1. Das Steuerungssystem der sozialen Pflegeversicherung
Die Steuerung von Pflege und Pflegeversicherung erfolgt zunächst durch gesetzliche Rahmenvorgaben des Bundes, die vor allem im Elften Sozialgesetzbuch (SGB XI) und im Heimgesetz (HeimG) sowie in einigen anderen Gesetzen und Verordnungen festgeschrieben werden. Zur Ausgestaltung dieser Rahmenvorgaben delegiert der Gesetzgeber Steuerungskompetenzen an nachgeordnete Akteure, d.h. er stattet sie mit einer Reihe von entsprechenden Rechten und Pflichten aus. Bei diesen Akteuren handelt es sich zum einen um die Verbände der Finanzierungsträger und Leistungserbringer in der Pflegeversicherung („gemeinsame Selbstverwaltung“), zum anderen um die Länder und Kommunen. Diese Akteure treffen gemäß den gesetzlichen Rahmenvorgaben Entscheidungen über einzelne Aspekte der Versorgung und schließen Vereinbarungen zur Qualitätssicherung, zur Vergütung, zur Pflegeinfrastruktur und zu anderen Handlungsfeldern. Häufig werden diese Entscheidungen und Vereinbarungen von den Verbänden der Kassen und Pflegeeinrichtungen getroffen und gelten für die Gesamtheit aller Pflegekassen, Versicherten und Leistungserbringer („Kollektivverträge“).
Zugleich übt der Staat die Rechtsaufsicht über das Handeln der gemeinsamen Selbstverwaltung, d.h. von Leistungserbringern, von Finanzierungsträgern und ihrer Verbände, aus. Die Entscheidungen und Vereinbarungen der Selbstverwaltung unterliegen also einem staatlichen Genehmigungsvorbehalt. Die staatliche Rechtsaufsicht wird je nach Zuständigkeit von Bund oder Ländern wahrgenommen (Gerlinger & Rosenbrock 2023).
2. Sicherstellungsauftrag
Grundsätzlich bezeichnet der Gesetzgeber die pflegerische Versorgung der Bevölkerung als eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ (§ 8 Abs. 1 SGB XI). Bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe verpflichtet er die beteiligten Akteure auf eine enge Zusammenarbeit: „Die Länder, die Kommunen, die Pflegeeinrichtungen und die Pflegekassen wirken unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes eng zusammen, um eine leistungsfähige, regional gegliederte, ortsnahe und aufeinander abgestimmte ambulante und stationäre pflegerische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten“(§ 8 Abs. 2 SGB XI).
Diese Kooperationsverpflichtung verweist darauf, dass bei der Sicherstellung der pflegerischen Versorgung kein striktes hoheitliches Über- und Unterordnungsverhältnis existiert. Allerdings hat der Gesetzgeber die Pflegekassen mit besonderen Kompetenzen bei der Steuerung der pflegerischen Versorgung ausgestattet (Roth 1999: 429ff.). Von besonderer Bedeutung ist dabei, dass er den Pflegekassen den Auftrag zur Sicherstellung der gesetzlich definierten Leistungen („Verschaffungspflicht“) übertragen hat (s. Abbildung 1). Sie – bzw. deren Verbände gemeinsam und einheitlich – müssen zu diesem Zweck Versorgungsverträge mit den Trägern der Pflegeeinrichtungen oder vertretungsberechtigten Vereinigungen gleicher Träger abschließen (§ 72 Abs. 2 SGB XI). Die Leistungserbringer sind in der Pflegeversicherung somit nicht Träger eines öffentlich-rechtlichen Sicherstellungsauftrags – im Unterschied zu den Kassenärztlichen Vereinigungen in der vertragsärztlichen Versorgung. Ungeachtet dessen müssen sie die Vorgaben des SGB XI und die auf dieser Grundlage mit ihnen geschlossenen Verträge erfüllen. Insofern haben sie also eine mittelbare Gewährleistungspflicht.
