Der
Quellen der Instabilität in der Welt-Ernährungsgleichung
Viele unterschiedliche Faktoren gefährden den kontinuierlichen und gesunden Nahrungskonsum. Wichtig ist dabei im Blick zu behalten, dass die Bestimmungsfaktoren der Ernährungssicherheit (Verfügbarkeit, Zugang, Ernährungsnutzen, Stabilität) eng zusammenhängen:
Um die Quellen von Instabilität zu beschreiben, ist eine Ernährungs-Gleichung nützlich, die die Faktoren Angebot, Nachfrage und Handel sowie die hinter diesen Aggregaten stehenden Determinanten zusammenfasst. Die Ernährungs-Gleichung kann auf globaler, nationaler und lokaler Ebene erstellt werden. Hier geht es um die Welternährungs-Gleichung (Schaubild 1).
Schaubild 1: Welternährungs-Gleichung und ihre Komponenten (global) | ||
Nahrungs-Angebot | = | Nahrungs-Nachfrage |
Land | Handel | Bevölkerungswachstum |
Wasser | Einkommenswachstum | |
Inputs & Technik | Märkte | Armut & Ungleichheit |
Arbeitseinsatz | Supermärkte | Konsumverhalten |
Farm-Strukturen | Finanz-Märkte | Verluste & Verschwendung |
Klimawandel | Lagerhaltung | BioEnergienutzung |
Quelle: J. von Braun, 2013 |
Schaubild 1 führt die wesentlichen Komponenten der Welternährungs-Gleichung auf, die Veränderungen im Angebot, bei der Nachfrage und im Handel auslösen. Dies sind insbesondere die zunehmenden Ressourcenbeschränkungen (Energie sowie Boden und Wasser), unbeständige Produkt- und Finanzmärkte, der Mangel an technischem Fortschritt, rasch wachsender und sich wandelnder Konsum. Neue Angebots- und Nachfragesituationen verändern die Welternährungs-Gleichung kontinuierlich und zuweilen auch sprunghaft, wie in den
Verschiedene Typen von Risiken für die Ernährungssicherheit
Um zu verstehen, was die Ernährungssicherheit gefährdet und was man dagegen tun kann, ist es sinnvoll, drei verschiedene Typen von Risiken zu unterscheiden:
Bekannte Risiken: wenn Ursachen, Wahrscheinlichkeiten und Konsequenzen in diesen Fällen zum größten Teil bekannt sind, kann man das Risiko messen und sich absichern (z.B. durch Versicherungen).
Unbekannte Risiken: obwohl die Folgen von bestimmten Ereignissen bekannt sind und verstanden werden, kann man die Wahrscheinlichkeit des Eintreffens oft nicht abmessen und man kann sich nicht absichern. Diese Risiken erfordern Risikomanagement.
Unsicherheit: Risiken, die noch nicht zum Vorschein gekommen sind, sodass die systematischen Verbindungen unbekannt sind.
Zu den Risiken und Unsicherheiten für die Ernährung zählen wirtschaftliche Risiken, umweltbezogene Risiken, geopolitische und lokale Konflikt-Risiken, soziale Risiken, technologische Risiken und Gesundheitsrisiken. Alle diese Risikovarianten, die teilweise nicht scharf voneinander abgegrenzt werden können, sind für die Ernährung relevant. In Schaubild 2 sind verschiedenen Risiken für die Ernährung bestimmte Problemlagen und Ursachen zugeordnet.
Schaubild 2: Risiken für die Stabilität der Ernährungssicherheit | |||
Problemlagen | Ursachen der Problemlagen | Anzahl der Betroffenen | Risiken für Stabilität der Ernährungssicherheit (wirken sich insgesamt verstärkend auf die Problemlagen aus) |
Unterernährung | Defizit an Kalorien und Proteinen; oft in Interaktion mit Infektionskrankheiten | ca. 0,8 Mrd. |
|
Mangel an Mikronährstoffen | Unzureichende Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen | ca. 2 Mrd. | |
Untergewicht bei Geburt, Wachstums- und Gewichtsverfall in den ersten Lebensjahren | Mangelernährung von Müttern; mangelnde Pflege und Gesundheitsprobleme; verkürztes Stillen | ca. 120 Mill. Kinder | |
Übergewicht und resultierende chronische Krankheiten | Überhöhter Konsum von Kalorien (oft bei gleichzeitigem Mangel an Vitaminen und Mineralstoffen) | ca. 1 Mrd. | |
Quelle: J. von Braun 2013 |
Diese Risikokomponenten kommen in ganz unterschiedlichen Zeiträumen zum Ausdruck, wobei gerade die kurzfristigeren Instabilitäten oft vernachlässigt werden.
