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Gesundheitsförderung und Prävention | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Gesundheitsförderung und Prävention

Thomas Gerlinger

/ 13 Minuten zu lesen

Unterscheidung von Gesundheitsförderung und Prävention

Gesundheitsförderung und Prävention werden häufig auf unterschiedliche Weise voneinander abgegrenzt. Im Folgenden werden unter Gesundheitsförderung Maßnahmen verstanden, die ganz allgemein – also krankheitsunspezifisch – die Gesundheit von Menschen oder Bevölkerungsgruppen verbessern wollen. Solche Maßnahmen können zielen

  • auf eine Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen (z. B. die Schaffung von Naherholungsmöglichkeiten; die Begrenzung der Arbeitszeit; die Einrichtung von Gesundheitszirkeln im Betrieb, in denen Probleme der Arbeitsorganisation besprochen werden) oder

  • auf eine Stärkung der Bewältigungsressourcen von Individuen und Gruppen (z. B. Kurse zur Stressbewältigung).

Präventionsmaßnahmen zielen im Unterschied dazu auf die Reduzierung krankheitsspezifischer Risiken. Auch hier lässt sich wieder zwischen verhältnisbezogenen Maßnahmen (z. B. die Einführung von Grenzwerten für den Schadstoffeintrag oder für den Lärm am Arbeitsplatz) und verhaltensbezogenen Maßnahmen unterscheiden (z. B. Kurse zur Tabak- oder Alkoholentwöhnung). Darüber hinaus gibt es auch personenbezogene medizinische Präventionsmaßnahmen (z. B. Impfung).

Ferner werden Präventionsinstrumente nach dem Zeitpunkt der Intervention unterschieden:

  • Primärprävention bezeichnet Maßnahmen, die vor einer Erkrankung erfolgen. Hierbei handelt es sich also um die eigentliche Krankheitsvermeidung.

  • Sekundärprävention bezeichnet die Früherkennung von Krankheiten. Sie erfolgt mit dem Ziel, die Heilungschancen bei einer symptomlosen oder symptomarmen Erkrankung zu verbessern (z. B. Krebsfrüherkennung).

  • Tertiärprävention bezeichnet die Vermeidung oder Eindämmung der Folgen einer Erkrankung. Sie wird auch als „Rehabilitation“ bezeichnet (s. hierzu das Modul Interner Link: Medizinische Rehabilitation).

Wenn im Folgenden von Prävention die Rede ist, so sind damit stets nichtmedizinische Maßnahmen der Primärprävention gemeint. Es geht also um Maßnahmen der Verhältnis- und Verhaltensprävention, nicht um Maßnahmen der medizinischen Primärprävention (Impfungen), der Sekundär- oder der Tertiärprävention.

Handlungsbefugnisse auf den Feldern Gesundheitsförderung und Prävention

In Deutschland verteilen sich Kompetenzen für Gesundheitsförderung und Prävention auf Bund und Länder (einschließlich der Kommunen als verwaltungsrechtlichem Teil der Länder). Die Eigenschaft der Bundesrepublik Deutschland als Föderalstaat findet also auch auf diesen Handlungsfeldern ihren Ausdruck.

Bund

Beim Bund liegt die Gesetzgebungskompetenz für eine Reihe unmittelbar gesundheitsrelevanter Handlungsfelder der Prävention. Dazu zählen z. B. der Arbeitsschutz, der Infektionsschutz, der gesundheitsbezogene Verbraucherschutz und der gesundheitsbezogene Umweltschutz. Auf diesen Feldern hat der Bund bundeseinheitliche Regelungen verabschiedet, z. B. mit dem Arbeitsschutzgesetz oder dem Infektionsschutzgesetz. Dabei wirken die Länder über den Bundesrat an dieser Gesetzgebung zumeist mit.

Zudem kann der Bund auf Grundlage seiner Gesetzgebungskompetenzen für die Sozialversicherung auch den diversen Sozialversicherungsträgern Aufgaben auf diesen Handlungsfeldern zuweisen. Von dieser Möglichkeit hat er auch Gebrauch gemacht, namentlich im Hinblick auf die Krankenkassen, die seit 1989 jenseits medizinischer Präventionsmaßnahmen (z. B. Impfung, Früherkennung, Zahnprophylaxe) auch auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung und Primärprävention tätig sind (s. u.). Aber auch andere Sozialversicherungsträger nehmen Aufgaben auf dem Gebiet der Prävention wahr (Gerlinger, 2023). Mit seiner Rechtsetzungskompetenz für die Sozialversicherung hat der Bundesgesetzgeber somit auch Gestaltungsmöglichkeiten jenseits der klassischen Felder des Gesundheitsschutzes (s. o.).

