Im Zentrum der Gesundheitsversorgung stehen Ärztinnen und Ärzte. Andere Gesundheitsberufe verfügen nur über eine geringe Autonomie: Sie können zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung zumeist erst dann Leistungen erbringen, wenn eine entsprechende Verordnung oder Überweisung durch die behandelnden Ärztinnen und Ärzte vorliegt.
Die Kehrseite der ärztlichen Dominanz in der Krankenversorgung ist das weitgehende Fehlen von Primärversorgungseinrichtungen. Dabei handelt es sich um Angebote, die neben kurativen Leistungen auch präventive, rehabilitative, betreuende und beratende Leistungen erbringen. Solche Einrichtungen können den komplexen Versorgungsbedarfen bei chronischen Erkrankungen in einer alternden Gesellschaft oftmals besser Rechnung tragen als eine ausschließlich medizinische Versorgung (Schaeffer & Hämel, 2017).
Ende 2022 belief sich die Zahl der in Deutschland praktizierenden Ärztinnen und Ärzte auf knapp 421.300 (Bundesärztekammer, 2023). Rund 217.400 Ärztinnen und Ärzte waren im Krankenhaus tätig, in der ambulanten Versorgung rund 165.700. Deutschland weist eine im internationalen Vergleich hohe Arztdichte auf. 2021 belief sie sich auf 4,45 Ärztinnen und Ärzte je 1.000 Einwohner, bei einem Durchschnitt in den OECD-Staaten von 3,7 (OECD, 2023).
Umfassender Leistungskatalog und Bedarfsprinzip
Die gesetzlich Krankenversicherten haben einen Rechtsanspruch auf alle Leistungen, die für die Behandlung ihrer Krankheit nach dem Stand der medizinischen Kenntnisse notwendig sind (Bedarfsprinzip). Entsprechend umfangreich ist der Leistungskatalog der GKV. Das Leistungsrecht unterscheidet zwischen Regelleistungen und Satzungsleistungen. Regelleistungen sind solche Leistungen, zu deren Finanzierung alle Krankenkassen rechtlich verpflichtet sind. Sie machen gegenwärtig rund 95 Prozent der Leistungsausgaben aus. Somit bestehen zwischen den einzelnen Kassen keine nennenswerten Unterschiede im Leistungsumfang. Satzungsleistungen sind Leistungen, deren Gewährung eine Krankenkasse zusätzlich zu den gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen beschließen kann. Dazu zählen z. B. künstliche Befruchtung, bestimmte Reiseschutzimpfungen und Zuschüsse zu Sport- und Fitnessangeboten. Eine Krankenkasse kann Leistungen nur dann als Satzungsleistungen vorsehen, wenn sie vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) (s. Modul Interner Link: Regulierung) nicht von der Erstattung durch die Krankenkassen ausgeschlossen worden sind.
Zu den Leistungsarten der GKV zählen:
Maßnahmen zur Primärprävention und betrieblichen Gesundheitsförderung,
Maßnahmen zur Krankheitsfrüherkennung,
ambulante und stationäre ärztliche Behandlung,
zahnärztliche Behandlung und Zahnersatz,
die Behandlung in Kur- und Spezialeinrichtungen (z. B. psychiatrische Krankenhäuser),
die Versorgung mit Arznei-, Verband-, Hilfs- und Heilmitteln,
psychotherapeutische und psychiatrische Behandlung,
pflegerische Versorgung (z. B. Krankenhauspflege, häusliche Krankenpflege),
Leistungen bei Schwangerschaft und Mutterschaft,
Geldleistungen (Krankengeld, Mutterschaftsgeld),
ergänzende Leistungen (z. B. Fahrtkosten, Haushaltshilfen etc.).
Der Leistungskatalog wurde vor allem in den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren erheblich ausgeweitet. Auch seit Ende der 1980er-Jahre kamen einzelne Leistungen hinzu (z. B. Prävention und Gesundheitsförderung, Soziotherapie, ambulante Palliativversorgung), auf die allerdings nur geringe Ausgaben entfielen. Seit Mitte der 1970er-Jahre wurden einige Leistungen aus dem GKV-Katalog ausgegliedert (z. B. Bagatellarzneimittel) und die Zuzahlungen zu Leistungen erhöht.
Grundsätzlich gilt für die Erbringung von Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung das Wirtschaftlichkeitsprinzip: Die Leistungen der Krankenversicherung „müssen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten“ (§ 12 Abs. 1 SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsprinzip schränkt aber das Bedarfsprinzip nicht ein.
Zugang zu Versorgungseinrichtungen
Die Krankenversorgung ist geprägt durch das Recht der Versicherten auf eine freie Arztwahl. Sie schließt die Möglichkeit des direkten Zugangs zur fachärztlichen Versorgung ein. Allerdings können sich die Versicherten bereit erklären, sich im Rahmen einer hausarztzentrierten Versorgung bei einem Hausarzt oder einer Hausärztin einzuschreiben. In diesem Fall willigen sie ein, eine fachärztliche Versorgung erst nach einer entsprechenden Verordnung in Anspruch zu nehmen (s. u.).
Die hohe Arzt- und Bettendichte gewährleistet einen im Allgemeinen guten Zugang zur medizinischen Versorgung. Allerdings ist das Bild auch nicht ungetrübt. So treten in manchen Versorgungsbereichen Lücken auf, die mitunter zu langen Wartezeiten auf einen Behandlungstermin führen können (Gerlinger & Rosenbrock, 2024). Dies betrifft vor allem die psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung sowie die stationäre pädiatrische Versorgung. Auch in anderen Versorgungsbereichen können regional oder lokal bisweilen erhebliche Wartezeiten auftreten.
Ferner gibt es zwischen Bevölkerungsgruppen erhebliche Unterschiede beim Zugang zur Krankenversorgung. In manchen strukturschwachen, benachteiligten Räumen ist die Versorgung durch einen Mangel an Ärztinnen und Ärzten, aber auch an Pflegekräften bedroht. In einigen Regionen ist eine Unterversorgung bereits eingetreten. Der Zugang zu Versorgungseinrichtungen ist hier häufig nur mit einem hohen zeitlichen Aufwand möglich. Dies betrifft vor allem ländliche Räume. Aber auch in großstädtischen Quartieren mit einem hohen Anteil von Arbeitslosen und einer hohen Armutsquote ist bisweilen ein Ärztemangel anzutreffen (Gerlinger & Rosenbrock, 2024). Der Bund sowie Länder, Kommunen und die Selbstverwaltung in der GKV haben in der jüngeren Vergangenheit eine Vielzahl von Gegenmaßnahmen in die Wege geleitet, denen bisher aber kein durchschlagender Erfolg beschieden ist. In der großen Mehrzahl der Zulassungsbezirke herrscht – gemessen an den Verhältniszahlen der Bedarfsplanung – allerdings eine angemessene Versorgung oder sogar eine Überversorgung mit Vertragsärztinnen und -ärzten.
