Gegenstand, Ziele und Bedeutung der Rehabilitation
Das Wort „Rehabilitation“ geht auf das lateinische Wort „rehabilitare“ („wiederherstellen“, „wieder tauglich machen“, „in einen Zustand zurückversetzen“) zurück. Es bezeichnet die Leistungen zur Wiedereingliederung von Kranken oder Behinderten in das gesellschaftliche und berufliche Leben. Im deutschen Sozialrecht werden unter „Rehabilitation“ alle Maßnahmen für körperlich, geistig oder seelisch behinderte oder von Behinderung bedrohte Menschen verstanden, die das Ziel verfolgen, deren „Selbstbestimmung und ihre volle, wirksame und gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu fördern, Benachteiligungen zu vermeiden oder ihnen entgegenzuwirken“ (§ 1 Abs. 1 SGB IX). Soweit die (drohende) Behinderung Folge einer Erkrankung ist, zielt Rehabilitation darauf, die als Folge einer Erkrankung (möglicherweise) auftretenden Einschränkungen zu vermeiden, zu beseitigen, zu verringern oder eine Verschlimmerung zu verhüten oder zu verzögern. Selbstbestimmung und Teilhabe sind Schlüsselbegriffe und Kernziele der Rehabilitation. Häufig wird Rehabilitation auch mit Tertiärprävention gleichgesetzt.
Die gesundheitliche und ökonomische Relevanz der Rehabilitation ergibt sich aus dem Umstand, dass immerhin mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland an einer chronischen Erkrankung leidet (Heidemann et al, 2021), beinahe zehn Prozent der Bevölkerung mit einer anerkannten Schwerbehinderung leben (Statistisches Bundesamt, 2023a) und noch weit mehr Menschen behindert sind. Auch bei chronischen Erkrankungen und schweren Behinderungen verbleiben den Patientinnen und Patienten in aller Regel Potenziale, die stabilisiert und erweitert werden können. Diese Potenziale zu entwickeln ist ein wesentliches Ziel der Rehabilitation.
Hinter dem Begriff „Rehabilitation“ verbergen sich ganz unterschiedliche Leistungen. Das für die Rehabilitation maßgebliche Neunte Sozialgesetzbuch (SGB IX) unterscheidet folgende Leistungsgruppen (§ 5 SGB IX):
Leistungen der medizinischen Rehabilitation,
Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (berufliche Rehabilitation),
unterhaltssichernde und ergänzende Leistungen,
Leistungen zur Teilhabe an Bildung,
Leistungen zur sozialen Teilhabe.
Im Folgenden steht die medizinische Rehabilitation im Mittelpunkt.
Für die Konzipierung und Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen gelten eine Reihe von Grundsätzen (Gerlinger & Rosenbrock, 2024), an denen sich die Rehabilitationspraxis orientieren soll:
Der Rehabilitationsbedarf sollte frühzeitig erkannt werden.
Die Rehabilitation sollte rechtzeitig beginnen und zügig durchgeführt werden.
Die Maßnahmen sollten sich auf die somatischen, psychischen und sozialen Dimensionen der Behinderung beziehen („umfassende Rehabilitation“). Dabei sollte Rehabilitation den Einzelfall in den Blick nehmen („Individualisierungsprinzip“) und möglichst nahtlos ineinandergreifen (Kontinuität und Integration der Rehabilitation).
Rehabilitation sollte darauf zielen, die Selbständigkeit der Betroffenen so weit wie möglich zu erhalten und ihre Chancen zur Teilhabe am sozialen und gesellschaftlichen Leben zu verbessern.
Die Rehabilitation hat Vorrang vor anderen Formen der Hilfeleistung („Rehabilitation vor Rente“, „Rehabilitation vor Pflege“).
Für die Rehabilitation ist nicht ein einzelner Sozialleistungsträger verantwortlich. Vielmehr finanzieren die verschiedenen Träger Rehabilitationsleistungen im Rahmen ihrer spezifischen sozialpolitischen Aufgabenbestimmungen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Kreise von Anspruchsberechtigten und unterschiedliche Leistungsansprüche. Sowohl Finanzierung als auch Leistungserbringung sind also stark fragmentiert. Die wichtigsten Kostenträger in der Rehabilitation sind die gesetzliche Rentenversicherung, die gesetzliche Krankenversicherung, die gesetzliche Unfallversicherung und die Bundesagentur für Arbeit.
