1. Leistungsgrundsätze
Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, ein möglichst selbständiges, selbstbestimmtes und menschenwürdiges Leben zu führen (§ 2 SGB XI). Das Selbstbestimmungsrecht der Pflegebedürftigen bezieht sich:
auf die Wahl der Leistungsart (ambulant, teilstationär oder vollstationär; bei häuslicher Pflege: Geld- oder Sachleistung) und
auf die Wahl der Einrichtung (ambulanter Pflegedienst, Pflegeheim) selbst.
Bei den Leistungen der Pflegeversicherung handelt sich um Versicherungsleistungen. Sie werden unabhängig von der Höhe des individuellen Einkommens und Vermögens gewährt. Wenn Versicherte Leistungen der Pflegeversicherung in Anspruch nehmen, so bleibt der Anspruch auf andere Leistungen (z.B. Leistungen der Krankenversicherung, Leistungen der Bundesagentur für Arbeit, Rente, Wohngeld, Sozialhilfe) davon unberührt.
Die Pflege soll darauf gerichtet sein, die Pflegebedürftigen zu aktivieren, also vorhandene Fähigkeiten so weit wie möglich zu erhalten und verlorene Fähigkeiten zurückzugewinnen (§ 28 Abs. 4 SGB XI). Dabei soll sie auch die Kommunikationsbedürfnisse des Pflegebedürftigen berücksichtigen.
Das Pflegeversicherungsgesetz schreibt den grundsätzlichen Vorrang der häuslichen vor der stationären Pflege fest. Um den Pflegebedürftigen so lange wie möglich ein Leben in ihrer häuslichen Umgebung zu ermöglichen, soll die familiäre und nachbarschaftliche Pflegebereitschaft in besonderer Weise unterstützt werden (§ 3 SGB XI; s. Artikel „Interner Link: Ziele und Wirkungen der Pflegeversicherung“). Somit haben auch die Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege Vorrang gegenüber der vollstationären Pflege.
Ferner haben die Pflegekassen bei der Leistungsgewährung den Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ zu beachten. Demzufolge haben sie im Einzelfall zu prüfen, „welche Leistungen zur Rehabilitation geeignet und zumutbar sind, Pflegebedürftigkeit zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten“ (§§ 5, 31 Abs. 1 SGB XI). Auch der Medizinische Dienst (MD), der für die Prüfung der Pflegebedürftigkeit zuständig ist, hat dies zu berücksichtigen (§ 18 Abs. 1 SGB XI). Der MD ist eine unabhängige Prüfeinrichtung der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung. Außerdem haben die Pflegekassen bei anderen Leistungsträgern auf eine wirksame Prävention von Pflegebedürftigkeit hinzuwirken (§ 5 Abs. 1 SGB XI). Schließlich unterliegen die Leistungen der sozialen Pflegeversicherung grundsätzlich dem Wirtschaftlichkeitsgebot: Sie „müssen wirksam und wirtschaftlich sein“ und „dürfen das Maß des Notwendigen nicht übersteigen“ (§ 29 Abs. 1 SGB XI).
Bei der Umsetzung dieser Leistungsgrundsätze treten mitunter erhebliche Schwierigkeiten auf. So wird der Grundsatz „Rehabilitation vor Pflege“ bisher nur unzureichend verwirklicht. Der wohl wichtigste Grund dafür liegt darin, dass Rehabilitationsleistungen und Pflegeleistungen nicht aus einer Hand, sondern von den Rehabilitationsträgern (z.B. den Krankenkassen oder den Rentenversicherungsträgern) und den Pflegekassen jeweils getrennt finanziert werden. Daraus erwächst bei den Rehabilitationsträgern das Interesse, die eigenen Haushalte auf Kosten der Pflegeversicherung zu entlasten.