Für gesetzlich Krankenversicherte kann beim Zugang zur Krankenversorgung ein erhebliches Problem aus dem Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung erwachsen. In der ambulanten Versorgung liegen die Honorare für die Behandlung von Privatpatienten erheblich über denen für die Behandlung gesetzlich Versicherter (Böckmann, 2011). Dies schafft einen Anreiz für Ärztinnen und Ärzte, Privatpatientinnen und -patienten bei der Terminvergabe zu bevorzugen. Die Folgen sind – vor allem in der fachärztlichen Versorgung – zum Teil sehr lange Wartezeiten für gesetzlich Krankenversicherte (Breitenbach & Heinrich, 2023).
Eine grundsätzliche Einschränkung des Versorgungsanspruchs gilt für Asylsuchende. Er ist in den ersten 18 Monaten ihres Aufenthalts in Deutschland nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Wesentlichen auf die Behandlung bei Schmerzen und akuten Krankheiten sowie auf die Versorgung bei Schwangerschaft beschränkt (Janda, 2024). In Bundesländern, die keine elektronische Gesundheitskarte ausgeben, müssen Asylsuchende häufig beim zuständigen Sozialamt die Zustellung eines Behandlungsscheins beantragen. Vor besonders hohen Hürden beim Zugang zu einer Krankenversorgung stehen illegal in Deutschland lebende Personen (Mylius, 2016). Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass trotz einer gesetzlichen Krankenversicherungspflicht eine beachtliche Zahl von Personen mit einem „normalen“ Aufenthaltsstatus nicht krankenversichert ist. Der Mikrozensus bezifferte sie auf rund 61.000 Personen im Jahr 2019 (Statistisches Bundesamt, 2020, S. 37), wahrscheinlich ist sie aber viel höher.
Doppelte Facharztstruktur & weitgehende Abschottung der Versorgungsektoren
Die fachärztliche Versorgung ist nicht nur – wie in vielen anderen Gesundheitssystemen (Schölkopf & Grimmeisen, 2021) – am Krankenhaus angesiedelt, sondern wird auch durch niedergelassene Ärztinnen und Ärzte bzw. durch ambulante Medizinische Versorgungszentren (MVZ) angeboten. Diese Angebotsstruktur wird oft als „doppelte Facharztschiene“ bezeichnet. Der Gesetzgeber hat den Vertragsärztinnen und Vertragsärzten die Zuständigkeit für die ambulante Behandlung von Kassenpatientinnen und -patienten zugewiesen. Die Krankenhäuser dürfen GKV-Versicherte nur in eng definierten Ausnahmefällen versorgen (s. u.). Daher spielt die ambulante Versorgung am Krankenhaus im deutschen Gesundheitssystem – im Vergleich zu vielen anderen Gesundheitssystemen – nur eine sehr geringe Rolle (Schölkopf & Grimmeisen, 2021). Diese historisch gewachsenen Versorgungsbefugnisse haben zu einer ausgeprägten Abschottung von ambulanter und stationärer Versorgung geführt, deren Überwindung gesundheitspolitisch angestrebt wird, sich aber als sehr hürdenreich und langwierig erweist (Gerlinger & Rosenbrock, 2024). Allerdings gelten diese Einschränkungen nur für die Versorgung in der GKV. Privatversicherte können demgegenüber das Krankenhaus zur ambulanten Versorgung direkt aufsuchen.
Vertragsärztliche Versorgung
Diejenigen Ärztinnen und Ärzte, die zur Behandlung von Kassenpatientinnen und -patienten berechtigt sind, werden in der Sprache des Krankenversicherungsrechts als Vertragsärzte bezeichnet. Umgangssprachlich ist der Begriff „Kassenärzte“ weit häufiger anzutreffen. Auch der Name ihrer Kollektivvertretung gegenüber den Krankenkassen, der Kassenärztlichen Vereinigungen, orientiert sich an diesem Begriff.
Leistungserbringer
Im Zentrum der ambulanten Krankenversorgung stehen die in freier Praxis niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Sie sind in den meisten Fällen in einer Einzelpraxis, immer häufiger aber auch in Berufsausübungsgemeinschaften tätig.
Daneben haben in den letzten Jahren Medizinische Versorgungszentren (MVZ) an Bedeutung gewonnen. MVZ sind Versorgungseinrichtungen, in denen idealerweise Ärztinnen und Ärzte unterschiedlicher Disziplinen und nichtärztliche Gesundheitsberufe (z. B. Pflegekräfte, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten etc.) unter einem Dach zusammenarbeiten. Auf diese Weise soll die fächer- und berufsübergreifende Kooperation im Gesundheitswesen erleichtert und so die ambulante Versorgungsqualität verbessert werden. Zum Zeitpunkt ihrer Etablierung zielten MVZ also nicht allein auf eine verbesserte Kooperation zwischen ärztlichen Fachgruppen, sondern bezogen sich explizit auch auf die berufsgruppenübergreifende Kooperation unter einem organisatorischen Dach. Allerdings werden MVZ diesem Leitbild häufig nicht gerecht. In den meisten Fällen sind andere Therapieberufe dort nicht vertreten. Überdies wurden seit 2015, als eine entsprechende Gesetzesänderung die Gründung arztgruppengleicher MVZ ermöglichte (§ 95 Abs. 1 SGB V), MVZ gegründet, in denen sich nur Ärztinnen und Ärzte aus einer Disziplin zusammenschlossen.