Abbildung 1: Austauschbeziehungen und Zahlungsströme bei der Gewährung von Pflegesachleistungen
Der Gesetzgeber hat den Sicherstellungsauftrag der Pflegekassen mit unbestimmten Rechtsbegriffen beschrieben. Demzufolge muss die pflegerische Versorgung bedarfsgerecht und gleichmäßig sein und dem allgemein anerkannten Stand der medizinisch-pflegerischen Erkenntnisse entsprechen (§ 69 SGB XI). Ferner haben die Pflegekassen insbesondere durch Pflegestützpunkte „auf eine Vernetzung der regionalen und kommunalen Versorgungsstrukturen hin[zuarbeiten], um eine Verbesserung der wohnortnahen Versorgung pflege- und betreuungsbedürftiger Menschen zu ermöglichen“ (§ 12 Abs. 1 SGB XI). Zu diesem Zweck sollen sie örtliche und regionale Arbeitsgemeinschaften bilden, also nicht als Einzelkassen tätig werden. Die Zusammenarbeit vor Ort soll dazu führen, dass ärztliche, pflegerische und sonstige Leistungen „nahtlos und störungsfrei ineinandergreifen“ (§ 12 Abs. 2 SGB XI). Schließlich sind die Pflegekassen verpflichtet, zur Bereitstellung der erforderlichen Hilfen mit allen Beteiligten partnerschaftlich zusammenzuarbeiten und deren Handeln zu koordinieren (§ 12 Abs. 2 SGB XI). Die Bedeutung, die den Pflegekassen bei der Steuerung der sozialen Pflegeversicherung zukommt, geht deutlich damit über die der Krankenkassen im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung hinaus.
Der Umsetzung dieser gesetzlichen Vorgabe steht allerdings eine Reihe von Hindernissen gegenüber. So erweist sich die Einbindung der Pflegekassen in eine gemeinsame Abstimmung und Beratung vor Ort oft als schwierig, weil die Pflegekassen ihre Präsenz vor Ort abgebaut haben. Ferner ging mit der Zuweisung zentraler Kompetenzen an die Pflegekassen eine Tendenz zum Rückzug der Kommunen aus dem Feld der Altenhilfe- und Langzeitpflege einher. Dies ist insofern problematisch, als gerade sie, die Kommunen, aufgrund ihrer Vertrautheit mit den örtlichen Verhältnissen im Allgemeinen gute Voraussetzungen für die Koordinierung der Versorgung mitbringen.
Neben den Pflegekassen weist das Pflegeversicherungsgesetz auch anderen Akteuren wichtige Aufgaben bei der Gewährleistung der pflegerischen Versorgung zu. So sind die Länder „verantwortlich für die Vorhaltung einer leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen pflegerischen Versorgungsstruktur“ (§ 9 SGB XI). Wie sie die Planung von Pflegeinrichtungen gestalten wollen, bestimmen die Länder selbst. In diesem Zusammenhang können sie auch entscheiden, ob und in welcher Höhe sie sich an den Investitionskosten für Pflegeeinrichtungen beteiligen (Ochmann & Braeseke 2021). Eine eindeutige und präzise Verpflichtung zur Investitionsförderung ergibt sich aus dem Pflegeversicherungsgesetz somit nicht.
3. Pflegeeinrichtungen: Zulassung – Anforderungen– Versorgungsverträge
Leistungen im Rahmen der Pflegeversicherung dürfen nur durch zugelassene Pflegeeinrichtungen, also ambulante Pflegedienste und Pflegeheime, erbracht werden (§ 72 Abs. 1 SGB XI). In der häuslichen Pflege können Pflegekassen auch mit einzelnen Pflegekräften Verträge schließen oder sie bei Bedarf auch anstellen (§ 77 Abs. 1 und 2 SGB XI).
