthabenden Polizeibeamten, um ihm für seinen Einsatz im Ersten Weltkrieg zu danken. Mit Handschlag gratulierten sie ihm zu der Ehrung, die sie im Auftrag des Führers und Reichskanzlers vornehmen durften.
Die Urkunde existiert noch. Der alte Herr Palitz im Film hätte ebenfalls eine vorweisen können. Allerdings begann sich der Wind nach einer hetzerischen Goebbels-Rede vom 29. Juni 1935 auch schon wieder zu drehen, und es dauerte nur noch ganz kurze Zeit, bis die Interner Link: Nürnberger Gesetze jeden Verkehr zwischen Juden und Nichtjuden zu einem Staatsverbrechen erklärten.
An der Darstellung der Ausweisung nach Polen (um den 28. Oktober 1938), der Dr. Weiß zum Opfer fällt, wäre zu beanstanden, dass sie, anders als das Buch, das darin differenzierter ist und den Quellen zu folgen scheint , den Vorgang zu reibungslos erscheinen lässt. Tatsächlich haben die polnischen Behörden die Ausgewiesenen damals erst nach einigem Zögern über die Grenze gelassen, sodass sie teilweise längere Zeit im Niemandsland umherirrten, bis schließlich die polnische Regierung die Grenze unter deutschem Druck öffnete. Dass die Flüchtlinge vor dem Grenzübertritt beraubt wurden, ist belegt – sie durften nur zehn Reichsmark mitnehmen. Ein Rundschreiben des Auswärtigen Amtes an alle deutschen Gesandtschaften und Konsulate vom 25. Januar 1939 enthüllt auch einen besonders perfiden Hintergedanken dieser Aktion. Es war die zahlenmäßig starke jüdische Bevölkerung des Landes und seine Empfänglichkeit für den Antisemitismus, die Polen dafür so geeignet machten : „Je ärmer und damit belastender für das Einwanderungsland der einwandernde Jude ist, desto stärker wird das Gastland reagieren und desto erwünschter ist die Wirkung im deutschen propagandistischen Interesse.“
Einen besonderen Fall im Hinblick auf seine Authentizität stellt allerdings Annas Ermordung in einer „Heilanstalt“ dar. Da er möglicherweise Zweifel aufkommen lässt, muss er hier ausführlicher betrachtet werden.
Im Film (wie auch im Buch) wird Anna mit anderen Behinderten in eine Art Baracke geführt. Danach sehen wir, wie ein Motor angeworfen wird, dessen Abgase in das Innere des Baus geleitet werden. Der Ort, an dem das geschieht, wird durch die Fahrt der Kamera auf die Akte in der Hand eines Mannes identifiziert: „Interner Link: Hadamar“. Dieser Ort ist nicht erfunden, sondern unzweifelhaft eine der Tötungsanstalten des nationalsozialistischen Euthanasie-Programms und als solche nur zu bekannt. Trotzdem ist die Darstellung höchst unglaubwürdig, ja sicher falsch. Denn weder sind in Hadamar auf diese Weise Menschen getötet worden, noch gab es dafür dort so eine Baracke, und für Berlin zuständig war diese Tötungsanstalt auch nicht. Die Wirklichkeit war aber im Grunde noch schlimmer. Wir sind über sie durch umfangreiche gerichtliche Feststellungen aus den Prozessen gegen die Beteiligten aufs genaueste unterrichtet. Allerdings können wir hier nicht die ganze furchtbare Geschichte dieses Vernichtungsprogramms abhandeln, das streng geheim gehalten und unter mancherlei perfiden Tarnungen auch der Ärzte durchgeführt wurde – bis es schließlich doch bekannt und nach heftigen Protesten, besonders von katholischen und protestantischen Kirchenführern, abgebrochen wurde. Es soll daher nur die Wahrheit hinter der Darstellung des Films anhand der Dokumente herausgearbeitet werden.
