Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz
Das GKV-Versorgungsstrukturgesetz (GKV-VStrG) wurde von der konservativ-liberalen Regierungskoalition auf den Weg gebracht und trat 2012 in Kraft. Sein wichtigstes Ziel ist die Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung, auch in benachteiligten, vor allem ländlichen Räumen.
Das Gesetz sieht eine Vielzahl von Instrumenten vor, um dieses Ziel zu erreichen. Die zur Beseitigung der Probleme ergriffenen Maßnahmen lassen sich in folgende Gruppen unterteilen:
Reform der Bedarfsplanung,
Ermöglichung neuer Versorgungskonzepte,
Zulassung neuer Träger zur ambulanten Versorgung (bei Unterversorgung),
Modifikation von Zulassungsbestimmungen,
Honorarpolitik – finanzielle Anreize für Ärztinnen und Ärzte.
Reform der Bedarfsplanung
Die Bedarfsplanung soll durch folgende Maßnahmen flexibilisiert werden:
Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) sollte eine neue Bedarfsplanungsrichtlinie erarbeiten, die die Planungsbereiche so zuschneiden sollte, dass sie einer flächendeckenden Versorgung dienen. Die Planungsbereiche müssen demzufolge nicht mehr den Stadt- und Landkreisen entsprechen. Außerdem werden die Planungskriterien von Verhältniszahlen (Arzt/Versicherte) um demographische Merkmale erweitert. Die daraufhin vom G-BA verabschiedete Bedarfsplanungsrichtlinie trat zum 1.1.2013 in Kraft (Näheres siehe Lerntour zur
Interner Link: Bedarfsplanungsrichtlinie ).Die Landesausschüsse der Ärzte und Krankenkassen, die für die regionale Bedarfsplanung zuständig sind, erhalten neue Möglichkeiten, von den bundesweiten Vorgaben zur Bedarfsplanung (Planungsbereiche, Verhältniszahlen) abzuweichen. Auf diese Weise sollen sie in der Lage versetzt werden, regionalen Besonderheiten besser Rechnung zu tragen. In diesem Zusammenhang erhalten sie auch mehr Möglichkeiten, Sonderbedarfszulassungen zu erteilen.
Darüber hinaus werden eine Reihe institutioneller und prozeduraler Regelungen getroffen, die insbesondere den Ländern mehr Gestaltungsmöglichkeiten einräumen. Sie erhalten bei der Behandlung von Bedarfsplanungsrichtlinien im G-BA ein Mitberatungsrecht, allerdings kein Mitentscheidungsrecht (§ 92 Abs. 7e SGB V). Auch im Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen haben die Länder nun ein Mitberatungsrecht (§ 90 Abs. 4 SGB V).
Die Länder können auf Landesebene ein gemeinsames Landesgremium zur sektorenübergreifenden Versorgung bilden (§ 90a SGB V). Dieses Gremium kann allerdings nur Empfehlungen aussprechen. Außerdem erhalten die Landesbehörden die Rechtsaufsicht über den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (§ 90 Abs. 5 SGB V) sowie das Recht, dessen Beschlüsse zu beanstanden (§ 90 Abs. 6 SGB V). Dieses Beanstandungsrecht betrifft auch den vom Landesausschuss aufgestellten Bedarfsplan (§ 99 Abs. 1 SGB V).
Ermöglichung neuer Versorgungskonzepte
Spielräume für neue Versorgungskonzepte, mit denen Ärzte entlastet werden und damit mehr Patienten versorgt werden können, werden erweitert:
Der Ausbau mobiler Versorgungskonzepte soll helfen, Patienten besser an ihrem Wohnort erreichen zu können.
Ärzte sollen Zweigpraxen errichten können, um es ihnen zu erleichtern, Patienten an verschiedenen Orten zu behandeln.
Bestimmte ärztliche Leistungen sollen leichter an nichtärztliche Gesundheitsberufe (z.B. besonders ausgebildetes Krankenpflegepersonal) delegiert werden können. Zu diesem Zweck beauftragte der Gesetzgeber die Partner der Bundesmantelverträge, eine Liste für delegationsfähige Leistungen vorzulegen.
Die Telemedizin soll ausgebaut werden. Patientendaten (z.B. Blutdruckwerte), die der Patient selbst ermitteln kann, sollen so auf elektronischem Wege an den Arzt übermittelt werden können. Der Arzt kann dann medizinische Maßnahmen veranlassen, ohne dass der Patient den Arzt bzw. der Arzt den Patienten aufgesucht hat. Krankenkassen und Vertragsärzte sollen auf Bundesebene festlegen, welche Leistungen der vertragsärztlichen Gebührenordnung telemedizinisch erbracht werden können und wie sie zu vergüten sind.
