Diese Ungleichverteilung ist Ergebnis des Zusammenwirkens mehrerer Faktoren. Folgende sollen dabei hervorgehoben werden:
Seit Jahrzehnten wandern jüngere Menschen aus ländlichen Gebieten ab. Gleichzeitig rücken die geburtenstarken Jahrgänge nun in höhere Altersgruppen vor. Ein Rückgang der Bevölkerungszahlen, ein steigender Anteil alter Menschen, eine aus diesen Gründen rückläufige Geburtenrate, die weitere Abwanderung insbesondere junger und qualifizierter Personen, eine Auszehrung der ökonomischen, sozialen und kulturellen Infrastruktur führten und führen in einem Teufelskreis zu einem weiteren Bevölkerungsrückgang. Arbeit und Leben in ländlichen Regionen verloren und verlieren somit für viele Menschen an Attraktivität
. Insbesondere fällt es schwer, junge Akademiker, und unter ihnen auch Ärzte, zur Aufnahme einer Berufstätigkeit in ländlichen Regionen zu bewegen. Außerdem fällt es den zumeist ebenfalls hoch qualifizierten Lebenspartnern schwer, wohnortnah eine angemessene Beschäftigung zu finden. Dieses Problem wirkt sich auf die Versorgung mit Hausärzten besonders stark aus, weil der Anteil älterer Ärzte hier besonders hoch ist. Am 31.12.2015 waren 33,0 % aller Hausärzte 60 Jahre oder älter. Der Anteil dieser Altersgruppe ist unter den Hausärzten deutlich höher als unter Fachärzten (Tabelle).
Wie viel % der jeweiligen Arztgruppe sind 60 Jahre oder älter?
Arztgruppe | % der jeweiligen Gruppe |
---|---|
Augenärzte | 24,1 |
Chirurgen | 26,1 |
HNO-Ärzte | 23,2 |
Hautärzte | 20,5 |
Fachärztliche Internisten | 21,9 |
Orthopäden | 18,4 |
Radiologen | 18,1 |
Urologen | 21,3 |
Hausärzte | 33,0 |
Alle Ärzte/Psychotherapeuten | 27,6 |
Quelle: Kassenärztliche Bundesvereinigung 2016.
Der Anteil der Mediziner, die sich für eine Weiterbildung zum Facharzt für Allgemeinmedizin und für eine Tätigkeit als Hausarzt entscheiden, ist in der Vergangenheit deutlich gesunken. So erfolgten im Jahr 2015 nur 1.337 (10,9 %) aller Facharztanerkennungen in der Allgemeinmedizin (Kassenärztliche Bundesvereinigung 2016). Gerade Hausärzte sind für die Gewährleistung der Versorgung auf dem Land aber besonders wichtig. Im Verlauf des Medizinstudiums geht das Interesse von Studierenden an der hausärztlichen Tätigkeit deutlich zurück. Vermutlich spielen neben dem geringeren Einkommen von Hausärzten auch andere Faktoren eine Rolle. Dazu zählt z.B. eine Ausbildungskultur in der Medizin, die den Eindruck erweckt, Allgemeinmedizin und Hausarzttätigkeit seien weniger anspruchsvoll oder interessant als andere Disziplinen bzw. Tätigkeitsfelder. Des Weiteren sind die beruflichen Belastungen, die eine Hausarzttätigkeit mit sich bringt, häufig sehr hoch, insbesondere wenn man als Landarzt tätig ist. Hier spielen lange Arbeitszeiten und ein "Einzelkämpferdasein" eine wichtige Rolle.
Die Einnahmen und das Einkommen der Hausärzte bleiben in ländlichen Regionen oder in sozial benachteiligten Stadtteilen im Durchschnitt deutlich hinter denen der Fachärzte zurück. Drr wohl wichtigste Grund dafür besteht darin, dass dort die Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit vergleichsweise niedrig ausfallen. Die Vergütungen in der ambulanten privatärztlichen Versorgung sind deutlich höher als in der vertragsärztlichen Versorgung, weil hier feste Euro-Beträge zugrunde gelegt werden, die die Ärzte zudem mit einem Multiplikationsfaktor versehen können. Hingegen unterliegt in der vertragsärztlichen Versorgung die ärztliche Vergütung Mengenbegrenzungsregelungen, die auch die Einnahmechancen der Ärzte verringern. Daher liegen die Vergütungen in der privatärztlichen Versorgung erheblich über denen für identische Leistungen in der vertragsärztlichen Versorgung. In den letzten Jahrzehnten hat der Anteil der Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit stark zugenommen. Im Jahr 2011 erzielte jede Arztpraxis durchschnittlich 28,3 Prozent ihrer Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit
. Bei Praxen von Allgemein- und Praktischen Ärzten fiel dieser Anteil deutlich niedriger aus, aber auch sie kamen immerhin noch auf einen Anteil von 18,4 Prozent . 1979 hatte sich der Anteil privatärztlicher Einnahmen im Durchschnitt aller Ärzte noch auf 13,1 Prozent belaufen . Die vertragsärztliche Bedarfsplanung war bisher nicht geeignet, für eine gleichmäßige Verteilung von Ärzten zu sorgen. Die Orientierung der angestrebten Arzt-/Versichertenrelationen an den Ist-Verhältnissen des Jahres 1990, die unzureichende Berücksichtigung von demographischen und Morbiditätskriterien, die Ausrichtung der Planungsbereiche an den Grenzen von Stadt- und Landkreisen sowie die Nichtberücksichtigung der Erreichbarkeit von Einrichtungen als Bedarfskriterium haben zu den skizzierten Ungleichgewichten geführt
. Zudem hat die Zulassungspraxis der gemeinsamen Selbstverwaltung es nicht verstanden, die Überversorgung gerade mit Fachärzten in Ballungsräumen zu vermeiden oder abzubauen. Die grundgesetzliche Pflicht zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse wurde insofern nicht erfüllt (Art. 72 Abs. 2 GG).
Ohne wirksame Maßnahmen ist zu erwarten, dass sich die Ungleichheiten bei der ärztlichen Versorgung weiter verschärfen, denn die skizzierten Trends dürften in der näheren Zukunft kaum zum Stillstand kommen oder sich umkehren.