Von besonderer Bedeutung für die Verteilung der Pflegekosten ist ein weiterer Leistungsgrundsatz der Pflegeversicherung: Ihre Leistungen decken grundsätzlich nur einen Teil der entstehenden Pflegekosten. Die Pflegebedürftigen und gegebenenfalls auch ihre Kinder müssen sich also an der Finanzierung der Pflege beteiligen, und dies zum Teil in einem erheblichen Umfang (s. Artikel Interner Link: „Aktuelle Probleme“ ).
2. Die Feststellung von Leistungsansprüchen – der Begriff der Pflegebedürftigkeit
Die Voraussetzung für eine Gewährung von Leistungen der Pflegeversicherung besteht darin, dass eine Person als „pflegebedürftig“ eingestuft wird. Der Pflegebedürftigkeitsbegriff wird im Pflegeversicherungsgesetz definiert. Von 1995 bis Ende 2016 lag dem Leistungsrecht ein enges Verständnis von Pflegebedürftigkeit zugrunde. Demnach galten solche Personen als pflegebedürftig, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer […] in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen“ (§ 14 Abs. 1 SGB XI). Voraussetzung für den Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung war damit ein krankheits- oder behinderungsbedingter Hilfebedarf, der dazu führte, dass die Betroffenen Alltagsverrichtungen (Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung) nicht mehr selbst ausführen konnten.
Dieser Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde in Politik und Wissenschaft schon frühzeitig kritisiert, weil er Erkrankungen, die einen erheblichen allgemeinen Betreuungsbedarf – also Aufsicht, Begleitung und Anleitung von Hilfsbedürftigen – nach sich ziehen, nicht berücksichtigte, wenn die zu betreuenden Personen nicht gleichzeitig in ihren Alltagsverrichtungen erheblich eingeschränkt waren. Kritisiert wurde vor allem, dass Demenzkranke durch diesen Pflegebedürftigkeitsbegriff nicht hinreichend berücksichtigt würden.
Vor diesem Hintergrund trat nach jahrelanger Untätigkeit des Gesetzgebers im Jahr 2017 mit dem Zweiten Pflegestärkungsgesetz (PSG II) eine umfassende Reform des Pflegebedürftigkeitsbegriffs in Kraft (Wingenfeld 2017). Sie beinhaltete auch eine Neufassung des Verfahrens zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit (ebda.) Im Zentrum des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs steht die Selbständigkeit der Betroffenen: „Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen können“ (§ 14 Abs. 1 SGB XI).
Für die Feststellung der Beeinträchtigung der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten sind die Bereiche (Module) „Mobilität“, „Kognitive und kommunikative Fähigkeiten“, „Verhaltensweisen und psychische Problemlagen“, „Selbstversorgung“, „Bewältigung von und selbständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen“ sowie „Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte“ maßgeblich (s. Tabelle 1).
Für jedes Modul sind bestimmte Kriterien vorgesehen, die den Grad der Beeinträchtigung messen und mit einer Einzelpunktzahl versehen sind (§ 15 Abs. 1 SGB XI) (s. Tabelle 2).
Die Einzelpunkte werden in jedem Modul zu einer Punktzahl addiert. Diese Punktzahl wird dann einem Punktbereich zugeordnet, der die Beeinträchtigung der Selbständigkeit im jeweiligen Modul ausdrückt (s. Tabelle 3 und Tabelle 4).
Die Punktzahlen der einzelnen Module gehen mit einem unterschiedlichen relativen Gewicht in die Gesamtbewertung ein (s. Tabelle 1 und Tabelle 4).
Aus der so ermittelten Gesamtpunktzahl ergibt sich der Grad der Pflegebedürftigkeit (s. Tabelle 5) und damit der Leistungsanspruch der Pflegeversicherten.