Die endgültige Entscheidung, Patienten mit Gas zu töten, ist etwa im Oktober, spätestens Anfang November 1939 gefallen. Das erste Tötungsexperiment wurde Anfang Januar 1940 in der Interner Link: Anstalt Brandenburg unternommen. Damals wurde „eine Massentötung von Heilanstaltsinsassen durch CO-Gas [Kohlenoxyd] und zu Vergleichszwecken auch Tötungen mittels Injektionen dem damals an der ,Aktion T 4' maßgeblich beteiligten Personenkreis vorgeführt.“ Die Aktion hatte ihren Namen nach dem Ort des Büros in Berlin: Interner Link: Tiergartenstraße 4. Der Raum in Brandenburg war schon damals „ähnlich einem Duschraum“. Das Gas strömte aus einer Art Wasserleitungsrohr mit kleinen Löchern. Die Gasflaschen standen außerhalb und waren an das Zuführungsrohr angeschlossen. Sie wurden von der Firma IG-Farben in Ludwigshafen geliefert. Nach Auskunft der Ärzte genügten angeblich 50 Sekunden vollauf, um die Patienten zu töten. Auch Verbrennungsöfen gab es schon.
Die ersten Massentötungen begannen spätestens im Januar 1940 in Hartheim, Ende Januar/Anfang Februar in Brandenburg und Interner Link: Grafeneck. Schloss Grafeneck im Kreis Münsingen, Württemberg, war als erste Vergasungsanstalt ausgesucht und eingerichtet worden. Hier finden wir jene Baracke aus dem Film wieder:
„In einer Entfernung von etwa 300 m vor dem Schloss wurde im Anschluss an ein landwirtschaftliches Gebäude die eigentliche Vernichtungsanstalt aufgebaut, die durch einen festen Bretterzaun von der Außenwelt abgeschlossen wurde. Sie bestand aus einer Aufnahmebaracke für etwa 100 Kranke, die auch ein Arztzimmer enthielt, ferner aus dem Vergasungsgebäude, einem früheren verhältnismäßig primitiven Schuppen, an den sich ein Wartezimmer für etwa 50 Kranke und der eigentliche Vergasungsraum mit etwa gleichem Fassungsvermögen anschloss. Der Vergasungsraum war äußerlich als Duschraum eingerichtet, neben dem sich ein Ärztezimmer befand, aus dem das Kohlenoxydgas in den Vergasungsraum eingeblasen und die Vorgänge in dem Vergasungsraum durch ein kleines Fenster beobachtet werden konnten. Unmittelbar neben dem Vergasungsgebäude waren das Krematorium (2-3 fahrbare Öfen mit Ölfeuerung) und ihm gegenüber die Garage für die Kraftfahrzeuge der Transportstaffel aufgebaut. Das gesamte Gelände (...) wurde durch Schranken und Tafeln mit der Aufschrift ‚Seuchengefahr' abgesperrt und später durch Wachtposten gesichert. Darüber hinaus wurde die innere Absperrung der eigentlichen Vergasungsanstalt durch besondere Posten gegen den Zutritt Unbefugter zusätzlich abgeriegelt“. […]
Auch das Tötungsverfahren kann genau beschrieben werden:
„Nach dem Eintreffen in der Tötungsanstalt schloss sich sofort die Tötung der Patienten an. Die Interner Link: Omnibusse fuhren in den durch einen hohen Bretterzaun von der Außenwelt abgeschlossenen Bereich der eigentlichen Tötungsanstalt zu den für das Tötungsverfahren hergerichteten Räumen. Die Entladung der Omnibusse konnte dort so erfolgen, dass weder Schreie der Kranken noch sonstige Vorgänge an die Außenwelt dringen konnten. Die Frauen kamen zunächst in einen Raum, in dem Frauen und Männer getrennt nacheinander durch besonderes Personal entkleidet, gemessen, fotografiert und dem Tötungsarzt, der eine Fotokopie des ,Meldebogens 1' und die Krankenpapiere vor sich hatte, zu einer flüchtigen Untersuchung vorgeführt wurden.“