1987 wollte Ingolf Lück als schüchterner Jüngling unauffällig Kondome im „Supermarkt“ kaufen, doch Hella von Sinnen machte mit »Tina, wat kosten die Kondome?« der Peinlichkeit ein Ende. (© Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln)

Auf Bundesebene werden spezifische Aufgaben der Gesundheitsförderung und Prävention von darauf spezialisierten Institutionen wahrgenommen. Dazu zählen im Geschäftsbereich des Bundesministers für Gesundheit (BMG) vor allem das Robert Koch-Institut (RKI) und die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). Das RKI führt die Gesundheitsberichterstattung des Bundes durch. Es erhebt und analysiert Daten zur Verbreitung, Erkennung und Verhütung von Krankheiten und berät politische Entscheidungsträger, insbesondere im Hinblick auf die Verhütung von Infektionskrankheiten. Die BZgA ist vor allem für Gesundheitsinformation und Gesundheitsbildung der Bevölkerung sowie für die Entwicklung und Durchführung einschlägiger Aufklärungskampagnen verantwortlich. Ferner ist im Geschäftsbereich des Bundesministers für Arbeit und Soziales die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von Bedeutung. Zu ihren Aufgaben zählen die Forschung und Beratung zum Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt.

Länder

Die Bundesländer sind zum einen für die Durchführung von Bundesgesetzen zur Gesundheitsförderung und Prävention und zum anderen – jenseits der erwähnten Bundeszuständigkeiten – für die öffentliche Gesundheit und den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) verantwortlich. Somit haben die Länder auf dem Gebiet der Gesundheitsförderung und Prävention eine eigenständige Gestaltungskompetenz. Die Kommunen, also die Städte, Landkreise und Gemeinden, sind Träger der Gesundheitsämter, die die untere Gesundheitsbehörde des ÖGD darstellen. Die Gesundheitsämter sind dafür zuständig, vor Ort die Einhaltung von Standards der Gesundheitssicherung zu überwachen und bei heraufziehenden oder eingetretenen Gesundheitsgefahren zu intervenieren. Dabei unterliegen sie der Aufsicht durch die Länder. Die Kommunen setzen Bundes- und Landesrecht als Pflichtaufgaben um, haben darüber hinaus aber auch gewisse Spielräume zur eigenständigen Gestaltung der Gesundheitsförderung und Prävention vor Ort (Burgi, 2013; Böhm, 2017).

Krankenkassen

Die Krankenkassen sind mit der Zuweisung von Aufgaben der nichtmedizinischen Gesundheitsförderung und Primärprävention durch den Bundesgesetzgeber (s. o.) zu einem wichtigen Akteur auf diesem Feld geworden (§ 20 SGB V). Nach einer zwischenzeitigen Einschränkung dieser Kompetenzen (1997 bis 1999) wurden ihre Rechte und Pflichten mit der Neufassung der einschlägigen Bestimmungen ab dem Jahr 2000 und mit dem 2015 verabschiedeten Präventionsgesetz (s. u.) erweitert (Geene & Reese, 2016). Mit diesen Reformen wurden sowohl die Finanzmittel für dieses Handlungsfeld erhöht als auch innovative Ziele für das Kassenhandeln formuliert, nämlich eine Verringerung der sozialen und geschlechtsbezogenen Ungleichheit von Gesundheitschancen. Nicht zuletzt müssen die Krankenkassen vielfältige Vorgaben zur Qualitätssicherung beachten. So haben sie z. B. die Pflicht, Ziele, Zugangswege und Methoden ihrer Maßnahmen unter Beteiligung unabhängigen Sachverstandes zu definieren. Mit der Einführung von Kassenbefugnissen etablierte der Gesetzgeber eine duale Zuständigkeit auf diesem Handlungsfeld. Zuvor hatte es – sieht man von wenigen Ausnahmen ab (v. a. der gesetzlichen Unfallversicherung) – in der Zuständigkeit des Staates bzw. der Gebietskörperschaften gelegen.