3. Pflegegrade
Mit dem Inkrafttreten des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und des neuen Begutachtungsverfahrens im Jahr 2017 traten fünf Pflegegrade (§ 15 Abs. 2 SGB XI) an die Stelle der vorherigen drei Pflegestufen. Die Zuordnung von Versicherten zu den einzelnen Pflegegraden ergibt sich aus der im Begutachtungsverfahren ermittelten Gesamtpunktzahl (s. Tabelle 5). Personen, bei denen die Begutachtung eine Gesamtpunktzahl von weniger als 12,5 ergibt wird (§ 15 Abs. 3 SGB XI) oder deren Beeinträchtigungen voraussichtlich weniger als sechs Monate andauern wird (§ 14 ABS 1 SGB XI), erhalten keinen Pflegegrad und haben damit auch keinen Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung. Beim Übergang zum neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff wurde alle bereits von ihrer bisherigen Pflegestufe automatisch in den nächsthöheren Pflegerad übergeleitet.
Ob eine Pflegebedürftigkeit gegeben ist und welcher Pflegegrad vorliegt, prüft der Medizinische Dienst (§ 18 Abs. 1 SGB XI). Dies geschieht auf der Grundlage einer Untersuchung oder einer Prüfung im Wohnbereich des Antragstellers (§ 18 Abs. 2 SGB XI). Schließlich entscheidet die Pflegekasse selbst auf Grundlage des MD-Gutachtens über die Pflegebedürftigkeit und den Pflegegrad des Antragstellers.
4. Leistungsformen und Leistungsumfang
Nach Feststellung einer Pflegebedürftigkeit können die Anspruchsberechtigten zwischen unterschiedliche Leistungsformen wählen. Die Pflegeversicherung unterscheidet dabei folgende Formen der Leistungserbringung:
ambulante (häusliche) Pflege,
teilstationäre Pflege (Tages- und Nachtpflege),
stationäre Kurzzeitpflege,
vollstationäre Pflege.
Für jede dieser Formen gelten eigene Bedingungen der Leistungsgewährung. Die Höhe der Pflegeversicherungsleistungen ist nach der Form der Leistungserbringung und dem Grad der Pflegebedürftigkeit gestaffelt (s. Tabelle 6).
Die Leistungen der Pflegeversicherung stellen grundsätzlich Höchstbeträge dar, die nicht immer ausgeschöpft werden müssen (§ 36 Abs. 3 SGB XI). Zwischen 1995 und 2008 waren die Geld- und Sachleistungen in der Pflegeversicherung – von einigen insgesamt eher geringfügigen Verbesserungen v.a. für Demenzkranke abgesehen – nicht angehoben worden. Die Pflegeversicherungsreform 2008 sah erstmals einige Leistungsverbesserungen vor. Zunächst wurden die meisten Geld- und Sachleistungen in einem zweijährigen Rhythmus angehoben, seit 2015 ist dafür ein dreijähriger Rhythmus vorgesehen. Der wichtigste Orientierungspunkt für die Leistungsanpassungen ist die Preisentwicklung für Pflegeleistungen. Zudem wurde mit der Einführung von Pflegegraden im Jahr 2017 ein wesentlicher Teil der Geld- und Sachleistungen neu zugeschnitten. Jedoch haben die Leistungsverbesserungen der vergangenen Jahre den zwischen 1995 und 2008 erlittenen Kaufkraftverlust der Leistungen nicht ausgeglichen. In den letzten Jahren sind die Pflegekosten zudem erheblich gestiegen. Wichtige Treiber des Kostenanstiegs waren die Anhebung von Mindestlöhnen in der Pflege, gesetzliche Vorgaben zur Personalausstattung sowie jüngst der starke Anstieg der Energiekosten (s. Artikel Interner Link: „Aktuelle Probleme“).
Häusliche Pflege
Häusliche (ambulante) Pflege wird dann gewährt, wenn die Pflege im Haushalt der Pflegebedürftigen oder anderer Personen erfolgt. Bei der Leistungsgewährung in der häuslichen Pflege wird zwischen Pflegesachleistung und Pflegegeld unterschieden. Bei der Pflegesachleistung wird die Pflege für Leistungsempfänger der Pflegegrade 2 bis 5 durch professionelle Pflegekräfte erbracht, die zumeist bei einer ambulanten Pflegeeinrichtung angestellt sind.
