Was kostet die vertragsärztliche Versorgung?
Für die vertragsärztliche Versorgung haben die gesetzlichen Krankenkassen im Jahr 2015 34,9 Milliarden Euro aufgewendet
Allerdings ist die vertragsärztliche Versorgung für die Versorgung und deren Ausgaben weit wichtiger, als das bloße Ausgabenvolumen für ambulante Behandlung ausdrückt. Denn Vertragsärzte veranlassen Leistungen in einem weit größeren Wert, als sie selbst erbringen: Der Zugang zu Krankenhausleistungen, zur Arznei-, Heil- und Hilfsmittelversorgung wird vor allem durch Entscheidungen von Vertragsärzten reguliert.
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Das System der vertragsärztlichen Vergütung im Überblick
Das vertragsärztliche Vergütungssystem ist außerordentlich kompliziert. Die Vergütung des einzelnen Vertragsarztes wird in einem zweistufigen Verfahren festgelegt. In einem ersten Schritt vereinbaren die Landesverbände der Krankenkassen und die KVen die Höhe der Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung (§ 82 Abs. 2 SGB V). Anschließend verteilen die KVen die von den Kassen entrichtete Summe auf die einzelnen Vertragsärzte (§ 87b Abs. 1 SGB V).
Quelle: IGES
Interner Link: Infografik als PDF-Download
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Drei Grundelemente sind für das Vergütungssystem konstitutiv:
die Gesamtvergütung;
der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM), aus dem sich das Wertverhältnis der ärztlichen Leistungen ergibt;
der Honorarverteilungsmaßstab (HVM,), der die genauen Kriterien für die Verteilung der Gesamtvergütung definiert.
Die Abbildung zeigt die Zusammenhänge zwischen diesen drei Grundelementen, die in den folgenden Abschnitten ausführlicher erläutert werden.
Die verschiedenen Akteure und Institutionen der gemeinsamen Selbstverwaltung im deutschen Gesundheitswesen werden im Lernobjekt "Verbände und Körperschaften" vorgestellt.
Verwandte LerntourWichtige Akteure im deutschen Gesundheitswesen. Teil 2: Selbstverwaltung und angegliederte Institutionen
Gesamtvergütung
Die Krankenkassen stellen die Gesamtvergütung für die vertragsärztliche Versorgung bereit. Dabei handelt es sich um einen Geldbetrag, den die Krankenkasse "mit befreiender Wirkung" an die zuständige Kassenärztliche Vereinigung (KV) zahlt.
Mit dieser Gesamtvergütung sind für den betreffenden Zeitraum alle vertragsärztlichen Leistungen für die Versicherten dieser Krankenkasse abgegolten. "Mit befreiender Wirkung" bedeutet, dass sich darüber hinaus für die Krankenkassen keine Pflichten zur Vergütung vertragsärztlicher Leistungen ergeben.
Die Berechnung der Gesamtvergütung kann unterschiedlichen Kriterien folgen. Möglich ist (§ 85 Abs. 2 SGB V):
die Vereinbarung eines Festbetrags,
die Vergütung nach Einzelleistungen,
die Vergütung nach einer Kopfpauschale,
die Vergütung nach einer Fallpauschale oder
eine Kombination dieser oder anderer Systeme.
Verwandte LerntourAmbulante ärztliche Versorgung Teil 4: Grundprobleme der Vergütung ärztlicher Leistungen
Die Vereinbarungen über die Veränderung der Gesamtvergütung haben den Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu beachten (§ 85 Abs. 3 SGB V). Aktuell entrichten die einzelnen Krankenkassen die Gesamtvergütung auf Basis einer Kopfpauschale. Ihre Höhe richtet sich nach den vorangegangenen Ausgaben der einzelnen Kassen für ärztliche Behandlung. Die KVen müssen die Gesamtvergütung vor der Verteilung unter den Ärzten in einen hausärztlichen und einen fachärztlichen Honorartopf trennen. Die Töpfe werden anschließend jeweils gesondert weiterverteilt. Ein wichtiges Motiv des Gesetzgebers für die Trennung der Honorartöpfe bestand darin, die Einkommen der Hausärzte im Vergleich zu denen der Fachärzte zu stabilisieren. Dies sollte u.a. dadurch geschehen, dass man sie mit der Bildung zweier Honorartöpfe von der starken Mengenexpansion in der fachärztlichen Versorgung abzuschirmen versuchte.