Präventionskampagnen

(© Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) (© Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln) (© Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln) (© Bundesarchiv Plak 009-014-004) (© Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Köln) (© Bundesarchiv Plak 006-001-216) (© Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung) (© Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung)

Wachsende Bedeutung von Gesundheitsförderung und Prävention

Seit einigen Jahren lässt sich eine wachsende Aufmerksamkeit für Gesundheitsförderung und Primärprävention feststellen.

  • Sie zeigt sich zunächst in der Rechtsetzung. Zu den bemerkenswerten gesetzlichen Aktivitäten zählt die erwähnte Beauftragung der Krankenkassen (s. o.). Ein Meilenstein in der arbeitsweltbezogenen Prävention ist das 1996 verabschiedete Arbeitsschutzgesetz, weil es das für die Bevölkerungsgesundheit zentrale Handlungsfeld Arbeit und Gesundheit umfassend modernisierte. Die verpflichtende Einführung neuer Instrumente wie die Gefährdungsbeurteilung , die seit 2014 ausdrücklich auch psychische Arbeitsbelastungen einzubeziehen hat, die Erweiterung der Schutzphilosophie auf Fragen der Arbeitsorganisation, der sozialen Beziehungen bei der Arbeit und die Verpflichtung zu einer beständigen Anpassung der Schutzmaßnahmen an Veränderungen des Arbeitsplatzes und an neue Erkenntnisse stellen bedeutende Innovationen des Präventionsrechts dar (Gerlinger & Rosenbrock, 2024). Zur selben Zeit erweiterte die Einführung des Siebenten Sozialgesetzbuchs (SGB VII) den Präventionsauftrag der gesetzlichen Unfallversicherungsträger auf die Verhütung arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren – ebenfalls eine bedeutende Innovation des arbeitsweltbezogenen Präventionsrechts.

  • Daneben sind auch in der Vergangenheit ergriffene Maßnahmen bedeutsam, die auf eine Veränderung des individuellen Risikoverhaltens zielen. Dazu zählen z. B. diverse Instrumente zur Reduzierung des Tabakkonsums, v. a. das 2007 verabschiedete Bundesnichtraucherschutzgesetz, aber auch die Einschränkung der Werbung für Tabakprodukte. Das Bundesnichtraucherschutzgesetz hatte u. a. Rauchverbote in öffentlichen Einrichtungen, im öffentlichen Personenverkehr und in der Gastronomie zur Folge. Weitere wichtige Handlungsfelder sind die Themenkomplexe „Alkohol“, „Ernährung“ und „Bewegung". Im Hinblick auf die Abgabe von Alkohol an Jugendliche und die Kennzeichnung von alkoholhaltigen Getränken sind gesetzliche Bestimmungen in den letzten Jahren verschärft worden. Bei den Themen „Ernährung“ und „Bewegung“ stehen keine gesetzlichen Maßnahmen, sondern Aufklärungskampagnen im Vordergrund. Im Hinblick auf die Ernährung sind gesetzliche Regelungen aber seit längerem in der Diskussion, z. B. eine Kennzeichnungspflicht von Lebensmitteln („Ampel“) oder eine Steuer auf besonders ungesunde Lebensmittel (z. B. eine Zuckersteuer).

  • Seit den 1980er-Jahren hat die Gesundheitsberichterstattung einen erheblichen Aufschwung erfahren. Dies betrifft sowohl die Bundes- und Landesebene als auch Kommunen und Stadtteile. Die Gesundheitsberichterstattung soll Informationen zum Gesundheitszustand und zu Gesundheitsrisiken bereitstellen, bei der politischen Entscheidungsfindung über Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention helfen sowie deren Effekte überprüfen. Daher hat sie eine Schlüsselfunktion für eine zielgerichtete Gesundheitsförderungs- und Primärpräventionspolitik. Mittlerweile ist die Gesundheitsberichterstattung in den Bundesländern gesetzlich geregelt.

  • Von den Krankenkassen getragene Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention haben – unterbrochen von der Corona-Pandemie – einen deutlichen Aufschwung erfahren. Dazu zählen Leistungen der lebensweltbezogenen Prävention (Hartung & Rosenbrock, 2022; Gerlinger & Rosenbrock, 2024), der individuellen Prävention sowie der betrieblichen Gesundheitsförderung (Hartung et al., 2021). Jenseits der Krankenkassenprojekte hat auch das von Unternehmen getragene betriebliche Gesundheitsmanagement einen Aufschwung erfahren.