Der Gesetzgeber weist den Rehabilitationsträgern eine Vielzahl von Aufgaben zu. So haben sie unter anderem
Art und Umfang des individuellen Rehabilitationsbedarfs festzustellen und das individuelle Rehabilitationspotential zu bewerten;
die Rehabilitationsmaßnahme einzuleiten und zu finanzieren;
sicherzustellen, dass die notwendigen Rehabilitationsangebote und -konzepte vorhanden sind und an den sich verändernden Bedarf angepasst werden;
die Betroffenen bei der Lösung von Orientierungsproblemen, die bei der Suche nach und der Inanspruchnahme von Rehabilitationsleistungen auftreten können, zu unterstützen.
Medizinische Rehabilitation
Mit dem Abschluss einer akuten Krankenversorgung ist die Gesundheit in vielen Fällen noch nicht vollständig wiederhergestellt. Gerade chronische Krankheiten haben oft langwierige gesundheitliche Folgen, aus denen vielfältige Beeinträchtigungen und dauerhafte Behinderungen erwachsen können. Medizinische Rehabilitationsmaßnahmen sollen die Leistungsfähigkeit der betroffenen Personen so weit wie möglich wiederherstellen. Damit sollen sie die Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben schaffen, das insbesondere eine umfassende Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben einschließt. Adressaten der medizinischen Rehabilitation sind grundsätzlich alle Personen, die behindert oder von Behinderung bedroht sind.
Der Begriff der medizinischen Rehabilitation umfasst eine Vielzahl von Maßnahmen, die über unmittelbar ärztliche bzw. medizinische Interventionen weit hinausgehen. Dem SGB IX zufolge umfassen „Leistungen zur medizinischen Rehabilitation […] insbesondere
1. Behandlung durch Ärzte, Zahnärzte und Angehörige anderer Heilberufe, soweit deren Leistungen unter ärztlicher Aufsicht oder auf ärztliche Anordnung ausgeführt werden, einschließlich der Anleitung, eigene Heilungskräfte zu entwickeln,
2. Früherkennung und Frühförderung für Kinder mit Behinderungen und von Behinderung bedrohte Kinder,
3. Arznei- und Verbandmittel,
4. Heilmittel einschließlich physikalischer, Sprach- und Beschäftigungstherapie,
5. Psychotherapie als ärztliche und psychotherapeutische Behandlung,
6. Hilfsmittel,
6a. digitale Gesundheitsanwendungen sowie
7. Belastungserprobung und Arbeitstherapie“ (§ 42 Abs. 2 SGB IX).
Behinderte und von Behinderung bedrohte Menschen haben gemäß SGB IX einen Anspruch auf derartige Leistungen, wenn sie notwendig sind, um
„1. Behinderungen einschließlich chronischer Krankheiten abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, eine Verschlimmerung zu verhüten oder
2. Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit und Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern, eine Verschlimmerung zu verhindern sowie den vorzeitigen Bezug von laufenden Sozialleistungen zu verhüten oder laufende Sozialleistungen zu mindern“ (§ 42 Abs. 1 SGB IX).
In ähnlicher Weise formuliert es auch das SGB V für den in die Zuständigkeit der Krankenkassen fallenden Personenkreis. Wenn sich diese Ziele mit ambulanter Krankenbehandlung allein nicht erreichen lassen, haben die Krankenkassen ambulante medizinische Rehabilitation oder – wenn auch diese nicht ausreicht – stationäre medizinische Rehabilitation zu gewähren (§ 40 Abs. 1 und 2 SGB V). Wenn es sich bei den Anspruchsberechtigten um Erwerbstätige handelt, finanziert die gesetzliche Krankenversicherung Leistungen der medizinischen Rehabilitation nur, wenn andere Sozialversicherungsträger aufgrund der für sie geltenden Rechtsvorschriften dafür nicht verantwortlich sind.