Für Ärzte kann ein MVZ durch die gemeinsame Nutzung von Räumen, Personal und medizinisch-technischen Geräten neben den fachlichen Vorteilen einer intensiveren Kooperation auch ökonomisch sinnvoll sein. Dies macht sie auch zu einem interessanten Übernahmeziel für Private-Equity-Gesellschaften, also Kapitalgesellschaften, die primär das Ziel einer Gewinnmaximierung verfolgen (Scheuplein et al., 2019). Zudem ermöglicht ein MVZ, je größer es ist, auch eine stärkere Arbeitsteilung und verbessert die Chance auf geregelte Arbeitszeiten und eine Entlastung von bürokratischen Tätigkeiten (z. B. Leistungsabrechnung). Patienten wiederum können bei einer Versorgung im MVZ auf eine stärker interdisziplinär ausgerichtete Versorgung hoffen und mit kürzeren Wegen rechnen. Über das Leistungsgeschehen in MVZ ist bisher aber wenig bekannt. Nachweise, dass sie Innovationen im ambulanten Sektor anregen und so als Modernisierungskatalysatoren für die vertragsärztliche Versorgung insgesamt wirken, liegen bisher nicht vor.
Die wichtigsten Träger von MVZ sind Vertragsärzte und Krankenhäuser. Krankenhäuser sind daran interessiert, über ein von ihnen getragenes MVZ Zugang zur ambulanten Versorgung zu erhalten und sich zudem die Einweisung von Patientinnen und Patienten zu sichern (Gibis et al., 2016). Die Zulassung von MVZ unterliegt den Bestimmungen über die vertragsärztliche Bedarfsplanung.
Ende 2022 waren bundesweit 4.574 MVZ zugelassen, in denen gut 1.700 Vertragsärztinnen und -ärzte und weit über 26.000 angestellte Ärztinnen und Ärzte tätig waren (siehe folgende Tabelle). Damit arbeiteten etwa 17 Prozent der an der vertragsärztlichen Versorgung beteiligten Ärzte in einem MVZ. MVZ haben sich mittlerweile fest in der vertragsärztlichen Versorgung etabliert.
Hausärztliche Versorgung
Die ambulante Versorgung ist in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Versorgungsbereich unterteilt. Der hausärztliche Versorgungsbereich soll gemäß dem Fünften Sozialgesetzbuch (SGB V) folgende Tätigkeiten umfassen:
„die allgemeine und fortgesetzte ärztliche Betreuung eines Patienten in Diagnostik und Therapie bei Kenntnis seines häuslichen und familiären Umfeldes (…),
die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen (…),
die Dokumentation, insbesondere Zusammenführung, Bewertung und Aufbewahrung der wesentlichen Behandlungsdaten, Befunde und Berichte aus der ambulanten und stationären Versorgung,
die Einleitung oder Durchführung präventiver und rehabilitativer Maßnahmen sowie die Integration nichtärztlicher Hilfen und flankierender Dienste in die Behandlungsmaßnahmen“ (§ 73 Abs. 1 SGB V).
Mit dieser Trennung hat der Gesetzgeber den Hausärztinnen und Hausärzten einen eigenständigen Aufgabenbereich zugewiesen. Die Hausarztfunktion nehmen Allgemeinmediziner, Praktische Ärzte und Kinderärzte wahr. Internisten ohne Schwerpunktbezeichnung können sich entscheiden, ob sie im Rahmen der hausärztlichen oder der fachärztlichen Versorgung tätig sein wollen (§ 73 Abs. 1a SGB V).
Hausärztinnen und Hausärzte sind Schlüsselfiguren bei der Koordinierung des Leistungsgeschehens in der medizinischen Versorgung. Damit sind sie auch für die Integration von Versorgungsverläufen von großer Bedeutung – sowohl innerhalb der ambulanten Versorgung bei der Inanspruchnahme unterschiedlicher Fachärztinnen und -ärzte als auch bei der sektorenübergreifenden Versorgung. Ihnen werden folgende Aufgaben und Funktionen zugewiesen (s. Kochen, 2017):
Sie sollen als Spezialisten für das Allgemeine auf der Grundlage einer gewissen Vertrautheit mit den sozialen und lebensweltlichen Bezügen der Patientinnen und Patienten helfen, den Großteil der in einer Bevölkerung auftretenden Gesundheitsprobleme auf der geeigneten Interventionsstufe zu lösen. Typisch gerade für hausärztliche Tätigkeit soll eine umfassende Perspektive auf Krankheit sein und nicht der (vor)schnelle Einsatz medizinisch-technischer und pharmakologischer Behandlungsinstrumente.
Sie sollen diejenigen Akteure sein, die die Patientinnen und Patienten durch das Versorgungssystem führen, Informationen über Diagnosen und Therapien sammeln, sie zu einem Gesamtbild integrieren und die Behandlung des Patienten koordinieren.
Der Anteil der Hausärztinnen und Hausärzte an allen Ärztinnen und Ärzten in der vertragsärztlichen Versorgung ist seit vielen Jahren rückläufig (KBV, 2023a): Allein im Zeitraum zwischen Ende 2013 und Ende 2023 ging er von 38,2 Prozent auf 36,0 Prozent zurück (jeweils ohne psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten) (siehe nachfolgende Tabelle). In den 1990er-Jahren hatte noch ein Anteil von 60 Prozent an allen ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzten als wünschenswert gegolten.
In den kommenden Jahren dürfte die Zahl der altersbedingt aus der Versorgung ausscheidenden Ärzte die Zahl der Facharztanerkennungen für die hausärztlichen Disziplinen deutlich übersteigen (KBV, 2024b). Ende 2023 waren 68,7 Prozent aller Hausärztinnen und Hausärzte 50 Jahre oder älter, 36,9 Prozent sogar 60 Jahre oder älter (KBV, 2024b). Im Jahr 2022 bezogen sich nur 1.874 der insgesamt 12.225 Facharztanerkennungen (15,3 %) auf die Kerndisziplinen der hausärztlichen Tätigkeit, die Allgemeinmedizin und die Internistische Allgemeinmedizin (Bundesärztekammer, 2023, S. 8). Der Bedeutungsverlust der hausärztlichen Tätigkeit ist ein wichtiger Grund für die konstatierten Koordinierungsmängel in der Versorgung und gefährdet den Erfolg der Bemühungen um eine Versorgungsintegration.