So war es auch in Grafeneck: „Die Kranken kamen meist in Omnibussen mit je 25 Sitzplätzen (... Sie) wurden sofort nach ihrem Eintreffen in die Aufnahmebaracke gebracht, vom Pflegepersonal entkleidet und dann dem Tötungsarzt zugeführt.“ Die Untersuchung hatte nichts zu bedeuten, außer dass sie Anhaltspunkte für die später anzugebende falsche Todesursache gab. Die Opfer dachten tatsächlich, sie würden gebadet. Über den Vergasungsvorgang selber haben die Gerichte festgestellt:
„Nach dem Schließen der Türen wurde durch einen Ventilator die Luft in dem Vergasungsraum abgesaugt, durch den gleichen Arzt, der zuvor die ‚Untersuchung' durchgeführt hatte, das Kohlenoxydgas etwa 10 Minuten lang eingelassen und durch ein kleines Fenster dessen Wirkung beobachtet. Sobald nach seiner Meinung der Tod der Eingeschlossenen eingetreten war, veranlasste er die Räumung des Vergasungsraumes. Dazu wurde mit dem Ventilator zunächst Frischluft in den Raum eingeführt und das Gas verdrängt. Vom Beginn der Vergasung bis zur Wiederöffnung des Vergasungsraumes verging insgesamt etwa eine Stunde.“ Die Leichen wurden entweder zur Sektion gebracht oder gleich verbrannt.
Im Dezember 1940 wurde die Tötungsanstalt Grafeneck aufgelöst und mit dem gesamten Personal (eine Liste des Direktors nennt 96 Namen) im Januar 1941 die Tötungsanstalt Hadamar bei Limburg neu eingerichtet. Über den Grund dieser Veränderung gibt ein Brief Himmlers an den Stabsleiter bei Reichsleiter Bouhler, SS-Standartenführer Brack, vom 19. Dezember 1940 Auskunft:
„Wie ich höre, ist auf der Alb wegen der Anstalt Grafeneck eine große Erregung. Die Bevölkerung kennt das graue Auto der SS und glaubt zu wissen, was sich in dem dauernd rauchenden Krematorium abspielt. Was dort geschieht, ist ein Geheimnis und ist es doch nicht mehr. Somit ist dort die schlimmste Stimmung ausgebrochen, und es bleibt meines Erachtens nur übrig, an dieser Stelle die Verwendung dieser Anstalt einzustellen und allenfalls in einer klugen und vernünftigen Weise aufklärend zu wirken, indem man gerade in der dortigen Gegend Filme über Erb- und Geisteskranke laufen lässt. (...)“
Auch über den Vergasungsraum in Hadamar sind wir genau unterrichtet:
„In einem etwa 28 cbm umfassenden Kellerraum in einem Seitenflügel des Anstaltsgebäudes waren die Wände bis zur halben Höhe mit Kacheln verkleidet, der Fußboden mit Fliesen ausgelegt und an der Decke eine Brauseanlage angebracht. Das Fenster dieses Kellers war zugemauert und die beiden Seitentüren durch Einsetzen von Doppeltüren, wie sie bei Luftschutzräumen gebräuchlich waren, gasdicht verschließbar gemacht. In etwa halber Höhe der Wände befanden sich Rohre mit kleinen Bohrlöchern, die den Raum umzogen und durch die Mauer in einen Nebenraum führten, wo sie an die das Kohlenoxydgas enthaltenden Stahlflaschen angeschlossen waren. Unter dem Deckenansatz der Wände war eine Ventilationsanlage eingebaut, die durch das Fenster des erwähnten Nebenraumes ins Freie führte und der Zufuhr von Frischluft diente. In den Türen zu dem Nebenraum, in dem die Gasflaschen standen und von dem Arzt bedient wurden, befand sich ein kleines Fenster, durch das der Arzt die Vorgänge in dem Vergasungsraum beobachten konnte. Der Verbrennungsraum war in Hadamar in einem dem Vergasungsraum gegenüberliegenden großen früheren Kohlenkeller eingerichtet. Eine in der Mitte dieses Raumes ausgehobene Vertiefung war ausbetoniert und darüber ein doppelt fahrbarer Krematoriumsofen aufgestellt, in dem die Leichen verbrannt wurden.“
Die Einrichtung war im Wesentlichen in allen Tötungsanstalten dieselbe.
