Das Sachleistungsprinzip der gesetzlichen Krankenversicherung
Ein erheblicher Teil der GKV-Leistungen wird nach dem Sachleistungsprinzip erbracht. Demzufolge werden die Leistungserbringer (Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker, Heil- und Hilfsmittelhersteller etc.) von den Leistungsempfängern (Patienten) für ihre Leistungen nicht vergütet. Die Krankenversicherungskarte ist der Nachweis, dass die Patienten krankenversichert sind und Leistungen damit (weitgehend) unentgeltlich in Anspruch nehmen können. Die Vergütung der Leistungen erfolgt – direkt oder in der vertragsärztlichen Vergütung zumeist indirekt – durch die Krankenkassen. Das Sachleistungsprinzip ist Bestandteil und Ausdruck des Solidarcharakters der GKV, denn es befreit die Patienten von der Last, für die manchmal sehr hohen Behandlungskosten in Vorlage zu treten. Das Sachleistungsprinzip hat für die Patientinnen und Patienten den praktischen Vorteil, dass sie mit der Abrechnung ihrer Gesundheitsleistungen nichts zu tun haben.
Das Kostenerstattungsprinzip
Das Gegenstück zum Sachleistungsprinzip ist das Kostenerstattungsprinzip. Hier erhält der Patient eine Rechnung für die in Anspruch genommenen Gesundheitsleistungen und bezahlt diese zunächst selbst. Anschließend reicht er diese Rechnung bei seiner Krankenversicherung ein und erhält von ihr den Betrag in Abhängigkeit von den Versicherungsbedingungen ganz oder teilweise zurück. Die Kostenerstattung wird in der privaten Krankenversicherung angewendet. Seit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes (GMG) im Jahr 2004 können sich die GKV-Versicherten für die Kostenerstattung entscheiden (§ 13 Abs. 2 SGB V). In diesem Fall ist er für mindestens zwölf Monate an diese Entscheidung gebunden.
Mit der Einführung der Kostenerstattung verbinden sich unterschiedliche Absichten. Ein wichtiges Motiv ist es, damit die Eigenverantwortung und das Kostenbewusstsein der Versicherten zu stärken. Hintergrund ist die Annahme, dass die Versicherten zu einer Überinanspruchnahme neigten. Das Wissen um die Behandlungskosten, die bekanntlich sehr hoch sein können, sie zu einer Beschränkung auf das Notwendige veranlasse. Jedoch bleibt dabei außer Acht, dass der Patient nur den Erstkontakt mit dem Versorgungssystem auslöst. Dies geschieht zumeist wegen manifester Beschwerden. Die bei weitem größte Leistungsmenge wird aber aufgrund ärztlicher Therapieentscheidungen erbracht (Sekundärinanspruchnahme). Zudem ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die Kenntnis der Kosten Einfluss auf die Inanspruchnahme der Versicherten haben soll.
Daneben ist auch die Ärzteschaft an der Stärkung des Kostenerstattungsprinzips interessiert. Hier rechnet der Arzt die erbrachten Leistungen nach der privatärztlichen Gebührenordnung ab, also zu höheren Sätzen als beim Sachleistungsprinzip. Somit kann die Ärzteschaft von einer Ausweitung der Kostenerstattung höhere Honorareinnahmen erwarten.
Welche Konsequenzen hat die Wahl der Kostenerstattung?
Kritik richtet sich gegen die Kostenerstattung, weil sie im Widerspruch zum Solidarcharakter der GKV steht. Die Krankenkassen haben die Kosten hier nur in jener Höhe zu tragen, die bei einer Erbringung als Sachleistung entstanden wären. Die Differenz müssen die Patienten selbst tragen. Darüber hinaus haben sie einen Abschlag für die Verwaltungskosten und für die fehlende Wirtschaftlichkeitsprüfung der erbrachten Leistungen in Kauf zu nehmen. Für die Patienten entstehen bei der Kostenerstattung also höhere Kosten als beim Sachleistungsprinzip. Damit sind unter dem Gesichtspunkt de Solidarität zwei Probleme verbunden:
GKV-Versicherte, die Kostenerstattung vereinbart haben, können davon ausgehen, dass sie schneller einen Arzttermin erhalten als "Sachleistungspatienten". Innerhalb der GKV droht damit eine Zweiklassengesellschaft zu entstehen.
Die Möglichkeit der Kostenerstattung steht de facto fast ausschließlich Besserverdienenden offen, weil in der Regel nur sie es sich leisten können, den erwähnten Teil der Vergütung selbst zu tragen. Dieser Mechanismus dürfte die soziale Ungleichheit in der Krankenversorgung verstärken.
Zudem kann der einzelne Patienten meistens nicht beurteilen, ob eine vom Arzt vorgeschlagene oder erbrachte medizinische Leistung tatsächlich sinnvoll ist. Als medizinische Laien sind die Patientinnen und Patienten dazu meist nicht in der Lage. Dies kann dazu führen, dass neben den notwendigen auch nicht notwendige Leistungen oder Leistungen von nur geringem Nutzen erbracht werden. Die schwache Position des Patienten in der Arzt-Patient-Beziehung birgt also die Gefahr verstärkter Unwirtschaftlichkeiten in der Versorgung.
Die meisten politischen Parteien wollen die Kostenerstattung jedoch nur als Wahlmöglichkeit in der GKV verankert wissen. Die bloße Umstellung auf Kostenerstattung hätte entweder keine nennenswerten Einspareffekte zur Folge oder würde das Risiko bergen, dass Patienten auf medizinische notwendige Leistungen verzichten und damit ihre Gesundheit gefährden könnten. Die Versicherten wüssten zwar im Nachhinein, wie hoch die Kosten eines Arztbesuchs gewesen seien, und müssten die Vergütung vorschießen. Anschließend erhielten sie es aber von ihrer Krankenkasse vollständig zurück.