Bereits seit den späten 1980er-Jahren hat der Gesetzgeber Maßnahmen ergriffen, um die hausärztliche Versorgung zu stärken. Zu diesem Zweck wurden in den zurückliegenden Jahren unterschiedliche Instrumente eingesetzt. Dazu zählten neben der erwähnten Definition eines eigenständigen hausärztlichen Versorgungsbereichs vor allem zahlreiche Maßnahmen, mit denen die Honorareinnahmen der Hausärztinnen und Hausärzte erhöht und der Abstand zu den Facharztgruppen verringert werden sollte (Gerlinger & Rosenbrock, 2024).
Hausarztzentrierte Versorgung
Ein bedeutendes Instrument zur Stärkung der hausärztlichen Koordinierungsfunktion ist die Einführung der hausarztzentrierten Versorgung (§ 73b SGB V). Der Gesetzgeber stellt an diesen Versorgungstypus besondere Anforderungen, die über die hausärztliche Regelversorgung hinausgehen. Dazu zählen:
die Pflicht der beteiligten Ärztinnen und Ärzte zur Teilnahme an strukturierten Qualitätszirkeln zur Arzneimitteltherapie und an speziellen hausärztlichen Fortbildungen,
die „Behandlung nach für die hausärztliche Versorgung entwickelten, evidenzbasierten, praxiserprobten Leitlinien“ und
die „Einführung eines (…) wissenschaftlich anerkannten Qualitätsmanagements“ (§ 73 Abs. 2 SGB V).
Versicherte, die an der hausarztzentrierten Versorgung teilnehmen, verpflichten sich gegenüber der Krankenkasse,
sich bei einer Hausärztin oder einem Hausarzt einzuschreiben,
im Krankheitsfall zunächst immer nur diese/n aufzusuchen (Primärinanspruchnahme) und
fachärztliche Versorgung (Ausnahme: Gynäkologen, Augenärzte) ausschließlich nach einer entsprechenden Überweisung durch den Hausarzt oder die Hausärztin in Anspruch zu nehmen (§ 73b Abs. 3 SGB V).
Krankenkassen sind dazu verpflichtet, eine hausarztzentrierte Versorgung anzubieten (§ 73b Abs. 1 SGB V). Sie müssen den Versicherten für die Teilnahme einen Bonus anbieten, z. B. eine Prämienzahlung oder Zuzahlungsermäßigungen (§ 53 Abs. 3 SGB V). Für die Versicherten sowie für die Hausärztinnen und Hausärzte ist die Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung freiwillig (§ 73b Abs. 3 SGB V). Mittlerweile ist die hausarztzentrierte Versorgung durchaus weit verbreitet. Den Angaben des Hausärzteverbandes zufolge nehmen über 6 Millionen Teilnehmer und mehr als 16.000 Hausärztinnen und Hausärzte daran teil (Hausärztinnen- und Hausärzteverband, 2023).
Es liegen Hinweise darauf vor, dass die Qualität durch die hausarztzentrierte Versorgung verbessert werden kann. Indikatoren dafür sind
eine erhebliche Reduktion der Zahl unkoordinierter Facharztkontakte,
eine Reduzierung riskanter Arzneimittelverordnungen bei Patientinnen und Patienten über 65 Jahre,
eine Reduzierung der Krankenhaustage bei Personen mit koronarer Herzkrankheit,
eine Reduzierung schwerwiegender Komplikationen (Amputation, Dialyse, Erblindung, Herzinfarkt und Schlaganfall) bei teilnehmenden Diabetikern (Goethe-Universität Frankfurt am Main & Universitätsklinikum Heidelberg, 2020).
Zufriedenheitsbefragungen unterstützen diese Eindrücke allerdings nur teilweise. Bei einer in Baden-Württemberg durchgeführten Befragung zur hausarztzentrierten Versorgung stellten nur 3,4 Prozent der Antwortenden fest, dass die Behandlung viel besser geworden sei. 29,6 Prozent bewerten sie als etwas besser, während 64 Prozent keinen Unterschied sahen (Prognos 2018, S. 33).
Disease Management-Programme
Eine wichtige Innovation der Versorgungsstrukturen sind Disease-Management-Programme (DMPs). DMPs sind strukturierte Behandlungsprogramme für bestimmte weit verbreitete chronische Erkrankungen, die eine hochwertige Versorgung gewährleisten sollen und daher besondere Anforderungen erfüllen müssen. DMPs beruhen auf evidenzbasierten Leitlinien. Dies sind symptom- oder indikationsbezogene Empfehlungen zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen, die den jeweiligen Stand der medizinischen Kenntnisse berücksichtigen. Zu den wichtigen Instrumenten dieser Programme zählen eine bessere Kooperation zwischen den beteiligten Leistungserbringern, ein kontinuierliches Qualitätsmanagement sowie Schulungen für Patienten und Leistungserbringer und eine kontinuierliche Evaluation. Die Anforderungen für die Ausgestaltung der DMPs legt der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) in einer Richtlinie fest.
Mittlerweile hat der G-BA zwölf chronische Erkrankungen festgelegt, die für eine Indikation in Frage kommen:
Adipositas (beschlossen, noch nicht in Kraft),
Asthma bronchiale,
Brustkrebs,
chronisch-obstruktive Atemwegserkrankung,
chronische Herzinsuffizienz,
chronischer Rückenschmerz,
Depression,
Diabetes mellitus Typ 1,
Diabetes mellitus Typ 2,
Koronare Herzkrankheit,
Osteoporose,
Rheumatoide Arthritis.
Ende 2023 waren beim Bundesamt für Soziale Sicherung insgesamt knapp 8.600 DMPs zugelassen, für die rund 8,6 Millionen Einschreibungen von rund 7,3 Millionen Versicherten registriert waren. Dabei entfielen allein auf die DMPs Diabetes mellitus Typ 2 knapp 4,5 Millionen Einschreibungen und auf die DMPs Koronare Herzkrankheit knapp 1,9 Millionen Einschreibungen.
Vorliegende Studien deuten darauf hin, dass die Prozessqualität in der DMP-Versorgung im Durchschnitt besser ist als in der Regelversorgung. Demzufolge orientiert sich die DMP-Behandlung häufiger an evidenzbasierten Leitlinien. Einige Evaluationen zeigen, dass DMP-Patienten im Vergleich zu denen in der Regelversorgung bei einer Reihe von Prozessparametern (z. B. Augenuntersuchungen, Patienteninformation und -schulung) und Risikofaktoren (z. B. Blutdruck, Hba1c-Wert) Verbesserungen aufweisen sowie Komplikationen seltener auftreten und die Zahl der Krankhauseinweisungen geringer ist (z. B. Graf et al., 2008). Andere Evaluationen kommen hingegen zu dem Ergebnis, dass ein medizinischer Nutzen nicht klar erkennbar sei (Linder et al., 2011).