Ein Zeuge, der in Hadamar tätig gewesen war, hat geschildert, wie qualvoll das Sterben der Patienten war:
„Ich habe lediglich einmal, um den Argumenten, welche besagten, dass die Vergasungen auf eine humane Art vorgenommen wurden, auf den Grund zu gehen, einer Vergasung mit zugesehen. Ich habe dabei durch das seitlich angebrachte Guckfenster die Beobachtung gemacht, dass die Menschen einen qualvollen Tod starben. Die Dauer meiner Beobachtung erstreckte sich nur auf ca. 3 Minuten, da ich den Anblick längere Zeit nicht ertragen konnte. Es waren nach meiner Schätzung ca. 40 Personen, welche sich bei einer Vergasung in dem Raum befanden.“
Das Einzugsgebiet Hadamars umfasste die württembergischen, badischen und bayerischen Heilanstalten und die Anstalten aus den heutigen Ländern Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Berlin gehörte zum Einzugsgebiet der Tötungsanstalt Brandenburg, die im September 1940 mit dem gesamten Personal in die Interner Link: Heil- und Pflegeanstalt Bernburg verlegt wurde.
Die Ermordung jüdischer Heil- und Pflegeanstaltsinsassen ist ebenfalls sicher bezeugt. Sie begann spätestens im Jahre 1939 mit der Verlegung jüdischer Patienten aus Schleswig-Holstein in staatliche Anstalten in Berlin. „Bereits im Juni 1940 wurden die in der Interner Link: Heil- und Pflegeanstalt Buch bei Berlin zusammengezogenen jüdischen Heil- und Pflegeanstaltsinsassen in einem Sammeltransport in die Tötungsanstalt Brandenburg gebracht und dort vergast.“ Der Zeuge Kalisch berichtete darüber in einer Vernehmung am 25. Januar 1960:
„In einem Falle, es war meines Wissens noch im Juni 1940, wurde ich als Begleitpersonal eines Transports von kranken Personen eingeteilt. In der Regel hatten wir ständig Zivilkleidung an. Jedoch vor Antritt dieses Transportes wurde ich beauftragt, einen weißen Kittel anzuziehen, damit ich gegenüber von kranken Menschen den Eindruck eines Arztes oder Arzthelfers erwecke. Das übrige Begleitpersonal, außer Ärzten und sonstigen Helfern, bestand aus einer eigenen sogenannten ,Anstaltspolizeitruppe'. Angehörige dieser Polizeitruppe waren mit der damaligen grünen Polizeiuniform bekleidet. Ein Unterscheidungsmerkmal gegenüber der offiziellen Polizei war nicht vorhanden. Mit 6 großen Reichsbahnomnibussen fuhren wir zu der Irrenanstalt Buch bei Berlin und holten etwa 100 Frauen mit Kindern und etwa 100 Männer, alles Angehörige der jüdischen Rasse, ab; diesen Personen wurde klargemacht, dass sie verlegt werden, jedoch sagte man nicht wohin. Außer dem Reiseleiter, der SA-Sturmbannführer Hans Heck (...) hat keiner von dem Begleitpersonal gewusst, wohin der Transport ging. Der Transport ging nach der Stadt Brandenburg a. d. Havel, zu dem in der Stadtmitte gelegenen alten Zuchthaus, das man zu einem Krematorium umgebaut hatte, da es leer stand. In diesem Zuchthaus angekommen, wurden die Personen nach Geschlecht getrennt in Zellen untergebracht. Noch am selben Tage, sofort nach Ankunft, wurden jeweils immer 20 Personen aus