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Regulierung des Krankenversorgungssystems | Gesundheitspolitik | bpb.de

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Regulierung des Krankenversorgungssystems

Thomas Gerlinger

/ 12 Minuten zu lesen

Der Begriff „Regulierung“ beschreibt die Gesamtheit der Entscheidungsbefugnisse für die Ausgestaltung des Gesundheitssystems. Dabei ist zu unterscheiden zwischen der Regulierung von Gesundheitsförderung und Prävention einerseits sowie der Regulierung der Krankenversorgung und der daran anschließenden Versorgungsbereiche (Rehabilitation, Pflege) andererseits. Dieser Abschnitt befasst sich ausschließlich mit der Regulierung der Krankenversorgung (s. zum Folgenden: Gerlinger & Rosenbrock, 2024; Simon, 2021). Die Regulierung der anderen Handlungsfelder wird in den betreffenden Modulen behandelt (s. Module Interner Link: Gesundheitsförderung und Prävention, Interner Link: Rehabilitation und Interner Link: Pflegeversicherung).

Allgemeine Kennzeichen: Mehrebenenregulierung – Krankenversicherung – Fragmentierung

Ein zentrales Merkmal des Regulierungssystems ist die Verteilung der Zuständigkeiten auf unterschiedliche Handlungsebenen und Akteure. Sie äußert sich in folgenden Merkmalen:

  • Die Befugnisse zur Regulierung des Krankenversorgungssystems verteilen sich auf Bund und Länder.

  • Neben den staatlichen Akteuren haben auch die Sozialversicherungsträger, allen voran die gesetzliche Krankenversicherung, eigene Regulierungsbefugnisse.

  • Auf den einzelnen Handlungsfeldern der Krankenversorgung (ambulante Versorgung, Krankenhausversorgung, Arzneimittelversorgung etc.) sind zum Teil unterschiedliche Akteure mit unterschiedlichen Befugnissen und Machtressourcen an der Regulierung beteiligt.

  • Schließlich sind diese Handlungsebenen und Akteure in den einzelnen Versorgungsbereichen eng miteinander verflochten.

Ferner ist zu berücksichtigen, dass die private Krankenversicherung ein Sondersystem darstellt, dessen Regulierung weitgehend von der gesetzlichen Krankenversicherung abgegrenzt ist.

Somit ist die Regulierung des Krankenversorgungssystems in Deutschland sehr stark fragmentiert. Die Komplexität von Akteuren und Entscheidungsstrukturen hat zur Folge, dass bei der Regulierung des Systems des Öfteren erhebliche Koordinierungsprobleme auftreten (Gerlinger & Rosenbrock, 2024).

Träger der gesetzlichen Krankenversicherung sind die knapp 100 Krankenkassen. Gesetzlich Krankenversicherte können ihre Krankenkasse frei wählen. Jede Krankenkasse ist verpflichtet, beitrittswillige (und -berechtigte) Versicherte aufzunehmen („Kontrahierungszwang“). Die Krankenkassen stehen damit im Wettbewerb um Versicherte.

Staat – Selbstverwaltung – Kollektivverträge

Sitzung des Bundestags-Gesundheitsausschusses im Jahr 2021. Der Einfluss des Bundestages auf die Gestaltung des Gesundheitswesens ist weitreichend.

Die Regulierung der GKV ist durch das Zusammenwirken von Staat und Selbstverwaltung gekennzeichnet. Der Staat erlässt durch Gesetze und Verordnungen Rahmenvorgaben und delegiert dabei Kompetenzen zur Konkretisierung dieser Rahmenvorgaben an die Akteure der Selbstverwaltung. Dabei liegt das Gesetzgebungsrecht de facto beim Bund. Zwar unterliegt die Sozialversicherung dem Grundgesetz zufolge der konkurrierenden Gesetzgebung durch Bund und Länder. Dies bedeutet, dass im Grundsatz beide – Bund und Länder – hier gesetzgeberisch tätig werden können. Allerdings werden Länderbestimmungen dann hinfällig, wenn der Bund den betreffenden Gegenstand geregelt hat. Da der Bund seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland nach und nach von seinem Gesetzgebungsrecht Gebrauch gemacht hat, verfügen die Länder hier über keinen Entscheidungsspielraum mehr. Allerdings bedürfen zahlreiche Bundesregelungen der Zustimmung der Länderkammer, also des Bundesrats. Dies ist in solchen Fragen der Fall, die die Verwaltung der Länder berühren. In der eigenständigen Kompetenz der Bundesländer liegen die Gestaltung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes und die Sicherstellung der Krankenhausversorgung.