Allerdings sind auch Zweifel an der Validität der Befunde über bessere Behandlungsergebnisse bei Teilnahmen an DMPs – wie auch bei Teilnahme an der hausarztzentrierten Versorgung – angebracht, weil Selbstselektionsprozesse die Ergebnisse verzerrt haben können. Vermutlich werden mit diesen Programmen eher solche Patientinnen und Patienten erreicht, deren krankheitsbezogene Selbstmanagementkompetenzen ohnehin hoch und nur in geringem Umfang optimierungsbedürftig sind – hingegen weniger solche, die stärker von einer Teilnahme profitieren könnten. Ein solcher Effekt würde bedeuten, dass die Evaluationen den Nutzen der Programme überbewerten. Ein Teil der den DMPs zugeschriebenen Vorzüge wäre in diesem Fall auf das ohnehin bessere Krankheitsmanagement der betreffenden Patienten zurückzuführen (Gerlinger, 2021).
Die ambulante Behandlung im Krankenhaus ist nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Zu den bedeutendsten von ihnen zählt die Notfallbehandlung (§ 76 Abs. 1 SGB V). In diesem Fall sind die Krankenhäuser zur Behandlung nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet. Ferner sind Ambulanzen, Institute und Abteilungen der Hochschulkliniken (Hochschulambulanzen) – aus Gründen der Medizinerausbildung – zur ambulanten Behandlung berechtigt, allerdings nur in einem Ausmaß, das erforderlich ist, um den Notwendigkeiten von Lehre und Forschung Rechnung zu tragen (§ 117 SGB V). Schließlich können Krankenhäuser vom Zulassungsausschuss zur Sicherstellung der ambulanten Versorgung ermächtigt werden. Diese Ermächtigung ist zu erteilen, „soweit und solange eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse der Ärzte hierfür geeigneter Krankenhäuser nicht sichergestellt wird“ (§ 116 SGB V).
Die Öffnung des Krankenhauses für die ambulante Behandlung war und ist ein wichtiges Anliegen zur besseren Integration von Versorgungsverläufen. Auch auf diesem Gebiet hat der Gesetzgeber seit den 1990er-Jahren eine Reihe von Maßnahmen ergriffen (s. hierzu: Leber & Wasem, 2016; Gerlinger & Rosenbrock, 2024):
Krankenhäuser dürfen seit 1993 GKV-Patienten an maximal 3 von 5 Tagen vor der stationären Aufnahme und an maximal 7 von 14 Tagen nach der stationären Entlassung ambulant behandeln (§ 115a SGB V). Die vorstationäre Behandlung bezweckt, die Notwendigkeit einer stationären Behandlung abzuklären oder die stationäre Versorgung vorzubereiten. Die nachstationäre Behandlung soll dazu beitragen, im Anschluss an einen Krankenhausaufenthalt den Erfolg der stationären Behandlung zu sichern.
Krankenhäusern ist auch die Durchführung ambulanter Operationen gestattet (§ 115b SGB V). Auch diese Regelung gilt seit 1993.
Krankenhäuser können ambulante Behandlungen im Rahmen von Verträgen über besondere Versorgungsformen (also vor allem sektorenübergreifende Versorgungsmodelle) durchführen, wenn die Vertragspartner sich darauf verständigen (§ 140a Abs. 1 SGB V).
Seit 2004 können Krankenhäuser im Rahmen von Disease-Management-Programmen (§ 137f-g SGB V) ambulante Leistungen erbringen, soweit die Anforderungen an die ambulante Behandlung im Rahmen dieser Verträge dies erfordern (§ 116b Abs. 1 SGB V).
Zugelassene Krankenhäuser sind – ebenfalls seit 2004 – bei hoch spezialisierten ambulanten Leistungen, seltenen Krankheiten und Krankheiten mit besonderen Verläufen zur ambulanten Behandlung berechtigt (§ 116b Abs. 2 ff. SGB V).
Zu einem grundlegenden Wandel der Rolle des Krankenhauses in der ambulanten Behandlung haben diese und andere Bestimmungen bisher nicht geführt. So belief sich dem Mikrozensus 2017, einer repräsentativen Erhebung des Statistischen Bundesamts, zufolge der Anteil der im Krankenhaus ambulant versorgten Personen nur auf acht Prozent aller ambulant Behandelten (Statistisches Bundesamt, 2018, S. 15). Die Zahl der im Krankenhaus durchgeführten ambulanten Operationen, die in den 1990er- und 2000er-Jahren deutlich angestiegen war, stagniert seit Jahren bei rund 1,9 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2012, S. 86; Statistisches Bundesamt, 2023a). Die Bestimmungen zur Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Behandlung sind stets als Ausnahme von der nach wie vor geltenden Regel des ambulanten vertragsärztlichen Versorgungsmonopols verabschiedet worden. Bei ihnen handelte es sich zumeist um ad-hoc-Regelungen zur kurz- oder mittelfristigen Lösung aufgetretener Probleme. Sie folgten keinem weithin geteilten Leitbild von der Rolle des Krankenhauses in der ambulanten Versorgung (Leber & Wasem, 2016).
Krankenhausversorgung
Struktur der Krankenhausversorgung
Das Krankenhaus ist für das Versorgungsystem in Deutschland von ungemein großer Bedeutung. Zugleich unterliegt die Krankenhauslandschaft einem tiefgreifenden Wandel, zu dessen bedeutendsten Merkmalen der Rückgang der Bettenzahl und der durchschnittlichen Verweildauer sowie der Anstieg der Behandlungsfallzahlen und die fortschreitende Privatisierung der Träger zählen. Im Jahr 2022 wurden in deutschen Krankenhäusern gut 480.000 Betten registriert (Statistisches Bundesamt, 2023a), während es 1991 noch knapp 666.000 waren (siehe folgende Tabelle). Im gleichen Zeitraum sind auch die Zahl der Krankenhäuser (von 2.411 auf 1.893) und die durchschnittliche Verweildauer je Behandlungsfall (von 14,0 auf 7,2 Tage) deutlich zurückgegangen (Statistisches Bundesamt 2023a). Gleichzeitig stieg die Zahl der stationären Behandlungsfälle an, nämlich von rund 14,6 Millionen auf rund 16,8 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2023a). Statistisch betrachtet wurde also jeder fünfte Bürger pro Jahr im Krankenhaus versorgt. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass sich darunter auch Personen befinden, die mehrmals stationär aufgenommen werden. Im internationalen Vergleich ist die Krankenhaushäufigkeit in Deutschland außerordentlich hoch (OECD, 2023). Vor Ausbruch der Corona-Pandemie, im Jahr 2019, war die Zahl der stationären Behandlungsfälle mit 19,4 Millionen sogar noch deutlicher höher (Statistisches Bundesamt, 2023a).