den Zellen geholt. Diese Personen mussten sich vollkommen nackt ausziehen, da man ihnen sagte, dass sie vor Verlegung zu einem anderen Bau baden und ungezieferfrei gemacht werden müssten. Zuerst hat man Frauen und Kinder für die bevorstehende Vergasung herangezogen. Um die kranken Menschen nicht zu beunruhigen, wurden sie von Ärzten oberflächlich untersucht und mussten anschließend in einen Raum treten, in welchem Holzpritschen standen und der im Großen und Ganzen aussah wie ein Baderaum. Bevor jedoch die untersuchten Personen in diesen Raum gingen, bekamen sie einen Nummernstempel mit fortlaufender Nummer aufgedrückt. Wenn nun die vorgesehene Zahl Personen in dem ‚Baderaum' war, wurde die Tür verschlossen. An der Decke des Raumes waren in Form von Brausen Installationen angebracht, durch welche man Gas in den Raum ließ. Nach etwa 15-20 Minuten wurde das Gas aus dem Raum abgelassen, da man durch den Spion festgestellt hatte, dass sämtliche Personen nicht mehr am Leben waren. Nun hat man auf Grund der aufgedrückten Nummern die Personen festgestellt, bei denen zuvor bei der Untersuchung festgestellt wurde, dass sie Goldzähne hatten. Den Toten wurden die Goldzähne herausgebrochen. Die Toten wurden anschließend von den im Zuchthaus stationierten SS-Leuten aus dem ‚Baderaum' getragen und zum Verbrennungsofen gebracht. Noch an diesem Tage wurde der gesamte Transport auf diese Art und Weise beseitigt. (...)“
Nachträglich gab der Zeuge noch zu Protokoll, es habe sich bei diesem Transport nur um Juden gehandelt, seiner Schätzung nach im Alter von 18-55 Jahren beiderlei Geschlechts. „Soweit ich ersehen konnte, war etwa die Hälfte dieses Judentransportes geisteskrank, auch die Mehrzahl des Restes hatte mehr oder weniger einen geistigen Defekt. (...)“
Nach gerichtlicher Feststellung sind sämtliche damals „erfassten“ jüdischen Anstaltsinsassen auch getötet worden. Die Angehörigen erhielten, wie üblich, von den eigens dafür hergerichteten Sonderstandesämtern ausgefertigte Sterbeurkunden und „Trostbriefe“ von den „Trostbriefabteilungen“ der Tötungsanstalten. Die unterzeichnenden Ärzte bedienten sich dabei ohne Ausnahme falscher Namen.
Das ist die Wahrheit hinter der Geschichte des Mädchens Anna in HOLOCAUST.
Den Diesel-Motor aus dem Film hat es aber auch gegeben, in Belzec [Anmerkung der Redaktion, 25.05.2023: Bełżec]. Kurt Gerstein hat die Anlage beschrieben: „Vor uns eine Art Badehaus mit Geranien, dann ein Treppchen, und dann rechts und links je 3 Räume 5x 5 Meter, 1,90 Meter hoch, mit Holztüren wie Garagen. An der Rückwand, in der Dunkelheit nicht recht sichtbar, große hölzerne Rampentüren. Auf dem Dach als ,sinniger kleiner Scherz` der Davidstern!!“ Eine Inschrift nannte das ganze „Heckenholt-Stiftung“ – nach dem Chauffeur, der den Motor betrieb. Schließlich ist es auch richtig, dass ein Erlebnis wie das im Film Gezeigte Himmler nach diesen „effektiveren“ Vernichtungsmethoden rufen ließ. Auch die anschließende pathetische Durchhalterede ist belegt.
