Ende 2014 wurden 1.000 Einwohner von 4,6 berufstätigen Ärzten versorgt, 1991 waren es noch 3,0 gewesen
Die Versorgung mit Vertragsärzten unterliegt einer Bedarfsplanung, deren wesentliche Merkmale zu Beginn der 1990er-Jahre festgelegt wurden und die in dieser Form bis Ende 2012 gültig waren. Der Gesetzgeber erteilt dem Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag, Richtlinien zur vertragsärztlichen Bedarfsplanung zu erlassen. Die Bedarfsplanungsrichtlinie enthält Angaben über bedarfsgerechte Verhältniszahlen (Einwohner je Arzt), die nach Arztgruppen und Raumgliederungstypen (z.B. hochverdichtete Kreise, normalverdichtete Kreise, ländliche Kreise) unterschieden werden. Bis Ende 2012 waren die Planungsbereiche identisch mit den Grenzen der Landkreise und der kreisfreien Städte. Für jeden Raumgliederungstyp und jede Arztgruppe wird eine Verhältniszahl festgelegt, mit der der vertragsärztliche Versorgungsbedarf definiert wird. Überversorgung ist dann gegeben, wenn diese Verhältniszahl um mehr als zehn Prozent überschritten wird.
Unterversorgung liegt vor, wenn die Zahl der zugelassenen Ärzte um mehr als 25 Prozent in der hausärztlichen Versorgung und um mehr als 50 Prozent in der fachärztlichen Versorgung unter dem festgelegten Bedarf liegt. Bei Überversorgung muss der Zulassungsbezirk für die weitere Zulassung von Ärzten gesperrt werden. Die Zulassung eines Arztes ist in diesem Bezirk erst wieder möglich, wenn ein Arzt (der betreffenden Arztgruppe) seinen Vertragsarztsitz aufgegeben, sich die Bevölkerungszahl so stark erhöht hat, dass ein zusätzlicher Vertragsarztsitz ausgeschrieben werden kann, oder aufgrund anderer Faktoren, vor allem der demographischen Entwicklung, ein Mehrbedarf entsteht.
Bei Unterversorgung ist der zuständigen KV eine angemessene Frist zu Beseitigung der Unterversorgung einzuräumen (§ 100 Abs. 1 SGB V). Wenn die Unterversorgung auch danach fortbesteht, muss der Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen Zulassungsbeschränkungen in anderen Bezirken anordnen (§ 100 Abs. 2 SGB V).
Der Vergleich zwischen den Bedarfsplanungszahlen und den tatsächlichen Versorgungszahlen geben einen Hinweis auf die Versorgungslage im Hinblick auf einzelne Arztgruppen und einzelne Regionen. Dieser Vergleich zeigt, dass bei allen Arztgruppen, auf die sich die Bedarfsplanung erstreckt, die Versorgungsgrade im bundesweiten Durchschnitt den Soll-Wert der Bedarfsplanungsrichtlinie überschritten (Tabelle 1).
Tabelle 1: Soll-Ist-Vergleich: Gesamtversorgungsgrade nach Arztgruppen im Jahr 2014
Arztgruppe | absolut |
---|---|
Anästhesisten | 171,9 |
Augenärzte | 124,7 |
Chirurgen | 171,5 |
Internisten (fachärztlich) | 223,3 |
Frauenärzte | 125,5 |
HNO-Ärzte | 128,3 |
Hautärzte | 134,7 |
Kinderärzte | 148,7 |
Nervenärzte | 136,4 |
Orthopäden | 137,8 |
Psychotherapeuten | 159,2 |
Radiologen | 161,5 |
Urologen | 136,1 |
Hausärzte | 110,4 |
Gesamt | 131,6 |
Quelle: Klose/Rehbein 2015: 19.
Besonders deutlich ist die Überschreitung der Planzahlen bei den Fachärzten (Tabelle 1). Aber auch bei Hausärzten betrug der durchschnittliche Gesamtversorgungsgrad immerhin noch gut 110 Prozent (Tabelle 2).
Tabelle 2: Soll-Ist-Vergleich – Gesamtversorgungsgrade der Hausärzte nach Kassenärztlichen Vereinigungen 2014
KV | absolut |
---|---|
Baden-Württemberg | 109,1 |
Bayern | 117,8 |
Berlin | 120,3 |
Brandenburg | 103,3 |
Bremen | 109,2 |
Hamburg | 117,8 |
Hessen | 111,6 |
Mecklenburg-Vorpommern | 102,7 |
Niedersachsen | 107,7 |
Nordrhein | 110,4 |
Rheinland-Pfalz | 110,3 |
Saarland | 108,0 |
Sachsen | 101,3 |
Sachsen-Anhalt | 99,6 |
Schleswig-Holstein | 113,7 |
Thüringen | 109,2 |
Westfalen-Lippe | 107,8 |
Gesamt | 110,4 |
Quelle: Klose/Rehbein 2015: 21.
Von den Hausärzten abgesehen, waren bei allen Arztgruppen fast alle Planungsbereiche im Jahr vor der Verabschiedung des Versorgungsstrukturgesetzes überversorgt. Nur bei den Hausärzten existierten in erheblichem Umfang noch freie Planungsbereiche (Tabelle 3).