Eine wesentliche Rolle bei der Regulierung der gesetzlichen Krankenversicherung spielt die Selbstverwaltung. Mit Selbstverwaltung ist zweierlei gemeint:

  • Erstens beschreibt dieser Begriff die soziale Selbstverwaltung durch Arbeitgeber- und Versichertenvertreter in den Gremien der Krankenkassen(verbände). Sie entscheiden über solche Fragen, die für die Krankenkassen von grundlegender Bedeutung sind. Dazu zählen z. B. die Verabschiedung des Haushalts, die Festsetzung des Zusatzbeitrags und von Zusatzleistungen der Krankenkasse, die Entscheidung über Kassenfusionen sowie die Wahl und die Kontrolle des hauptamtlichen Vorstands. Die Selbstverwalter sind ehrenamtlich tätig. Sie werden in alle sechs Jahres stattfindenden Sozialwahlen gewählt.

  • Zweitens beschreibt der Begriff „Selbstverwaltung“ die gemeinsame Selbstverwaltung der Ärzte und Krankenkassen- Sie konkretisiert die gesetzlichen Rahmenvorgaben zumeist in Kollektivverhandlungen oder in Entscheidungen der jeweils zuständigen Gremien.

Ferner unterliegen einige Gesundheitsberufe der beruflichen Selbstverwaltung. Sie wird in Kammern ausgeübt (Ärztekammern, Psychotherapeutenkammern, Apothekenkammern und – in einzelnen Bundesländern – Pflegekammern), die als Körperschaften des öffentlichen Rechts verfasst sind. Zu ihren Aufgaben zählen die Erarbeitung einer Berufsordnung, die Aufsicht über die betreffenden Berufe, die Verabschiedung von Weiterbildungsordnungen sowie die berufsbezogene Interessenvertretung.

Der Staat hat den Gremien und Akteuren der Selbstverwaltung zumeist den Status von Körperschaften des öffentlichen Rechts verliehen. Sie füllen den staatlichen Ordnungsrahmen aus, indem sie

  • Versorgungsverträge schließen, die insbesondere Bestimmungen zur Qualität, zur Vergütung und zur Menge der zu erbringenden Leistungen enthalten;

  • in den dafür vorgesehenen Gremien (z. B. dem Gemeinsamen Bundesausschuss, s. u.) Entscheidungen zur Versorgung und Vergütung treffen.

Die Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung sind in der Regel paritätisch aus Vertretern der Ärzteschaft und der Krankenkassen besetzt. Dabei werden sie um drei unparteiische Mitglieder erweitert. Auf diese Weise sollen Entscheidungsblockaden vermieden werden.

Adressaten der staatlichen Rahmenregelungen sind zumeist die Verbände der beteiligten Akteure auf Bundes- und Landesebene, also

  • die Verbände der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband bzw. die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen),

  • die Verbände der Vertragsärztinnen und -ärzte (Kassenärztliche Bundesvereinigung bzw. die Kassenärztlichen Vereinigungen),

  • die Verbände der Krankenhäuser (Deutsche Krankenhausgesellschaft bzw. die Landeskrankenhausgesellschaften).

Diese Verbände handeln dabei stellvertretend für ihre Mitglieder. Die Entscheidungen und der Inhalt der geschlossenen Versorgungsverträge sind für die Beteiligten in der Gesundheitsversorgung bindend, also z. B. für Patientinnen und Patienten, Krankenkassen, Ärztinnen und Ärzte, Krankenhäuser und deren Verbände. Die Akteure der Selbstverwaltung setzen also untergesetzliches Recht. Wegen dieser kollektiven Geltung ist häufig auch von „Kollektivverhandlungen“ und „Kollektivverträgen“ die Rede. Die Verbände der Ärzte und Krankenkassen erhalten auf diese Weise einen erheblichen Einfluss auf die Gestaltung des Gesundheitssystems. Dieses Merkmal wird auch als „Korporatismus“ bezeichnet.