Wenn Pflegebedürftige mit den Pflegegraden 2 bis 5 die Pflege selbst sicherstellen, können sie bei der Krankenkasse Pflegegeld beantragen. Die Versorgung erfolgt dann zumeist durch Angehörige oder aber auch durch Nachbarn oder andere Personen. Die Bezieher von Pflegegeld müssen in bestimmten Abständen eine Pflegeberatung in Anspruch nehmen, die der Qualitätssicherung der Versorgung dienen soll. Außerdem müssen die Pflegekassen unentgeltlich Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Personen anbieten. Die Stärkung der informellen häuslichen Pflege (durch Angehörige oder ehrenamtliche Personen) zählt zu den wichtigsten Zielen der Politik in der Langzeitpflege, weil deren Kosten deutlich niedriger sind als bei professioneller Pflege. Bei allen Pflegegraden ist der Höchstbetrag des Pflegegeldes nur knapp halb so hoch wie der Höchstbetrag der Pflegesachleistung (s. Tabelle 6). Außerdem ist die informelle Pflege ein wichtiges Instrument, um trotz des Fachkräftemangels die pflegerische Versorgung zu gewährleisten.
Pflegesachleistung und Pflegegeld können auch miteinander kombiniert werden („Kombi-Leistung“). Die Kombinationsleistung richtet sich vor allem an Personen, die zur Übernahme von Pflegeleistungen bereit, aber nur zeitweise dazu in der Lage sind. Auch sie trägt dazu bei, Ausgaben zu senken und zugleich eine Pflege durch Angehörige oder Ehrenamtliche zu ermöglichen. Die Pflegebedürftigen können selbst entscheiden, in welchem Verhältnis sie Geld- und Sachleistungen kombinieren wollen. Sie sind für sechs Monate an ihre Entscheidung gebunden.
In den zurückliegenden Jahren wurden die Angebote zur Unterstützung von Pflegepersonen im Alltag sowie die Voraussetzungen für den Ausbau niedrigschwelliger Betreuungsangebote und ehrenamtlicher Strukturen verbessert. Ferner haben Pflegebedürftige in häuslicher Pflege einen Anspruch auf einen Entlastungsbetrag in Höhe von bis zu 125 Euro pro Monat. Er kann zur Erstattung der Aufwendungen für die Inanspruchnahme qualitätsgesicherter Leistungen der Tages- und Nachtpflege, der Kurzzeitpflege und der erwähnten Unterstützungsangebote im Alltag verwendet werden (§ 45b Abs. 1 SGB V).
Teilstationäre Pflege und stationäre Kurzzeitpflege
Pflegebedürftige haben auch einen zeitlich unbegrenzten Anspruch auf teilstationäre Pflege (Tages- oder Nachtpflege). Sie kann dann in Anspruch genommen werden, wenn eine häusliche Pflege nicht in dem erforderlichen Umfang sichergestellt werden kann oder wenn sie zur Ergänzung der häuslichen Pflege notwendig ist. Teilstationäre Pflege kommt häufig dann in Betracht, wenn Pflegepersonen (teil-)erwerbstätig sind oder sich der Betreuungsbedarf kurzfristig erhöht. Wenn weder häusliche Pflege noch teilstationäre Pflege in ausreichendem Maße gewährleistet werden, haben die Pflegebedürftigen für bis zu acht Wochen im Jahr Anspruch auf stationäre Kurzzeitpflege.
Vollstationäre Pflege
Pflegebedürftige der Pflegegrade 2 bis 5 haben einen Anspruch auf vollstationäre Pflege. Die Leistungen in der vollstationären Pflege schließen neben den pflegebedingten Aufwendungen und den Aufwendungen für Betreuung – im Unterschied zur häuslichen Pflege – auch die Kosten der medizinischen Behandlungspflege ein. Allerdings werden die Aufwendungen für die Unterbringung und Verpflegung der Pflegebedürftigen („Hotelleistungen“) nicht erstattet. Eine Ausnahme gilt nur, soweit diese Aufwendungen den Leistungsanspruch für vollstationäre Pflege nicht übersteigen.