Um als ambulante oder stationäre Pflegeeinrichtung anerkannt zu werden, muss es sich um eine selbständig wirtschaftende Einrichtung handeln, in der die Pflege unter ständiger Verantwortung einer ausgebildeten Pflegefachkraft erfolgt (§ 71 Abs. 1 u. 2 SGB XI). Die Pflegeeinrichtung muss „Gewähr für eine leistungsfähige und wirtschaftliche pflegerische Versorgung bieten“ und sich zur Einhaltung der im SGB XI vorgesehenen Qualitätsstandards und Qualitätssicherungsmaßnahmen verpflichten (§ 72 Abs. 3 SGB XI). Zu diesem Zweck müssen die Pflegeeinrichtungen u.a. ein internes Qualitätsmanagement einführen und weiterentwickeln. Nur unter diesen Voraussetzungen dürfen die Pflegekassen einen Versorgungsvertrag mit der Einrichtung schießen werden.
Die Pflegekassen unterliegen einem Kontrahierungszwang: Jede Pflegeeinrichtung, die die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen erfüllt, hat Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrages. Eine Bedarfsplanung wie in der vertragsärztlichen Versorgung und in der Krankenhausversorgung gibt es in der Pflegeversicherung nicht. Der Gesetzgeber erwartete, dass sich das Angebot an der jeweiligen örtlichen oder regionalen Nachfrage orientieren würde. Das Risiko einer nicht indizierten Leistungsausweitung zu Lasten der Sozialversicherung besteht in der Langzeitpflege – anders als in der medizinischen Versorgung – nicht, weil die Leistungen der Pflegeversicherung von vornherein gedeckelt sind.
„Der Versorgungsvertrag wird zwischen dem Träger der Pflegeeinrichtung oder einer vertretungsberechtigten Vereinigung gleicher Träger und den Landesverbänden der Pflegekassen […]“ geschlossen (§ 72 Abs. 2 SGB XI). Dort sind „Art, Inhalt und Umfang der allgemeinen Pflegeleistungen […] festzulegen, die von der Pflegeeinrichtung während der Dauer des Vertrages für die Versicherten zu erbringen sind (Versorgungsauftrag)“ (§ 72 Abs. 1 SGB XI). Die Pflegekassen und ihre Verbände haben den Grundsatz der Trägervielfalt von Pflegeeinrichtungen zu beachten, wobei Verträge vorrangig mit privaten und freigemeinnützigen Trägern abgeschlossen werden sollen (§ 72 Abs. 3 SGB XI). Die Pflegeeinrichtungen sind ihrerseits dazu verpflichtet, die pflegerische Versorgung im Rahmen der im Versorgungsvertrag vereinbarten Inhalte und der verfügbaren Kapazitäten zu übernehmen.
Ambulante Pflegeeinrichtungen sollen die familiäre, nachbarschaftliche oder ehrenamtliche Hilfe und Pflege ergänzen (§ 4 Abs. 2 SGB XI). Sie müssen eine Versorgung rund um die Uhr sicherstellen, also bei Tag und Nacht sowie an Sonn- und Feiertagen. Die Anforderungen an vollstationäre Pflegeeinrichtungen unterscheiden sich teilweise von denen, die an ambulante Pflegedienste gerichtet sind. Vollstationäre Einrichtungen haben die pflegebedingten Aufwendungen sowie die Aufwendungen für die Betreuung und die medizinische Behandlungspflege zu übernehmen (§ 43 Abs. 2 SGB XI). Ferner haben sie Unterkunft und Verpflegung sicherzustellen, allerdings werden die dafür erforderlichen Aufwendungen im Grundsatz von den Pflegebedürftigen getragen (§ 4 Abs. 2 SGB XI; § 43 Abs. 2 SGB XI).
Pflegekassen und Pflegeinrichtung können einen Versorgungsvertrag mit einer Frist von einem Jahr kündigen. Eine Kündigung durch den Landesverband der Pflegekassen ist aber nur zulässig, wenn die Pflegeeinrichtung eine der gesetzlichen Anforderungen nicht mehr erfüllt und die Gründe dafür nicht nur vorübergehend bestehen (§ 74 Abs. 2 SGB XI). Allerdings kann der Landesverband der Pflegekassen einen Versorgungsvertrag dann fristlos kündigen, wenn eine Pflegeeinrichtung ihre Pflichten „derart gröblich verletzt, dass ein Festhalten an dem Vertrag nicht zumutbar ist“ (§ 74 Abs. 2 SGB XI).
