Häufigkeit der Inanspruchnahme der ambulanten ärztlichen Versorgung
Die Inanspruchnahme von Ärzten in Deutschland gilt im internationalen Vergleich, auch wenn Daten nur eingeschränkt vergleichbar sind, als hoch
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Die Inanspruchnahme von niedergelassenen Ärzten ist in Deutschland hoch. Im Folgenden werden mögliche Gründe für diesen Sachverhalt erörtert.
Die Inanspruchnahme von Ärzten in Deutschland gilt im internationalen Vergleich, auch wenn Daten nur eingeschränkt vergleichbar sind, als hoch
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung wies für das Jahr 2014 552,7 Millionen ambulante Behandlungsfälle aus (KBV 2016). Das waren etwa 8 Arztkonsultationen je Versichertem.
Nicht selten wird die hohe Zahl der Arztkonsultationen mit einer vermeintlich hypochondrischen Neigung der Deutschen in Verbindung gebracht. Gleichwohl kommen primär andere Gründe für die hohe Inanspruchnahme von Ärzten in Deutschland in Betracht. Im Vordergrund stehen dabei strukturelle Gesichtspunkte:
Die Inanspruchnahme von Leistungen wird überwiegend durch Ärzte gesteuert, v.a. durch Vertragsärzte. Der Patient sucht bei Beschwerden den Arzt zwar aus eigener Veranlassung auf (Primärinanspruchnahme), die weitere Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen erfolgt aber auf Veranlassung des Arztes (Überweisung an Ärzte, Einweisung in ein Krankenhaus). Bei der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen handelt es sich zu einem erheblichen Teil um eine "anbieterinduzierte Nachfrage".
Die Vergütung in der vertragsärztlichen Versorgung wie auch in der ambulanten Versorgung im Rahmen der privaten Krankenversicherung beruht im Kern auf der Einzelleistungsvergütung. Dadurch haben die Ärzte ein Interesse an einer häufigeren Wiedereinbestellung von Patienten.
Die nach wie vor recht strikte Trennung der Versorgungssektoren begünstigt eine erhöhte Zahl von Arztkontakten.
In Deutschland kann der Zugang zu ärztlicher Behandlung, von einigen Ausnahmen abgesehen, in der Regel recht schnell erfolgen. Das ist nicht überall so. In manchen anderen Ländern gibt es aufgrund einer häufig geringeren Arztdichte zum Teil deutlich längere Wartezeiten.
In vielen anderen Ländern können kleinere Gesundheitsprobleme von besonders ausgebildetem nichtärztlichem Fachpersonal behandelt werden. Entsprechende Kontakte erscheinen dann nicht als Arztkonsultationen. In Deutschland sind medizinische Behandlungen durch nichtärztliches Personal nach wie vor kaum möglich.
Der Gesetzgeber versuchte im Rahmen seiner Kostendämpfungsbemühungen, mit einer Praxisgebühr die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen zu begrenzen. Insbeosndere wollte man damit einem – vermeintlich ausgeprägten – "Ärzte-Hopping" entgegenwirken, als der eigenständigen und ohne Überweisung erfolgenden Inanspruchnahme durch die Patienten. Die Praxisgebühr wurde 2004 mit dem Inkrafttreten des GKV-Modernisierungsgesetzes eingeführt und sah im Wesentlichen folgende Bestimmungen vor:
Beim ersten Arztbesuch in einem Quartal musste der Patient eine Praxisgebühr in Höhe von zehn Euro entrichten. Vorsorgeuntersuchungen waren von dieser Regelung ausgenommen.
Weitere zehn Euro wurden in diesem Quartal bei jedem Arztbeuch fällig, der ohne eine Überweisung durch den im Quartal zuerst aufgesuchten Arzt erfolgte. Bei Vorliegen einer Überweisung fiel aber keine weitere Praxisgebühr mehr an.
Auf diese Weise wollte man die Zahl der Arztbesuche eindämmen. Neben dieser Steuerungsfunktion hatte die Praxisgebühr auch eine Finanzierungsfunktion. Sie entlastete die Haushalte der Krankenkassen und damit die Arbeitgeber und Versicherten von Krankenversicherungsbeiträgen. Im Jahr 2011 belief sich dieser Betrag immerhin auf rund 1,6 Milliarden Euro
Das derzeit in der GKV praktizierte Beitragssystem wird in der Lerntour "Finanzierungssystem der GKV heute" erläutert.
Von Anfang an war die Praxisgebühr Gegenstand heftiger Kritik und heftigen Protestes. Sie wurde u.a. von Gewerkschaften, Sozial- und Patientenverbänden als unsolidarisch kritisiert, weil sie ausschließlich den Patienten Kosten für ihre Behandlung aufbürdete. Analysen zu den Auswirkungen deuteten darauf hin, dass die Einführung der Praxisgebühr insbesondere bei unteren Einkommensschichten zu einem Rückgang der Inanspruchnahme von Ärzten führte
Ende 2012 beschloss der Bundestag einstimmig, die Praxisgebühr zum 1.1.2013 abzuschaffen. In der Bundesregierung hatte die FDP für eine Abschaffung der Praxisgebühr votiert. Die Union hatte hingegen eine Absenkung des Beitragssatzes befürwortet. Die Oppositionsparteien hatten die Abschaffung der Praxisgebühr bereits seit langem gefordert. Die gute Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung erleichterte den Abschied von der Praxisgebühr. Zudem wurde in der Diskussion auch darauf hingewiesen, dass die Praxisgebühr ihre Steuerungsfunktion – die Verringerung der Arztzahlbesuche – nicht erfüllt habe. Von mancher Seite wurde auch bezweifelt, dass es sich beim "Ärzte-Hopping" wirklich um ein verbreitetes Phänomen handelt.
Die Zahl der Arztbesuche ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern sehr hoch. Zur Erklärung dieses Sachverhalts kommen primär Merkmale des Gesundheitssystems in Betracht. Dazu zählen z.B. die Orientierung des Vergütungssystems an der Einzelleistungsvergütung, die nach wie recht scharfe Trennung der Versorgungssektoren, die hohe Arztdichte und der weitgehende Ausschluss anderer Gesundheitsberufe von der medizinischen Versorgung. Zudem ist zu beachtet dass es sich bei einem großen Teil der Inanspruchnahme des Gesundheitssystems durch Patienten um eine "arztinduzierte Nachfrage" handelt. 2004 wurde eine Praxisgebühr in Höhe von 10 Euro für den ersten Arztbesuch im Quartal sowie für weitere Arztbesuche ohne Überweisung eingeführt, allerdings zum Ende 2012 wieder abgeschafft, u.a. weil sie ihre Steuerungswirkung verfehlt habe.
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