Auszug aus dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) im Jahr 2013 (PDF) (bpb) Lizenz: cc by-nc-nd/3.0/de/
- Als PDF herunterladen (466.8kB)
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Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM)
Für die Vergütung ambulanter Leistungen in der GKV ist der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) von grundlegender Bedeutung. Der EBM wurde 1978 mit dem Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetz (1977) eingeführt. In diesem Verzeichnis sind die Leistungen aufgeführt, die die Vertragsärzte abrechnen können. Er umfasst mehr als 1.500 Leistungspositionen, die jeweils mit einer bestimmten Punktzahl versehen sind und eine inhaltliche Beschreibung der betreffenden Leistung beinhalten. Die Bewertung mit einer Punktzahl trägt u.a. der Tatsache Rechnung, dass die Leistungen unterschiedlich aufwendig (Zeitbedarf, technisch-apparative Voraussetzungen, Kosten usw.) sind. Die Punktzahlen geben zunächst nur das Wertverhältnis zwischen den Einzelleistungen wieder (§ 87 Abs. 2 SGB V). Sie sind nicht unbedingt mit festen Preisen identisch. Der folgende Auszug aus dem EBM verdeutlicht diese Eigenschaften des EBM.
Die Bewertung der einzelnen ärztlichen Leistungen im EBM nimmt der Bewertungsausschuss vor. Er ist paritätisch aus Vertretern von Ärzten und Krankenkassen zusammengesetzt. Kommt eine Einigung zwischen beiden Parteien nicht zustande, wird der Bewertungsausschuss auf Antrag von mindestens zwei Mitgliedern um drei unparteiische Mitglieder erweitert, die dann eine Bewertung festsetzen (§ 87 Abs. 4 u. 5 SGB V). Das von der KBV und dem Spitzenverband der Krankenkassen getragene "Institut des Bewertungsausschusses" unterstützt den Bewertungsausschuss bei der Durchführung seiner Aufgaben und bereitet dessen Beschlüsse vor. Bei der Abrechnung des Vertragsarztes mit der KV dokumentiert der Arzt die am Patienten erbrachten Leistungen in Form der Gebührenordnungspositionen des EBM. Am Ende des Quartals reicht der Arzt diese Abrechnungen für alle Kassenpatienten bei seiner KV ein. Die KV wiederum nimmt zunächst verschiedene Prüfungen vor, wie z.B. die sachliche und rechnerische Richtigkeit, die Plausibilität, ggf. die Wirtschaftlichkeit. Auf Basis der Leistungen, die sie nach diesen Prüfungen anerkannt hat, errechnet die KV das ärztliche Honorar in Euro, indem sie zum einen die Bestimmungen des EBM abrechnungstechnisch umsetzt und zum anderen den Honorarverteilungsmaßstab anwendet.
Honorarverteilungsmaßstab
Die genauen Bestimmungen für die Verteilung der Gesamtvergütung auf die Vertragsärzte legen die KVen in ihren jeweiligen Honorarverteilungsmaßstäben (HVM) fest. Der HVM gibt den KVen Möglichkeiten an die Hand, die Vergütung bestimmter Leistungen oder Arztgruppen zu differenzieren. Auf diese Weise kann er jene Auswirkungen korrigieren, die aus der unmittelbaren Anwendung des EBM und den dort hinterlegten Bewertungsrelationen erwachsen würden. Dies bietet den KVen auch die Möglichkeit, auf die Besonderheiten in ihrer Region einzugehen. Damit verfügen sie über ein Instrument, das ihnen helfen kann, ihren Sicherstellungsauftrag zu erfüllen. Zu diesem Zweck kann der HVM z.B. nach Leistungsgruppen oder nach Arztgruppen bestimmte Punktwertdifferenzierungen vornehmen. Allerdings muss er sich dabei an den EBM anlehnen und darf das im EBM fixierte Wertverhältnis einzelner Leistungen nicht willkürlich verändern.