4. Besonderheiten des Steuerungssystems
In der sozialen Pflegeversicherung war das direkte Gestaltungsinstrumentarium des Staates von Anfang an umfangreicher als in der gesetzlichen Krankenversicherung. So wurde der Beitragssatz bereits bei der Einrichtung der Pflegeversicherung per Gesetz festgelegt. Der Staat nimmt durch die gesetzliche Beschränkung der Leistungen auf eine Teilkostenfinanzierung einen deutlich größeren Einfluss auf das Leistungsgeschehen und die Ausgabenentwicklung als in der gesetzlichen Krankenversicherung. Dort begünstigt das Zusammenwirken von Bedarfsprinzip und medizinischem Fortschritt eine Ausweitung der Leistungsmenge.
Wettbewerbselemente sind in der sozialen Pflegeversicherung sehr präsent, unterscheiden sich aber im Zuschnitt erheblich von denen in der gesetzlichen Krankenversicherung (Rothgang 2009: 133ff.). Die Krankenkassen stehen in der sozialen Pflegeversicherung nicht in Konkurrenz um Versicherte, denn Leistungsumfang und Beitragssatz sind kassenübergreifend identisch. Auch konkurrieren Leistungsanbieter nicht um Verträge mit den Pflegekassen, weil diese einem Kontrahierungszwang unterliegen, sofern die Pflegeeinrichtungen die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllen. Vielmehr konkurrieren die Leistungsanbieter in der sozialen Pflegeversicherung um einen Versorgungsvertrag mit den Pflegebedürftigen. Die hier etablierte Wettbewerbskonzeption rückt damit die Beziehung von Leistungsanbietern und Leistungsempfängern in den Mittelpunkt: Der Wettbewerb findet „in der direkten Interaktion mit den Endverbrauchern – den Pflegebedürftigen und Angehörigen statt […]“ (Rothgang 2000: 444).
Neben wettbewerblichen sind auch verbandliche Steuerungsstrukturen in der Pflegeversicherung von Bedeutung (Roth 1999): Wichtige Bereiche werden nicht durch Einzelakteure (einzelne Pflegekassen oder Leistungsanbieter), sondern durch Verbände auf Bundes- und Landesebene geregelt. Deren Entscheidungen und Vereinbarungen sind dann für die Individualakteure verbindlich.
So vereinbaren die Verbände der Pflegekassen und der Pflegeeinrichtungen auf Landesebene Rahmenverträge, die Fragen von grundsätzlicher Bedeutung für die mit den einzelnen Pflegeeinrichtungen zu schließenden Versorgungsverträge regeln. Zu den Inhalten der Rahmenverträge zählen z.B: Maßstäbe und Grundsätze für die personelle und sächliche Ausstattung der Pflegeeinrichtungen oder Regelungen für Wirtschaftlichkeitsprüfungen (§ 75 Abs. 2 SGB XI). Dabei sind für den Fall, dass sich die Verbände der Pflegekassen und der Leistungsanbieter nicht einigen, Schiedsstellenentscheidungen oder staatliche Ersatzvornahmen vorgesehen.
Auch wenn der Gesetzgeber mit der Einführung der Pflegeversicherung auf eine Steuerung durch Wettbewerbsmechanismen setzte, ist das Feld der Langzeitpflege hochgradig reguliert. So folgen Preise für pflegerische Dienstleistungen nicht dem Mechanismus von Angebot und Nachfrage, sondern sind das Verhandlungsergebnis zwischen Pflege- und Krankenkassen, Sozialhilfeträgern und den Trägern der Pflegeeinrichtungen. Auch auf anderen Feldern (z.B. der Qualitätssicherung) ist ein dichtes Netz von Regulierungen entstanden, weil Markt und Wettbewerb offenkundig nicht in der Lage sind, die gewünschten Wirkungen aus sich selbst heraus hervorzubringen.