Die Selbstverwaltung unterliegt der staatlichen Rechtsaufsicht. Dies bedeutet, dass die jeweils zuständigen Aufsichtsbehörden die Entscheidungen und Verträge der Selbstverwaltung auf ihre Übereinstimmung mit dem geltenden Recht, nicht aber auf fachliche Angemessenheit prüfen. Wenn Vereinbarungen nicht oder nicht fristgerecht zu Stande kommen oder ihr Inhalt nach Auffassung der Aufsichtsbehörde nicht den gesetzlichen Bestimmungen entspricht, kann diese den Vereinbarungen die Genehmigung verweigern, sie beanstanden oder eine Regelung auch selbst erlassen („Ersatzvornahme“). Die Rolle der Selbstverwaltung kann man somit auch charakterisieren als verbandliche „Selbstorganisation im Schatten des Staates“ (Scharpf, 2000, S. 327). Für die Aufsicht sind je nach Handlungsfeld das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesamt für Soziale Sicherung oder die für Gesundheit zuständigen Ministerien der Länder zuständig.

Der Gemeinsame Bundesausschuss

Quelle: Gemeinsamer Bundesausschuss, 2018

Das wichtigste Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung ist der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der G-BA ist mittlerweile in allen Versorgungsbereichen für die Konkretisierung der gesetzlichen Rahmenbestimmungen zuständig. Von besonderer Bedeutung sind folgende Kompetenzen:

  • Der G-BA überprüft Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Hinblick auf ihren diagnostischen und therapeutischen Nutzen, ihre Wirtschaftlichkeit und medizinische Notwendigkeit. Dabei legt er den jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu Grunde (§ 135 Abs. 1 SGB V). Damit entscheidet der G-BA, ob die betreffenden Leistungen zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden können. In der vertragsärztlichen Versorgung können nur solche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, deren Nutzen zuvor vom G-BA geprüft und anerkannt worden ist (§ 135 Abs. 1 SGB V – „Erlaubnisvorbehalt“). Hingegen können im Krankenhaus Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn der G-BA sie nicht wegen mangelnden Nutzens oder mangelnder Wirtschaftlichkeit nicht ausgeschlossen hat (§ 137c Abs. 1 SGB V – „Verbotsvorbehalt“).

  • Der G-BA erlässt Richtlinien zur ärztlichen Behandlung, die „Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten“ bieten sollen (§ 92 Abs. 1 SGB V). Bei diesen Richtlinien handelt es sich um verbindliche Vorgaben für die Versorgung.

Das Entscheidungsgremium des G-BA setzt sich zusammen aus je fünf Vertretern der Ärzteseite und der Kassenseite sowie drei weiteren unparteiischen Mitgliedern. Seit 2004 wirken auch Vertreter der Versicherten- und Patientenseite im G-BA mit. Allerdings haben sie kein Stimmrecht, sondern nur ein Mitberatungs- und Antragsrecht.

Insgesamt ist die Regulierung der GKV-Krankenversorgung durch Staat und Selbstverwaltung sektoral stark fragmentiert: In den einzelnen Versorgungssektoren (ambulante Versorgung, Krankenhausversorgung, Arzneimittelversorgung, Rehabilitation, Pflege etc.) existieren unterschiedliche Regulierungssysteme mit spezifischen Kombinationen aus staatlichen, korporatistischen und marktbezogenen Elementen. Bei aller Vielfalt sind korporatistische Regulierungsformen für das Gesundheitssystem in Deutschland insgesamt von besonderer Bedeutung.

Vertragsärztliche Versorgung

Unter den verschiedenen Sektoren des Gesundheitssystems sind im ambulanten (vertragsärztlichen) Sektor korporatistische Strukturen am stärksten ausgeprägt. Das Regulierungssystem des ambulanten Sektors kann als Musterbeispiel eines korporatistischen Regulierungsmodells gelten. Auf der Seite der Vertragsärzteschaft sind auf Bundesebene die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und auf Landesebene die 17 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) die entscheidenden Akteure. KVen sind landesweite Organisationen (nur in Nordrhein-Westfalen gibt es zwei KVen) mit Pflichtmitgliedschaft der zur ambulanten Versorgung von Kassenpatientinnen und -patienten im jeweiligen Versorgungsbereich zugelassenen Vertragsärztinnen und -ärzte (§ 77 Abs. 1 SGB V). Als Pflichtmitglieder der KV sind sie an die von ihrem Verband vereinbarten Verträge gebunden.