Im internationalen Vergleich sind in Deutschland die Bettendichte, also die Zahl der Betten je 1.000 Einwohner, die Verweildauer sowie die Krankenhaushäufigkeit hoch. Bei der Zahl der Krankenhausentlassungen je 100.000 Einwohner wird Deutschland in der EU nur von Bulgarien übertroffen, bei der Verweildauer belegt Deutschland hinter Tschechien und Frankreich den dritten Platz (Eurostat, 2023a, 2023b). Die folgende Tabelle zeigt die entsprechenden Daten von Deutschland und ausgewählten, mit dem Wohlstandsniveau in Deutschland vergleichbaren EU-Mitgliedstaaten.
Die Krankenhauslandschaft in Deutschland ist sehr vielfältig. Die lokale oder regionale Grundversorgung wird durch zumeist kleinere Häuser sichergestellt. Sie verfügen in der Regel über eine internistische, eine chirurgische und eine gynäkologische Fachabteilung. Häuser der Zentral- und der Maximalversorgung haben deutlich mehr Fachabteilungen. Einrichtungen der Schwerpunktversorgung sind solche Häuser, die sich auf die Diagnose und Behandlung bestimmter Krankheiten spezialisiert haben. Häuser der Maximalversorgung bieten in manchen Fällen sogar das gesamte Leistungsspektrum der modernen Medizin an. Häuser der Zentral- und der Maximalversorgung haben eine überregionale Versorgungsfunktion und verfügen manchmal sogar über mehr als 1.000 Betten (z. B. Gerlinger & Rosenbrock, 2024).
Die Trägerstruktur der Krankenhäuser hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich gewandelt. Zwar ist sie auch heute noch gemischtwirtschaftlich geprägt, allerdings haben sich die Anteile deutlich zugunsten privater und zulasten vor allem öffentlicher Träger verschoben. Waren 1991 lediglich 14,8 Prozent aller Krankenhäuser in privater Trägerschaft, so stieg dieser Anteil bis zum Jahr 2022 auf 39,9 Prozent. Insbesondere das Gewicht von großen Kapitalgesellschaften, vor allem von Aktiengesellschaften hat deutlich zugenommen. Der Anteil öffentlicher Häuser ging in diesem Zeitraum von 46,0 auf 28,5 Prozent zurück. Immerhin belief sich der Anteil der in öffentlicher Trägerschaft aufgestellten Krankenhausbetten im Jahr 2022 noch auf 47,2 Prozent, der von privaten Trägern auf 20,4 Prozent (Gerlinger & Rosenbrock, 2024; Statistisches Bundesamt, 2023a). Öffentliche Krankenhäuser haben im Durchschnitt also deutlich mehr Betten als private. Aber auch bei den Betten ist ein deutlicher Anteilszuwachs der privaten Träger erkennbar. Der Privatisierungstrend ist vor allem darauf zurückzuführen, dass Kommunen und Landkreise als Träger öffentlicher Krankenhäuser immer weniger bereit oder in der Lage waren, die Defizite ihrer Krankenhäuser zu tragen und aus diesem Grund Krankenhäuser veräußert haben.
Das Nebeneinander von öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern einerseits und privaten Einrichtungen andererseits bringt eine Reihe von Problemen mit sich. Bei öffentlichen und freigemeinnützigen Häusern steht die Versorgungsfunktion im Mittelpunkt, auch wenn sie dabei Wirtschaftlichkeitsziele und in aller Regel auch Gewinninteressen verfolgen. Private Träger unterscheiden sich von ihnen insofern, als hier die Gewinnmaximierung der eigentliche Zweck der Einrichtung ist. Bei der Verfolgung dieses Ziels setzen private Einrichtungen häufig darauf, ihr Angebot auf wenige, standardisierbare Leistungen zu begrenzen. Sie können diese Leistungen aufgrund der Spezialisierung und der höheren Behandlungsfallzahlen kostengünstiger – und zum Teil auch in einer besseren Qualität – erbringen. Dadurch verschlechtert sich die Kalkulationsbasis derjenigen Krankenhäuser, die aufgrund ihres Versorgungsauftrages die gesamte Palette an Leistungen vorhalten müssen. Die dafür notwendige Infrastruktur bringt Kosten mit sich, ohne dass diese Häuser an den Einsparungen bei standardisierbaren Leistungen teilhaben können.
Ausgaben
Im Jahr 2021 wurden für die Krankenhausversorgung insgesamt 114,8 Milliarden Euro ausgegeben (Statistisches Bundesamt, 2023b), von denen allein 85,9 Milliarden Euro auf die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) entfielen (Bundesministerium für Gesundheit, 2023). Dies entsprach einem Anteil von 24,2 Prozent an den gesamten Gesundheitsausgaben bzw. von 30,1 Prozent der GKV-Gesamtausgaben (Statistisches Bundesamt, 2023b; Bundesministerium für Gesundheit, 2023). Zugleich ist das Krankenhaus ein bedeutender Beschäftigungsfaktor. Ende 2022 war es Arbeitsplatz für knapp 1,4 Millionen Menschen; dies entsprach rund 965.000 Vollkräften im Jahresdurchschnitt. Darunter waren über 173.000 Vollkräfte im ärztlichen Dienst und gut 792.000 im nichtärztlichen Dienst (Statistisches Bundesamt, 2023a).
Beispiel für Operationen- und Prozedurenschlüssel, hier die Gruppe "Operationen am Herzen" aus dem Kapitel 5 Operationen.
Beispiel für Operationen- und Prozedurenschlüssel, hier die Gruppe "Operationen am Herzen" aus dem Kapitel 5 Operationen.