  • Schließlich haben die Erfahrungen der Corona-Krise und die in dieser Zeit deutlich gewordene Bedeutung der Gesundheitsämter dazu geführt, dass Bund und Länder einen „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ vereinbarten. Mit ihm sollen bis 2026 im Öffentlichen Gesundheitsdienst 5.000 neue Stellen geschaffen und die technische Infrastruktur durchgreifend verbessert werden (Bundesministerium für Gesundheit, 2024).

Motive der Aufwertung

Die Aufwertung von Gesundheitsförderung und Prävention hat vielfältige Gründe. Ein wichtiges Motiv liegt in dem Bestreben, die befürchteten negativen Auswirkungen des demographischen Wandels auf Wirtschaft und Gesellschaft zu begrenzen. Der steigende Anteil alter Menschen an der Gesamtbevölkerung ist aus Sicht politischer Entscheidungsträger zu einem erstrangigen sozialen und volkswirtschaftlichen Problem geworden. Von verstärkter Gesundheitsförderung und Prävention erhofft man sich in unterschiedlicher Hinsicht einen Beitrag zu dessen Bewältigung.

  • Erstens sollen sie helfen, den Eintritt von chronischer Krankheit, Behinderung und Pflegebedürftigkeit möglichst weit hinauszuschieben und auf diese Weise die Ausgaben für medizinische Versorgung und Langzeitpflege zu begrenzen.

  • Zweitens sollen sie gerade im Zeichen eines verbreiteten Fachkräftemangels und alternder Belegschaften dazu beitragen, Arbeitsunfähigkeit und Frühberentung zu reduzieren.

  • Drittens soll eine Stärkung von Gesundheitsförderung und Prävention ein aktives Altern ermöglichen (van Dyk & Lessenich, 2009). Die Menschen sollen auf diese Weise die Belastungen bei der Arbeit besser bewältigen und länger arbeiten können. Außerdem kann ein aktives Altern auch dazu befähigen, sich ehrenamtlich zu engagieren und so Ausgaben für professionelle Dienstleistungen, z. B. für die Langzeitpflege, zu begrenzen.

Gesundheitsförderung und Prävention sind in diesem Sinne Teil einer Sozialinvestitionsstrategie, mit der die Produktivitätspotenziale einer verbesserten Bevölkerungsgesundheit erschlossen werden sollen. Eine solche Einbettung in Richtung auf Sozialinvestitionen zur Steigerung volkswirtschaftlicher Produktivität ist auch international anzutreffen (Midgley et al., 2017). Defizite in der Gesundheitsförderung und Prävention Der skizzierten Aufwertung von Gesundheitsförderung und Primärprävention stehen allerdings fortbestehende gravierende Mängel gegenüber. Sie bestehen in vielfältigen Unterlassungen und Fehlentwicklungen. Vor allem folgende Aspekte sollen hier hervorgehoben werden:

  • Der gesundheitspolitische Stellenwert von Gesundheitsförderung und Prävention ist insgesamt nach wie vor viel zu gering. Dies lässt sich auf zahlreichen Handlungsfeldern zeigen.

  • So wird beim Gesundheitsschutz in der Arbeitswelt und in der betrieblichen Gesundheitsförderung viel zu wenig gegen jene Gesundheitsgefahren unternommen, die eine Folge der Arbeitsmarktreformen der frühen 2000er-Jahre sowie der Globalisierung und der technologischen Modernisierung sind (Urban, 2019). Dazu zählen die Ausweitung prekärer Beschäftigung wie Leiharbeit oder befristete Beschäftigung (Castel & Dörre, 2009), die damit verbundene Existenzunsicherheit, die Entgrenzung von Arbeit sowie die enorme Arbeitsverdichtung mit ihren vielfältigen psychischen und somatischen Folgen wie Stress oder Burnout (Urban, 2019). Zudem existiert im Hinblick auf die Prävention in der Arbeitswelt ein erhebliches Defizit bei der Implementation von Rechtsvorschriften. So sind die Aufsichtskapazitäten der staatlichen Arbeitsschutzverwaltung und der Unfallversicherungsträger in den letzten Jahrzehnten systematisch abgebaut worden. Damit wird es Arbeitgebern erleichtert, gesetzliche Vorschriften gezielt zu umgehen oder zumindest nicht so genau zu nehmen.