5. Die Vergütung von Pflegeleistungen
Die zugelassenen Pflegeeinrichtungen haben Anspruch auf eine leistungsgerechte Vergütung für die allgemeinen Pflegeleistungen (§ 82 Abs. 1 SGB XI). Zumeist wird für die Pflegeleistungen für einen zukünftigen Zeitabschnitt („prospektiv“) – meist ein Kalenderjahr oder mehrere – eine bestimmte Vergütung vereinbart. Außerdem hat die Pflegeeinrichtung bei stationärer Pflege Anspruch auf ein angemessenes Entgelt für Unterkunft und Verpflegung (§ 82 Abs. 1 SGB XI).
Vergütungsgrundsätze
Die Vergütung muss es der Pflegeeinrichtung „bei wirtschaftlicher Betriebsführung ermöglichen, seine Aufwendungen zu finanzieren und seinen Versorgungsauftrag zu erfüllen unter Berücksichtigung einer angemessenen Vergütung ihres Unternehmerrisikos“ (§ 84 Abs. 2 u. § 89 Abs. 1 SGB XI). Da die Merkmale der pflegerischen Leistungen durch gesetzliche Generalnormen, Versorgungsverträge und Expertenstandards im Wesentlichen vorgegeben sind, läuft das Ziel der „Wirtschaftlichkeit“ auf die Anforderung hinaus, die rechtlich fixierten Qualitätsstandards mit einem möglichst geringen Einsatz an Mitteln zu gewährleisten. Die Zahlung von Gehältern im Rahmen der tarifvertraglichen Bestimmungen gilt dabei nicht als unwirtschaftlich. Allerdings bedürfen darüber hinaus gehende Zahlungen eines sachlichen Grundes (§ 84 Abs. 2 u. § 89 Abs. 1 SGB XI).
Vergütungsvereinbarungen können zwischen dem Träger der Pflegeeinrichtung sowie den Finanzierungsträgern getroffen werden. Dies sind Pflegekassen, sonstigen Sozialversicherungsträger oder von ihnen gebildete Arbeitsgemeinschaften sowie die zuständigen Träger der Sozialhilfe. Dabei ist die Vergütungsvereinbarung für jeden Pflegedienst (§ 89 Abs. 2 SGB XI) und jedes Pflegeheim (§ 85 Abs. 2 SGB XI) gesondert abzuschließen. Vertragspartner der Pflegekassen ist jeweils der Träger der einzelnen Pflegeinrichtung und nicht der betreffende Verband.
Generell müssen die Vergütungsvereinbarungen das Ziel der Beitragssatzstabilität beachten (§§ 70 u. 84 Abs. 2 SGB XI). Die Pflegekassen haben sicherzustellen, dass „ihre Leistungsausgaben die Beitragseinnahmen nicht überschreiten“ (§ 70 Abs. 1 SGB XI). Da die Versicherungsleistungen je pflegebedürftiger Person von vornherein in Euro gedeckelt sind, hat eine höhere Pflegevergütung aber keine Auswirkungen auf die Ausgaben- oder Beitragssatzentwicklung in der sozialen Pflegeversicherung. Vielmehr wird in dem Maße, wie die Pflegevergütung steigt, der bzw. die Pflegebedürftige selbst oder der Sozialhilfeträger zur Finanzierung der von der Pflegeversicherung nicht getragenen Leistungen herangezogen (s. Artikel Interner Link: „Aktuelle Probleme“).