Die sicherlich gravierendste Veränderung in der Krankenhauspolitik der vergangenen Jahrzehnte war die Umstellung der Vergütung auf diagnosebezogene Fallpauschalen (Diagnosis Related Groups – DRGs). Im DRG-System richtet sich die Höhe der Vergütung nach dem Schweregrad der Erkrankung des Patienten, die mit Hilfe eines Patientenklassifikationssystems erfasst wird, und nach den durchgeführten Eingriffen und therapeutischen Maßnahmen, die aus einem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) hervorgehen. Dabei werden einem Krankenhaus nicht seine realen Kosten, sondern die für den jeweiligen Behandlungsfall ermittelten Durchschnittskosten erstattet.
Aus der Einführung des DRG-Systems erwuchs ein beträchtlicher Bedeutungszuwachs finanzieller Kalküle bei der Erbringung von Krankenhausleistungen. Dieses Vergütungssystem verstärkte bei den Krankenhäusern
zum einen den Anreiz, die Kosten je Behandlungsfall so weit wie möglich zu senken, und
zum anderen den Anreiz, die Zahl der Behandlungsfälle bei solchen Diagnosen und Eingriffen zu erhöhen, bei denen die Kosten deutlich unter den DRG-Erlösen liegen.
Auf diese Weise haben die DRGs die Ökonomisierung der Krankenhausversorgung, also deren Orientierung an finanziellen Interessen, weiter gefördert (Dieterich et al., 2019; Simon, 2020).
DRGs wurden schon zum Zeitpunkt ihrer Einführung kontrovers diskutiert. Dabei hat die Kritik in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Sie richtet sich auf unterschiedliche Aspekte (s. hierzu und zum Folgenden: Dieterich et al., 2019; Simon, 2020; Molzberger, 2020):
Der Kostendruck veranlasste die Krankenhausträger zu überzogenen Personaleinsparungen vor allem beim Pflegepersonal, weil dessen Leistungen nicht angemessen bei der Berechnung der Kosten berücksichtigt wurden.
DRGs sind damit auch ein wichtiger Grund für die schlechten Arbeitsbedingungen und für den Fachkräftemangel im Krankenhaus.
Sie schaffen einen Anreiz zur vorzeitigen Entlassung von Patientinnen und Patienten.
Zudem entsteht ein erhöhter Aufwand in der nachstationären Versorgung (z. B. in der Rehabilitation).
Ferner bringen DRGs hohe Belastungen für Patientinnen und Patienten mit sich (z. B. durch eine steigende Zahl präoperativer Krankenhausbesuche).
Angehörige werden ebenfalls belastet, weil sie bei einer frühzeitigen oder verfrühten Entlassung aus dem Krankenhaus die Versorgung im häuslichen Umfeld gewährleisten müssen.
Schließlich nehmen Ärztinnen und Ärzte sowie das Pflegepersonal in wachsendem Maße Konflikte zwischen Versorgungsqualität und Kostendruck wahr.
Vor diesem Hintergrund wurde in den letzten Jahren eine Reihe von Reformen in Kraft gesetzt, mit denen die unerwünschten Auswirkungen des DRG-Systems begrenzt werden sollten:
Seit 2020 ist ein Pflegepersonalquotient in Kraft, der die Arbeitsbelastung je Gesundheits- und Krankenpfleger begrenzt.
Mittlerweile gelten für bestimmte Fachabteilungen im Krankenhaus Pflegepersonaluntergrenzen.
Die Pflegekosten der Krankenhäuser wurden aus dem DRG-System ausgegliedert und werden seitdem gesondert vergütet.
Aber die Kritik an der Dominanz ökonomischer Interessen in der Krankenhausversorgung blieb und ist ein wichtiger Anlass für eine weitreichende Reform der Krankenhausstrukturen und der Krankenhausvergütung, die 2024 beschlossen werden soll (s. u.).
Reformbedarf der Krankenhausstrukturen
Reformbedarf existiert aber nicht nur im Hinblick auf die Krankenhausvergütung, sondern generell im Hinblick auf Strukturen der Krankenhauslandschaft. Zwei Aspekte stehen hier im Vordergrund (z. B. Busse & Bergner, 2018):
zum einen der Befund, dass im Krankenhaussektor zum Teil erhebliche Überkapazitäten bestehen,
zum anderen der Befund, dass die Krankenhausversorgung teilweise erhebliche Qualitätsmängel aufweist.
Der Befund existierender Überkapazitäten wird häufig mit dem Hinweis auf die in Deutschland im internationalen Vergleich hohe Bettendichte (s. o.) begründet. Allerdings ist eine solche Schlussfolgerung nicht zwingend, denn die geringere Bettendichte in anderen Ländern ist dort häufig ein Grund für lange Wartezeiten auf einen Krankenhaustermin (Schölkopf & Grimmeisen, 2021). Unter den gesundheitspolitischen Akteuren sind es vor allem die Krankenkassen, die auf einen Bettenabbau drängen. Sie versprechen sich davon neben Qualitätsverbesserungen auch Kosteneinsparungen. Demgegenüber zeigen sich die Länder in dieser Hinsicht weit skeptischer und betonen, dass die Wohnortnähe ein wichtiges Qualitätsmerkmal der Krankenhausversorgung ist. Bei dieser Positionsbestimmung spielt vermutlich auch eine Rolle, dass Krankenhausschließungen in der Vergangenheit häufig auf den Widerstand der örtlichen Bevölkerung gestoßen sind (Beivers & Waehlert, 2018).
Ungeachtet dessen ist insbesondere in Agglomerationsräumen für bestimmte Fachabteilungen die Zahl der aufgestellten Betten derart hoch, dass man dort von einer Überversorgung ausgehen muss – auch wenn man berücksichtigt, dass die Krankenhäuser in Ballungsräumen auch die Versorgung für das nähere oder weitere Umland sicherstellen. Überkapazitäten sind sowohl aus Gründen der Versorgungsqualität als auch aus Kostengründen kritisch zu bewerten. Zum einen bieten sie den Kliniken Anlass für eine Erhöhung der Behandlungsfallzahlen – auch wenn dies medizinisch nicht erforderlich ist. Zum anderen entstehen mit der Vorhaltung und erst recht mit einer medizinisch nicht indizierten Nutzung der freien Kapazitäten vermeidbare Kosten (Loos et al., 2019). Dabei sollten aber auch – wie die Corona-Krise drastisch gezeigt hat – ausreichende Kapazitäten für den Fall eines kurzfristigen, nicht vorhersehbaren Anstiegs des Behandlungsbedarfs vorgehalten werden.