5. Leistungen für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen
Neben den Leistungen für die Pflegebedürftigen umfasst die Pflegeversicherung auch eine Reihe von Leistungen, die sich an die Angehörigen und an ehrenamtliche Pflegepersonen richten, um deren Bereitschaft zur Übernahme von Pflegeaufgaben zu erhöhen (Gerlinger & Rosenbrock 2023). So kann die Pflegetätigkeit unter bestimmten Bedingungen auf die späteren Rentenansprüche der Pflegeperson angerechnet werden. Zu diesem Zweck haben die Pflegekassen (bei der Versorgung von Pflegebedürftigen ab Pflegerad 2) zur Verbesserung der sozialen Sicherung der Pflegepersonen Beiträge an die gesetzliche Rentenversicherung zu entrichten, wenn die Pflegeperson regelmäßig mindestens 10 Stunden wöchentlich, „verteilt auf regelmäßig mindestens zwei Tage in der Woche“ (§ 44 Abs. 1 SGB XI), pflegt und regelmäßig nicht mehr als 30 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist. Die Pflegepersonen sind zudem in die gesetzliche Unfallversicherung (§ 44 Abs. 2a SGB XI) und in das Arbeitsförderungsrecht einbezogen (§ 44 Abs. 2b SGB XI).
Das 2008 in Kraft getretene Pflegezeitgesetz (PflegeZG) erweiterte die Optionen für die Pflege naher Angehöriger in der häuslichen Umgebung. Es verfolgt das Ziel, die Rahmenbedingungen für die Vereinbarkeit von Beruf und familiärer Pflege zu verbessern. 2011 wurde es durch das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) ergänzt. Beide Gesetze wurden seither mehrmals verändert. Die Regelungen zur Pflegezeit beinhalten folgende Kernelemente:
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben bei einem akut auftretenden Pflegebedarf eines nahen Angehörigen das Recht, „bis zu zehn Arbeitstage der Arbeit fernzubleiben“ („kurzzeitige Arbeitsverhinderung“),
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die einen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in der häuslichen Umgebung selbst pflegen, haben einen Anspruch auf eine bis zu sechsmonatige, unbezahlte, vollständige oder teilweise Freistellung von der Arbeit.
Beschäftigte, die auf der Grundlage des Pflegezeitgesetzes freigestellt sind, erhalten einen Rechtsanspruch auf ein zinsloses Darlehen, das die Hälfte des aufgrund der Freistellung fehlenden Nettogehalts abdeckt (§ 3 FPfZG).
Dem Familienpflegezeitgesetz (FPfZG) zufolge können Beschäftigte ihre wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden für die Pflege eines nahen Angehörigen reduzieren. Dieser Rechtsanspruch gilt allerdings nur in Unternehmen mit mehr als 25 Beschäftigten (§ 2 Abs. 2 FPfZG). Die Pflegezeit und die Familienpflegezeit können miteinander verknüpft werden, allerdings müssen sie dann unmittelbar aneinander anschließen. Die gesamte Höchstdauer von Pflegezeit und Familienpflegezeit beträgt zwei Jahre (§ 2 Abs. 1 FPfZG). Daneben enthalten diese Gesetze noch zahlreiche weitere Bestimmungen (Gerlinger & Rosenbrock 2023). Gleichzeitig wurde bei einer Inanspruchnahme der Pflegezeit und der Familienpflegezeit die soziale Absicherung für die betreffende Pflegeperson in der gesetzlichen Unfallversicherung, in der Arbeitslosenversicherung, in der Kranken- und Pflegeversicherung und in der gesetzlichen Rentenversicherung verbessert.
Die Bestimmungen zur Pflegezeit und zur Familienpflegezeit sind als Schritte zu einer besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gewürdigt worden, aber oft auch als unzureichend kritisiert worden. Die Kritik richtet sich vor allem auf folgende Aspekte:
Die Beschränkung der Bestimmungen auf Unternehmen mit mehr als 15 (Pflegezeit) bzw. 25 Beschäftigten (Familienpflegezeit) schließt einen erheblichen Teil der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer vom Rechtsanspruch auf die Freistellungen aus.