Die medizinische Rehabilitation ist Teil der Versorgungskette, die von der Gesundheitsförderung und Prävention bis hin zur Pflege und zur Palliativversorgung reicht. Sie ist in vielen Fällen Grundlage für die berufliche, schulische oder soziale Rehabilitation. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden von allen Rehabilitationsträgern mit Ausnahme der Bundesagentur für Arbeit finanziert (§ 6 Abs. 1 SGB IX).
Rehabilitationsmaßnahmen können nur bewilligt werden, wenn eine Rehabilitationsbedürftigkeit vorliegt und ein Rehabilitationserfolg mit den in Rede stehenden Maßnahmen möglich ist. Dies setzt voraus, dass die Betroffenen rehabilitationsfähig, also so belastbar sind, dass sie aktiv an den Maßnahmen teilnehmen können. Nur dann kann auch die erforderliche positive Rehabilitationsprognose gestellt werden. Die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sind zur Mitwirkung an den betreffenden Maßnahmen verpflichtet.
Die wichtigsten Bereiche der medizinischen Rehabilitation sind die Anschlussrehabilitation (AR) und die Heilverfahren. Der Begriff Anschlussrehabilitation bezeichnet ein Verfahren der Renten- und der Krankversicherungsträger, nach dem unmittelbar im Anschluss an eine stationäre Krankenhausbehandlung Rehabilitationsmaßnahmen eingeleitet und durchgeführt werden. Er bezieht sich auf solche Indikationen, bei denen aus medizinischer Sicht eine zügige und möglichst nahtlose Rehabilitation nach der stationären Akutversorgung besonders dringlich ist. Die Heilverfahren dienen der Behandlung von Erkrankungen und deren Folgen, die ohne eine Behandlung zu einer weiteren Verschlechterung, zur Chronifizierung oder zur Minderung der Erwerbsfähigkeit führen können. Details über die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und zu den Voraussetzungen eines Leistungsanspruchs in der GKV regelt der Gemeinsame Bundesausschuss (s. Modul
Wichtige Handlungsfelder der medizinischen Rehabilitation sind Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und Herz-Kreislauf-Erkrankungen. In den letzten Jahren haben auch psychische und Verhaltensstörungen sowie neurologische, onkologische und psychosomatische Erkrankungen an Bedeutung gewonnen (Sachverständigenrat, 2014, S. 262 ff.).
Versorgung
Ambulante und stationäre medizinische Rehabilitation
Leistungen zur medizinischen Rehabilitation werden überwiegend stationär erbracht. Jedoch haben ambulante Leistungen in den letzten Jahren kontinuierlich an Bedeutung gewonnen. Dies äußert sich in einer wachsenden Zahl von Leistungsanbietern und in einer steigenden Nachfrage durch Leistungsberechtigte. Stationäre Rehabilitationsmaßnahmen werden in Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Schwerpunktkliniken oder Sanatorien durchgeführt, ambulante Maßnahmen in Arztpraxen, von Zusammenschlüssen ärztlicher oder nicht-ärztlicher Therapeuten in Praxen und durch mobile Rehabilitationsteams.
Ob sich eine ambulante oder stationäre Rehabilitation anbietet, hängt von den Besonderheiten des Einzelfalls ab. Im Allgemeinen werden diesen beiden Formen der Leistungserbringung je eigene Vorteile zugeschrieben (Bundearbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, 2021). Demnach bestehen Vorteile der ambulanten Rehabilitation darin, dass
die Rehabilitanden im gewohnten sozialen, beruflichen, häuslichen Umfeld verbleiben können;
die Leistungserbringung bzw. -inanspruchnahme zeitlich flexibler gestaltet werden kann;
die Rehabilitandinnen und Rehabilitanden neuen Anforderungen unter Alltagsbedingungen und unter Einbeziehung von Kollegen oder Angehörigen begegnen und neue Verhaltensweisen einüben können;
bessere Möglichkeiten zur Vernetzung der Rehabilitationsleistungen mit anderen Angeboten des Gesundheits- und Sozialsystems (z. B. hausärztlichen Leistungen) bestehen.