Auf der Bundesebene vereinbaren die KBV und der GKV-Spitzenverband im Rahmen der ihnen vom Staat zugewiesenen Aufgaben allgemeine Vorgaben für die Krankenversorgung. Die KVen und die Landesverbände der Krankenkassen bzw. die Verbände der Ersatzkassen schließen für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich Versorgungsverträge („Gesamtverträge“ – § 83 SGB V). Sie haben dabei die bundesweit geltenden Vorgaben zu beachten. Die Verträge umfassen u. a. Vereinbarungen über die Höhe der vertragsärztlichen Gesamtvergütung (§ 85 Abs. 2 SGB V), über die Durchführung von Wirtschaftlichkeitsprüfungen (§ 106 Abs. 3 SGB V) sowie über die Qualität und Menge von Leistungen. Zu den Aufgaben auf Landesebene zählt auch die Aufstellung eines Bedarfsplans für die vertragsärztliche Versorgung (§ 99 SGB V). Die KVen sind für fast das gesamte Leistungsgeschehen in der vertragsärztlichen Versorgung der obligatorische Vertragspartner der Krankenkassenverbände.

Auf der Kassenseite nehmen der GKV-Spitzenverband (Bundesebene) und die Landesverbände der Krankenkassen sowie die Verbände der Ersatzkassen (Länderebene) die Interessen der Versicherten wahr. Häufig werden die Kassen und ihre Verbände vom Gesetzgeber dazu verpflichtet, gemeinsam und einheitlich zu handeln. Auch darin kommt der korporatistische Charakter des Steuerungssystems zum Ausdruck. Die Versorgungsverträge und die in den Gremien der gemeinsamen Selbstverwaltung getroffenen Entscheidungen sind für alle Beteiligten verbindlich.

KBV und KVen verfügen als Vertretungen der Ärzteschaft über eine im internationalen Vergleich starke Machtposition. Eine wesentliche Grundlage dafür besteht in ihrer gesetzlich festgeschriebenen Doppelfunktion: Sie haben den Sicherstellungsauftrag für die ambulante Versorgung von Kassenpatientinnen und -patienten inne und haben zugleich die Interessen der Vertragsärztinnen und -ärzte gegenüber den Krankenkassen zu vertreten (§§ 73, 75 Abs. 1 u. 2 SGB V). Aus dem Sicherstellungsauftrag ergibt sich zugleich eine Aufsichtsfunktion der KVen gegenüber ihren Mitgliedern. Sie haben die Erfüllung der gesetzlichen und vertraglichen Pflichten durch die Vertragsärztinnen und -ärzte zu überwachen und sie gegebenenfalls zur Einhaltung dieser Pflichten zu veranlassen (§ 75 Abs. 2 SGB V). Von besonderer Bedeutung ist die von Krankenkassen und KVen zu gewährleistende Wirtschaftlichkeit der Versorgung: Sie schließt eine Überprüfung der Notwendigkeit, Effektivität, Qualität und Angemessenheit der erbrachten Leistungen ein (§ 106 SGB V).

Zugleich sind die KVen für die Honorarverteilung unter den Vertragsärztinnen und -ärzten zuständig. Die Verbände der Krankenkassen zahlen der KV eine Gesamtvergütung „mit befreiender Wirkung“ (§ 85 Abs. 1 SGB V). Dies bedeutet, dass die KVen mit dieser Gesamtvergütung dann die ambulante Versorgung der Versicherten sicherstellen müssen.

Regulierter Wettbewerb und Selektivverträge

Der bei Weitem größte Teil der Leistungen wird kollektivvertraglich geregelt. Seit den 1990er-Jahren wurde dieser Regulierungstyp aber um einige wettbewerbliche Instrumente ergänzt. Sie gewannen seither nach und nach an Bedeutung. Die Krankenkassen erhielten seitdem Möglichkeiten, als Einzelkassen Versorgungsverträge mit einzelnen oder Gemeinschaften von Ärzten abzuschließen. Damit sind sie auf diesen Feldern

  • nicht mehr so eng an Vereinbarungen im Rahmen ihres Kassenverbandes gebunden und

  • nicht mehr auf eine Einigung mit der KV angewiesen.

Selektivverträge sind vor allem bei folgenden Versorgungsformen möglich:

  • Modellvorhaben (§§ 64 und 64a-c SGB V),

  • Verträgen zur besonderen Versorgung (§ 140a SGB V),

  • Verträgen über strukturierte Behandlungsprogramme (Disease Management Programme) (§ 137f-g SGB V),

  • Verträgen zur hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V).