  • Auf dem Gebiet der Tabakkontrollpolitik bleibt Deutschland – trotz mancher Verbesserungen in den letzten Jahren – deutlich hinter den meisten anderen Staaten Europas zurück. Deutschland belegte auf der von einer internationalen Expertengruppe entwickelten „Tobacco Control Scale“ im Jahr 2021 im europäischen Vergleich von 37 Ländern nur den 34. Platz und damit den letzten Platz unter allen EU-Mitgliedstaaten (Joossens et al., 2022, S. 12). Auch bei der Förderung einer gesunden Ernährung sind viele Staaten konsequenter als Deutschland. Dies betrifft z. B. die Besteuerung von Zucker oder die verbindliche Kennzeichnung von ungesunden Lebensmitteln.

  • Ganz allgemein richten sich Gesundheitsförderung und Prävention zu wenig auf vulnerable Gruppen. Dies sind solche Bevölkerungsgruppen, die zum einen überdurchschnittlich großen Belastungen ausgesetzt sind, z. B. durch die sozialen Lebensverhältnisse (z. B. Armut, Unsicherheit) oder gesundheitsschädliche Arbeits- und Umweltbedingungen, und zum anderen über eher geringe Ressourcen zur Bewältigung dieser Belastungen verfügen. Insbesondere findet die Verringerung sozialer Ungleichheit von Gesundheitschancen trotz der gestiegenen Aufmerksamkeit für dieses Thema zu wenig Beachtung (Kuhn, 2013), obwohl der Gesetzgeber den Krankenkassen auferlegt, mit ihren Leistungen dieses Ziel zu verfolgen (§ 20 Abs. 1 SGB V).

  • Maßnahmen der reinen Verhaltensprävention (also Kurse, Schulungen, Aufklärungen zu Themen wie Rauchen, Alkoholkonsum, Ernährung, Bewegung oder Stressbewältigung) bilden nach wie vor einen Schwerpunkt der Präventionspolitik. Allerdings gelten sie im Allgemeinen als wenig nachhaltig, wenn sie nicht mit einer gleichzeitigen Veränderung von Lebens-, Arbeits- und Umweltbedingungen verknüpft werden (Kolip & Müller, 2009). Zumeist werden die eigentlichen Risikogruppen nicht in dem erforderlichen Maß erreicht und mangelt es diesen an Chancen und Kompetenzen, das Erlernte dauerhaft in ihre alltägliche Lebensführung zu integrieren.

  • Schließlich ist der Zustand des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) und mit ihm der (kommunalen) Gesundheitsämter ein prägnanter Ausdruck für die Geringschätzung einer präventiven bevölkerungsbezogenen Gesundheitspolitik. Seit Jahrzehnten leidet der ÖGD an einer finanziellen und personellen Auszehrung (Kuhn &, Heyn, 2015). Ob der erwähnte „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ eine wirkliche Kehrtwende einleitet, wird abzuwarten sein.

Hindernisse für eine effektive Gesundheitsförderung und Prävention

Die skizzierten Defizite sind auf unterschiedliche Gründe zurückzuführen. Gesundheitsförderung und Prävention stoßen dort an Grenzen, wo sie im Widerspruch zu mächtigen ökonomischen Interessen stehen (z. B. im Arbeitsschutz oder im Umweltschutz). „Gesundheit“ ist für sich allein offenkundig kein sonderlich starkes Motiv für politisches Handeln, sondern kommt vor allem dann zum Tragen, wenn sie einen Beitrag zur Erreichung anderer – vor allem ökonomischer – Ziele zu leisten verspricht (Rosenbrock et al., 1994).