Langfristige Agrar- und Ernährungssystemprobleme können die Grundlagen der Stabilität der Ernährung gefährden. Sie ergeben sich über Jahre aus strukturellen Faktoren wie Landknappheit, Verlust an Bodenfruchtbarkeit, langfristiger Wasserknappheit, Klimawandel, Technologie, mangelnden Investitionsanreizen oder langwierigen politischen Konflikten.
Mittelfristige Ernährungsprobleme resultieren in wenigen Monaten aus vermehrter Armut etwa wegen Beschäftigungsmangels, wegen des Wetters oder wegen handelspolitischer Reaktionen.
Kurzfristige Ernährungsschocks können bereits in wenigen Wochen aus mangelnder Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln resultieren, wie dem Zusammenbruch von Kaufkraft wegen Preis-Schocks, aber auch aus akuten kriegerischen Konflikten sowie Naturkatastrophen (Überschwemmungen) und Epidemien.
Einige bedeutende Quellen von Instabilität sollen im Folgenden näher beleuchtet werden.
Produktion, Produktivität und Innovation
Enorme Produktionssteigerungen auf globaler Ebene werden erforderlich sein, um die Nachfrage nach Nahrungsmitteln und landwirtschaftlichen Rohstoffen decken zu können, die sich
Höhere Erträge sind prinzipiell durch intensivere Produktion und technischen Fortschritt möglich. Gerade in Entwicklungsländern, in denen die Ernährungssituation am schwierigsten ist, sind die Erträge pro Fläche am geringsten. Längerfristig werden sich die Erträge nur dann nachhaltig steigern lassen, wenn neue Nutzpflanzen-Sorten und Technologien entwickelt werden, die an die Besonderheiten des Standorts (beispielsweise Dürre, Hitze, Bodenversalzung, Krankheits- und Schädlingsdruck) angepasst sind und knappe Ressourcen, insbesondere Wasser und Böden,
Klimawandel und Ernährungslage
Eine große Herausforderung für die Stabilität der Agrarproduktion stellt der zunehmende Klimawandel dar. Modellsimulationen über seine Auswirkungen auf die globale Landwirtschaft prognostizieren erhebliche regionale Unterschiede. Während die Getreideproduktion in den Industrieländern durch Klimaveränderungen voraussichtlich sogar leicht zunehmen könnte, wird sie in den Entwicklungsländern deutlich abnehmen. Besonders negativ betroffen werden Südasien und Subsahara-Afrika sein. Es ist damit zu rechnen, dass der Getreidepreis in den kommenden 30 Jahren wegen der Klimaveränderungen erheblich steigt, selbst bei vermehrter Investition in Produktivitätssteigerung. Darüber hinaus wird die Produktion von Nahrungsmitteln voraussichtlich zumindest regional wegen häufigerer Extremwetterlagen unberechenbarer und instabiler werden.
Energie, Biotreibstoffe und Welternährung
Die steigenden und oft schwankenden Energiepreise wirken sich auf die Stabilität der Welternährungs-Gleichung aus, weil durch die steigenden Energiekosten die Produktionskosten insgesamt steigen. Zugleich verändern die Energiepreise die Nachfrageseite, denn ein hoher Energiepreis führt dazu, dass Biomasse verstärkt zur Energieerzeugung genutzt wird, wie dies zwischen 2006 und 2008 bereits der Fall war. Das bedeutet, dass weniger Pflanzen für Nahrung und Futtermittel verfügbar sind. Schon jetzt gibt es Berechnungen, die zeigen, dass die aktuelle Bioenergie-Produktion spürbar zur Erhöhung und zu Schwankungen der Weltmarktpreise beiträgt.