Zwar haben diese Versorgungsformen in den letzten zwei Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen, aber nach wie vor wird die überwältigende Mehrheit der Leistungen im Rahmen von Kollektivverträgen geregelt.

Die Ausweitung von Wettbewerbsmechanismen steht im Zusammenhang mit dem Bestreben der politischen Entscheidungsträger, auf diese Weise die Versorgungseffizienz zu verbessern. Allerdings hat die Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung auch vielfältige Fehlsteuerungen hervorgerufen (Bundesversicherungsamt, 2018).

Der skizzierte Trend zu einer Liberalisierung des Vertragsrechts hat nicht dazu geführt, dass kollektiv verbindliche Regelungen für die Steuerung der GKV an Bedeutung verloren haben. Vielmehr wird diese Entwicklung begleitet von einer Ausweitung hierarchischer Steuerung. Dies sind verbindliche Regelungen, die sicherstellen sollen, dass Kassen und Ärzte die gewonnenen Freiräume nicht nutzen, um ihre Partikularinteressen zu Lasten von Wirtschaftlichkeits- und Qualitätszielen in der Versorgung zu verfolgen. So haben Eingriffe des Gesetzgebers in den letzten Jahren weiter zugenommen („Re-Regulierung“). Auch das kollektiv verbindliche Vorschriftenwerk des Gemeinsamen Bundesausschusses ist immer dichter geworden. Gegenstand solcher Regelungen sind insbesondere die Vergütung von Leistungen sowie die Qualitätssicherung.

Krankenhausversorgung

Auch in der Krankenhausversorgung sind staatliche, korporatistische und marktbezogene Regulierungsformen miteinander verknüpft. Das wohl bedeutsamste Regulierungsmerkmal auf diesem Feld ist die besonders starke Stellung des Staates. Sie ergibt sich vor allem aus dem Sicherstellungsauftrag der Länder für die Krankenhausversorgung. Sie nehmen diesen Auftrag wahr, indem sie einen Landeskrankenhausplan aufstellen und die Investitionen der Krankenhäuser finanzieren.

Die Aufnahme in den Bedarfsplan ist für das betreffende Krankenhaus von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung. Wenn es in einen Landeskrankenhausplan aufgenommen wurde, so ist damit der Rechtsanspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages mit den zuständigen Verbänden der Krankenkassen verbunden („fiktiver Versorgungsvertrag“). Dies gilt analog auch für die Hochschulkliniken. Sie unterliegen zwar nicht der Krankenhausplanung, bei ihnen begründet aber die Aufnahme der Hochschule in das Hochschulverzeichnis des Landes das Recht, die an GKV-Versicherten erbrachten Leistungen mit den Krankenkassen abzurechnen.

Zwar können die Kassen den Versorgungsvertrag mit einem Plankrankenhaus kündigen, allerdings ist dies nur möglich, wenn die Einrichtung „nicht die Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche Krankenhausbehandlung bietet“ (§ 109 Abs. 3 Nr. 1 SGB V in Verbindung mit § 110 Abs. 1 SGB V). Dabei dürfen diese Kündigungsgründe nicht nur vorübergehend bestehen. Außerdem können die Landesverbände der Krankenkassen und die Verbände der Ersatzkassen einen Vertrag nur gemeinsam kündigen und muss die zuständige Landesbehörde dieser Kündigung zustimmen (§ 110 SGB V). Die Hürden für die Kündigung sind damit außerordentlich hoch. Somit unterliegen die Krankenkassen de facto einer Kontrahierungspflicht mit den Plankrankenhäusern. Die Zahl der Plankrankenhäuser und Planbetten ist seit Mitte der 1970er-Jahre weitgehend synchron zur Zahl von Krankenhäusern und Betten insgesamt zurückgegangen (s. Modul Interner Link: Versorgung).

Die Länder nehmen über die Krankenhausplanung also unmittelbar Einfluss auf die Kapazitätssteuerung in der Krankenhausversorgung. Zugleich sind sie wegen der Zustimmungspflicht des Bundesrates zu krankenhausrelevanten Bundesgesetzen ein „institutioneller Vetospieler“ (Tsebelis, 2002). Insofern gehen die Machtbefugnisse der Länder in der Krankenhausversorgung deutlich über jene der Kassenärztlichen Vereinigungen in der vertragsärztlichen Versorgung hinaus. Da zudem die Gebietskörperschaften selbst ein knappes Drittel der Krankenhäuser und beinahe die Hälfte der Krankenhausbetten betreiben (s. Modul Interner Link: Versorgung), ist der Staat auch als Partei in der Vertragspolitik der gemeinsamen Selbstverwaltung durchaus stark vertreten.