Ferner ist bei vielen Gesundheitsförderungs- und Präventionsmaßnahmen der Anpassungsbedarf für die beteiligten Institutionen, der Koordinierungsbedarf zwischen den Akteuren und damit die Komplexität der an sie gerichteten Handlungsanforderungen sehr hoch. Dies gilt insbesondere für Ansätze, die die Veränderung von Lebenswelten in den Mittelpunkt rücken und nicht allein auf Verhaltensänderungen setzen (s. zum Lebenswelt- bzw. Settingansatz: Hartung & Rosenbrock, 2022; Rosenbrock & Gerlinger, 2024). So müssen Akteure derartige Maßnahmen häufig in Organisationen einführen, die andere Zielen als die Gesundheitsförderung oder den Gesundheitsschutz verfolgen. Die Veränderungsbedarfe stellen gewachsene Handlungsroutinen und Problemwahrnehmungen häufig in Frage. Der hohe Koordinations- und Anpassungsbedarf kann manche Akteure überfordern. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn strukturelle Handlungszwänge fortbestehen, z. B. die Finanznot öffentlicher Haushalte oder ein schwieriges Marktumfeld für Unternehmen. Zudem liegt der Eintritt eines Nutzens von Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention häufig jenseits des für Entscheidungsträger relevanten Zeithorizonts, z. B. dem Bilanzdatum eines Unternehmens oder dem nächsten Wahltermin für eine politische Partei. Entsprechend zahlreich und hoch sind die Hürden für die Umsetzung solcher Vorhaben.

Um überhaupt die Aussichten auf eine Umsetzung von Präventionsprojekten zu verbessern, bemühen sich Akteure daher häufig darum, die Komplexität der Handlungsbedingungen und Maßnahmen zu reduzieren und sich auf das „Machbare“ zu beschränken. In der Konkurrenz unterschiedlicher Präventionskonzepte setzen sich somit zumeist diejenigen durch, die an ihre gesellschaftliche Umwelt am besten angepasst sind („darwinsches Gesetz der Prävention“; Kühn, 1993). Dies sind diejenigen Instrumente, die den geringsten gesellschaftlichen Veränderungsbedarf mit sich bringen. Dieser Mechanismus begünstigt die weit verbreitete gesundheitspolitische Präferenz für verhaltenspräventive Maßnahmen.

Ein weiteres Hindernis für eine wirksame Prävention und Gesundheitsförderung ist die Fragmentierung dieses Politikfeldes: Sie kommt in der großen Zahl und Heterogenität von Akteuren, Institutionen, Aufgaben, Zuständigkeiten, Interessen, Problemdeutungen, Zielen, Praktiken und Handlungsroutinen zum Ausdruck. Die Gründe für diese Organisationsstruktur liegen in der föderalen Staatsordnung und der großen Bedeutung der unterschiedlichen Sozialversicherungsträger auf diesem Handlungsfeld (Walter, 2003; Kießling, 2016; Gerlinger, 2023). Diese institutionellen Merkmale erschweren in vielen Fällen eine übergreifende Zielorientierung und eine effektive Handlungskoordinierung (Kuhn, 2013).

Das Präventionsgesetz

Das 2015 verabschiedete Präventionsgesetz verfolgt das Ziel, einigen dieser Probleme entgegenzuwirken (Gerlinger, 2021; Geene & Reese, 2016). Erstens soll es die Kooperation von Bund, Ländern, Gemeinden und Sozialversicherungsträgern, vor allem den Krankenkassen, verbessern. Das Präventionsgesetz schafft zu diesem Zweck eine institutionelle Struktur, die eine stärkere Zielorientierung und eine effektive Handlungskoordinierung gewährleisten soll. Im Zentrum dieser Struktur steht eine gemeinsame Nationale Präventionsstrategie (§ 20d SGB V). Diese Präventionsstrategie soll in Form von bundeseinheitlichen, trägerübergreifenden Rahmenempfehlungen zur Gesundheitsförderung und Prävention formuliert werden. Die Rahmenempfehlungen sollen sich auf die „Festlegung gemeinsamer Ziele, vorrangiger Handlungsfelder und Zielgruppen, der zu beteiligenden Organisationen und Einrichtungen“ sowie auf Dokumentations- und Berichtspflichten beziehen (§ 20d Abs. SGB V).