Grundsätzlich ist der HVM dem Fünften Sozialgesetzbuch zu Folge so zu gestalten, dass eine übermäßige Ausdehnung der vertragsärztlichen Leistungen vermieden wird (§ 87 Abs. 2 SGB V). Das zweistufige Honorarverfahren ermöglicht die Anwendung unterschiedlicher Vergütungsformen für die Berechnung der Gesamtvergütung und für die Verteilung des Honorars an die Ärzte. Die einzelnen Honorarverteilungsmaßstäbe enthalten eine kaum überschaubare Vielfalt von Bestimmungen und unterscheiden sich von KV zu KV zum Teil deutlich. So können etwa bestimmte ärztliche Tätigkeiten, die als besonders wünschenswert gelten, mit einem höheren Punktwert vergütet werden. Auch kann z.B. die Versorgung in unterversorgten Gebieten besser vergütet werden. Im Ergebnis solcher Maßnahmen kann es zu nach Arztgruppen, Leistungen bzw. Leistungsgruppen und Regionen erheblichen Punktwertdifferenzen kommen.
Merkmale des aktuellen Vergütungssystems
Die wesentlichen Merkmale des aktuellen Vergütungssystems wurden mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz geschaffen. Die Bestimmungen wurden 2007 verabschiedet und traten 2009 in Kraft. Sie beinhalteten eine weitgehende Neuordnung der vertragsärztlichen Vergütung.
Morbiditätsorientierte Gesamtvergütung
Die Krankenkassen entrichten seit 2009 eine morbiditätsorientierte Gesamtvergütung für die vertragsärztlichen Leistungen an die KVen. Seitdem wird die Zahl und die Morbiditätsstruktur der Versicherten zur Berechnung der Gesamtvergütung herangezogen und somit ein Behandlungsbedarf für die vertragsärztliche Versorgung ermittelt. Auf der Grundlage des EBM wird das betreffende Punktzahlvolumen errechnet und mit dem vereinbarten Punktwert multipliziert (§ 87a Abs. 3 SGB V). Bei der jährlichen Anpassung der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung werden u.a. folgende Merkmale berücksichtigt:
Art und Umfang der ärztlichen Leistungen, soweit sie auf veränderten Gesetzes- oder Satzungsbestimmungen oder auf Beschlüssen des G-BA beruhen,
die Zahl und Morbiditätsstruktur der Versicherten
eventuelle Leistungsverlagerungen zwischen ambulantem und stationärem Sektor.
Außerdem ist der Grundsatz der Beitragssatzstabilität zu beachten. Mit diesen Regelungen entfiel die vorherige grundlohnsummenorientierte Budgetierung der Gesamtvergütung. Das Morbiditätsrisiko verlagerte sich von der Ärzteschaft auf die Krankenkassen. Damit ist gemeint, dass bei wachsendem Behandlungsbedarf auch die Gesamtvergütung entsprechend steigt. Denkbar wäre auch, dass, wie bei einem Budget, ein wachsender Behandlungsbedarf aus einem gleichbleibenden Honorarvolumen finanziert wird, wie dies seit 1993 längere Zeit der Fall war. Mit dem Versorgungsstrukturgesetz 2011 wurden die Möglichkeiten der beteiligten Akteure erweitert, auf Landesebene von den bundesweiten Regelungen abzuweichen, um ihren regionalen Besonderheiten Rechnung zu tragen (z.B. durch Zu- und Abschläge für besondere Versorgungsbedarfe).
Regelleistungsvolumina
Protestierende Arzthelferin 2012. (© picture-alliance/dpa)
Protestierende Arzthelferin 2012. (© picture-alliance/dpa)
Die Vergütung des einzelnen Arztes orientiert sich an arztgruppenspezifischen Regelleistungsvolumina. Für jede Arztgruppe – also beispielsweise Hautärzte oder Orthopäden – wird aufgrund von Behandlungsdaten aus vorhergehenden Jahren eine bestimmte Punktmenge ermittelt, die ein Arzt dieser Fachgruppe im Durchschnitt benötigt, um einen Patienten zu versorgen. Für diese Punktmenge – das arztgruppenspezifische Regelleistungsvolumen – wird seit 2009 ein fester Punktwert zwischen der KV und den Krankenkassen vereinbart. Dies bedeutet für den einzelnen Arzt, dass er bis zu der durch das Regelleistungsvolumen vorgegebenen Höchstmenge für seine Leistungen eine feste Vergütung erhält und damit Kalkulationssicherheit hat. Da dieses Verfahren für Ärzte den finanziellen Anreiz setzt, die Leistungsmenge – auch medizinisch unbegründet – auszuweiten, um die eigenen Einnahmen zu erhöhen, sieht der Gesetzgeber vor, dass bei einem Ausschöpfen des Regelleistungsvolumens durch den einzelnen Arzt jede darüber hinausgehende Leistung zu niedrigeren Punktwerten vergütet, also "abgestaffelt", wird. Insofern dienen die Regelleistungsvolumina auch als Instrument zur Mengensteuerung, also zur Vermeidung medizinisch nicht begründeter Mengenausweitungen.