Überblickt man das alles, so dürfte die Antwort auf die Frage nach der faktischen Authentizität keinen wirklich schwerwiegenden Einwand gegen HOLOCAUST ergeben. Die Konstruktion der Fabel, die Wiesel so sehr störte, ist, wie gesagt, ein Kunstgriff, der für dieses Medium erlaubt sein müsste. Wer nicht in die Funktion des Kunstkritikers eintreten will, muss das Urteil darüber den Zuschauern überlassen. Sie sollten es diskutieren. Das gleiche gilt für die Frage nach den schauspielerischen Qualitäten. Hier stehen in der öffentlichen Debatte der Wertung des Kritikers der NEW YORK TIMES („eine stereotype Sammlung hölzerner Charaktere“) viele lobende Stimmen gegenüber. Und was den einen stört, findet der andere gerade anziehend. So hebt der Kritiker des BOSTON GLOBE (25.4.78) hervor, die Produktion habe einen immens kräftigen kumulativen Effekt. Die Charaktere von HOLOCAUST seien für ihn so wirklich geworden wie die Leute aus UPSTAIRS–DOWNSTAIRS, einer beliebten Unterhaltungsserie; er werde immer an sie nicht wie an Schauspieler, sondern wie an wirkliche Menschen denken. Ist das nicht die Kraft der Verlebendigung, die Geschichtslehrer und Politiker sich manchmal von historischen Darstellungen erhoffen, die aber so selten erreicht wird, seit die Historie Wissenschaft geworden ist?
Der Geschichtsdidaktiker, der über die Probleme der Vermittlung von Geschichte nachdenkt und die Schwierigkeiten seines Gewerbes kennt, ist in diesem Falle gespalten. Empfindlich nicht nur in der Forderung nach historischer Treue, sondern möglicherweise auch in Fragen des Kunstgeschmacks, ist er sich andererseits doch der Einsicht bewusst, dass – wissenschaftlich ausgedrückt – „die Wahl der Darstellungskategorie oder des Verwertungstyps (...) für die Historiographie bereits eine Vorentscheidung über die Art und Reichweite ihrer Betätigung“ bedeutet ; dass es also vielleicht gerade des Mediums dieser Fernsehserie bedarf, um alle die Menschen anzusprechen, die bisher immer noch nicht hingehört haben. Auch ihm graut natürlich, wenn er liest, dass HOLOCAUST als „eine Geschichte zweier Familien, von Terror und Mord, von Liebe und Triumph“ angepriesen wird. Und dass der amerikanische Verlag das Buch „einen Roman verzehrender Leidenschaften, von Hass und Liebe“ oder „eine Saga von Feuer und Blut“ nennt (in der Ausgabe der Bantam Books). Auch er fragt sich, ob HOLOCAUST nicht nur der Höhepunkt in der Anwendung der „Faszination des Schreckens“ durch das amerikanische Fernsehen mit seinen kommerziellen Interessen ist, deren Anziehungskraft nun erschöpft ist, weil man über HOLOCAUST nicht hinausgehen kann, weswegen demnächst auch die Serien auf Sex umgestellt werden. Aber er weiß auch: „Aller wissenschaftliche Umgang mit der Geschichte bleibt politisch folgenlos, wenn beim breiten Publikum davon nichts oder verschwindend wenig ankommt.“ Und so gibt er sich der Hoffnung hin, dass HOLOCAUST vielleicht zunächst nur die Gemüter bewegen, dann aber gerade durch die zu erwartenden Auseinandersetzungen auch den Verstand vieler Menschen erhellen könnte, damit sie anfangen, Fragen zu stellen, die der Film ihnen nicht beantwortet. Solche Fragen sind durchaus angebracht.
Was HOLOCAUST nicht erzählt
Ein Fernsehfilm dieser Art kann seiner Natur nach nicht eine wissenschaftliche Darstellung oder eine gute didaktische Aufbereitung des deutschen Faschismus ersetzen. Dazu fehlt es an viel zu vielen Informationen über das NS-Herrschaftssystem, über das, was daran systematisch und planvoll war, wie über die vielen Widersprüche, von denen es gekennzeichnet ist. Nicht einmal über den wahren Umfang der Beraubung der Juden und die dabei angewandten vielfältigen Methoden werden wir hinreichend unterrichtet. Das eigentliche bürokratische Vernichtungssystem wird ebenso wenig deutlich wie die mancherlei erst aus den Akten bekanntgewordenen Nutznießer der „Arisierung“ jüdischen Vermögens etwa, von den wirtschaftlichen, sozialen und politischen Grundlagen des Nationalsozialismus ganz zu schweigen. Auch der Antisemitismus erscheint hier fast wie vom Himmel gefallen und der Krieg zuweilen wie ein Räuber- und Gendarm-Spiel.