Die freigestellten Pflegepersonen erhalten bei Inanspruchnahme der Pflegezeit oder (Familien)-Pflegezeit keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung und erhalten keinen wirklichen Ersatz für den Lohnausfall. Die Darlehen stellen lediglich eine Überbrückung dar, weil sie nach Ablauf der (Familien-)Pflegezeit zurückgezahlt werden müssen. Somit haben die Beschäftigten die finanziellen Folgen der Freistellung allein zu tragen.
Aufgrund dieser Mängel sind Zweifel an der Wirksamkeit der genannten Bestimmungen weit verbreitet. Die bisher vorliegenden Zahlen über die Inanspruchnahme dieser Leistungen bekräftigen diese Zweifel: So haben im Jahr 2017 schätzungsweise nur 82.000 Beschäftigte die Freistellungen nach Pflegezeit und Familienpflegezeit in Anspruch genommen (Bundestagsdrucksache 19/11550: 3; Unabhängiger Beirat 2019: 44). Jährlich beantragen nur zwischen 9.000 und 13.000 das Pflegeunterstützungsgeld (von Schwanenflügel 2019: 4). In den Jahren 2015 bis 2019 nahmen insgesamt nur 921 Beschäftigte (520 nach PflegeZG, 401 nach FPfZG) ein zinsloses Darlehen in Anspruch (Bundestagsdrucksache 19/11550: 4).
6. Pflegeberatung
Eine weitere wichtige Leistung der Pflegeversicherung ist die Pflegeberatung. Der Eintritt von Pflegebedürftigkeit stellt Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in der Regel vor vielfältige Probleme. Sie benötigen z.B. Informationen
über ihre Leistungsansprüche und Wahlmöglichkeiten;
über das Verfahren der Antragstellung zur Gewährung von Pflegeleistungen;
über die Auswirkungen bestimmter Entscheidungen (auf den Lebensalltag (z.B. auf zeitliche, psychische, körperliche Belastungen bei häuslicher Pflege) und
über die vor Ort verfügbaren und für den individuellen Pflegefall geeigneten Pflegeeinrichtungen.
Der Unterstützungsbedarf kann schnell einen Umfang erreichen, der die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen überfordert. Daher sind die umfassende Beratung und Begleitung von Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen dringend erforderlich. Vor diesem Hintergrund erhielten Pflegebedürftige und Versicherte, die einen Antrag auf Leistungen aus der Pflegeversicherung gestellt haben, mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz 2008 einen Rechtsanspruch auf „individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater oder eine Pflegeberaterin“ (§ 7a Abs. 1 SGB XI). Die Pflegeberatung soll
den Hilfebedarf des/der Pflegebedürftigen systematisch erfassen und analysieren;
einen individuellen Versorgungsplan erstellen, der die im Einzelfall erforderlichen Sozialleistungen, Versorgungsleistungen und sozialen Hilfen umfasst;
darauf hinwirken, dass die erforderlichen Maßnahmen durchgeführt werden, und den Versorgungsplan an sich verändernde Versorgungssituationen anpassen.
Für die Bereitstellung der Pflegeberatung sind die Pflegekassen verantwortlich. Pflegeberaterinnen und -berater können bei den Pflegekassen angestellt sein, jedoch können diese die Durchführung der Pflegeberatung auch an Dritte delegieren. Die Pflegeberater können über die Gewährung von Leistungen zwar nicht entscheiden, sollen bei den Kassen aber darauf hinwirken, dass die notwendigen Hilfen auch gewährt werden. Um Interessenkonflikte bei der Bewertung des Hilfebedarfs und der Vermittlung von Hilfen zu vermeiden, betont das Elfte Sozialgesetzbuch (SGB XI), dass „die Unabhängigkeit der Beratung“ sicherzustellen ist (§ 7a Abs. 1 SGB XI).