Überarbeiteter Einheitlicher Bewertungsmaßstab
Mit der Vergütungsreform wurde neben den Bestimmungen zur Gesamtvergütung und den Regelleistungsvolumina auch der EBM in wesentlichen Punkten überarbeitet. Pauschalvergütungen wurden im Vergleich zur Vergütung nach einzelnen Leistungen aufgewertet. In der hausärztlichen Versorgung werden einige Basisleistungen nun zu einer Versichertenpauschale zusammengefasst. In der fachärztlichen Versorgung sind dafür arztgruppenspezifische Grundpauschalen und – zumeist diagnosebezogene – Zusatzpauschalen vorgesehen. Daneben sieht der EBM wie bisher weiterhin überwiegend Einzelleistungen vor.
Honorarentwicklung in der vertragsärztlichen Versorgung
Mehr als 1000 Arzthelferinnen und Ärzte protestieren im Dezember 2005 vor dem Landtag in Mainz gegen das Honorar- und Abrechnungssystem der Krankenkassen. (© picture-alliance/ dpa/dpaweb )
Mehr als 1000 Arzthelferinnen und Ärzte protestieren im Dezember 2005 vor dem Landtag in Mainz gegen das Honorar- und Abrechnungssystem der Krankenkassen. (© picture-alliance/ dpa/dpaweb )
Die vertragsärztliche Gesamtvergütung war von 1993 bis 2007 mit kurzen Unterbrechungen unter Anbindung an die Grundlohnsumme budgetiert. Damit reagierte der Gesetzgeber auf das Scheitern seiner vorangegangenen Kostendämpfungsbemühungen. Gleichzeitig stiegen seit der Einführung der sektoralen Budgetierung die Vertragsarztzahlen stark an. Das Zusammenwirken von budgetierter Gesamtvergütung und Arztzahlenanstieg hat im Verlauf der 1990er-Jahre den Druck auf die ärztlichen Einkommen deutlich erhöht. Allerdings kehrte sich dieser Trend um. Insbesondere ab 2007 erzielten die Ärzte zum Teil überaus kräftige Honorarerhöhungen. Dies lag nicht nur am Ende der Budgetierung, sondern auch an für die Vertragsärzteschaft großzügigen Bestimmungen des Gesetzgebers. Darüber hinaus wirkte sich in den letzten Jahrzehnten auch der Bedeutungszuwachs von Einnahmen aus privatärztlicher Tätigkeit aus.
Unter den Vertragsärzten herrscht seit Jahren eine erhebliche Unzufriedenheit mit der Höhe der Vergütung. Die ärztlichen Standesvertretungen klagen über unangemessene Einnahmen- und Einkommenssituation ihrer Mitglieder. Mitunter wird sogar über eine – vermeintliche – Existenzbedrohung für manche Vertragsärzte geklagt. Zwischen den Fachgruppen in der Vertragsärzteschaft gab und gibt es Auseinandersetzungen über die angemessene Verteilung der Gesamtvergütung.
Die wichtigsten Datenquellen über ärztliche Einnahmen bzw. Einkommen in der ambulanten Versorgung sind die Erhebungen des Statistischen Bundesamtes (StBA) und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Das Statistische Bundesamt erhebt die Einnahmen und Kosten je Praxis und Praxisinhaber (ohne Medizinische Versorgungszentren) und unterscheidet dabei u.a. zwischen den Einnahmen aus vertragsärztlicher und privatärztlicher Tätigkeit. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung erfasst den Honorarumsatz und den Überschuss aus vertragsärztlicher Tätigkeit. Die angehängten Daten geben einen genaueren Einblick in die ärztlichen Einkommensverhältnisse.
TippÄrztlichen Einkommensverhältnisse
Die verlinkten Daten geben einen genaueren Einblick in die ärztlichen Einkommensverhältnisse.
Statistisches Bundesamt: Externer Link: Unternehmen und Arbeitsstätten. Kostenstruktur bei Arzt- und Zahnarztpraxen sowie Praxen von psychologischen Psychotherapeuten
Kassenärztliche Vereinigung: Externer Link: Bericht über die Ergebnisse der Honorarverteilung 2015