Märkte, Preise und Ernährung
Stark schwankende Preise sind eine wesentliche Ursache von Ernährungsunsicherheit. Sie entstehen letztlich als Anpassung auf Veränderungen auf der Angebots- und Nachfrageseite der Welternährungs-Gleichung. Es liegt in der Struktur der Nahrungsmittelmärkte, dass schon kleine Mengenänderungen bei Grundnahrungsmitteln große Preisänderungen bewirken. Finanzmarktspekulationen können die Agrarpreise zusätzlich in die Höhe treiben und instabiler machen. Die Armen haben das Nachsehen, denn sie geben oftmals über 70 Prozent ihres Einkommens für Nahrungsmittel aus und können sich die höheren Preise kaum leisten. Versuche, die Nahrungsmittelpreise staatlich festzulegen, sind volkswirtschaftlich teuer, führen meist zur Bildung von Schwarzmärkten mit noch höheren Preisen und verhindern Produktionsanreize für die Bauern. In
Folgerungen für Stabilisierung
Ohne vermehrte Produktions- und Produktivitätssteigerungen in der Landwirtschaft kann das Problem der Ernährungsunsicherheit nicht bewältigt werden. Sonst werden die Nahrungsmittel für die Armen zu teuer und die Versorgung zu instabil.
Wichtiges Element einer Stabilisierungspolitik, die Ernährung sichert, ist ein verbessertes Risiko-Management. Dem dienen Frühwarnsysteme mit Informationen über Klima- und Wetteränderungen, akute Produktionseinbußen und Markt- und Preisänderungen. Solche Informationssysteme sind in Folge der Knappheit und Preiskrise von 2008 in den vergangenen Jahren verbessert worden, z.B. mit dem Agricultural Market Information System (AMIS) bei der
Agrarhandel ist ein ganz wesentliches Mittel zur Stabilisierung von Verfügbarkeit und Preisen, aber der Import von Nahrungsmitteln ist bei hohen Weltmarktpreisen teuer.
Die Lagerung von Nahrungsmitteln ist eine weitere wesentliche Maßnahme, um Knappheit auszugleichen und die Preise zu stabilisieren. Die meisten Länder haben deshalb Getreidelager, weil sie sich nicht vollständig auf Importe verlassen wollen. Reservelager kosten aber viel Geld, denn es entstehen Lagerungsverluste, z.B. durch Schädlinge.
Oft scheint es Ländern und ihren Politikern naheliegend, möglichst viel selbst zu produzieren, um nicht von Handel und Lagerhaltung abhängig zu sein. Sie streben somit einen hohen Selbstversorgungsgrad an. Ein hohes Ausmaß an Selbstversorgung bei Grundnahrungsmitteln geht aber zu Lasten von möglichen Gewinnen aus anderen Agrar-Produkten wie z.B. Obst und Gemüse und verursacht somit auch Kosten und schränkt Entwicklungsmöglichkeiten und damit Ernährungssicherheit ebenfalls ein. Entwicklungsländer stehen stets vor der Frage, wie sie das Ausmaß nationaler Selbstversorgung, Lagerhaltung und die Nutzung von Handel so ausbalancieren können, dass die Ernährung der Bevölkerung unter Bedingungen von Risiko und Unsicherheit kurz-, mittel- und langfristig am besten erreicht wird. Dazu werden laufend auch Berechnungen angestellt.
Es wäre allerdings eine Illusion anzunehmen, dass die Stabilitätsprobleme nur mit Produktions- und Marktmaßnahmen zu bewältigen wären. Der Aufbau und die Finanzierung sozialer Sicherungsprogramme in Entwicklungsländern wie beispielsweise Einkommenshilfen für arme Haushalte und Krankenversicherungen müsse verstärkt unterstützt werden. Gezielte Ernährungsprogramme insbesondere für Kinder sind ebenfalls notwendig. Da die Stabilität der Ernährung durch ein Bündel von Faktoren auf der Angebots- und Nachfrageseite der Ernährungs-Gleichung permanent bedroht wird, müssen die Maßnahmen zur Stabilisierung differenziert sein. Internationale Programme können nationale und lokale Maßnahmen ergänzen.