Schule und Erwachsenenbildung sollten deshalb aufkommende Fragen nach der Authentizität der im Film erzählten Geschichte nicht als unangemessen abbiegen, sondern didaktisch fruchtbar machen. Schüler sollten aufgefordert werden, die Sache selbst an den Quellen und in der Literatur zu überprüfen. Sie sollten darauf aufmerksam gemacht werden, was eine solche Fernsehserie als Familiengeschichte nicht zeigen kann, um daraus vielleicht zu lernen, dass die Reichweite persönlichen Erlebens und familiärer Erinnerung begrenzt ist, dass es also zusätzlicher Information und einer anderen Art historischer Erkenntnis bedarf, um zu verstehen, was in Deutschland nach 1933 geschehen ist und warum es geschehen konnte. […]
Zu einer didaktisch verantwortlichen Verarbeitung von HOLOCAUST gehört aber auch, dass man mitreflektiert, unter welchen politischen und kommerziellen Bedingungen hier Geschichte vermittelt wird und welche ästhetischen Konsequenzen das hat. Dabei braucht die Frage gar nicht ausgespart zu werden, welchen unmittelbaren politischen Nutzen sich manche Gruppen in den USA von der Wirkung dieser Serie zu versprechen scheinen. Denn es ist ja nicht zu übersehen, dass Geschichte hier (im Buch allerdings viel deutlicher als in den Andeutungen des Films) auch als Legitimation der Interner Link: Selbstbehauptung Israels und der Propagierung seiner Interessen dienen kann. HOLOCAUST ermutigt Israel, sich zu verteidigen, wirbt um Verständnis für diese Verteidigung und um Unterstützung in den USA. Das sollte jedoch nicht hämisch entlarvt, sondern zum Anlass genommen werden zu zeigen, dass Geschichte schon immer eine solche Legitimationsfunktion gehabt hat. Ob zu Recht oder Unrecht, wäre zu diskutieren.
Zur Bestätigung oder Korrektur der eigenen Eindrücke, wie überhaupt zur Schärfung der kritischen Fähigkeiten der Schüler, könnten die Sammlung und Analyse von Zeitungs- und Zeitschriftenartikeln dienen, in denen HOLOCAUST besprochen wird. Dabei wäre insbesondere darauf zu achten, mit welchen Argumenten die Serie angegriffen oder verteidigt wird. Formal-ästhetische Einwände zum Beispiel könnten auch nur vorgeschoben sein, um die Diskussion der Themen Judenverfolgung und Faschismus selbst zu unterbinden.
Wo Gelegenheit dazu besteht, sollten schließlich auch filmische Vergleiche angestellt werden, um die Stärken und Schwächen von HOLOCAUST und anderer Darstellungsweisen deutlich zu machen und überhaupt die Darstellbarkeit von Geschichte in diesem Medium zu problematisieren. Alain Resnais' Film Interner Link: NACHT UND NEBEL eignet sich dazu vielleicht besonders, weil er die gleiche oder eine stärkere emotionale Wirkung mit ganz anderen Mitteln erzielt. Ein Gegenbeispiel anderer Art ist Michail Romms Kompilationsfilm DER GEWÖHNLICHE FASCHISMUS. Das Fernsehen oder die Bildstellen bieten weiteres Material dazu an. Für die Erwachsenenbildung hat eine Arbeitsgruppe des Adolf-Grimme-Instituts dazu auch Kursvorschläge erarbeitet.