Vergütung in der ambulanten Pflege
In der ambulanten Pflege lässt der Gesetzgeber eine breite Palette von Vergütungsformen zu: Die Vergütung kann „je nach Art und Umfang der Pflegeleistung, nach dem dafür erforderlichen Zeitaufwand oder unabhängig vom Zeitaufwand nach dem Inhalt des jeweiligen Pflegeeinsatzes, nach Komplexleistungen oder in Ausnahmefällen auch nach Einzelleistungen bemessen werden; sonstige Leistungen wie hauswirtschaftliche Versorgung, Behördengänge oder Fahrtkosten können auch mit Pauschalen vergütet werden“ (§ 89 Abs. 3 SGB XI). Mittlerweile hat sich das Leistungskomplexsystem (oder Leistungsmodulsystem) als Vergütungsform in der ambulanten Pflege weitgehend durchgesetzt (Bundestagsdrucksache 17/8332: 41).
Bei Leistungsmodulen oder Leistungskomplexen werden einzelne pflegerische Verrichtungen, die in der Regel zusammenfallen, zu Leistungspaketen zusammengefasst und pauschal vergütet (s. Tabelle 1). Die Leistungskomplexe sollen so gestaltet werden, dass sie den Pflegebedürftigen erlauben, die benötigten Leistungen nach ihren jeweiligen Bedürfnissen zusammenzustellen. Die Entscheidung, welche Hilfen bei den Verrichtungen des täglichen Lebens eine Pflegeeinrichtung erbringen soll, ist Sache der Pflegebedürftigen.
Die maßgebliche Größe für die Vergütungshöhe ist der Zeitaufwand, der für das Modul im Durchschnitt erforderlich ist. Der Preis für ein Leistungsmodul ergibt aus der Multiplikation einer Punktzahl, die den Zeitaufwand wiedergibt, mit einem Punktwert (s. Tabelle 1). Dieser Punktwert wird üblicherweise zwischen den Verbänden der Finanzierungsträger und den Verbänden der Leistungserbringer vereinbart. Die Vereinbarungen zum Leistungsmodulsystem werden auf Länderebene getroffen. Sie unterscheiden sich im Hinblick auf die Vergütungshöhe, die Vergütungsformen und die Leistungsbeschreibungen zum Teil erheblich.
Die Kosten für ein Leistungsmodul entstehen für die Pflegebedürftigen unabhängig davon, wie viel Zeit die Pflegekraft für die Durchführung der Leistungen tatsächlich benötigt hat. Auch ist es für die Vergütung unerheblich, ob alle Komponenten dieses Moduls für den bzw. die Pflegebedürftigen notwendig sind oder tatsächlich durchgeführt werden. Wenn dies nicht der Fall ist, können Probleme zwischen Pflegedienst und Pflegebedürftigen auftreten. Da den Leistungsmodulen pauschale Zeitwerte zugewiesen werden, fällt es den Pflegediensten bei der Anwendung dieses Vergütungssystems häufig schwer, wechselnden Bedarfen und Wünschen der Pflegebedürftigen Rechnung zu tragen. Ob sich ein Leistungsmodul für die individuelle pflegerische Versorgung eignet, hängt entscheidend davon ab, ob es der Lebensrealität der häuslichen Pflege tatsächlich Rechnung trägt.
Eine Alternative zum Leistungsmodulsystem ist das Zeitsystem. Dabei erfolgt die Vergütung nach der von der Pflegekraft für diese Leistungen tatsächlich aufgewendeten Zeit, nicht nach Art und Umfang der erbrachten Leistungen. Das Zeitsystem spielt bei der Vergütung aber nur noch eine geringe Rolle.
Vergütungssysteme können Probleme und Fehlsteuerungen hervorrufen. Sie rühren zumeist daher, dass die finanziellen Interessen von Leistungserbringern einerseits und die Versorgungsinteressen von Pflegebedürftigen andererseits nicht immer zur Deckung zu bringen sind. So können Leistungserbringer ihren finanziellen Interessen auch dadurch nachgehen, dass sie vereinbarte Leistungen nicht oder nicht in der erforderlichen Qualität erbringen. Solche Probleme können besonders dann auftreten, wenn eine große Informationsasymmetrie zwischen Leistungserbringer und Leistungsempfänger vorhanden ist. Zwar lassen sich in der Pflege die Notwendigkeit von Leistungen und die Angemessenheit ihrer Ausführung im Allgemeinen leichter beurteilen als in der medizinischen Versorgung. Allerdings setzt dies auch voraus, dass die Pflegebedürftigen oder ihre Angehörigen in der Lage sind, eine solche Kontrollfunktion wahrzunehmen. Davon kann aber in sehr vielen Fällen gerade nicht ausgegangen werden.