Demgegenüber wird die stationäre Rehabilitation mit folgenden Vorteilen in Verbindung gebracht:
Der Therapieverlauf kann durch die Therapeuten kontinuierlich beobachtet werden.
Sie ermöglicht eine personelle und institutionelle Kontinuität der Betreuung.
Die Rehabilitanden werden – auf Zeit – von möglicherweise negativen Einflüssen ihres sozialen, beruflichen, häuslichen Umfelds abgeschirmt.
Die Leistungsberechtigten müssen die Leistungen nicht in Form von Sachleistungen beziehen (s. Modul
Persönliche Budgets sind so zu „bemessen, dass der individuell festgestellte Bedarf gedeckt wird und die erforderliche Beratung und Unterstützung erfolgen kann. Dabei soll die Höhe des Persönlichen Budgets die Kosten aller bisher individuell festgestellten Leistungen nicht überschreiten, die ohne das Persönliche Budget zu erbringen sind“ (§ 29 Abs. 2 SGB IX).
Einrichtungen und Einrichtungsträger
Medizinische Rehabilitationsleistungen werden ambulant und stationär erbracht. Bei stationären Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen handelt es sich um solche Einrichtungen, die darauf zielen,
„eine Schwächung der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen oder einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken (Vorsorge)“ oder
„den Gesundheitszustand der Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan vorwiegend durch Anwendung von Heilmitteln einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie oder Arbeits- und Beschäftigungstherapie [...] zu verbessern“ (§ 107 Abs. 2 SGB V).
2022 gab es 1.089 (teil-)stationäre Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen mit insgesamt 161.725 aufgestellten Betten (Statistisches Bundesamt, 2023d). Die Rentenversicherungsträger unterhalten in der medizinischen Rehabilitation rund 100 Reha-Kliniken (Deutsche Rentenversicherung, 2023a). 2020 standen immerhin rund 16 Prozent der von den Rentenversicherungsträgern belegten Betten in Eigeneinrichtungen (Deutsche Rentenversicherung, 2021, S. 53). Eigeneinrichtungen werden auch von den Unfallversicherungsträgern und von Krankenversicherungsträgern betrieben, von letzteren aber nur in sehr kleiner Zahl.
Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen befinden sich traditionell überwiegend in privater Trägerschaft. Im Jahr 2022 traf dies auf mehr als die Hälfte aller Einrichtungen und auf knapp zwei Drittel aller aufgestellten Betten zu (Statistisches Bundesamt, 2023c). Die Zahl und der Anteil der privaten Betten sind seit Beginn der 1990er-Jahre weiter gestiegen. Zugleich hat sich auch das Gewicht der freigemeinnützigen Träger erhöht, während die Zahl öffentlicher Einrichtungen und Betten leicht zurückging. Nicht nur bei den Krankenhäusern (s. Modul
Mit der wachsenden Inanspruchnahme ambulanter Angebote haben auch ambulante Rehabilitationsdienste an Bedeutung gewonnen. Allerdings werden ambulante Maßnahmen auch von Krankenhäusern oder stationären Reha-Zentren erbracht.
Beschäftigung und Berufsgruppen
In den Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen waren Ende 2022 gut 118.000 Personen auf (im Jahresdurchschnitt) knapp 87.000 Vollzeitstellen direkt beschäftigt, darunter knapp 8.600 Ärztinnen und Ärzte sowie gut 78.000 nichtärztliche Personen (jeweils Vollzeitstellen) (Statistisches Bundesamt, 2023b). In diesen Zahlen sind die in den ambulanten Reha-Diensten beschäftigten Personen nicht enthalten. Neben Ärztinnen und Ärzten sind in der medizinischen Rehabilitation zahlreiche andere Gesundheitsberufe tätig, insbesondere Kranken- und Gesundheitspfleger, Psychotherapeuten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Logopäden und Ernährungsberater. In manchen Kommunen oder Regionen sind Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor und können einen Beschäftigungsanteil von bis zu sieben Prozent erreichen (Augurzky et al., 2011, S. 45 ff.).