Zulassung neuer Träger zur vertragsärztlichen Versorgung
Erstmals ist es grundsätzlich möglich, dass auch andere Träger als niedergelassene Ärzte oder Medizinische Versorgungszentren Versorgungseinrichtungen betreiben. Wenn in einem Zulassungsbezirk Unterversorgung festgestellt ist und diese auf anderem Wege nicht beseitigt werden kann,
kann die Kassenärztliche Vereinigung Eigeneinrichtungen errichten
können die betreffenden Gebietskörperschaften (Städte, Gemeinden, Landkreise) Eigeneinrichtungen errichten; allerdings ist dafür die Zustimmung der KV erforderlich.
Modifikation von Zulassungsbestimmungen
Um Anreize zu schaffen, auch in strukturschwachen oder sozial benachteiligten Gebieten tätig zu werden, sollen solche Ärzte bei der Entscheidung über die Zulassung bevorzugt behandelt werden, die:
vorher in unterversorgten Gebieten praktizierten oder
sich parallel an der Versorgung in unterversorgten Gebieten beteiligen
Daneben wurde eine Reihe weiterer Bestimmungen in Kraft gesetzt:
Die Verlegung eines Vertragsarztsitzes soll nur noch unter bestimmten Bedingungen möglich sein. Dies soll nur noch dann geschehen, wenn einer Verlegung keine Gründe der vertragsärztlichen Versorgung entgegenstehen. Der Hintergrund dieser Maßnahme ist die Praxis von Ärzten, in Großstädten (z.B. in Berlin oder Hamburg) ihre Praxen aus ärmeren Stadtteilen in reichere Stadtteile (mit einer zumeist hohen Zahl von Privatpatienten) zu verlegen. Dies führt in der Praxis bisweilen dazu, dass in einzelnen Stadtteilen Versorgungsengpässe entstehen.
Wenn eine Unterversorgung festgestellt worden ist, kann die Ermächtigung von Krankenhäusern und Ärzten in Krankenhäusern zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung auf Ärzte in Rehabilitations- und Pflegeeinrichtungen erweitert werden.
Zum Abbau von Überversorgung in Ballungszentren erhält die Kassenärztliche Vereinigung in solchen Gebieten ein Vorkaufsrecht für frei werdende Vertragsarztsitze. Dieses Vorkaufsrecht gilt nicht, wenn Kinder, Ehegatten oder Lebenspartner sich um die Nachbesetzung bewerben. Außerdem erhalten die Kassenärztlichen Vereinigungen erweiterte Möglichkeiten, in überversorgten Gebieten den freiwilligen Verzicht auf die Zulassung finanziell zu fördern.
Finanzielle Anreize
Des Weiteren sollen finanzielle Anreize die Bereitschaft zur Niederlassung in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Regionen erhöhen:
Die regionalen Vertragsparteien (Verbände der Krankenkassen, Kassenärztliche Vereinigungen) erhalten erweiterte Möglichkeiten, von bundesweiten Vorgaben zur Honorierung von Ärzten abzuweichen.
Leistungen von Ärzten in strukturschwachen Gebieten werden von Abstaffelungen ausgenommen. Abstaffelungen sind Abschläge auf die Vergütung für eine Leistung, wenn ein Arzt die ihm zustehende Behandlungsmenge je Quartal bzw. Jahr überschritten hat.
Kassenärztliche Vereinigungen und Krankenkassen in der Region können Preiszuschläge für Leistungen vereinbaren, die von besonders förderungswürdigen Leistungserbringern in strukturschwachen Gebieten erbracht werden.
Die KV kann bei Bedarf einen Strukturfonds einrichten, der gezielte Maßnahmen zur Sicherstellung der Versorgung finanzieren soll (z.B. die Gewährung zinsgünstiger Kredite oder Zuschüsse zu Investitionskosten). In diesen Fonds zahlen die jeweilige KV und die Krankenkassen in der Region jeweils bis zu 0,1 Prozent der jeweiligen Gesamtvergütung ein. Bundesweit kann darüber ein Betrag von insgesamt mehr als 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt werden.
Verbesserung der Work-Life-Balance
Schließlich sollen einige Maßnahmen dazu beitragen, die Work-Life-Balance für Ärzte zu verbessern. Auf diese Weise soll ihnen eine Entscheidung für die Niederlassung in strukturschwachen Regionen erleichtert werden:
Die Residenzpflicht für niedergelassene Ärzte wird grundsätzlich aufgehoben. Allerdings darf die Notfallversorgung dabei nicht gefährdet werden.