Wer eine rasch zugängliche Textgrundlage für die Diskussion über das Problem Film und Geschichte sucht, sollte zu Manfred Dellings Aufsatz über „Das Dokument als Illusion“ greifen. Dellings These vom „Authentizitätsschwindel der Dokumentarspiele“ und sein Argument, dass „das Dokumentarspiel (...) niemals Wirklichkeit, sondern die Wirklichkeit zum Dokumentarspiel“ werde, ist das vorweggenommene Gegenstück zu den Einwänden Elie Wiesels. Das traditionelle Dokumentarspiel ist für Delling „nicht erst dann eine wohlausstaffierte Lüge, wenn es den geschichtlichen Vorgang mit dieser oder jener Szene nachweislich unkorrekt wiedergibt, sondern à priori eine arglistige Täuschung, weil es davon ausgeht, ihn überhaupt wiedergeben zu können. Nicht weil es die Wirklichkeit verfehlt, sondern weil es selbst diese Wirklichkeit sein will, nicht weil es Kunst ist, sondern seinen Kunstcharakter leugnet, zeigt es keine Wirklichkeit. Denn Wirklichkeit lässt sich nur als Zeichen wiederholen, das für Wirklichkeit steht, aber nicht sie selbst ist.“ Deshalb kann nach Delling „nur der historisierende Film, der sich als Film begreift und zu erkennen gibt, als Spekulation über geschichtliche Ereignisse, (...) eine ihnen angemessene Qualität gewinnen. Er ist nicht der Abklatsch von Geschichte, sondern etwas anderes an ihrer Stelle. Er ist eine Idee von ihr, nicht ihr Klischee.“
Wie immer man sich zu dieser Argumentation stellt, entscheidend ist, dass die Chance nicht versäumt wird, die HOLOCAUST eröffnet: ein wichtiges, wenn auch bedrückendes Kapitel deutscher Vergangenheit mit moralischem Mut und kritischem Verstand so aufzuarbeiten, dass daraus ein Gewinn für die Zukunft erwächst. Das sind große Worte, gewiss, aber es wäre gut, wenn sie nicht so leer blieben, wie sie oft klingen.
Wilhelm van Kampen, Dr. phil. (1968), Akademischer Oberrat an der Universität Osnabrück für Neuere Geschichte und Didaktik der Geschichte. Geboren 1934 in Gelsenkirchen, Werkstudent. Studium der Fächer Geschichte, Osteuropäische Geschichte, Philosophie, Staats- und Völkerrecht in Kiel und Berlin. Arbeiten für Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunk. Veröffentlichungen zur deutschen Türkeipolitik vor 1914, zur Armenierfrage im Osmanischen Reich, zur deutschen Ostkunde und zur Geschichte der SPD in Osnabrück; ferner zu den Themenbereichen Didaktik der Geschichte, Film und Geschichte, Film und Fotographie als historische Quellen und zur Archivierung von audiovisuellen Medien. Filme: Dokument HOLOCAUST (Kurzfassung der Fernsehserie, 85 Min., 1980), DIE ÖFFNUNG DES BLICKS (Videofilm über Berlin nach dem 9. November 1989, 21 Min., 1991), (zus. mit D. Schober) EIN NEUES ABGEORDNETENHAUS FÜR BERLIN (34. Min., 1993), Persönlichkeitsaufnahmen für das Berliner Landesfilmarchiv und ein biographisches Filminterview mit der ersten Chefredakteurin der DDR-Wochenschau DER AUGENZEUGE Marion Keller (1996). Von 1979 bis 1983 Vorsitzender der Konferenz für Geschichtsdidaktik. Vorstandsmitglied und (zeitweilig) Präsident der International Association for Audio-Visual Media in Historical Research and Education. Bis zu seiner Pensionierung Leiter der Abteilung Berlin-Archive und - Information der Landesbildstelle Berlin. Weitere Mitgliedschaften und Funktionen: Vorstandsmitglied im Studienkreis Rundfunk und Geschichte und in der Internationalen Gesellschaft für Geschichtsdidaktik. Mitglied im Beirat Zeitgeschichte des Instituts für den Wissenschaftlichen Film, Göttingen.
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