Die Kehrseite der herausgehobenen Rolle der Länder in der Krankenhausversorgung ist eine Begrenzung der Regulierungskapazitäten des Bundes: Zwar ist dieser für Regelungen zur Vergütung von Krankenhausleistungen zuständig, er kann auf diesem Gebiet jedoch keine Reformen gegen die Ländermehrheit durchsetzen. Die Länder wiederum folgen in ihrer Haltung zu einschlägigen Reformvorhaben ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse, das häufig nicht mit dem des Bundes zusammenfällt . Sie halten sie vor allem an ihrem Sicherstellungsauftag für die Krankenhausversorgung und an der damit verbundenen Planungshoheit für den Krankenhaussektor fest. Die Schließung von Krankenhäusern oder Krankenhausabteilungen birgt aus ihrer Sicht die Gefahr, dass die Wohnortnähe der Versorgung leidet und – in diesem Fall recht häufige – Bevölkerungsproteste sich (auch) gegen die zuständige Landesregierung richten könnten. Zudem sind Krankenhäuser gerade für kleinere Städte und strukturschwache Landkreise ein erheblicher Wirtschaftsfaktor.

Auch mit Blick auf die vertragspolitischen Kompetenzen in der gemeinsamen Selbstverwaltung von Krankenkassen und Krankenhäusern existieren deutliche Unterschiede zur vertragsärztlichen Versorgung. Das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) schreibt den Krankenkassen eine einheitliche Berechnung der Vergütungen im Krankenhaussektor vor (§ 17 Abs. 1 KHG). Im Unterschied zur vertragsärztlichen Versorgung sind hier nach Kassen oder Kassenarten unterschiedliche Versorgungs- und Vergütungsverträge also nicht möglich. Die Pflicht zu einheitlichen Vergütungsbestimmungen schließt sogar die private Krankenversicherung ein. Die Besonderheiten bei der Regulierung der Krankenhausversorgung betreffen aber nicht nur die Position der Kostenträger in der Vertragspolitik, sondern auch die der Leistungserbringer: Partner von Versorgungsverträgen ist hier nicht ein Kollektivakteur, etwa die Landeskrankenhausgesellschaft, sondern das einzelne Krankenhaus. Insofern haben wir es in der Krankenhausversorgung mit einer semikorporatistischen Regulierung zu tun (Lehmbruch, 1988). Somit haben die Krankenhausgesellschaften als Kollektivvertretung der Krankenhäuser hier nicht jene Bedeutung wie KVen und KBV in der vertragsärztlichen Versorgung.

Private Krankenversicherung

Die private Krankenversicherung unterliegt einem eigenständigen Regulierungsregime. Dessen Merkmale unterscheiden sich grundsätzlich von der gesetzlichen Krankenversicherung. In der privaten Krankenversorgung existieren keine Versorgungsverträge zwischen den Krankenversicherern und den Leistungserbringern (Böckmann, 2011). Die Leistungserbringer stehen nur in einer Rechtsbeziehung zu den Patientinnen und Patienten. Dies hat unterschiedliche Auswirkungen:

  • Die erbrachten Leistungen werden nicht von den Krankenkassen oder einer Kollektivvertretung der Leistungserbringer, sondern direkt von den Patientinnen und Patienten vergütet. Diese wiederum reichen die Rechnung bei ihrem Versicherer ein und erhalten dann eine Kostenerstattung gemäß den individuell vereinbarten Versicherungsbedingungen.

  • Die PKV verfügt über keine wirksamen Instrumente, mit denen sie auf die Qualität der Versorgung ihrer Versicherten Einfluss nehmen kann.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen für die private Krankenversicherung werden durch das Versicherungsvertragsgesetz und das Versicherungsaufsichtsgesetz festgelegt. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen werden durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) kontrolliert.

Punktuell ist der Verband der privaten Krankenversicherung aber in die Regulierung der gesetzlichen Krankenversicherung eingebunden. Dies betrifft z. B. die Vereinbarung des Fallpauschalenkatalogs für Krankenhausleistungen oder die Mitwirkung an der Nationalen Präventionskonferenz.

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ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die Arbeitsgruppe "Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie". E-Mail Link: thomas.gerlinger@uni-bielefeld.de