Eine Nationale Präventionskonferenz ist verantwortlich für die Entwicklung, Umsetzung und Fortschreibung der Nationalen Präventionsstrategie (§ 20e SGB V). Sie soll als Arbeitsgemeinschaft der gesetzlichen Spitzenorganisationen von Kranken-, Unfall-, Renten- und Pflegeversicherung tätig werden und bei der Umsetzung eng zusammenwirken. Darüber hinaus sind die kommunalen Spitzenverbände auf Bundesebene, die Bundesagentur für Arbeit, die repräsentativen Spitzenorganisationen der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und andere Akteure mit beratender Stimme an der Nationalen Präventionskonferenz beteiligt. Ein Nationales Präventionsforum berät die Präventionskonferenz bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben. Die Nationale Präventionskonferenz soll alle vier Jahre einen nationalen Präventionsbericht erstellen. Er wurde 2019 und 2023 vorgelegt. Die Bundesrahmenempfehlungen werden durch Vereinbarungen zwischen Sozialversicherungsträgern, Gebietskörperschaften und anderen Akteuren auf der Landesebene konkretisiert (Böhm & Klinnert, 2019).

Zweitens verpflichtete das Präventionsgesetz die Krankenkassen darauf, neben Leistungen der individuellen Verhaltensprävention stärker Maßnahmen zur Veränderung von Lebenswelten (z. B. Kita, Schule, Stadtteil, Betrieb) zu ergreifen. Daher verpflichtete es die Krankenkassen, bei der Prävention und Gesundheitsförderung in Lebenswelten „insbesondere den Aufbau und die Stärkung gesundheitsförderlicher Strukturen“ (§ 20a Abs. 1 SGB V) zu fördern. Dabei sollen sie auf diesem Gebiet zusammenarbeiten und kassenübergreifende Leistungen erbringen (Gerlinger, 2021). Ferner legte es Mindestausgaben von jeweils zwei Euro (2016) je Versicherten und Jahr für die Ausgaben in der lebensweltlichen Prävention und in der betrieblichen Gesundheitsförderung fest. Gleichzeitig wurden die Orientierungswerte für die Gesamtausgaben der Krankenkassen für dieses Handlungsfeld erheblich angehoben, nämlich von 4,49 € je Versicherten (2015) auf 7,30 € im Jahr 2016. Dabei sind die Ausgaben jährlich an die Entwicklung der Bruttolohnsumme anzupassen. Sie sind seither über diesen Wert hinaus gestiegen, wobei die Ausgaben während der Corona-Krise 2020 und 2021 deutlich zurückgingen. (Medizinischer Dienst Bund & GKV-Spitzenverband, 2023) Der Anteil der Ausgaben von Gesundheitsförderung und Prävention an allen Leistungsausgaben der Krankenkassen sowie an allen Gesundheitsausgaben ist aber nach wie vor verschwindend gering (s. Modul Interner Link: Ausgaben und Finanzierung).

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Richtige Antwort: Die Kommunen bestimmen, für welche Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention die im Präventionsgesetz vorgesehenen Finanzmittel der Krankenkassen verwendet werden.
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Welche Aussage über die Bestimmungen des Präventionsgesetzes trifft nicht zu?

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Richtige Antwort: Die Kommunen bestimmen, für welche Projekte der Gesundheitsförderung und Prävention die im Präventionsgesetz vorgesehenen Finanzmittel der Krankenkassen verwendet werden.

Auf welchem der nachgenannten Handlungsfelder gibt es kein Bundesgesetz, sondern ausschließlich Gesetze der Bundesländer?

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Richtige Antwort: Öffentlicher Gesundheitsdienst

Das Präventionsgesetz unterscheidet mehrere Arten der nichtmedizinischen Gesundheitsförderung und Prävention. Welche gehört nicht dazu?

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Richtige Antwort: Sekundärprävention

Quellen / Literatur

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Hartung, Susanne & Rosenbrock, Rolf (2022). Settingansatz ‒ Lebensweltansatz. In Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) (Hrsg.), Leitbegriffe der Gesundheitsförderung und Prävention. Glossar zu Konzepten, Strategien und Methoden. Externer Link: https://doi.org/10.17623/BZGA:Q4-i106-2.0 Joossens, Luk; Olefir, Lilia; Feliu, Ariadna & Fernandez, Esteve (2022). The Tobacco Control Scale 2021 in Europe. Externer Link: https://www.tobaccocontrolscale.org/wp-content/uploads/2022/12/TCS-Report-2021-Interactive-V4.pdf

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Fussnoten

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ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die Arbeitsgruppe "Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie". E-Mail Link: thomas.gerlinger@uni-bielefeld.de