Probleme und Fehlsteuerungen können sich aber auch aus immanenten Mängeln eines Vergütungssystems ergeben. So können sie zum einen daher rühren, dass ein Leistungsmodul eine Annahme über Zeit und Gegenstand einer Pflegeleistung beinhaltet, die nicht immer mit den Realitäten eines Pflegeeinsatzes übereinstimmen muss. Zum anderen können bei der Konstruktion von Modulen mitunter Ungereimtheiten auftreten, die zu unbegründet hohen Kosten führen können. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn einzelne Verrichtungen in zwei unterschiedlichen Modulen enthalten sind und beide Module gleichzeitig abgerechnet werden.
Vergütung in der stationären Pflege
Die Vergütung in der stationären Pflege setzt sich aus vier Bestandteilen zusammen:
den Kosten für den Pflege (einschließlich Behandlungspflege) und Betreuung,
den Kosten für Unterkunft und Verpflegung,
den Kosten für eventuelle Zusatzleistungen und
den Investitionskosten.
Diese Kostenbestandteile sind von unterschiedlichen Akteuren zu tragen (s. Tabelle 2). Die teil- und vollstationäre Pflege wird mit Pflegesätzen vergütet. Die Pflegesätze sind für alle Heimbewohner „nach einheitlichen Grundsätzen zu bemessen; eine Differenzierung nach Kostenträgern ist unzulässig“ (§ 84 Abs. 3 SGB XI). Sie umfassen neben der pflegerischen Versorgung auch die Kosten für medizinische Behandlungspflege und Betreuung, nicht jedoch die Kosten für Unterkunft und Verpflegung (§ 84 Abs. 1 SGB XI). Die Pflegesätze sind entsprechend dem jeweiligen Versorgungsaufwand für den Pflegebedürftigen entsprechend den Pflegegraden einzuteilen (§ 84 Abs. 2 SGB XI). Zur (medizinischen) Behandlungspflege zählen alle Maßnahmen, die auf ärztliche Verordnung hin erbracht werden. Dazu zählen z.B. die Wundversorgung, die Medikamentengabe oder die Blutdruckmessung. Hingegen werden in der ambulanten Pflege derartige Leistungen als häusliche Krankenpflege von den Krankenkassen übernommen (§ 37 Abs. 2 SGB V).
Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung müssen die Pflegebedürftigen selbst tragen (§ 82 Abs. 1 SGB XI). Der Gesetzgeber ließ sich dabei zum einen von dem Grundsatz leiten, dass die Pflegebedürftigen für ihre Lebenshaltungskosten selbst aufkommen müssen. Zum anderen will er damit verhindern, dass für ihre Angehörigen ein finanzieller Anreiz entsteht, Pflegebedürftige, die noch in ihrer Familie versorgt werden könnten, ins Pflegeheim „abzuschieben“ (Bundestagsdrucksache 12/5262: 143).
Schließlich ist die Vereinbarung von Zuschlägen für Zusatzleistungen möglich (§ 88 Abs. 1 SGB XI). Dazu zählen besondere Komfortleistungen (z.B. besondere Kost) und zusätzliche pflegerisch-betreuende Leistungen (z.B. zeitintensive Schönheitspflege). Das Pflegeheim und die Pflegebedürftigen müssen solche Zusatzleistungen schriftlich vereinbaren. Auf diese Weise soll die Transparenz über das Leistungsgeschehen verbessert und sollen die Pflegebedürftigen vor Überforderungen geschützt werden. Die erwähnten Rahmenverträge (§ 75 SGB XI) legen fest, wie die notwendigen und die Zusatzleistungen voneinander abzugrenzen sind (§ 88 Abs. 2 SGB XI).