Tabelle 3: Anteil überversorgter Planungsbezirke nach Arztgruppen 2010
Arztgruppe | % |
---|---|
Anästhesisten | 98,0 |
Augenärzte | 86,3 |
Chirurgen | 100,0 |
Internisten (fachärztlich) | 100,0 |
Frauenärzte | 95,2 |
HNO-Ärzte | 92,7 |
Hautärzte | 92,2 |
Kinderärzte | 94,9 |
Nervenärzte | 94,4 |
Orthopäden | 98,5 |
Psychotherapeuten | 96,5 |
Radiologen | 99,0 |
Urologen | 99,0 |
Hausärzte | 46,1 |
Quelle: Klose/Rehbein 2011: 10.
Trotz der recht großen Zahl nicht überversorgter Planungsbereiche in der hausärztlichen Versorgung gab es bundesweit selbst hier einen Überschuss von insgesamt knapp 4.000 Ärzten
Tabelle 4: Planungsbezirke in der vertragsärztlichen Versorgung nach Versorgungsgrad 2014
bei Hausärzten
Versorgungsgrad (%) | absolut |
---|---|
<75 | 11 |
75 bis <90 | 73 |
90 bis <100 | 156 |
100 bis <110 | 221 |
110 bis <150 | 436 |
150 bis <200 | 8 |
≥ 200 | 0 |
Gesamt | 905 |
Quelle: Klose/Rehbein 2015: 22.
Vor allem in den Ballungsräumen werden die Verhältniszahlen der Bedarfsplanung erheblich überschritten, nicht selten in nachgerade eklatanter Weise. Es gibt aber auch einige ländliche Regionen, die für eine Niederlassung offenkundig sehr attraktiv sind. Dies geht aus Tabelle 5 hervor.
Tabelle 5: Planungsbereiche mit den höchsten und niedrigsten Versorgungsgraden bei Hausärzten1 nach Kassenärztlichen Vereinigungen 2014
KV | Planungsbereiche mit den höchsten Versorgungsgraden | Versorgungsgrad |
---|---|---|
Schleswig-Holstein | Westerland | 189,4 |
Bayern | Pocking/Ruhstorf a.d. Rott | 186,2 |
Bayern | Oberstdorf | 180,9 |
Westfalen-Lippe | Herdecke MB | 160,3 |
Bayern | Gmund/Tegernsee/Bad Wiessee/Rottach-Egern | 151,2 |
KV | Planungsbereiche mit den niedrigsten Versorgungsgraden | Versorgungsgrad |
Bayern | Schweinfurt Nord | 72,1 |
Nordrhein | Kaarst | 70,4 |
Sachsen-Anhalt | Halle, Umland | 69,6 |
Mecklenburg-Vorpommern | Grimmen | 67,1 |
Bayern | Ansbach Nord | 57,3 |
Fußnote: 1 Allgemeinärzte, praktische Ärzte, nicht fachärztlich tätige Internisten ohne Kinderärzte.
Quelle: Klose/Rehbein 2015: 23.
Darüber hinaus können aber auch innerhalb von Ballungsräumen erhebliche Unterschiede in den Versorgungsgraden auftreten. Insbesondere in solchen Stadtteilen, in denen der Anteil der Empfänger von Hartz IV bzw. Sozialhilfe oder der Anteil von Arbeitslosen hoch und der von Privatpatienten besonders niedrig ist, ist die Arztdichte des Öfteren besonders niedrig (Tabelle 6).
Tabelle 6: Arztdichte und Anteil von Hartz IV-Empfängern in Hamburger Stadtteilen im Jahr 2014
Stadtteil1 | Anteil von Hartz IV-Empfängern | niedergelassene Ärzte je 1000 Einwohner |
---|---|---|
Wilhelmsburg | 23,0 | 1,29 |
Steilshoop | 22,6 | 0,52 |
Billstedt | 22,2 | 1,36 |
Jenfeld | 20,7 | 1,25 |
Groß Flottbek | 0,9 | 6,05 |
Blankenese | 1,0 | 7,05 |
Wellingsbüttel | 1,2 | 2,21 |
Sasel | 1,3 | 1,37 |
Fußnote: 1 Berücksichtigt wurden jeweils die vier Hamburger Stadtteile (mehr als 10000 Einwohner) mit dem höchsten und dem geringsten Anteil von Hartz IV-Empfängern.
Quelle: Statistisches Amt für Hamburg und Schleswig Holstein (2015); eigene Zusammenstellung.
Dies darf man getrost als einen Hinweis darauf werten, dass Ärzte ihre Standortentscheidungen auch unter dem Gesichtspunkt treffen, wie sie die jeweiligen Möglichkeiten der Privatliquidation einschätzen. Die bisherige Praxis der Bedarfsplanung ist offenkundig nicht geeignet, solche Verhaltensweisen zu unterbinden. Dieses Verhalten wird durch den häufig sehr weiten Zuschnitt der Planungsbereiche erleichtert. Auch wenn diese Planungsbereiche statistisch als angemessen oder als überversorgt gelten, tritt dort partiell eine Unterversorgung auf.