Der zweite Befund, der einen Reformbedarf im Krankenhaussektor begründet, nämlich der Hinweis auf erhebliche Qualitätsmängel, ergibt sich aus dem Zusammenhang zwischen der Leistungsfrequenz und der Leistungsqualität. Dieser Zusammenhang existiert vor allem bei komplexen Eingriffen, die nicht zur Routine eines Fachgebietes zählen. Solche diagnostischen Verfahren und Operationen werden in den zahlreichen kleineren Krankenhäusern aber oftmals ohne die dafür erforderliche Erfahrung durchgeführt – zum Nachteil für Gesundheit und Wohlergehen der Patientinnen und Patienten (Busse & Bergner, 2018).
Insofern gibt es gute Gründe für eine stärkere Spezialisierung und Schwerpunktbildung in der Krankenhausversorgung. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) hat in den letzten Jahren für einige Leistungen, bei denen ein Zusammenhang zwischen Leistungsfrequenz und -qualität existiert, Mindestmengen vorgegeben (§ 136b Abs.1 Nr.2 SGB V). Zu diesen Leistungen zählen z. B. der Einsatz von Kniegelenk-Totalendoprothesen oder Transplantationen von Leber und Niere. Demnach sind Ärzte, Fachabteilungen oder Krankenhäuser nur dann berechtigt, bestimmte Eingriffe mit den Krankenkassen abzurechnen, wenn sie in einem bestimmten Zeitraum die vorgegebene Mindestmenge erreichen bzw. erreicht haben. Dennoch kommt es vor, dass Leistungen auch dann durchgeführt werden, wenn die notwendige Erfahrung nicht vorliegt.
Krankenhausstrukturreform 2024
Die skizzierten Probleme der Vergütung von Krankenhäusern und der Krankenhausstrukturen sind der Hintergrund für eine umfassende Krankenhausreform, die 2024 verabschiedet werden soll. Im Mittelpunkt dieser Reform stehen zwei Instrumente:
Die Vergütung der Krankenhäuser ruht nun auf zwei Säulen, nämlich (wie bisher) den DRGs und (neu) den sogenannten Vorhaltepauschalen. Diese Vorhaltepauschalen sollen die Bereitstellung der Versorgungsinfrastruktur finanzieren. Krankenhäuser erhalten also eine Vergütung für die Vorhaltung bestimmter Leistungen, auch wenn diese nicht erbracht werden. Auf diese Weise soll der ökonomische Druck, der mit den DRGs einhergeht, gelindert werden.
Die einzelnen Krankenhäuser werden unterschiedlichen Versorgungsstufen und Leistungsgruppen zugeordnet. Dafür müssen sie bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Dabei handelt es sich um Vorgaben für die Ausstattung mit Fachabteilungen, Personal, Betten und Medizintechnik. Art und Umfang dieser Vorgaben sind wiederum Grundlage für die Berechnung der Vorhaltepauschale. Krankenhäuser sind dann je nach Versorgungsstufe und Leistungsgruppe nur noch zur Erbringung bestimmter Leistungen berechtigt. Mit der Zuordnung von Krankenhäusern zu Versorgungsstufen und Leistungsgruppen sollen zum einen Überkapazitäten abgebaut, zum anderen die Spezialisierung und Zentralisierung von Leistungen (jenseits der Grund- und Regelversorgung) gefördert werden. Vor allem sollen kleinere Häuser nicht mehr solche Leistungen erbringen dürfen, die nicht zum Standard eines Fachgebiets gehören.
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Testen Sie Ihr Wissen zum Thema Krankenversorgung
Welche Aussage kennzeichnet die Zugangsrechte gesetzlich Krankenversicherter zur vertragsärztlichen Versorgung?
Gesetzlich Krankenversicherte haben das Recht der freien Arztwahl.
Gesetzlich Krankenversicherte müssen im Krankheitsfall immer zuerst den Hausarzt oder die Hausärztin ihrer Wahl aufsuchen.
Gesetzlich Krankenversicherte müssen sich bei einem Hausarzt oder einer Hausärztin einschreiben und im Krankheitsfall zunächst nur diese(n) aufsuchen.
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Richtige Antwort: Gesetzlich Krankenversicherte haben das Recht der freien Arztwahl.
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Welche Aussage über die Krankenhausversorgung in Deutschland trifft nicht zu?
Die Verweildauer bei einer Krankenhausversorgung in Deutschland ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich lang.
Die Zahl der Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner in Deutschland ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch.
Die Zahl der Krankenhausbetten je 1.000 Einwohner in Deutschland ist in den letzten 30 Jahren deutlich gesunken.
In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der öffentlichen Krankenhäuser an allen Krankenhäusern in Deutschland gestiegen.
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Richtige Antwort: In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der öffentlichen Krankenhäuser an allen Krankenhäusern in Deutschland gestiegen.
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Welche Aussage über das Krankenversorgungssystem in Deutschland trifft nicht zu?
Fachärztinnen und Fachärzte sind sowohl in der ambulanten als auch in der stationären Versorgung verfügbar.
Die Arztdichte in Deutschland ist im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch.
Die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland übersteigt deutlich den Versorgungsbedarf.
Die ambulante Versorgung im Krankenhaus spielt in Deutschland nur eine geringe Rolle.
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Richtige Antwort: Die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland übersteigt deutlich den Versorgungsbedarf.
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Ihre Auswertung
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Richtige Antwort: Gesetzlich Krankenversicherte haben das Recht der freien Arztwahl.
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Richtige Antwort: In den vergangenen 30 Jahren ist der Anteil der öffentlichen Krankenhäuser an allen Krankenhäusern in Deutschland gestiegen.
Welche Aussage über das Krankenversorgungssystem in Deutschland trifft nicht zu?
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Richtige Antwort: Die Zahl der Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland übersteigt deutlich den Versorgungsbedarf.
ist Professor an der Fakultät für Gesundheitswissenschaften der Universität Bielefeld und leitet dort die Arbeitsgruppe "Gesundheitssysteme, Gesundheitspolitik und Gesundheitssoziologie". E-Mail Link: thomas.gerlinger@uni-bielefeld.de
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