Ärzte können für bis zu drei Jahre einen Entlastungassistenten einstellen.
Eine Schwangerschaftsvertretung kann für 12 statt wie bisher für 6 Monate beschäftigt werden.
Der Notdienst soll sektorenübergreifend organisiert werden. So soll diese Last auf mehr Schultern zu verteilt werden.
Das Versorgungsstärkungsgesetz
Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz wurde 2015 von der Großen Koalition auf den Weg gebracht und trat mit einen wesentlichen Bestimmungen 2016 in Kraft. Es modifizierte und ergänzte die mit dem Versorgungsstrukturgesetz vorgesehenen Instrumente. Im Zentrum standen Instrumente, die einem Ärztemangel in ländlichen Regionen entgegenwirken sollten. Folgende Bestimmungen sollen hier hervorgehoben werden:
Die Kommunen erhalten die Möglichkeit, auch ohne Genehmigung der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu errichten. Das MVZ kann eine öffentlich-rechtliche Rechtsform erhalten und von der Kommune als Eigen- oder Regiebetrieb gegründet werden.
In überversorgten Gebieten sollen frei werdende Vertragsarztsitze nur dann wieder besetzt werden, wenn dies für die Versorgung sinnvoll ist. Ist dies nicht der Fall, soll die zuständige KV den betreffenden Arztsitz aufkaufen. Die jeweilige Entscheidung trifft der örtliche Zulassungsausschuss, der aus Vertretern von Ärzten und Krankenkassen zusammengesetzt ist. Vom Aufkauf solcher Arztpraxen verspricht man sich eine wachsende Bereitschaft zur Niederlassung in unterversorgten Regionen.
Auf den bei den KVen zur Förderung der Niederlassung eingerichteten Strukturfonds kann nun nicht mehr – wie zuvor – nur bei Unterversorgung zurückgegriffen werden. Der Strukturfonds soll u.a. für Zuschüsse zu den Investitionskosten bei der Neuniederlassung oder der Gründung von Zweigpraxen oder für die Finanzierung von Vergütungszuschlägen verwendet werden. Diese Fördermöglichkeiten waren zuvor nur in geringem Umfang genutzt worden.
Angesichts der großen Diskrepanz zwischen der Zahl ausscheidender Hausärzte und der Zahl der abgeschlossenen Weiterbildungen zum Facharzt für Allgemeinmedizin soll die Zahl der hausärztlichen Weiterbildungsstellen, die mindestens zu fördern sind, von 5.000 auf mindestens 7.500 erhöht werden. Hierzu: sollen die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV), die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der GKV-Spitzenverband entsprechende Vereinbarungen treffen.
Des Weiteren müssen die KVen so genannte Terminservicestellen einrichten. Hintergrund sind die teilweise sehr langen Wartezeiten auf einen Facharzttermin, die gesetzlich Krankenversicherte hinnehmen müssen. Terminservicestellen sollen Versicherten mit einer Überweisung einen Termin bei einem Facharzt vermitteln. Davon ausgenommen sind Frauen- und Augenärzte. Die Vermittlung soll innerhalb einer Woche erfolgen. Die Wartezeit darf höchstens vier Wochen betragen. Die Entfernung zum Facharzt muss für den Versicherten zumutbar sein. Wenn eine solche Vermittlung nicht gelingt, kann der Versicherte zur ambulanten Versorgung das Krankenhaus aufsuchen. Die Behandlung wird dann aus der vertragsärztlichen Gesamtvergütung finanziert.
Eine Reihe von Bestimmungen des Gesetzentwurfs war und ist durchaus umstritten. Der Protest der Ärzteschaft richtete sich vor allem gegen die Terminservicestellen und gegen die Verpflichtung der KVen zum Aufkauf von Arztsitzen. Auch aus der Union sind kritische Stimmen zu vernehmen. Es wurden aber auch Stimmen laut, denen zufolge die beschlossenen Maßnahmen nicht weit genug gingen. In diesem Zusammenhang ist u.a. darauf hinzuweisen, dass weder das Versorgungsstrukturgesetz noch das Versorgungsstärkungsgesetz die Vergütungsunterschiede zwischen gesetzlicher und privater Krankenversicherung in der ambulanten Versorgung angehen. Eine wichtige Ursache für die regionalen Disparitäten in der Versorgung mit Ärzten bleibt damit unbearbeitet.